Gesualdo gilt nicht nur als musikalisches Genie, welches aufgrund der Urteile vieler Musikwissenschaftler und Musikhistoriker unter Zeitgenossen vergebens seines Gleichen sucht; sein Lebenslauf und Werdegang bietet Stoff für unzählige Mythen und Legenden. Er beeinflusst Komponisten bis auf den heutigen Tag. Zeit, ihn in einem ausführlichen Thread zu behandeln.
Der Mann mit dem Dudelsack, der in Werner Herzogs sehenswerter Halb-Dokumentation über Gesualdo "Death for five voices" durch das halbverfallene Schloss Gesualdo spaziert, trötet mit seinem Instrument so herzzerreißend, dass einem das Blut in den Adern gefriert. Auf die Frage, was er da mache, antwortet er, dass er so jede Woche die bösen Geister banne und sie an der Flucht aus dem Schloss hindere. Gesualdo, die italienische Geistergeschichte aus der Renaissance, ist zumindest an diesem Ort noch sehr lebendig. Die Rezeption hat ihn erst in jüngster Zeit wieder entdeckt. Und das gleich auf vielfältige Weise. Es erschienen in den letzten Jahren hervorragende Aufnahmen mit seiner Musik, und nicht mehr als drei Opern (1994 - Schnittkes „Gesualdo“, 1996 - Franz Hummels „Gesualdo“, 1998 - Sciarrinos „Die tödliche Blume“) widmen sich in der neueren Zeit dem Fürsten, der 1560 oder 1561 in Neapel (andere sprechen von 1566) geboren wird.
Als sein älterer Bruder stirbt erbt Carlo den Titel eines Fürsten von Venosa. Allein dieser Umstand, dass er aus einem Adelshaus stammt und nicht eine „gewöhnliche“ Musikerkarriere im geistlichen Umfeld startet, wie zu dieser Zeit beinahe ausschließlich möglich, stellt Gesualdo auf einen schattigen Platz in der Musikgeschichte. Seine Kompositionen (Madrigali, Lamentatione, Respensorien) wurzeln zwar in der Tradition eines Monteverdi, gehen aber durch chromatische Veränderungen und dissonante Experimente weit über das Werk der Zeitgenossen hinaus. Möglicherweise hätte man ihn aber komplett vergessen, böte sein Leben nicht die Ingredienzien, die man für einen gruseligen Thriller, eine italian gothic novel benötigt. Sein hinlänglich bekannter, eiskalt geplanter Mord an seiner untreuen Ehefrau (er gab vor, einen Jagdausflug zu machen, kehrte jedoch überraschend wieder und ermeuchelte sein Weib. Der Liebhaber wurde ebenso getötet wie die kleine Tochter, dessen Vaterschaft zweifelhaft war), die Tatsache, dass er aufgrund seiner adligen Herkunft einer entsprechenden Strafe entgehen konnte, die Mysterien und Legenden, die sich um seine letzten Jahre und um sein Lebensende ranken – starb Gesualdo an einem Asthmaanfall oder an den Infektionen, die er durch masochistische Flagellation erlitt?, all diese geheimnisvollen Geschehnisse machen Gesualdo zu einer Ausnahmeerscheinung der Musik der Renaissance im Übergang zum Barock. Nachdem seine Musik durchaus sein Publikum fand, geriet sein Werk in der Öffentlichkeit schnell in Vergessenheit. Erst im Zuge der Wiederentdeckung vorbarocker Musik im letzten Jahrhundert wurden eine Reihe von hervorragenden Aufnahmen gemacht.
Selbstverständlich ist dies nur ein grober Überblick und ich freue mich aufrichtig über Ergänzungen, Korrekturen und Aufnahmeempfehlungen. Außerdem beschäftigt mich die Frage, wo in seiner Musik man Spuren seiner Freveltat finden kann und wo Anzeichen seiner Depressionen oder gar des Wahnsinns, denn die Verquickung seiner schauerlichen Biographie mit dieser expressiven Musik ist einfach ungeheuerlich. Ungeheuerlich schön…