Kaiserslautern, Pfalztheater, "Flammen", Erwin Schulhoff, 19.04.08

  • Der Komponist Erwin Schulhoff (1894 – 1942) dürfte, wenn überhaupt, vielen Musikfreundinnen und – freunden nur dem Namen nach bekannt sein.


    Schulhoff wurde 1894 in Prag geboren, erhielt schon als Kind ersten Musikunterricht und begann mit 10 Jahren seine professionelle Musikausbildung am Prager Konservatorium. Nach einer Zwischenstation in Leipzig (wo Schulhoff Komposition bei Max Reger studierte) kam der junge Künstler 1911 nach Köln, wo er zwei Jahre später am dortigen Konservatorium seine Ausbildung abschloss. Saarbrücken, Berlin, Köln – und immer wieder Prag sind die Städte, in denen Schulhoff mehr oder weniger lange lebt, Debussy, Klemperer oder Erich Kleiber sind u. a. die Menschen, denen er begegnet ist. Seine Oper „Flammen“ nach einer Vorlage von Karel-Josef Benes und auf einen Text von Max Brod wird am 27.01.1932 in tschechischer Sprache in Brünn uraufgeführt. Die deutsche Erstaufführung, geplant für das Jahr 1933 unter der Leitung von Erich Kleiber, scheitert an der politischen Situation in Deutschland: die Nazis sind an die Macht gekommen und Schulhoff, der Jude ist, gilt als unerwünscht. Noch im Jahr 1933 vollendet Schulhoff seine Kantate „Das kommunistische Manifest“ nach Karl Marx und immer stärker wendet er sich dem Kommunismus zu, reist in die Sowjetunion und wird im Jahr 1941 – längst muss Schulhoff um sein und das Leben seiner Familie fürchten – russischer Staatsbürger. Kurze Zeit später wird Schulhoff in Prag verhaftet und in das KZ Weissenburg geschafft. Dort stirbt Schulhoff am 28.08.1942 an Unterernährung und Tuberkulose, bis zuletzt gepflegt von seinem ebenfalls in Weissenburg inhaftierten Sohn Peter.


    Musikalisch spürt man bei Schulhoff schon die Entwicklung hin zu Schönberg, aber die Musik ist noch stark dem Einfluss von Richard Wagner verhaftet. Nicht nur in seiner einzigen Oper „Flammen“, auch in anderen seiner Werke hat noch eine andere Musik ihre Spuren hinterlassen: der Jazz.


    „Flammen“ behandelt den bekannten Don-Juan-Stoff, allerdings aus einer anderen Perspektive, als man das gewohnt ist. Der Titel steht für die verzehrende Leidenschaft, aber auch für die Höllenqualen. Die Psychoanalyse hat sich mit Don Juan in „Flammen“ beschäftigt. Während der Juan in den traditionellen Stücken der ewige Verführer ist, sieht man in der Schulhoff-Oper einen Mann, der seinen Trieben ausgeliefert ist, der von der Sexualität bestimmt wird und der dieser nichts entgegensetzen kann. Die grosse, aber unerfüllbare und unerreichbare Liebe seines Lebens wird ein weiblicher Tod sein, La Morte im Stück. Ironischerweise wird auch in „Flammen“ der Don Juan den Komthur töten – hier in einem Maskenspiel der Ehemann der Donna Anna – aber dieser wird den Don nicht mit in die Hölle nehmen, sondern zu ewigen Leben verdammen: Juan wird wieder ein Jüngling und muss alles von vorne – und wohl immer wieder – durchleiden.


    Das Stück hat eigentlich keine richtige Handlung, die Szenen werden lose aneinandergefügt, werfen Schlaglichter auf die Personen, das ganze ist stark surrealistisch geprägt und der Text hat klar literarische Qualität. Das „undramatische“ der Handlung hat schon vor der Uraufführung im Jahr 1932 für eine gewisse Zurückhaltung bei den Theaterdirektoren gesorgt. Urs Häberli, der Regisseur der Aufführung in Kaiserslautern, hat bewiesen, dass das so nicht stimmt und hat eine spannende Inszenierung für das kleine Pfalztheater erarbeitet.


    Das Bühnenbild besteht aus grossen, verschiebbaren Fensterwänden, zuerst leer, später auch verglast, die sich lautlos und langsam bewegen, eine Traumszenerie von stark suggestiver Kraft.


