Der Komponist Erwin Schulhoff (1894 – 1942) dürfte, wenn überhaupt, vielen Musikfreundinnen und – freunden nur dem Namen nach bekannt sein.
Schulhoff wurde 1894 in Prag geboren, erhielt schon als Kind ersten Musikunterricht und begann mit 10 Jahren seine professionelle Musikausbildung am Prager Konservatorium. Nach einer Zwischenstation in Leipzig (wo Schulhoff Komposition bei Max Reger studierte) kam der junge Künstler 1911 nach Köln, wo er zwei Jahre später am dortigen Konservatorium seine Ausbildung abschloss. Saarbrücken, Berlin, Köln – und immer wieder Prag sind die Städte, in denen Schulhoff mehr oder weniger lange lebt, Debussy, Klemperer oder Erich Kleiber sind u. a. die Menschen, denen er begegnet ist. Seine Oper „Flammen“ nach einer Vorlage von Karel-Josef Benes und auf einen Text von Max Brod wird am 27.01.1932 in tschechischer Sprache in Brünn uraufgeführt. Die deutsche Erstaufführung, geplant für das Jahr 1933 unter der Leitung von Erich Kleiber, scheitert an der politischen Situation in Deutschland: die Nazis sind an die Macht gekommen und Schulhoff, der Jude ist, gilt als unerwünscht. Noch im Jahr 1933 vollendet Schulhoff seine Kantate „Das kommunistische Manifest“ nach Karl Marx und immer stärker wendet er sich dem Kommunismus zu, reist in die Sowjetunion und wird im Jahr 1941 – längst muss Schulhoff um sein und das Leben seiner Familie fürchten – russischer Staatsbürger. Kurze Zeit später wird Schulhoff in Prag verhaftet und in das KZ Weissenburg geschafft. Dort stirbt Schulhoff am 28.08.1942 an Unterernährung und Tuberkulose, bis zuletzt gepflegt von seinem ebenfalls in Weissenburg inhaftierten Sohn Peter.
Musikalisch spürt man bei Schulhoff schon die Entwicklung hin zu Schönberg, aber die Musik ist noch stark dem Einfluss von Richard Wagner verhaftet. Nicht nur in seiner einzigen Oper „Flammen“, auch in anderen seiner Werke hat noch eine andere Musik ihre Spuren hinterlassen: der Jazz.
„Flammen“ behandelt den bekannten Don-Juan-Stoff, allerdings aus einer anderen Perspektive, als man das gewohnt ist. Der Titel steht für die verzehrende Leidenschaft, aber auch für die Höllenqualen. Die Psychoanalyse hat sich mit Don Juan in „Flammen“ beschäftigt. Während der Juan in den traditionellen Stücken der ewige Verführer ist, sieht man in der Schulhoff-Oper einen Mann, der seinen Trieben ausgeliefert ist, der von der Sexualität bestimmt wird und der dieser nichts entgegensetzen kann. Die grosse, aber unerfüllbare und unerreichbare Liebe seines Lebens wird ein weiblicher Tod sein, La Morte im Stück. Ironischerweise wird auch in „Flammen“ der Don Juan den Komthur töten – hier in einem Maskenspiel der Ehemann der Donna Anna – aber dieser wird den Don nicht mit in die Hölle nehmen, sondern zu ewigen Leben verdammen: Juan wird wieder ein Jüngling und muss alles von vorne – und wohl immer wieder – durchleiden.
Das Stück hat eigentlich keine richtige Handlung, die Szenen werden lose aneinandergefügt, werfen Schlaglichter auf die Personen, das ganze ist stark surrealistisch geprägt und der Text hat klar literarische Qualität. Das „undramatische“ der Handlung hat schon vor der Uraufführung im Jahr 1932 für eine gewisse Zurückhaltung bei den Theaterdirektoren gesorgt. Urs Häberli, der Regisseur der Aufführung in Kaiserslautern, hat bewiesen, dass das so nicht stimmt und hat eine spannende Inszenierung für das kleine Pfalztheater erarbeitet.
Das Bühnenbild besteht aus grossen, verschiebbaren Fensterwänden, zuerst leer, später auch verglast, die sich lautlos und langsam bewegen, eine Traumszenerie von stark suggestiver Kraft.
Im Mittelpunkt Don Juan – ein Tenor, der den ganzen Abend über auf der Bühne ist – immer im Frack, der des öfteren die Farbe wechselt, darunter eine Art Lackweste auf der nackten Haut. Sechs Frauenstimmen, die Schatten, kommentieren die Handlung, einem antiken Chor vergleichbar.
Don Juan trifft auf eine Frau: unter ihrer Kleidung, die sie ablegt, trägt sie schwarze Reizwäsche und hohe Lackstiefel, sie nimmt Don Juan fordernd und bestimmend. La Morte, ganz in weiss und kahlköpfig beobachtet die Szene.
In einem Dom sucht Don Juan Erlösung. Ein riesiger Weihrauchkessel hängt über der Szene, zwei Ministranten schaukeln mit ihm weitausschwingend hin-und-her. Eine Nonne tritt zu Juan, er sucht ihre Seele, aber sie will nur eins: Sex. La Morte spielt die Orgel und in ein „Gloria“ fallen Jazz-Klänge hinein, in dieser Oper der Ausdruck für die ungezügelte Leidenschaft. Die Nonnen reissen sich die Kleider vom Leib und tanzen ekstatisch in moderner Unterwäsche, über der Brust ein schwarzes Kreuz.
