Was hat uns Beethoven heute zu sagen ?

  • Liebe Forianer,


    Was hier vielen wie eine unverständliche Frage vorkommen mag, ist in Wirklichkeit weder unverständlich, noch banal, sondern genau betrachtet höchst interessant.





    Ich habe mir die Frage wiederholt beim Erstellen der Threads und beim Durchforsten der Schallplattenkataloge (CD-Kataloge) gestellt, vo allem wenn man in Beracht zieht, daß die anderen Vertreter der "Wiener Klassik" derzeit nicht so in der Gunst des "Publikums" zu stehen scheinen, man betrachte beispielsweise die Anzahl von vorhandenen Schubert-Sinfonie-Zyklen im Vergleich zu jenen von Beethoven.


    Ähnliches kann über Haydn und Mozart gesagt werden, wobei man Haydn gern als "altväterlich" einstuft (was er zeitlebens NIE war, im Gegenteil, er war ein Neuerer. Mozart, der kritische Mozart, dessen Blick auch nicht der kleinste Fehler seiner Konkurrenten entging, wurde als der liebe "Wolferl" eingestuft. Der "arme" Schubert wird immer wieder bedauert, daß man ihn zu Lebzeiten "verkannte" (was eine Teilwahrheit ist) und daß man zu Lebzeiten keine seiner Sinfonien öffentlcht aufführte, wobei man geflissentlich übersieht, daß auch heute nur 2 oder 3, allenfalls 4 Sinfonien Beachtung finden (Die 8. "Unvollendete, die 9. "Große" C-dur, die 6. "Kleine" C-Dur, eventuell noch die Nr 5, - der Rest ist Schweigen.


    Ganz anders bei Beethoven: Wenngleich einige Sinfonien bliebter, andere weniger beliiebt zu sein scheinen - aufgenommen werden sie alle. Die Oper Fidelio, musikalisch sicher wunderbar, hat sich trotz deutschem, teilweise sogar recht schwülstigem Text und vieler Ungereimtheiten (wie ich finde) seit ihrem Erscheinen auf den Spielplänen (und im Plattenstudio) behaupten könnnen.


    Nur wenige Werke Beethovens werden von Musikwissenschaftern als "schwach" eingestuft, aber selbst das tut deren Beliebtheit keinen Abbruch....


    Die Person Beethoven wird (meinem Dafürhalten nach zu Unrecht) immer wieder als unnahbar und düster geschildert, als "schwierig" etc.-
    Dennoch - sein Stern strahlt ungebrochen. Was vielleicht kaum je ins rechte Licht gesetzt wurde: Auch zu Lebzeiten war Beethoven eine sehr geschätzte und anerkannte Persönlichkeit, seine Launen (so es denn welche waren) wurden nicht nur toleriert, sondern auch akzeptiert.


    Hier, für diesen Thread ergibt sich die Frage, warum Beethoven gerade heute anerkannter zu sein scheint, als seine 3 Mitstreiter in Sachen "Wiener Klassik" (In Wirklichkeit waren es ja mehr, ich weiß...)



    Beste Grüße aus Wien


    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Sagitt meint:


    Ich bin nicht sicher,ob Beethoven mehr Anerkennung geniesst als Mozart- ich denke : Nein. Aber,er ist mein Hausgott, seit Jahrzehnten.
    Für mich bleibt er ein solcher, wenn ich akzeptiere, dass er wirklich schwache Werke komponiert hat, nicht nur Wellingtons Sieg oder die Sonaten op. 49 oder 79 oder....
    Beethoven hatte Werke geschaffen, die ich aus meinem Leben niemals wegdenken möchte,die Sinfonien,Konzerte,viele Klaviersonaten, Violinsonaten, Cellosonaten, Trios, Quartette,Fidelio,die beiden Messen.
    Beethoven hat Werke für die Ewigkeit geschaffen. Nicht umsonst ist seine humanitäre Vision die Europa-Hymne.


    Ich würde mich allerdings wundern, wenn sich herausstellen würde, er sei ein netter Mensch gewesen. Er musste viele Enttäuschungen verarbeiten, wovon die Taubheit die größte war. Er hat nicht nur sein Personal und seinen Neffen kujoniert.Aber: ich schätze den Künstler und nicht den Menschen.
    Viele waren bei seinem Tode anwesend und die Zensur hat Beethoven nicht aus der Öffentlichkeit entfernt. Aber war er wirklich geliebt in Wien ? Seine Werke wurden oftmals nicht verstanden ( was bei den späten Quartetten oder der Fuge op. 133 auch kein Wunder ist).
    Obwohl ich Schubert auch sehr schätze, sind seine Sinfonien wirklich an die Seite der Beethoven´schen zu stellen, alle ?

  • Hallo,


    mit Alfreds Einleitungstext bin ich völlig einverstanden. Da der auch für mich interessanten Fragestellung nach nun einem Jahr lediglich ein Beitrag folgte, bin ich etwas verunsichert, ob ein solcher jetzt noch angemessen und erwünscht ist.


    Über diese Frage ist seit Beethovens Lebzeiten bis heute viel diskutiert und geschrieben worden. Mit vielem kann ich wenig anfangen, einiges kann ich nachempfinden und bestätigen.


    Die für mich entscheidenden Gründe für das zu jeder Zeitepoche außergewöhnliche Anerkannt- und Bewundertsein Beethovens möchte ich zusammenfassend beschreiben als: Beethovens Musik wirkt in hohem Maße erhaben und gleichzeitig sehr menschlich. Diese Kombination scheint mir in so hohem Maße Respekt und Interesse hervorzurufen wie bei keinem anderen Komponisten, es scheint eine zeitlose Wirkung zu sein.


    Erläuterung:


    a) Beethoven vertrat vehement die Auffassung, die Aufgabe des wahren Künstlers sei es, die Erfahrungen des Großen und Erhabenen als Komponist auszudrücken. Er hielt sich komponierend zunehmend stärker an diese Auffassung.


    Beethovens Vorlieben für große Denker, hier sei besonders Schiller erwähnt, sind bekannt. Zeit seines Lebens trachtete er vehement und mit großer Mühe danach, seine moralischen Verpflichtungen auch in die (musikalische) Praxis umzusetzen. Durch die Musik verstand er es ausgezeichnet, seine großen Ideale der Freude, Brüderlichkeit, aber auch Wahrheit, Entschlossenheit und das Verständnis für Unsterblichkeit (in der Zusammenfassung: das Erhabene) mitzuteilen. Dies geschieht primär eher in seinen vokalen Werken, sekundär zieht sich dies jedoch durch sein Gesamtwerk durch, zeigt sich sein Charakter doch sehr in der Handschrift.