    Im Mittelpunkt Don Juan – ein Tenor, der den ganzen Abend über auf der Bühne ist – immer im Frack, der des öfteren die Farbe wechselt, darunter eine Art Lackweste auf der nackten Haut. Sechs Frauenstimmen, die Schatten, kommentieren die Handlung, einem antiken Chor vergleichbar.


    Don Juan trifft auf eine Frau: unter ihrer Kleidung, die sie ablegt, trägt sie schwarze Reizwäsche und hohe Lackstiefel, sie nimmt Don Juan fordernd und bestimmend. La Morte, ganz in weiss und kahlköpfig beobachtet die Szene.


    In einem Dom sucht Don Juan Erlösung. Ein riesiger Weihrauchkessel hängt über der Szene, zwei Ministranten schaukeln mit ihm weitausschwingend hin-und-her. Eine Nonne tritt zu Juan, er sucht ihre Seele, aber sie will nur eins: Sex. La Morte spielt die Orgel und in ein „Gloria“ fallen Jazz-Klänge hinein, in dieser Oper der Ausdruck für die ungezügelte Leidenschaft. Die Nonnen reissen sich die Kleider vom Leib und tanzen ekstatisch in moderner Unterwäsche, über der Brust ein schwarzes Kreuz.


    Im nächsten Bild sieht man Don Juan auf einem Sofa über der Bühne schweben, dazu Frauen in weissen Gewändern, ebenfalls sich schwerelos in der Luft bewegend. Immer wieder greift er nach einer und stösst sie wieder von sich. Als er La Morte erblickt ergreift ihn Verzweiflung.


    In einem Leichenschauhaus sucht Don Juan nach seinen Ahnen – junge Männer umgeben ihn. Neidisch ist er auf die Toten, mit denen er sich spöttisch unterhält. Wieder ist es La Morte, die ihn weiterfliehen lässt.


    Ein ausgedehntes Strandbild folgt. Im Hintergrund eine Videoeinspielung vom Meer. Die Frau (es ist immer dieselbe Sängerin für die Nonne, Donna Anna und eben die Frau) tröstet Juan.


    Margarethe (Don Juan durchaus als eine anderer Faust), die in einem Strandkorb sitzt, wendet sich Juan zu. Meterlanges, blondes Haar wird entrollt, mit dem Juan spielt. Ein Duett, das an Tristan und Isolde erinnert, ist einer der musikalischen Höhepunkte der Oper. La Morte tötet voller Eifersucht Margarethe.


    Mit der Totenklage des Juan endet der erste Teil.


    Der zweite zeigt zuerst ein Maskenfest: zwei Jazz-Combos begleiten die Szene, Don Juan tanzt mit Donna Anna einen Foxtrott. Die Gesellschaft hält sich Masken mit Totenköpfen vors Gesicht, Harlekin kündigt das Duell Komthur-Don Juan an. Don Juan tötet den Komthur und Donna Anna erschiesst sich: „Auch lebend, Juan, bist du des Todes Ebenbild“. Juan wendet sich in dieser Szene als Conferenciér ans Publikum, steigt aus der Szene aus, handyphoniert mit dem Komponisten – das ist frech, aber gekonnt und hat, klar, bekannte Vorbilder.


    Don Juan beklagt dann den Tod der Donna Anna, kämmt ihr liebevoll das Haar, die Gesten des ersten Teils finden hier ihre Spiegelung im zweiten.


    La Morte tritt zu ihm, die Szene zwischen beiden gerät zu einer Art Show-down zwischen dem der lieben (und damit sterben) will und jener die lieben will, aber in letzter Konsequenz nicht lieben kann. Die Bühne ist dunkel, geheimnisvoll, La Morte nach-wie-vor ganz in weiss, offenbart unter ihrer Kleidung einen dunklen, toten Körper. Der Komthur tritt als riesige Statue hinzu und verflucht Juan: er muss ewig leben, seinen Trieben bis in alle Ewigkeit ausgeliefert. Verzweifelt schreit er: „So muss ich weiter, weiter sein“.


    Dann wiederholt sich die allererste Szene: die Frau in der schwarzen Reizwäsche nimmt den Don Juan voll sexueller Begierde. La Morte beobachtet die beiden: „Du, den ich nicht erreichen kann, ich sehne mich nach deinem Sehnen.“ Kurze Zeit später bringt sie das Dilemma auf den Punkt: „Lebens- und Todesflammen, wann endlich zusammen?“.


