Giuseppe Verdis „Un ballo in maschera“ wurde 1859 in Rom uraufgeführt. Gegenstand des Stückes sollte eigentlich die Ermordung König Gustav III. von Schweden sein, aber die Zensur zwang Verdi dazu, seine Oper ins ferne Amerika, nach Boston, zu verlegen – ein Königsmord auf der Bühne war den zeitgenössischen Politikern zumindest suspekt und so wurde aus dem schwedischen König Gustav Riccardo, der Gouverneur von Boston.
Die Neuinszenierung des „Ballo“ am Theater Erfurt lag in den Händen von Johann Kresnik, ein Garant dafür, dass vieles anders aussieht, als man das vielleicht gewohnt ist oder erwartet hätte – ein wie auch immer definierter „Skandal“ ist die Aufführung nicht geworden.
Kresniks Inszenierung zeigt ein angedeutetes Amerika nach dem 11.09.2001, ein Land, das anfängt, aus den Fugen zu geraten. Neben der Schicht der Herrschenden und so etwas wie einer Mittelschicht wird man immer wieder die Armen sehen, diejenigen, die nichts haben, die vor allem, keine Chance bekommen, am Reichtum zu partizipieren.
Auf der Bühne sieht man grau-in-grau die Gebäudetrümmer der Zwillingstürme, Autowracks sind zu erkennen, über allem liegt Rauch.
Von links kommen während des Vorspiels nackte Menschen beiderlei Geschlechts herein, sie tragen Mickey-Mouse-Masken und ihre Körper sind mit Asche überzogen, wie pervertierte Lemuren sehen sie aus, ein gespenstischer Zug ist das, der in völliger Ruhe, die Masken dem Publikum zugewandt, am Zuschauer vorbeizieht.
In der Bühnenmitte erkennt man Amelia in einem schicken Goldlamékleid, die sich die Pulsadern öffnet. Schon hier wird klar, dass Amelia die tragende und auch tragische Figur der Handlung ist. Die Frau zwischen zwei Männern, dem durchaus an der Macht interessierten Renato und dem Regierungsschef Riccardo.
Menschen kommen aus den Trümmern – Finanzdienstleister und Militärs, es ist heiss und bald fangen die ersten an, sich die Hemden auszuziehen und sich mit denen Luft zuzufächeln.
Immer wieder fallen den ganzen Abend über von oben aus dem zerstörten Gebäuden Fetzen herunter.
Die Führungsschicht vergnügt sich derweil beim Saunieren: in Bademänteln kommt sie herein und die Handtücher, die um die Hüften geschlungen wurden zeigen schon auch mal den Dollarschein.
Im Hintergrund schickt Amelia ein goldenes Double in den Ring, dass sich auch sogleich Riccardo andient. Fragen tauchen auf, wie tief eigentlich die Beziehung zwischen Amelia und Riccardo ist, oder ob diese überhaupt tragfähig sein kann.
Bei all dem bleibt Kresnik ganz nah an der Musik. Das ist überhaupt ein grosses Plus dieser Inszenierung: immer wieder nimmt Kresnik mit oft verblüffenden Bewegungselementen die Musik Verdis auf.
Im zweiten Bild steht im Vordergrund ein grosses Fass mit Öl, die einfachen Menschen betreten die Bühne, sie sehen wie Vertriebene aus und Ulrica, die Wahrsagerin, versucht auf ihre Art, Hoffnung zu spenden. Dass auch sie eine Gauklerin ist, verrät nicht zuletzt ihre Kostümierung: da steht Marilyn Monroe auf dem wohl berühmtesten U-Bahnschacht der Filmgeschichte. Im Verlauf der Szene wird sie sich die Haut schwarz Färben und mit einem Schuss aus einer Pistole das Ölfass zum brennen bringen.
Aus den Trümmern kommen nackte Menschen mit Koffern und ziehen langsam über die Bühne, surreal wirkt das und auch beklemmend.
Der Akt geht wie bekannt zu Ende: Amelia holt sich Rat bei Ulrica, Riccardo belauscht die beiden und der erste, der Riccardo die Hand geben und nach dem Spruch der Wahrsagerin den Regierungschef ermorden wird, ist Renato.
Im zweiten Akt sehen wir die verzweifelte Amelia, wie sie nach jenem Kraut sucht, dass ihr die Wahrsagerin benannt hat, um der gesellschaftlich geächteten Liebe zu Riccardo zu entgehen. Der tritt selbst auf und in einem bedingungslosen aufwallen sexueller Begierde reissen beide sich die Kleider vom Leib. Das ist sehr direkt inszeniert, realistisch und überzeugend..
Die folgende Szene lebt vor allem von der Verhöhnung durch die Verschwörer Samuel und Tom – wieder bleibt Kresnik direkt an der Musik, wenn die beiden Renato verspotten – und dies auch mit drastischen Gesten tun, eine Kränkung des Mannes Renato, die plausibel machen, warum dieser ob der Situation ausrastet.