    Zusätzlich ist bekannt und hörbar, dass Beethoven mit sehr viel Ernst, Sorgfalt und persönlicher Überzeugung seine Musikwerke erarbeitete (Bemerkung vor dem Kyrie der Missa Solemnis: „Von Herzen – möge es wieder zu Herzen gehen“.


    Eine solch starke erhabene wie auch menschliche persönliche Substanz in musikalischen Wirken und Werken dürfte musikgeschichtlich ein Novum gewesen sein.


    b) Das Auftauchen obiger Phänomene war natürlich nur möglich, da neben Beethovens starkem Charakter auch politische, gesellschaftliche und musiksoziologische Voraussetzungen für die Möglichkeit des solch starken individuellen Einflusses geschaffen wurden.


    Während Haydn und Mozart noch sehr an ihre „Auftraggeber“ gebunden waren und fast ausschließlich in deren Dienst und in deren vorgegebenen Grenzen komponieren konnten, war Beethoven finanziell und künstlerisch eher unabhängig. Schon früh wurde der Vertrag mit Fürst Lobkowitz, Fürst Kinsky sowie Erzherzog Rudolph geschlossen, der ihm die Versorgung durch eine lebenslange Rente sicherte und somit ermöglichte, unabhängig zu komponieren (dazu kamen, im Gegensatz zu Mozart und Haydn, erhebliche Entgelte von Musikverlagen und Zuhörern seiner Konzerte). Durch die Unabhängigkeit war es ihm möglich, sich künstlerische Freiheiten zu nehmen, die bei den großen Meistern vor ihm nie erlaubt würden. Dies musste er sich durch seinen Mut und seine rücksichtslose Beharrlichkeit allerdings mühevoll erkämpfen. In seinen Briefen ist schön zu lesen, dass Beethoven mehr forderte als zugab.


    Zitat Adornos: „Die Werke der großen Komponisten sind bloße Zerrbilder dessen, was sie getan hätten, wenn sie gedurft hätten…Erst Beethoven hat gewagt so zu komponieren, wie er wollte: auch darin steckt seine Einzigartigkeit. Und es ist vielleicht das Unglück der nachfolgenden Romantik, das sie die Spannung von Erlaubtem und Gemeintem nicht mehr hat…“


    Ich glaube, gerade dies macht beim Hören Beethovens Werke den Reiz aus; für das Erkennen von Wahrheit und wahrhaftigen Aussagen hatten und haben Menschen ein Gespür, es ist anziehend und interessant, in Freiheit gewonnene wahre Aussagen zu verfolgen.


    Kurzum: bei Beethoven kam alles zusammen. Die sich durch äußerliche Veränderungen andeutenden Möglichkeiten mussten erst einmal erkannt ergriffen werden, was anderen Komponisten in dieser Zeit nicht gelang. Da zeigt sich: Beethoven, der Fortschrittliche.


    Oje, mein Bericht ist doch sehr lang geworden, das kann der Nachteil der Spontaneität sein.


    Was ich zusammenfassend sagen will: Das seltene Zusammentreffen mehrerer äußerlicher Umstände sowie eines entsprechenden Charakters machten bei Beethoven eine musikalische Sprache möglich, die zeitlose (vorher genannte) Inhalte glaubhaft, beeindruckend und für jeden Menschen nachvollziehbar transportiert (alle Menschen werden Brüder). Er ist meines Erachtens auch heute anerkannter als z.B. Haydn und Mozart, weil nur er die Möglichkeit erkämpfte und bekam, seine Persönlichkeit und wahren Gedanken in so hohem Grade unabhängig in seine Werke zu bringen.


    Uwe

    Ich bin ein Konservativer, ich erhalte den Fortschritt. (Arnold Schönberg)

  • Hallo!


    Eine interessante Fragestellung. Dazu muß man zunächst ganz platt bemerken, daß Beethoven einfach ein großer Komponist war, dessen Werke ich zum Beispiel ganz einfach besser finde als die vieler anderer, daß er älter wurde als Mozart und Schubert, von denen wir halt sehr viele Werke kennen, in denen sie noch nicht auf der Höhe ihrer kompositorischen Möglichkeiten waren.


    Wiegesagt: Das ist ganz banal, aber nicht unwichtig, weil ich nämlich im Gegensatz zu den hier geäußerten Auffassungen gar nicht so unbedingt der Auffassung bin, daß Beethoven ein Komponist ist, der der heutigen Zeit so viel zu sagen hat. Mit einem Wort: Die Genialität Beethovens verdeckt die Tatsache, daß uns Beethoven möglicherweise gerade eben nicht mehr soviel zu sagen hat, daß uns gerade dieses "Erhabene" historisch ferngerückt ist.


    Uns ist der Idealismus fern gerückt ( wir sind Realisten), uns ist jegliches Pathos ferngerückt ( wir finden's unmöglich), und das Erhabene ist uns heutigen schlicht ein Buch mit sieben Siegeln.


    Den von Beethoven hoch geschätzten Kant achten wir zwar als Metaphysiker, aber nicht mehr als Moralphílosphen, von Schiller kennen wir das böse Wort Nietzsches als dem "Moraltrompeter von Säckingen".


    Mit einem Wort: Wenn wir als moderne Menschen Beethoven betrachten, betrachten wir ihn doch sehr im Sinne eines bereits historisch gewordenen, als ein Stück heiler idealistischer Welt, in der das Wort Kants, das Beethoven begeistert zitiert: "Der Sternenhimmel über uns und das Moralgesetz in uns" für einen Beethoven noch galt.


    Wer empfindet denn hier heute da noch wie Beethoven, wer empfindet noch diese Einheit zwischen dem Moralischen, Naturhaften und Göttlichen, der sich in dieser Gegenübersellung von Sternenhimmel und Moralgesetz ausdrückt? Das Moralgesetz in uns, das ist das Humane aber auch Gottgegebene, der Sternenhimmel über uns ist das Kosmische aber auch Göttliche.


    Mit einem Wort: Uns ist alles das, für das Beehoven stand, völlig fern gerückt, wir sind in moralischen Dingen Skeptiker, Relativisten, uns fehlt insofern auch das Selbstverständliche seiner Humanität, wir können auch nicht mehr dieses Gefühl für Natur haben, wir sehen in ihr nur einen "bedrohten Genpool", wenn wir an den Sternenhimmel über uns reden, denken wir an den Urknall und schwarze Löcher und von der Religion will ich lieber gleich schweigen. Ja und auch die bürgerliche Revolution und die sich daraus ergebende Emphase des Humanen ist uns völlig fern gerückt, die Emphase des Humanen, die sich bei Beethoven aus der Überwindung der Adelsgesellschaft speiste, sagt uns nichts mehr. "Alle Menschen werden Brüder?" hören wir und denken dabei, das ist ja alles sehr schön und weit haben wirs gebracht, aber irgendwelche Brüder werden doch immer unter die Räder geraten und daran können wir gar nichts machen, mag es nun den Adel geben oder nicht.