    In völliger Ruhe auf dunkler Bühne verklingt ihr Gesang: „Was uns Erlösung brächte, wieder so fern, so fern“.


    Ein grosser Abend für das kleine Theater in Kaiserslautern, ein mutiger dazu und geeignet, Schulhoff wieder mehr in den Blick der Intendanten zu rücken.


    Die Inszenierung zeigt wunderbare, surreale Bilder, der Tanz, die synchrone Bewegung, unterstreichen das traumhafte des Stücks, sexuelle Anspielungen bleiben dezent und die schwierige Handlung wird dem Publikum angemessen näher gebracht – unaufgeregt und doch spannend zugleich.


    Aussergewöhnlich das Orchester des Pfalztheaters: unter dem GMD Uwe Sandner spielen die Musikerinnen und Musiker so engagiert, wie es diese Musik verdient: klar in den solistischen Partien, bei den Holzbläsern z. B., mächtig auffahrend bei den spätromantischen Passagen und tänzerisch bewegt bei den Jazz-Stücken.


    Der Don Juan ist eine tolle Partie für einen Tenor – aber auch eine kräftezehrende. Douglas Nasrawi, einst Ensemblemitglied in Kaiserslautern, zeigte sich mit seinem etwas grobkörnigen Material durchhaltestark und mit grell-schneidender Stimmfarbe rollendeckend besetzt.


    Ihm zur Seite die Mezzosopranistin Silvia Hablowetz als Frau, Nonne und Donna Anna – dunkel grundiert und auch in der Höhe ansprechend. Als Margarethe konnte Adelheid Fink mit ihrem Sopran überzeugen und als La Morte setzte Anna-Maria Dur ihren klangschönen Mezzo ein, der nur in der Tiefe zu oft in die Sprechstimme abglitt.


    Die Aufführung wird übertitelt – das ist leider auch notwendig, die Textverständlichkeit könnte besser sein.


    Darstellerisch waren alle ausgezeichnet, das Publikum dankte mit anhaltendem Applaus und erwartungsgemäss blieben viele Plätze schon bei der Premiere leer. Es ist Kaiserslautern zu wünschen, dass viele Menschen die Gelegenheit nutzen, „Flammen“ von Erwin Schulhoff einmal szenisch kennenzulernen. Wem das nicht vergönnt ist: es gibt eine Aufnahme bei Decca in der Reihe „Entartete Musik“, auf die ich hier gerne hinweise.

  • Ein herzliches Dankeschön, auch diesmal wieder, für die fundierte Arbeit! Da ich schon darauf spekuliere, ebenfalls hinzufahren, war ich besonders gespannt drauf, kenne das Werk bislang überhaupt nicht, und vom Komponisten selbst habe ich bis heute nur wenig gehört.


    [zitat]Original von Alviano
    Die Inszenierung zeigt wunderbare, surreale Bilder, der Tanz, die synchrone Bewegung, unterstreichen das traumhafte des Stücks, sexuelle Anspielungen bleiben dezent und die schwierige Handlung wird dem Publikum angemessen näher gebracht – unaufgeregt und doch spannend zugleich.[/zitat]
    Und das macht mich neugierig.


    [zitat]Aussergewöhnlich das Orchester des Pfalztheaters: unter dem GMD Uwe Sandner spielen die Musikerinnen und Musiker so engagiert, wie es diese Musik verdient [...][/zitat]
    So habe ich Dirigent und Orchester bei meinem bislang einzigen Besuch in Kaiserslautern ebenfalls erlebt (vor einem Jahr gab es Janáceks "Die Sache Makropulos").

  • Hallo Alviano, auch von mir ein Dankeschön! Diese Aufführung würde michaufgrund des Sujets und die Verbindung Juan&Faust besonders interessieren, leider sind bei mir Opernreisen aus vielerlei Gründen nicht mehr drin. Umso wertvoller dein Hinweis auf die Decca-Einspielung, obwohl eine CD natürlich die von dir so plastisch geschilderten visuellen Eindrücke nicht ersetzen kann. Ich hoffe aber, dass ein Libretto dabei ist, denn die von dir zitierten Passagen machen auch darauf neugierig!
    lg Severina :hello:

  • Hallo Alviano,


    ganz herzlichen Dank für diesen wunderbar anschaulichen und ausführlichen Bericht zur 'Flammen'-Premiere in Kaiserslautern! :jubel: :jubel: :jubel:
    Die Gelegenheit werde ich mir auf keinen Fall entgehen lassen, mir die "Oper" anzuschauen.