Im dritten Akt wird Renato seine Gattin ziemlich unsanft hinauswerfen. Als besonderen Akt der Demütigung lässt er sie das Los ziehen, dass ihn, Renato, zum Mörder ihres Liebhabers bestimmen wird, was die beiden anderen Verschwörer durchaus mit Erleichterung zur Kenntnis nehmen.
Was dann kommt, ist szenisch der stärkste Moment des Abends. Oscar, hier eine androgynes Wesen, das auch schon mal in einer Militäruniform zu sehen war, trägt ein rotes Abendkleid mit Federboa, Frisur und Bärtchen zeigen einen Varitéhitler, das sich Oscar entsetzt abwischen wird, wenn aus einem nur vermeintlichen Spass Ernst wird.
Zum Maskenball sieht man völlig überzeichnete Klischees, da taucht alles auf der Bühne auf, was einem zu Amerika einfällt: Daisy- und Donaldduckmasken, Goofy und Mickey-Mouse, man erkennt z. B. einen Vietnamverteranen, Schwarzenegger, Elvis oder Miss Liberty und Uncle Sam, die Herren oft im Transgenderlook, die Farben sind zuckersüss bis schweinchenrosa, die Brüste der Frauen monströs vergrössert, Schweine- und Affenmasken bedecken viele Gesichter.
Renato ermordet Riccardo und gibt ungerührt den Nachfolger von Riccardo: als Präsident der United States, wie ihn das Rednerpult ausweist. Amelia folgt Riccardo in den Tod, das Eingangsbild findet hier seine Entsprechung.
Konsummüll regnet von oben prasselnd auf den Bühnenboden.
Die Handlung ist auch für Zuschauerinnen und Zuschauer gut zu verfolgen, die das Stück nicht oder nicht sonderlich gut kennen.
Die Kritik an gesellschaftlichen Verhältnissen oder an der amerikanischen Politik sind Kresnik ein wichtiges Anliegen – da ist er sich über die Jahre hinweg treu geblieben, auch in der Form der künstlerischen Umsetzung in seinen Inszenierungen. Und ganz falsch ist seine Feststellung, dass das Theater unpolitischer geworden sei, sicherlich auch nicht.
Allerdings wirkt diese Form der Inszenierung heute nicht mehr so provokant, wie noch vor 20 Jahren, die Welt hat sich verändert und auch das Theater müsste heute andere Bilder finden, um einen vergleichbaren Effekt zu erzielen.
Was bleibt ist eine handwerklich ausgezeichnete Inszenierung, die mit einer tollen Personenregie aufwarten kann, die keinen Moment langweilig ist und immer noch genügend Anlass für eine intensive Auseinandersetzung mit Musik, Stück und Inszenierung bietet, auch da, wo man Kritikpunkte anbringen möchte.
Darstellerisch waren alle Sängerinnen und Sänger sehr engagiert bei der Sache – stimmlich hatte die Sopranistin Adina Aaron als Amelia die Nase vorn: wunderbar ihre dynamischen Möglichkeiten, gerade die Piani waren hörenswert, die dramatische Kraft wirkte noch etwas gebremst und die Premierennervosität wird sich sicher noch zum Vorteil der Sängerin legen. Bemerkenswert, dass sie gegen Ende des zweiten Aktes Ermüdungserscheinungen zeigte – aber dann im dritten Akt wieder voll präsent war.
Ihr Partner als Riccardo war Erik Fenton (was ein Name für einen Tenor), der seinen etwas unruhigen Tenor schnell in den Griff bekam und vor allem mit seinen mächtigen, etwas starren und wenig nuancierten, Spitzentönen überzeugen konnte.
Helena Zubanovich, die Ulrica, kämpfte mit der Tiefe, sie musste da kräftig nach unten drücken und bot, genauso wie Julia Neumann als Oscar eine solide, durchschnittliche Leistung.
Absolut katastrophal der Bariton Petteri Falck als Renato: eine gnadenlos vor sich hin tremolierende, blass-fahle Stimme, die gänzlich ohne Höhe auskommen muss und mehr als einmal deutlich unter den Tönen lag.
Er musste als einziger Solist Buh-Rufe entgegen nehmen, die anderen Sängerinnen und Sänger wurden nachhaltig gefeiert.
Walter E. Gugerbauer dirigierte einen soliden, nicht sehr ambitionierten Verdi, bemühte sich, Bühne und Orchester zusammenzuhalten, die kollektive Chor und Orchester musizierten und sangen ansprechend.
Wie zu erwarten schlugen Johann Kresnik massive Buhs entgegen und auch die genauso üblichen Bravos waren zu vernehmen, der grosse Mann des choreographischen Theaters nahms gelassen.