    Wir sind also aufgeklärt und fänden einen Beethoven heute höchst rückständig. Und sofern wir überhaupt ein Gefühl akzeptieren, dem Beethoven Ausdruck verleihen will, so müßte es dann schon ein "Gebrochenes" sein.


    Trotzdem hören wir Beethoven, trotzdem vermag er uns etwas zu sagen, aber doch als etwas Historisches, als etwas sogar in höherem Maße historisches, als das, was uns zeitlich gesehen sogar ferner gerückt ist.


    Gruß Martin

  • was er uns zu sagen hat?




    ALLES!!!!



    für mich gibt es kaum einen aktuelleren, würdigeren, sozialeren, genialeren
    komponisten als ihn (und dann folgen bach und mozart und schumann und wagner und bruckner und mahler ....)

    --- alles ein traum? ---


    klingsor

  • Tamino XBeethoven_Moedling Banner
  • Uns ist der Idealismus fern gerückt ( wir sind Realisten), uns ist jegliches Pathos ferngerückt ( wir finden's unmöglich), und das Erhabene ist uns heutigen schlicht ein Buch mit sieben Siegeln.


    Salute, salutate


    Martins Einwand lässt sich kaum bestreiten. Doch wo stünde geschrieben, das "abgelebte" Werte nicht auch Sehnsucht auszulösen vermögen? Im übrigen war der Beethovensche Idealismus, den er mit Schiller teilte, auch in seiner Zeit stets nur Forderung, Appell, aber nie Erfüllung, weil der Gehalt dieses Begriffs dies a priori ausschließt.


    Man sollte auch bedenken: das Faszinosum des Außerordentlichen erschließt sich zunächst nicht durch historische Vergleiche, biographische Einsichten oder interpretatorische Exegese. Das mag und soll zwar die eigenen Einsichten in ein Werk bereichern und vertiefen, doch der persönliche "Entdeckungsprozeß" ereignet sich gemeinhin spontan und instinktiv. Ich höre erstmals im Leben die Eroika oder die Siebte und bin, fern aller Werk- und Lebenskenntnisse, gebannt, während mich das erste Hören einer Raff-Sinfonie z. B. kaum vom Sitzplatz hebt. Die Größe und Bedeutung einer Musik erschließt sich durch ihre Unmittelbarkeit, mit der sie wirkt, ohne daß sich dafür ein gemeinsamer Nenner finden ließe. Denn diese Unmittelbarkeit erlebt jeder Hörer anders. Das Wissen um die europäische Aufklärung beispielsweise mag für die Einordnung eines Beethovenschen Meisterwerks hilfreich sein, aber es ist nicht zwingend erforderlich. Die Russen etwa haben nie eine Aufklärung erlebt, was ihre Bewunderung für Beethoven kein Jota mindert - von ferneren Kulturkreisen wie den asiatischen ganz zu schweigen. Ich könnte mir durchaus vorstellen, daß etwa in Japan kaum jemand auf die Idee verfällt, Erhabenheit oder Pathos mit Beethoven zu assoziieren. Nur dann lässt sich ein Meisterwerk entdecken, wenn der historische Bezug à la longue belanglos wird, wenn es sich von seiner Entstehungszeit loszulösen vermag, wenn es fähig ist, jede neue Generation herauszufordern. Bei Beethoven ist dies bekanntermaßen in hohem Maße der Fall.


    Andere große Komponisten konnten sich nicht bruchlos in der Nachwelt behaupten. Berühmtestes Beispiel: Joh. Seb. Bach, der erst durch Mendelssohn wiederentdeckt wurde. Und auch Händel mußte lange warten, bis es endlich zu einer Renaissance seiner Werke kam. Tragisch das Schicksal Meyerbeers: Seine Opern waren bis zum Ersten Weltkrieg fester Bestand des Bühnenrepertoires, um seither, trotz mancher Wiederbelebungsversuche, weitgehend in der Versenkung zu verschwinden.


    Wenn sich Beethoven auf dem Prüfstand der Generationen ungeschmälert behaupten konnte, dann wohl deshalb, weil sich in seinem Werk eine überzeitliche Allgemeingültigkeit manifestiert, auch wenn deren Unmittelbarkeit jede Generation und jeder Kulturkreis unterschiedlich empfinden und interpretieren mag.


    Florian

  • Für mich ist Beethoven als Komponist von so überragender Bedeutung wie kaum ein anderer. Ob seine Symphonien, seine Klavier- und Cellosonaten, die Konzerte, die Kammermusik im Allgemeinen, die Streichquartette im Besonderen, gehören seit ihrer Komposition zu den besten Vertretern ihrer Gattungen. Obwohl er zur Wiener Klassik gehört, steht er für mich persönlich (die Mozartianer und Haydnverehrer mögen mir verzeihen) turmhoch über den anderen Vertretern. Die frühen Einflüsse zB von Haydn, treten doch schon sehr bald zurück, Beethoven hat eine ganz eigene Tonsprache, die weit über die seiner Zeitgenossen hinausreicht. Meine Bewunderung ist nahezu unberührt vom Bild des Menschen Beethoven. Ich habe noch keine Biographie gelesen, die Beethoven-Bilder in den in einem anderen Thread diskutierten Kinofilmen vermag ich nicht oder nur zum Teil zu teilen.


    Und nichts kennzeichnet die überragende Bedeutung Beethovens in der Musik mehr als die weltweite Verbreitung seiner Musik. Überall, selbst in Japan, Korea oder China, beschäftigen sich Musiker (Profis und Laien) mit seiner Musik. Und: Beethovens Symphonien klingen gut, egal ob sie ein Furtwängler, Walter, Leibowitz oder Gardiner spielt, selbst einen Toscanini oder einen Enoch zu Guttenberg haben sie klaglos überstanden. Generationen von Pianisten interpretieren seine Sonaten immer wieder von Neuem, und sie klingen nie langweilig.


    Wenn geschrieben wird: "Uns ist der Idealismus fern gerückt ( wir sind Realisten), uns ist jegliches Pathos ferngerückt ( wir finden's unmöglich), und das Erhabene ist uns heutigen schlicht ein Buch mit sieben Siegeln." Dann vermag ich dem so nicht zuzustimmen. Es gibt heute noch genug Idealismus, bestimmt nicht weniger als damals. Und es wimmelt in der modernen Welt nur so von - mehr oder weniger unerträglichem - Pathos.
    Wir glauben heute IMHO auch ungebrochen an den moralischen Fortschritt der Menschheit. Weshalb uns zB Beethovens Humanismus durchaus noch etwas zu sagen hat. Keineswegs aus lediglich nostalgischen Gründen, sondern weil der geistige Gehalt ungebrochen aktuell ist. Für mich jedenfalls.