    Zitat

    Wem das nicht vergönnt ist: es gibt eine Aufnahme bei Decca in der Reihe „Entartete Kunst“, auf die ich hier gerne hinweise.


    Die Decca-Einspielung unter Leitung von John Mauceri kann ich ebenfalls nur wärmstens empfehlen. (Die Reihe heißt jedoch 'Entartete Musik'.)


    :hello:
    Johannes

  • Hallo Alviano,
    wieder einmal, großes Kompliment. Nur frage ich mich wie schon so oft, wie ist es möglich ist, eine Inszenierung bei einmaligem Sehen so plastisch zu schildern? Da ich weder den Komponisten noch das Werk kenne und Max Brod als Librettist mir nur in Bezug auf Janácek bekannt ist, mich Deine Ausführungen aber so neugierig machten, habe ich soeben online eine Karte für eine Vorstellung im Mai geordert. Die Association Faust/Don Juan tauchte ja schon früh im 19. Jahrhundert auf (Grabbe: Don Juan und Faust), ich selbst sehe in den beiden Personen eigentlich keine Parallelen.



    :hello:


    Emotione

  • Das ist doch schon mal ein schönes Kompliment, wenn tatsächlich, angeregt durch meine Zeilen, Leute Lust bekommen haben, sich die Aufführung selbst anzuschauen.


    Vor allem, dass Emotione aus dem Stand sagt, keine Ahnung, wer der Komponist ist und wie das klingt, da fahr ich hin, finde ich klasse!


    Das Stück ist keine leichte Kost, ich würde empfehlen, vorher nochmal ein paar Informationen einzuholen. Hier im Opernführer gibts z.B. einen Beitrag von Davidoff, zu Schulhoff fehlt leider noch ein eigener Thread - aber auch mein Artikel ist bestimmt hilfreich.


    Mit 2 Stunden 15 Minuten ist das Stück auch nicht übermässig lang, gegen 22.00 Uhr ist die Vorstellung zu Ende, der häufige Szenenwechsel sorgt für anhaltende Aufmerksamkeit und die Sängerinnen und der Titerollensänger legen sich mächtig ins Zeug, das macht viel Spass.


    Die Decca-Aufnahme (mit Kurt Westi in der männlichen Hauptrolle) bietet einen guten Einführungstext und das komplette Libretto. Ich habe bewusst mal Textausschnitte zitiert, weil der Text auch für sich genommen toll gearbeitet ist, er ist ein wesentlicher Bestandteil des Werks und deswegen ist mir hier die Übertitelung im Theater lieber, als wenn der Text gänzlich untergeht.


    Was jetzt das Erinnern und Beschreiben der Szene angeht: es ist auch für mich ein Unterschied, ob ich - wie beim "Tannhäuser" - das Stück selbst gut kenne oder - wie hier bei "Flammen" - das Stück zum allerersten Mal sehe. Letzteres ist für mich ganz klar die grössere Herausforderung. Das heisst für mich auch: Vorbereitung, Texte lesen, Inhaltsangabe, Musik hören, sowas. Die Bilder sortieren sich dann bei der Nachbetrachtung quasi von selbst. Im Schreiben ergänzt sich Bild um Bild.


    Beim Korrekturlesen ist es mir auch aufgefallen: ich habe die Kunst gegen die Musik getauscht, Johannes hat recht: es muss "Entartete Musik" heissen...

  • Der Premierenbericht von Alviano machte mich so neugierig, dass ich gestern, 03.05.08, meine Nachtfahrtphobie überwand und erstmals das Pfalztheater in Kaiserslautern besuchte.


    Ich kann die Ausführungen Alvianos in allen Punkten bestätigen. Wer irgend eine Gelegenheit hat, sollte sich diese Inszenierung auf keinen Fall entgehen lassen. Bühne, Beleuchtung und Licht erzeugten traumhaft schöne surrealistische Bilder. Schulhoffs Musik war mir bisher völlig unbekannt, umso überraschter war ich von der teilweise sehr eindringlichen Melodik (ein immer wieder ertönendes Flötensolo-Motiv) und dem Jazzrhythmus der Tanzszenen.