Im nächsten Bild sieht man Don Juan auf einem Sofa über der Bühne schweben, dazu Frauen in weissen Gewändern, ebenfalls sich schwerelos in der Luft bewegend. Immer wieder greift er nach einer und stösst sie wieder von sich. Als er La Morte erblickt ergreift ihn Verzweiflung.
In einem Leichenschauhaus sucht Don Juan nach seinen Ahnen – junge Männer umgeben ihn. Neidisch ist er auf die Toten, mit denen er sich spöttisch unterhält. Wieder ist es La Morte, die ihn weiterfliehen lässt.
Ein ausgedehntes Strandbild folgt. Im Hintergrund eine Videoeinspielung vom Meer. Die Frau (es ist immer dieselbe Sängerin für die Nonne, Donna Anna und eben die Frau) tröstet Juan.
Margarethe (Don Juan durchaus als eine anderer Faust), die in einem Strandkorb sitzt, wendet sich Juan zu. Meterlanges, blondes Haar wird entrollt, mit dem Juan spielt. Ein Duett, das an Tristan und Isolde erinnert, ist einer der musikalischen Höhepunkte der Oper. La Morte tötet voller Eifersucht Margarethe.
Mit der Totenklage des Juan endet der erste Teil.
Der zweite zeigt zuerst ein Maskenfest: zwei Jazz-Combos begleiten die Szene, Don Juan tanzt mit Donna Anna einen Foxtrott. Die Gesellschaft hält sich Masken mit Totenköpfen vors Gesicht, Harlekin kündigt das Duell Komthur-Don Juan an. Don Juan tötet den Komthur und Donna Anna erschiesst sich: „Auch lebend, Juan, bist du des Todes Ebenbild“. Juan wendet sich in dieser Szene als Conferenciér ans Publikum, steigt aus der Szene aus, handyphoniert mit dem Komponisten – das ist frech, aber gekonnt und hat, klar, bekannte Vorbilder.
Don Juan beklagt dann den Tod der Donna Anna, kämmt ihr liebevoll das Haar, die Gesten des ersten Teils finden hier ihre Spiegelung im zweiten.
La Morte tritt zu ihm, die Szene zwischen beiden gerät zu einer Art Show-down zwischen dem der lieben (und damit sterben) will und jener die lieben will, aber in letzter Konsequenz nicht lieben kann. Die Bühne ist dunkel, geheimnisvoll, La Morte nach-wie-vor ganz in weiss, offenbart unter ihrer Kleidung einen dunklen, toten Körper. Der Komthur tritt als riesige Statue hinzu und verflucht Juan: er muss ewig leben, seinen Trieben bis in alle Ewigkeit ausgeliefert. Verzweifelt schreit er: „So muss ich weiter, weiter sein“.
Dann wiederholt sich die allererste Szene: die Frau in der schwarzen Reizwäsche nimmt den Don Juan voll sexueller Begierde. La Morte beobachtet die beiden: „Du, den ich nicht erreichen kann, ich sehne mich nach deinem Sehnen.“ Kurze Zeit später bringt sie das Dilemma auf den Punkt: „Lebens- und Todesflammen, wann endlich zusammen?“.
In völliger Ruhe auf dunkler Bühne verklingt ihr Gesang: „Was uns Erlösung brächte, wieder so fern, so fern“.
Ein grosser Abend für das kleine Theater in Kaiserslautern, ein mutiger dazu und geeignet, Schulhoff wieder mehr in den Blick der Intendanten zu rücken.
Die Inszenierung zeigt wunderbare, surreale Bilder, der Tanz, die synchrone Bewegung, unterstreichen das traumhafte des Stücks, sexuelle Anspielungen bleiben dezent und die schwierige Handlung wird dem Publikum angemessen näher gebracht – unaufgeregt und doch spannend zugleich.
Aussergewöhnlich das Orchester des Pfalztheaters: unter dem GMD Uwe Sandner spielen die Musikerinnen und Musiker so engagiert, wie es diese Musik verdient: klar in den solistischen Partien, bei den Holzbläsern z. B., mächtig auffahrend bei den spätromantischen Passagen und tänzerisch bewegt bei den Jazz-Stücken.
Der Don Juan ist eine tolle Partie für einen Tenor – aber auch eine kräftezehrende. Douglas Nasrawi, einst Ensemblemitglied in Kaiserslautern, zeigte sich mit seinem etwas grobkörnigen Material durchhaltestark und mit grell-schneidender Stimmfarbe rollendeckend besetzt.
Ihm zur Seite die Mezzosopranistin Silvia Hablowetz als Frau, Nonne und Donna Anna – dunkel grundiert und auch in der Höhe ansprechend. Als Margarethe konnte Adelheid Fink mit ihrem Sopran überzeugen und als La Morte setzte Anna-Maria Dur ihren klangschönen Mezzo ein, der nur in der Tiefe zu oft in die Sprechstimme abglitt.
Die Aufführung wird übertitelt – das ist leider auch notwendig, die Textverständlichkeit könnte besser sein.
Darstellerisch waren alle ausgezeichnet, das Publikum dankte mit anhaltendem Applaus und erwartungsgemäss blieben viele Plätze schon bei der Premiere leer. Es ist Kaiserslautern zu wünschen, dass viele Menschen die Gelegenheit nutzen, „Flammen“ von Erwin Schulhoff einmal szenisch kennenzulernen. Wem das nicht vergönnt ist: es gibt eine Aufnahme bei Decca in der Reihe „Entartete Musik“, auf die ich hier gerne hinweise.