    Was uns hingegen fehlt ist einmal der ungebrochene Glaube an den technisch-wissenschaftlichen Fortschritt, der aber in Beethovens Musik ohnehin keine Rolle spielt. Und der christliche Glaube als Fundament des Daseins, von dem trotz aller Aufklärung Beethovens Zeit noch wie selbstverständlich überzeugt war, der ist uns heute abhanden gekommen. Und der spielt sicher eine bedeutende Rolle in der Musik und im Leben Beethovens (nicht in dem Sinne, daß er Kirchenmusik geschrieben hätte wie Bach, aber als sittlich-ethisches Fundament). Und deshalb mag uns Beethovens Humanismus heute etwas veraltet - meinetwegen auch naiv-gläubig - vorkommen.

  • Lieber Robert, lieber Florian,


    ich bin mit dem meisten einverstanden, was ihr gesagt habt. Ganz allgemein ist es natürlich sowieso so, daß die Musik eine absolute Kunst ist. Wer an sie nicht absolute, sondern außermusikalische Maßstäbe anlegt, redet grundsätzlich im Spekulativen.


    Aber erstens macht eine solche Spekulation den hauptsächlichen Reiz eines solchen Forums aus. Zweitens denke ich aber, daß in der Musik eine 100 Prozentig absolute Kunst zu sehen, so daß nach dahinterstehenden Ideen zu fragen schon eine Zumutung wäre, auch falsch ist. Aber das meint ja keiner von Euch.


    Vielleicht habe ich manche Dinge zu sehr zugespitzt. Das wollte ich nicht. Der Satz von der "heilen idealistischen Welt" war eine solche Zuspitzung.


    Und trotzdem halte ich die Behauptung aufrecht, daß uns Beethovens Musik eben bestimmte Dinge auch nicht sagt. Das Sarkastische, das Groteske, das hemmungslos Verzweifelte, die über die Klippen gehende Leidenschaft, das Nihilistische beim Anblick einer sinnlos den einzelnen Menschen zermalmenden Welt, das locker bedenkenlos verspielte, das ironische Spiel mit dem Banalen, das äußerst Wehleidige, daß dann in seiner ganzen Wehleidigkeit doch genial ist, die ironische und nicht verherrlichende Betrachtung des "Heroischen", das Ironische überhaupt, oder auch eine Musik, die Angst und Furcht zum Inhalt hat, oder gar eine depressive Musik - das sind alles Ausdruckscharaktere, die ich in der Musik Beethovens nicht finde.


    Ich las auch mal so etwas wie, daß Beethoven der letzte "wirklich männliche Komponist" gewesen sei. Abgesehen davon, daß dieser Begriff des "Männlichen" sehr fragwürdig um nicht zu sagen unhaltbar ist, ist mir dieses Männliche auch suspekt. Der Schreiber ging dann sogar soweit, die "Männlichkeit" Beethovens gegen den weiblichen, um nicht zu sagen weibischen Schubert auszuspielen.


    Ich sehe das nicht so. Sicher war Beethoven tapfer. Er hat seine Taubheit, sicher die Katastrophe seines Lebens, tapfer weggesteckt, hat "dem Schicksal in den Rachen gegriffen", wie es so heißt. Und er hat dabei wunderbare Musik komponiert, Musik die einen glücklich macht. Ich glaube aber, daß die Wurzel seiner "Männlichkeit" seine idealistische Weltsicht war, zu der mit Sicherheit auch ein Stück "persönlichen Heroismus" gehörte. Das sind seine Grundwerte von Moral und Tapferkeit, die ihn mit Sicherheit trugen, die ihn erst zu diesem "männlichen" Komponisten machten. Man kann das idealisieren, Beethoven gar zum "Titanen" machen, wie das in der Vergangenheit ( bis in den Faschismus hinein!) immer gemacht worden ist.


    Man kann natürlich auch die Gegenrechnung aufmachen. Man kann ja auch diesen "heroischen Idealismus" Beethovens als eine Form von Vogel Strauss Politik sehen ( so weit würde ich nun nicht gehen). Man kann den weibischen Schubert im Grunde tapferer finden, weil er sich auf Gefühle einließ und diesen Ausdruck verlieh, die Beethoven nicht zuließ.


    Und was ist schließlich Tapferkeit? Tapferkeit ist es nicht, keine Angst zu haben. Tapferkeit ist nicht, nicht wehleidig zu sein. Wie ich mich zu meinen Gefühlen stelle, darin liegt die Tapferkeit! Wenn ich Angst habe, jämmerliche Angst, aber dann doch mich gegen meine Angst stellen kann, trotz dieser Angst noch einigermaßen mutig bin, dann bin ich tapfer.


    Von dieser Art Tapferkeit finde ich bei Beethoven nichts. Die Eroika finde ich zum Beispiel unter diesem Gesichtspunkt äußerst bedenklich. Die wollte er Napoleon widmen, dem heldischen Menschen. Aber was ich in dieser Sinfonie dann vermisse, ist der Krieg, der wirkliche schreckliche blutige, tötende, verstümmelnde Krieg für den der Name Napoleons doch wohl auch steht ( denn nur, weil sich Napoleon zum Kaiser krönen ließ, wurde aus der Sache nichts). Aber eine tolle Sinfonie, keine Frage ( was die Sache aber eher schlimmer macht).


    Und hat nicht diese Art des "Heroismus" wirklich bis in den Faschismus hinein äußerst bedenklich gewirkt? Und selbst Stalin hätte sich ( wie ich in Schostakowitschs Memoiren gelesen habe), von Schostakowitsch doch wirklich sehr "so etwas wie Beethovens 9." ( nur zu seiner Verherrlichung) als krönenden Abschluß des 2. Weltkriegs gewünscht ( nur wurde Schostakowitschs Sinfonie dann doch ganz etwas anderes).


    Gruß Martin

  • Zitat

    Original von Martin_2
    Und trotzdem halte ich die Behauptung aufrecht, daß uns Beethovens Musik eben bestimmte Dinge auch nicht sagt. Das Sarkastische, das Groteske, das hemmungslos Verzweifelte, die über die Klippen gehende Leidenschaft, das Nihilistische beim Anblick einer sinnlos den einzelnen Menschen zermalmenden Welt, das locker bedenkenlos verspielte, das ironische Spiel mit dem Banalen, das äußerst Wehleidige, daß dann in seiner ganzen Wehleidigkeit doch genial ist, die ironische und nicht verherrlichende Betrachtung des "Heroischen", das Ironische überhaupt, oder auch eine Musik, die Angst und Furcht zum Inhalt hat, oder gar eine depressive Musik - das sind alles Ausdruckscharaktere, die ich in der Musik Beethovens nicht finde.