    Das gesamte Ensemble überzeugte besonders darstellerisch, wobei ich persönlich die Rolle des Don Juan stimmlich überaus schwierig empfand. Dies war vermutlich auch der Grund für das Weglassen ganzer Wörter im Text, die - wie schon von Alviano bemerkt - die Übertitelung als dringend notwendig erscheinen ließen.


    Auf einigen der Zwischenvorhänge werden Szenen aus einem Video projeziert, hier wäre es für mich hilfreich gewesen, wenn in dem sehr gut gestalteten Programmheft Näheres erläutert wäre. Über den Sinn des Videos (eine junge Frau versucht in einem engen , leeren Raum die Gesetze der Schwerkraft zu überwinden?) bin ich mir sehr im Unklaren.


    Die Vorstellung schien ausverkauft zu sein. Zu meinem Erstaunen stellte ich nach der Pause fest, dass die Hälfte der Plätze leer blieb. Eine Nachfrage ergab, dass dies bei den "Flammen" leider bei jeder Vorstellung der Fall sei.


    Diejenigen, die blieben, hatten jedenfalls einen wundervollen Opernabend und dankten Ensemble und besonders dem Dirigenten und Orchester mit langanhaltendem heftigen Applaus.


    LG :hello:


    Emotione

  • Liebe Emotione,


    schön, das es Dir gefallen hat. Viele der Bildeinfälle sind wirklich verblüffend (die Dom-Szene oder das Bild mit Juan auf dem Sofa), aber auch die lautlos fahrenden Fensterwände schaffen eine ganz eigene, traumartige Atmosphäre.


    Ja, die Video-Einblendungen von Chantal Michel. Die bleiben rätselhaft: man sieht die Schweizer Künstlerin selbst in einem Kasten und sie versucht tatsächlich, die Schwerkraft auszutricksen. Das sieht oft skuril aus, gerade, wenn die Haare ebenfalls nicht mehr den Gesetzen der Schwerkraft gehorchen. Das Video heisst "Sorry, Guys", man könnte also vermuten, dass hier eine Frau die Gesetzmässigkeiten einer männlich dominierten Welt ausser Kraft setzt, was dann auch zum Stoff der Schulhoff-Oper passen würde.


    Zweifelsfrei, die Tenor-Partie ist anstrengend. Nicht nur, dass der Sänger die ganze Zeit auf der Bühne ist, gerade am Ende muss er noch stimm-darstellerisch voll präsent sein.


    Kaiserslautern kann sich glücklich schätzen, mit Uwe Sandner einen GMD zu haben, der auch solche Stücke ins Programm nimmt und sie mit viel Engagement betreut.


    Ich bin schon wieder auf dem Sprung, dehalb hier nur kurz, schönen Sonntag


    :hello:

  • Hallo allerseits,


    nachdem auch ich die gestrige Kaiserslauterner Aufführung von Schulhoffs großartigem Meisterwerk 'Flammen', gemeinsam mit einem Freund, besucht habe, kann ich den Ausführungen von Alviano und Emotione voll zustimmen.


    Die Inszenierung ist geprägt von wunderbar suggestiven Bildern von großer Eindringlichkeit. Die über weite Strecken dunklen mystischen Klänge aus dem Orchestergraben finden ihre perfekte Umsetzung in der traumhaften bzw. alptraumhaften Atmosphäre der einzelnen Szenen.
    Ganz beeindruckend fanden ich und mein Begleiter die Einbeziehung der Projektionen auf eine Leinwand auf der hinteren Bühne sowie auf Zwischenvorhängen, insbesondere in Szene 7: Gespräch mit dem Meer.


    Da Emotione und Alviano in ihren Ausführungen die Tenorpartie als etwas anstrengend charakterisiert haben, möchte ich hinzufügen, daß dieser Eindruck nicht (nur) auf die höllisch schwere Rolle zurückzuführen ist, sondern, daß vielmehr das - in meinen Ohren - sehr schneidende (fast blecherne) Stimmtimbre des Tenors, Douglas Nasrawi, sowie sein fortwährend forciertes, zu undifferenziertes Singen einen angestrengten Eindruck hinterließ.
    Ansonsten war ich von der Besetzung der Frauenstimmen (Donna Anna ..., Margarethe, La Morte) sehr angetan.