    Ich finde das fast alles durchaus in Beethovens Musik (insofern man Emotionen überhaupt so konkret ausgedrückt finden kann), außer vielleicht dem Wehleidigen. Beethoven ist einer der humorvollsten und witzigsten Komponisten: die 8 . Sinfonie, die teils parodistische Züge (in den Mittelsätzen) enthält, das letzte Quartett oder das 2. aus op. 18, Sonaten wie op.2,2; op.10,2, op.14, op.31,1&3, op. 79 u.v.a Es ist indes niemals ein zynischer Humor, aber auf den kann ich erstens verzichten und wüßte auch nicht, wie man das musikalisch ausdrücken sollte.
    Gleich die erste Diabelli-Variation kann als eine Ironisierung des "Heroischen" (insofern es eben aufgesetzter Pomp ist) verstanden werden. Auch der Rest dieses Werks ist voller Humor, oft von bizarrer und sarkastischer Art. Der Marsch im Fidelio ist gleichzeitig banal und bedrohlich.
    Die Leidenschaftlichkeit der Kreutzer-Sonate wurde für Tolstoi titelgebend (m.E. mißverständlich, aber vielleicht nachvollziehbar). Ähnliches kann man für die Appassionata u.a. behaupten. Ähnliches könnte man für die anderen genannte Affekte durchspielen; ich wüßte kaum einen im Ausdruck vergleichbar universalen Komponisten (am ehesten Mozart vermutlich)


    Zitat


    Von dieser Art Tapferkeit finde ich bei Beethoven nichts. Die Eroika finde ich zum Beispiel unter diesem Gesichtspunkt äußerst bedenklich. Die wollte er Napoleon widmen, dem heldischen Menschen. Aber was ich in dieser Sinfonie dann vermisse, ist der Krieg, der wirkliche schreckliche blutige, tötende, verstümmelnde Krieg für den der Name Napoleons doch wohl auch


    Wo in irgendeiner Musik von Beethovens Zeitgenossen findest Du Schrecken über den verstümmelnden Krieg prägnanter ausgedrückt als z.B. im Trauermarsch der Eroica (oder vielleicht plakativ aber ergreifend im Dona nobis Pacem der Missa)? Oder das Chaos aus Synkopen und Dissonanzen in
    der Durchführung der Eroica, auf das zaghaft die klagende Melodie folgt? Die "Schreckensfanfare" in der 9.?
    Vergleichst Du hier vielleicht ein bißchen ahistorisch Beethoven mit Britten oder Schostakowitsch?


    viele Grüße


    JR

    Struck by the sounds before the sun,
    I knew the night had gone.
    The morning breeze like a bugle blew
    Against the drums of dawn.
    (Bob Dylan)

  • Zitat

    Original von Johannes Roehl
    Vergleichst Du hier vielleicht ein bißchen ahistorisch Beethoven mit Britten oder Schostakowitsch?


    Also bewußt vielleicht nicht, aber unbewußt mag das durchaus sein. Aber mit wem soll man Beethoven auch vergleichen, wenn nicht mit späteren, da er selber für soviel späteres den Grundstein gelegt hat? Ihn mit seinen unmittelbarsten Zeitgenossen zu vergleichen wäre sinnlos, da hier sowieso niemand an ihn heranreicht. Ich kenne auch bei weitem nicht den ganzen Beethoven und vielleicht gibt es da ja auch Werke ( gerade in der Kammermusik, von der ich nur einen Ausschnitt kenne), die mir vielleicht noch einen ganz anderen Beethoven zeigen. Daß Beethovens Musik auch durchaus humorvoll sein kann, war mir schon bewußt ( dieses Hinweises hätte es nicht bedurft).


    Aber es ist ohnehin die Frage, was denn Musik überhaupt ausdrücken kann, ob nicht eine Musik, die "alles sagen" will letzlich utopisch bleiben wird. Ich liebe ja Beethoven auch sehr. Nur daß Beethoven uns "alles" sagt, wie hier gesagt worden ist, das glaube ich eben dann doch nicht. Andere große Komponisten sagen uns ihr eigenes und dieses überfällt uns als etwas neues und unerhörtes. Es mag aber durchaus sein, daß Beethoven zu manchem von diesem eigenen den Keim gelegt hat.


    Es gibt ja auch an Beethovens Musik nichts zu kritisieren ( außer daß vielleicht hier und da auch mal ein etwas schwächeres Werk dabei ist). Aber ich finde eben trotzdem, daß man versuchen sollte zu verstehen, was das für ein Mann war, welche Stärken und Schwächen er als Person hatte und wie sich das - vielleicht - auch in der Musik ausdrückt. Aber auf den Knien liegend kann man das nicht erörtern, dann bleibt nur Weihrauch.


    Gibt es denn nun wirklich nichts, was man bei Beethoven nicht findet, oder doch zumindestens so nicht findet, dafür aber bei einem anderen? Und wie kann man dann daraus destilieren, was uns Beethoven sagt und was vielleicht auch nicht? Ich bin in dieser Hinsicht zugegebenermaßen etwas kühn vorgeprescht, sicher nicht immer mit den glücklichsten Formulierungen.


    Mir geht es jedenfalls ganz deutlich darum, daß ich Beethoven liebe, weil er eben - Beethoven ist. Nicht weil er "der universelste", genialste oder sonst einer ist, nicht irgend eines Superlativs wegen, sondern nur auf Grund dieser Tatsache. Er war eben schon ein "Typ", eine eigenartige, unverwechselbare, mit anderen nicht zu verwechselnde Persönlichkeit. Und das macht den Reiz seiner Musik aus.


    Gruß Martin

  • Tamino XBeethoven_Moedling Banner
  • Banner Trailer 2 Gelbe Rose
  • Johannes hat ja schon ausführlich zu den Emotionen in Beethovens Musik Stellung genommen, das brauche ich nicht zu wiederholen. Die Streichquartette werden Dir, Martin, sicher noch einen anderen Beethoven zeigen. Aber letztlich, da stimme ich Dir durchaus zu, sagt er uns nicht alles, und kann es auch nicht. Seine Größe mindert das nicht.


    Entgegentreten muß ich allerdings Deinen Ausführungen zur Eroica. Nimm es bitte nicht persönlich, aber ich kriege immer die Krise, wenn ich lesen muß, wer oder was heutzutage alles mit "Faschismus" in Verbindung gebracht wird. Selbst völlig harmlose Zeitgenossen, die noch nicht einmal wußten, was Faschismus ist, werden heute mit diesem inflationär gebrauchten Begriff in Verbindung gebracht, wenn auch im weitesten Sinne. Mit Verlaub, Beethoven und die Eroica auch nur gedanklich mit Faschismus in Verbindung zu bringen, und sei es nur durch das beliebte Fallenlassen von gedanklichen Assoziationen (Krieg - Blut - Heroismus - schrecklich-Faschismus) ist nicht statthaft.