    Auch das über den ganzen Abend viel beschäftigte Orchester hat seinen Part sehr gut gemeistert, obgleich ich anmerken muß, daß man aus der Decca-Einspielung unter Leitung von John Mauceri viele Einzelheiten aus der so überreichen Orchesterpartitur Schulhoffs etwas deutlicher heraushören kann als aus dem Graben. Vor allem die von Röhrenglocken, Glockenspiel, Vibraphon, Celesta und Harfe geprägten magischen Klänge hätte ich mir etwas klarer herausgearbeitet gewünscht. Aber trotzdem eine beeindruckende Leistung des gesamten Ensembles.
    Einziger größerer Kritikpunkt meinerseits, was die Aufführung betrifft, waren einige Kürzungen, die insgesamt mindestens 15 Minuten Musik ausmachten!!!


    Ein Phänomen, was mir an diesem Abend - wie immer wieder in etlichen Opernaufführungen der letzten Jahre - negativ aufgefallen ist, ist das mehr als seltsame Verhalten des Publikums. Hauptsächlich in den Passagen der in Schulhoffs Oper so immens wichtigen, ausgedehnten Orchesterzwischenspiele, vor allem wenn die Bühne gänzlich verdunkelt war, wurde munter und ungeniert mit dem / den Nachbarn palavert als ob man in der Straßenbahn oder beim Kaffeekränzchen säße.
    Immer wieder bin ich fassungslos, wenn ich registriere, daß viele Opernbesucher (teils wohl aus völliger Ignoranz, teils aus Mangel an Aufmerksamkeit und Disziplin) nicht in der Lage zu sein scheinen, eine rein orchestrale Stelle konzentriert mitzuverfolgen, ohne daß ständig ein Solist auf der Bühne steht und in höchsten Tönen in den Zuschauerraum plärrt.
    Entlarvend war in dieser Hinsicht auch der um ca. 10 Minuten verfrühte Schlußapplaus von Teilen des Publikums an einer Stelle, an der aufgrund des musikalischen Ablaufs noch nicht Schluß sein konnte.
    Negativerlebnisse, die meine Lust auf 'Oper live' über die Jahre stetig mindern.


    Trotzdem - auch von mir eine dicke Empfehlung für diese herausragende Opernproduktion eines so sträflich vernachlässigten Meisterwerks!


    :hello:
    Johannes

  • Hallo Johannes,


    wenn sich jetzt schon drei Besucher/innen der Aufführung am "Pfalztheater" so freundlich über diese Produktion äussern, wirds doch vielleicht noch einige geben, die sichs einfach mal anschauen und anhören gehen.


    Wars denn bei Dir auch so, dass die Zuschauerinnen und Zuschauer zur Pause dann reihenweise gegangen sind?


    :hello:

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  • Hallo Alviano,


    Zitat

    Original von Alviano
    Wars denn bei Dir auch so, dass die Zuschauerinnen und Zuschauer zur Pause dann reihenweise gegangen sind?


    Ich war ja am selben Abend im Pfalztheater wie Emotione und kann bestätigen, daß die Vorstellung erstaunlicherweise beinahe ausverkauft war. Daß nach der Pause einige Plätze leer blieben, war zwar nicht zu übersehen, aber den Eindruck, daß etwa die Hälfte der Besucher gegangen wäre, hatte ich nicht.


    Zitat

    Original von Alviano
    wenn sich jetzt schon drei Besucher/innen der Aufführung am "Pfalztheater" so freundlich über diese Produktion äussern, wirds doch vielleicht noch einige geben, die sichs einfach mal anschauen und anhören gehen.


    Das ist wahrlich zu hoffen! Aus einigen Telefonaten weiß ich zumindest von noch einem Tamino, der eine der kommenden Vorstellungen besuchen wird. Termine gibt es in der laufenden Saison 2007/08 noch vier:


    Mi., 21.05., Mi., 28.05., So., 15.06., Fr., 27.06.2008
    jeweils um 19.30 Uhr
    (Einführungsvortrag ab 19.00 Uhr)


    :hello:
    Johannes

  • Johannes beklagte sich über die Unterhaltungen der Zuschauer. Das konnte ich - zumindest im Umkreis meines Platzes - nicht bemerken. Was mir aber in Kaiserslautern besonders auffiel, was das ständige Husten im Publikum.