    Faschismus ist - um es mit der Definition des israelischen Faschismusforschers Zeev Sternhell zu sagen - eine revolutionäre Massenbewegung der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, die ihre geistigen Wurzeln in Frankreich hatte.


    Weder Beethoven noch irgendein anderer Musiker oder Künstler bis etwa 1890-1900 kann irgendetwas mit Faschismus zu tun haben, weil es den einfach nicht gab. Das gilt auch für das Heroische, das schon in der Ilias besungen worden ist. Es mag, genauso wie eine bestimmte Art von Ästhetik, von Kunst, vom Faschismus für seine Zwecke vereinnahmt worden sein, aber das macht das Heroische nicht faschistisch, genausowenig wie Musik kommunistisch oder faschistisch ist (mal vom platten Agitprop abgesehen).


    Die Widmung der Eroica hat mit den militärischen Leistungen dieses korsischen Artilleriehauptmanns nichts zu tun, sie bezieht sich auf den nach Beethovens Meinung wohl "heroischen" Menschen der Revolutionszeit und der Zeit des Direktorats, also die Leistung, aus kleinsten Verhältnissen an die Spitze des mächtigsten europäischen Landes zu kommen, und zwar als Repräsentant der Ideale der franz. Revolution. Die Mehrzahl der großen militärischen Erfolge, für die Napoleon heute berühmt ist, ist lange nach der Eroica erstritten worden. Beethoven konnte von Ihnen damals nichts wissen.


    Ganz sicher wollte Beethoven mit der Eroica nicht dem Blutvergießen der Kriege ein Denkmal setzen. Damals hatte man zwar noch ein ganz anderes Verhältnis zur Anwendung militärischer Gewalt, aber die Folgen eines Krieges waren jedem Menschen in Europa hinlänglich und meist aus eigener Anschauung bekannt. Kriegslüstern waren die Menschen damals zu wenig wie heute.

  • Lieber Johannes,


    das tut mir leid, daß das bei Dir so angekommen ist. Ich will doch Beethoven nicht mit dem Faschismus in Zusammenhang bringen, um Gottes willen.


    Du schreibst:


    Zitat

    Es mag, genauso wie eine bestimmte Art von Ästhetik, von Kunst, vom Faschismus für seine Zwecke vereinnahmt worden sein, aber das macht das Heroische nicht faschistisch, genausowenig wie Musik kommunistisch oder faschistisch ist (mal vom platten Agitprop abgesehen).


    und weiter möchte ich auch gar nicht gehen und wollte auch nicht mehr ausdrücken. Inwieweit Beethoven vom Faschismus vereinnahmbar war, hat mehr mit Faschismus als mit Beethoven zu tun. Und die Faschisten haben sowieso alles was Rang und Namen gehabt hat für sich vereinnahmt nicht nur Beethoven.


    Trotzdem: Wenn Du dann redest vom "Heroischen, was schon in der Illias besungen worden ist" kommen mir doch so gewisse Bauchschmerzen. Ich kenne die Ilias nicht, bin aber im groben über ihre Handlung informiert ( habe den Schwab, den ich aber auch schon lange nicht mehr gelesen habe). Dies scheint eine Kriegsgeschichte zu sein und ehrlich gesagt mag ich solche "Heldengeschichten" nicht. Wenn ich mich recht erinnere, war der Auslöser des ganzen Kriegsgemetzels die Entführung einer griechischen Dame. Das führte dann zum Untergang Trojas. Also da bin ich doch irgendwie froh, daß wir heute in diesem Punkt doch möglicherweise etwas anderes denken und daß nicht damit zu rechnen ist, daß, wenn morgen eine junge deutsche Dame nach China entführt wird, wir dann demnächst China den Krieg erklären müssen um dann am besten in diesem Zusammenhang China dem Erdboden gleich zu machen. Tut mir leid, mir fehlt in diesem Punkt jede Ehrfurcht vor geheiligtem Kulturgut.


    Und wenn Du dann schreibst:


    Zitat

    Kriegslüstern waren die Menschen damals so wenig wie heute.


    dann kann ich nur sagen, daß ich das nicht weiß. Ich weiß allerdings, daß sehr viele junge Leute mit Begeisterung in den ersten Weltkrieg gezogen sind. Vielleicht nicht alle, aber diese allgemeine Kriegsbegeisterung vor dem ersten Weltkrieg ist ja wohl bekannt und ist ein historisch verbürgtes Phänomen. Heute kann man die Begeisterung für den Krieg gar nicht mehr verstehen, wir sind davon soweit weg, daß wir das schon gar nicht mehr glauben mögen.


    Gruß Martin

  • Zitat

    Original von Martin_2
    Lieber Johannes,


    nicht ich, sondern Robert Stuhr schrieb das, worauf Du Dich beziehst!


    Zitat


    Trotzdem: Wenn Du dann redest vom "Heroischen, was schon in der Illias besungen worden ist" kommen mir doch so gewisse Bauchschmerzen. Ich kenne die Ilias nicht, bin aber im groben über ihre Handlung informiert ( habe den Schwab, den ich aber auch schon lange nicht mehr gelesen habe).


    Der Schwab ist nicht die Ilias, sondern eine Nacherzählung für Kinder. Der Verweis auf Homer ist vielleicht etwas unglücklich, denn diese Welt ist uns in der Tat sehr fremd, wenn wir genauer hinschauen. Schön fand den "männermordenden Ares" damals aber auch keiner. Ruhm erlangen ist eine Sache, von Hunden und Geiern verzehrt zu werden, eine andere. Dennoch sind die Heroen mitunter sehr menschlich. Der Groll des Achilleus, von dem die Ilias handelt, entsteht, weil ihm der griechische Anführer Agamemnon seine erbeutete Sklavin wegegenommen; er zieht sich wie ein kleines Kind schmollend vom Kampf zurück, seitdem machen die Griechen keinen Stich mehr. Die Ehrenvorstellung dieser Helden ist hochgradig indivualistisch, nichts von wegen "Führer befiehl, wir folgen".
    Aber mit Beethoven hat das eher wenig zu tun, er war ja wohl eher Kantianer als Anhänger eines heldischen Ehrenkodex. Die Heldin seiner Oper ist bekanntlich eine Frau, die ihren zu Unrecht eingekrkerten Mann befreit; auch heute noch politisch korrekte Form des Heldentums.
    Zum Erhabenen schreibe ich demnächst noch was, da muß ich selbst erst noch ein paar Sachen nachlesen.


    viele Grüße


    JR

    Struck by the sounds before the sun,
    I knew the night had gone.
    The morning breeze like a bugle blew
    Against the drums of dawn.
    (Bob Dylan)

  • Zitat

    Original von Martin_2
    Ich kenne die Ilias nicht, bin aber im groben über ihre Handlung informiert ( habe den Schwab, den ich aber auch schon lange nicht mehr gelesen habe). Dies scheint eine Kriegsgeschichte zu sein und ehrlich gesagt mag ich solche "Heldengeschichten" nicht.


    Und wenn Du dann schreibst:


    dann kann ich nur sagen, daß ich das nicht weiß. Ich weiß allerdings, daß sehr viele junge Leute mit Begeisterung in den ersten Weltkrieg gezogen sind. Vielleicht nicht alle, aber diese allgemeine Kriegsbegeisterung vor dem ersten Weltkrieg ist ja wohl bekannt und ist ein historisch verbürgtes Phänomen. Heute kann man die Begeisterung für den Krieg gar nicht mehr verstehen, wir sind davon soweit weg, daß wir das schon gar nicht mehr glauben mögen.
    Gruß Martin


    Hmm, nichts für ungut, Martin, aber wenn Du offenbar so gar keine Ahnung von der Ilias hast, ist es evtl. nicht so überzeugend, gegen sie zu argumentieren. Mir ging es mit der Wahl der Ilias auch nur darum zu zeigen, daß das Heroische als menschliche Haltung so alt ist wie die Menschheit selbst. Und damit das Heroische bei Beethoven in einer Tradition steht, die mit der späteren Vereinnahmung (und Pervertierung) dieser Haltung durch politische Bewegungen nichts zu tun hat. Aber in diese Richtung gehen Deine Gedanken ja auch, da stimmen wir also überein. Heroisch im ursprünglichen Wortsinn dürfte tatsächlich IMHO eher dem von Johannes gemeinten (altgriechischen) Sinn nahekommen als dem kollektiven - militärischen - Heroismus.


    Die Kriegsbegeisterung im August 1914 ist allerdings wieder für Beethoven ohne jede Bedeutung, denn da war er schon lange tot. Zwar war vor allem die städtische, studentische Bevölkerung in allen europäischen Ländern enthusiastisch, aber es gibt genug historische Untersuchungen, daß sich bei der Landbevölkerung die Kriegsbegeisterung in sehr engen Grenzen hielt. Und die Begeisterung der anderen hat auch nichts damit zu tun gehabt, daß ihnen etwa das Schießen und Töten so viel Spaß gemacht hat, sondern hatte ganz andere Gründe, auf die hier näher einzugehen zu weit führen würde. Da wären wir auch schon off topic, und Literatur dazu gibt es auch genügend. Übrigens: 1813 sind die Menschen in nahezu ganz Europa mit mindestens ebensolcher Begeisterung gegen Napoleon in den Krieg gezogen.


    Noch etwas: Ich finde es geistesgeschichtlcih von großem Interesse, wie sehr gerade bedeutende deutsche Künstler von dem Machtmenschen Napoleon fasziniert waren. Auch Goethe bewunderte ihn (und vice versa) in Verkennung der Realitäten.

  • Ich finde wir weichen in letzter Zeit bei einigen Threads sehr vom Thema ab, vielleicht hätte ich aber das Thema präziser fokussieren sollen:


    Warum fasziniert uns Beethovens Musik noch immer ?


    Der "politische Hintergrund" eines Komponisten ist aus meiner Sicht, kein wirklich gutes Argument - und zumeist ist er manipuliert.


    Wenn Beethoven von Napoleon fasziniert (und später enttäuscht) war,
    dann ist das aus der Sicht damaliger Zeit durchaus verständlich - das Wertesystem war ein anderes.
    Zudem war Napoleon durchaus kunstliebend und kulturbeflissen (Daraus könnte man aber einen eigenen Thread machen - Napoleon und die Klassische Musik, etc) was ihm natürlich (vorerst) BonusPunkte einbrachte.


    Interessant ist, daß man in unserer Zeit immer wieder versucht Wertungen, die durchaus dem politisch verordneten Zeitgeist entsprechen, aber keinen Ewigkeitswert haben - die Zukunft wird es zeigen - auf die Vergangenheit anzwenden.


    Mich interessiert aber bei Beethoven eher die Musik, als seine politische Ausrichtung. Man mag einwenden, dies wäre miteinander untrennbar verbunden.
    "Alle Menschen werden Brüder" - welche Horrorvision! Hat schon jemand drüber nachgedacht, wer dann aller unser Bruder wäre ?
    Weltanschaulich überzeugt mich persönlich dieser Satz nicht - die Musik aber wohl.
    Beethovens Fidelio - oft bedenklich nahe am Kitsch angesiedelt - allein das Erscheinen des Ministers ("des besten Königs Wink und Wille....")
    ist eine Herausforderung fur jeden zynischen Parodisten - Die Musik indes - bei allem Pathos - bleibt unangreifbar.


    Das "musikalische Schlachtengemälde" "Wellingtons Sieg" - heute oft angegriffen - war ein Gelegenheitswert. Zu Beethovens Zeit hoch in Mode - wird es heute scheel angesehen .


    ich bin gespannt ob die "Europahymne" wenn das diktatorische Konstrukt "Europäische Union" dereinst zu bestehen aufgehört hat -
    auch als "unerwünschtes Werk" gesehen wird.


    Musik, auch jene von Beethoven - sehe ich absolut werttfrei.



    Beste Grüße aus Wien


    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Tamino XBeethoven_Moedling Banner
  • Zitat

    Original von Robert Stuhr


    Noch etwas: Ich finde es geistesgeschichtlcih von großem Interesse, wie sehr gerade bedeutende deutsche Künstler von dem Machtmenschen Napoleon fasziniert waren. Auch Goethe bewunderte ihn (und vice versa) in Verkennung der Realitäten.


    Dazu fällt mir jetzt ein ( ich finde leider leider die Quelle nicht), daß Richard Strauss in einem Fall des "Größenwahns" über seine Tondichtung "Ein Heldenleben", dessen Held er selber war, schrieb, er finde sich ebenso interessant wie Alexander den Großen oder Napoleon. Das war ein Ausdruck hochgespannter Gefühle. Aber daß man ihn vielleicht auch ein bißchen interessanter finden könnte als solcherlei ( im Grunde austauschbarer) Erobernaturen, auf diesen Gedanken wäre Strauss vermutlich gar nicht gekommen.