    Peinlich berührt war auch ich, dass doch viele Leute im Publikum glaubten, nach dem neunten Bild applaudieren zu müssen. Für mich wieder einmal ein Zeichen dafür, wie unvorbereitet man war. Vielleicht waren es aber auch diejenigen, die mit dem Bus zur Vorstellung kamen und nicht zu Möglichkeit hatten, früher zu gehen.


    Für mich jedenfalls hätte die Oper noch einmal von vorne beginnen können, und wenn ich die Fahrt nicht scheute, würde ich mir diese Inszenierung bestimmt noch ein zweites Mal ansehen.


    :hello:


    Emotione

  • Hallo Emotione,


    Zitat

    Original von Emotione
    Johannes beklagte sich über die Unterhaltungen der Zuschauer. Das konnte ich - zumindest im Umkreis meines Platzes - nicht bemerken.


    das beruhigt mich nachträglich dann doch wieder ein wenig. Demnach hatten ich und mein Begleiter mit unseren Plätzen in besagter Schwatzecke einfach nur Pech. :rolleyes:


    :hello:
    Johannes

  • Zitat

    Original von Guercoeur


    das beruhigt mich nachträglich dann doch wieder ein wenig. Demnach hatten ich und mein Begleiter mit unseren Plätzen in besagter Schwatzecke einfach nur Pech.


    Das ist trotzdem eine Unart. Kaum geht der Vorhang zu, wird munter losparliert - so, als wäre die Musik absolut nebensächlich. Mir ist das sowohl im "Vampyr" in Würzburg passiert - direkt nach der Pause plauderten zwei Damen in der Reihe hinter mir angeregt über gemeinsame Bekannte aus dem Chor - als auch beim "Broucek" in Frankfurt: die Nebengeräusche um mich drumrum waren bemerkenswert in Lautstärke und Intensität.


    Witzig finde ich ja, dass ihr in KL in der gleichen Vorstellung gewesen seid...

  • Zitat


    Original von Alviano
    Witzig finde ich ja, dass ihr in KL in der gleichen Vorstellung gewesen seid...


    Ja, das finde ich auch. Es wäre schön gewesen, ich hätte mich in der Pause mit Johannes unterhalten können, da ich allein war. Noch witziger finde ich aber eine Bemerkung meines Sitznachbarn - offenbar ein Abonnent - vor Beginn des zweiten Aktes "Wagner ist wirklich schwere Musik". :D Ich habe ihn im Glauben gelassen.



    :hello:


    Emotione

  • Zitat

    Original von Guercoeur


    Das ist wahrlich zu hoffen! Aus einigen Telefonaten weiß ich zumindest von noch einem Tamino, der eine der kommenden Vorstellungen besuchen wird. Termine gibt es in der laufenden Saison 2007/08 noch vier:


    Mi., 21.05., Mi., 28.05., So., 15.06., Fr., 27.06.2008
    jeweils um 19.30 Uhr
    (Einführungsvortrag ab 19.00 Uhr)


    Ich bekenne: Der erwähnte Tamino - das bin wohl ich (Johannes hat mich schon vor Wochen propagandistisch bearbeitet :wacky: ): Bin schon gespannt drauf, zumal das Werk mir bislang noch völlig unbekannt ist. Termin ist noch offen.


    Das Ärgernis schwatzender Zuschauer ist mir leider auch vertraut: Es ist noch nicht überall bekannt, daß Orchesterzwischenspiele in Opern keine Erholungspausen sind, sondern integraler Bestandteil der Werke. Was im Orchester passiert, ist für mich mindestens so wichtig wie die Leistung der Sänger/innen, ganz gleich, ob es sich um Mozart, Wagner oder Alban Berg handelt. (Italienische Belcanto-Opern sind da vielleicht anders gebaut...??)


    Gut vorgewarnt, werde ich darauf achten, mir bei meinem Kaiserslautern-Besuch eine ruhige Ecke zu suchen...

  • Zitat

    Original von Guercoeur
    Die Decca-Einspielung unter Leitung von John Mauceri kann ich ebenfalls nur wärmstens empfehlen.


    Diese Aufnahme habe ich am letzten Wochende erstmals komplett angehört - ein wirklich faszinierendes Werk, in dem das Orchester, so mein erster Eindruck, die Handlung wiederholt ganz an sich zieht, in ausgedehnten Zwischenspielen und in der Szene, wenn die Handelnden nicht selten stumm agieren. Hochexpressiv, mit ausgedehnten Spannungsbögen, über weite Strecken freitonal - die Nähe zu Alban Berg war für mich nicht zu überhören (Lulu?); wieweit hier eine kompositorische Verwandtschaft bestehen könnte, vermag ich nicht zu beurteilen.


    Jetzt bin ich gespannt auf die (einzige noch ausstehende) Aufführung am 27.06.

  • Gestern fand die letzte der sieben Vorstellungen der "Flammen" statt und ich schätze mich glücklich, dabeigewesen zu sein. Über die Inszenierung ist hier schon das Wesentliche gesagt worden. Ich schließe mich gern an:


    Zitat

    Original von Alviano
    Die Inszenierung zeigt wunderbare, surreale Bilder, der Tanz, die synchrone Bewegung, unterstreichen das traumhafte des Stücks, sexuelle Anspielungen bleiben dezent und die schwierige Handlung wird dem Publikum angemessen näher gebracht – unaufgeregt und doch spannend zugleich.


    Zitat

    Original von Emotione
    Bühne, Beleuchtung und Licht erzeugten traumhaft schöne surrealistische Bilder.


    Zitat

    Original von Guercoeur
    Die Inszenierung ist geprägt von wunderbar suggestiven Bildern von großer Eindringlichkeit. Die über weite Strecken dunklen mystischen Klänge aus dem Orchestergraben finden ihre perfekte Umsetzung in der traumhaften bzw. alptraumhaften Atmosphäre der einzelnen Szenen.


    In der Tat: Es ist eine Oper, die weniger eine verwickelte Handlung, sondern eine schnell wechselnde, lose Szenen- und Bilderfolge aus der Welt der Phantasien zeigt - und das abseits der Konventionen - darauf habe ich mich gern eingelassen, ich habe Sinn für Surrealismus.


    Am meisten beeindruckte mich das musikalische Werk (das war mir schon beim Anhören der CD-Aufnahme so gegangen): wie eine große expressionistische Symphonie mit mitreißenden Spannungsbögen und langem Atem - und den bewiesen der GMD Uwe Sandner und das Orchester des Pfalztheaters - auf welchem Niveau hier musiziert wird, das fand ich wirklich bewunderungswürdig.


    Das Publikum war gestern glücklicherweise ruhig; die angesprochenen Störungen blieben aus. Und auch diesmal waren die Reihen wieder deutlich gelichtet, vor allem nach der Pause. So ist das halt...


    Ein rundum gelungener Opernabend!


    Und ein herzliches Dankeschön an Johannes, der mich überhaupt erst aufmerksam gemacht und tatkräftig vorbereitet hatte - auf Werk wie Aufführung!

  • Das ist doch ein dickes Lob für das Pfalztheater, dass jetzt schon eine ganze Handvoll Opernfreund/innen, die allesamt nicht aus Kaiserslautern kommen, die Produktion der nicht ganz leicht zugänglichen Oper "Flammen" mit so freundlichen Worten bedenken.


    Sowohl Musik, als auch Szene sind gut geeignet, das Interesse an der Beschäftigung mit Schulhoff und seinem Werk zu befördern. Vielleicht haben wir hier auch einen kleinen Teil dazu beitragen können, dass "Flammen" kein ganz so weisser Fleck im Bereich der Oper mehr ist.


    Im nächsten Jahr nun also Zemlinsky, ich freu mich drauf.

  • Lieber Heino,


    freut mich ganz außerordentlich, daß auch Dir die Aufführung so gut gefallen hat wie mir und den anderen Taminos.
    Und, wie Alviano bereits andeutete - vielleicht ist es uns aufgrund dieses schönen Threads ja gelungen, den ein oder anderen Gastleser zu animieren, sich eine Vorstellung der 'Flammen' anzusehen oder sich die Einspielung zu besorgen.



    Lieber Alviano,


    Zitat

    Original von Alviano
    Im nächsten Jahr nun also Zemlinsky, ich freu mich drauf.


    bin auch schon sehr gespannt auf den 'König Kandaules'. Einfach toll, was das Pfalztheater KL an hochinteressanten, aber dennoch wenig gespielten Opern so alles ausgräbt! :]


    :hello:
    Johannes

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