    Das hat meines Erachtens alles etwas mit der verqueren Geschichtsrezeption zu tun, von der wir uns eigentlich erst in den letzten Jahrzehnten gelöst haben. Wenn man darauf trainiert ist, "große geschichtliche Gestalten der Vergangenheit", die im Grunde genommen doch nur agressive Eroberer oder rücksichtslose Machtmenschen waren, als "groß" und "bedeutend" wahr zu nehmen, dann allerdings neigt man dazu, einen Napoleon zu verkennen, wenn einen "der Mantel der Geschichte" umweht.


    Zitat

    Heroisch im ursprünglichen Wortsinn dürfte tatsächlich IMHO eher dem von Johannes gemeinten (altgriechischen) Sinn nahekommen als dem kollektiven - militärischen - Heroismus


    Ach ich weiß nicht, Kriege sind Kriege. Daß im ollen Griechenland keine Feldwebel und Gefreiten herum liefen, ist mir schon klar. Aber kriegerischer Heroismus bleibt letzlich kriegerischer Heroismus. Und Krieg ist immer eine Form von kollektivem Heroismus. Daß man diesen kollektiven Heroismus dann versucht, im nachhinein zu individualisieren, ist eine Geschichtsklitterung, die so alt ist wie die Menschheit.


    Zitat

    Original von Johannes Roehl


    Die Ehrenvorstellung dieser Helden ist hochgradig indivualistisch, nichts von wegen "Führer befiehl, wir folgen".


    Ich kann mir die Illias ja auch noch mal im Original ansehen, nicht vermittelt durch das "Kinderbuch" von Schwab. Allerdings bezweifle ich doch stark, daß Kriege in der Antike als "Egotrip" angelegt waren. Daß das "Fußvolk" da jede Freiheit hatte, unter Berufung auf die eigene Individualität alles zu tun, wonach ihm der Sinn stand, glaube ich nicht.


    Ich weiß nun nicht, wie Beethoven zu all diesen Dingen stand. Ein übler Kriegsverherrlicher wird er wohl nicht gewesen sein ( trotz "Wellingtons Schlacht und Sieg"). Aber ich halte ihn auch nicht für einen Pazifisten oder auch nur pazifistisch angehauchten. Da ist doch zum Beispiel Gustav Mahler ganz anders, der Lieder geschrieben hat, die den Krieg von einer ganz anderen Seite beleuchten ( was sich bis in seine Sinfonien auswirkt).


    Gruß Martin

  • Zitat

    Original von Martin_2


    Es geht doch überhaupt nicht darum, was in tatsächlichen Kriegen in der Antike der Fall war. Natürlich haben etwa die Perserkriege nicht viel mit dem mythischen Trojanischen Krieg nicht viel zu tun. Es geht um die Art Heldentum (die ich wie gesagt nicht unbedingt in Verbindung mit Beethoven bringen würde), die in der Ilias beschrieben wird. Und die ist nie kollektiv. Es geht immer nur darum, die anderen zu übertreffen, soviel Ehre wie möglich (Ehre und Ruhm sind sehr schlecht teilbare Güte) einzuheimsen und von den materiellen Güter auch mehr einzufahren als die Mitkämpfer. Achill ist es völig egal, dass seine Kameraden fallen, sein gekränkger Stolz ist wichtiger. Wenn Du es nicht gelesen hast (und soviel kommt auch im Schwab raus), bringt es nichts hier darüber zu schwadronieren. Ich sagt schon, dass uns der Ehrenbegriff de homerischen Helden sehr fremd ist. als Ajax Odysseus beim Wettkampf um die Waffen des inzwischen gefallenen Achill (nicht mehr in der Ilias) durch die List des letzteren unterliegt, obwohl er eigentlich der stärkerere gewesen wäre, raster er so aus, dass er in seiner Umnachtung ein Schafherde niedermetztelt, weil er sie für ein Heer hält. Nachdem er diesen Irrtum erkennt, ist der Gesichtsverlust derartig, dass er Selbstmord begeht!


    [quote]
    Ich weiß nun nicht, wie Beethoven zu all diesen Dingen stand. Ein übler Kriegsverherrlicher wird er wohl nicht gewesen sein ( trotz "Wellingtons Schlacht und Sieg"). Aber ich halte ihn auch nicht für einen Pazifisten oder auch nur pazifistisch angehauchten. Da ist doch zum Beispiel Gustav Mahler ganz anders, der Lieder geschrieben hat, die den Krieg von einer ganz anderen Seite beleuchten ( was sich bis in seine Sinfonien auswirkt).


    Mal langsam. Schostakowitsch ist wohl selten als Kriegsverherrlicher bezeichnet worden, aber auch er schreibt die Leningrader Sinfonie (von Dingen wie dem Lied der Wälder (selbst nie gehört) gar nicht anzufangen), um den heroischen Widerstand des russischen Volkes gegen den Naziüberfall zu feiern. Ähnlich ist Wellingtons Sieg (ich finde es etwas peinlich, dass diese Stück immer wieder angeführt wild, als ob Beethoven selbst da viel drauf gehalten hätte) auch ein Denkmal für die Befreiung von der Bedrohung durch Napoleon. Die Bitte um äußeren und inneren Frieden" im Agnus Dei der Missa mag man unterschiedlich interpretieren, gewiß nicht pro Krieg.


    Zum Pazifismus Mahlers hätte ich gerne etwas Hintergrund. Anders als Beethoven mußte er kein Bombardement seiner Heimatstadt ertragen (angeblich versuchte, der bereits stark Schwerhörige, mit Kissen sein Gehör zu schützen), sowie Inflation etc. durch die über 10 Jahren immer wieder aufflackernden Kriege mit Napoleon. Ein paar Lieder aus dem Volksgut, in denen ein einzelner Deserteur o.ä. zum Tode verurteilt wird oder ein Gefallener als Geist zurückkehrt, halte ich nicht für ein Bekenntnis zum Pazifismus. (Ich weß gar nicht, seit wann es die Idee des Pazifismus gibt, Ende des 19. Jhds. vermutlich).


    Darüberhinaus stimme ich Alfred zu, dass man zurück zu Beethoven kommen sollte.


    viel Grüße


    JR

    Struck by the sounds before the sun,
    I knew the night had gone.
    The morning breeze like a bugle blew
    Against the drums of dawn.
    (Bob Dylan)

  • Zitat

    Original von Alfred_Schmidt


    Interessant ist, daß man in unserer Zeit immer wieder versucht Wertungen, die durchaus dem politisch verordneten Zeitgeist entsprechen, aber keinen Ewigkeitswert haben - die Zukunft wird es zeigen - auf die Vergangenheit anzuwenden.


    Lieber Alfred,


    welche der hier ausgesprochenen Wertungen meinst Du? Drücke Dich bitte etwas weniger allgemein aus, sonst können wir nicht diskutieren. Grundsätzlich gebe ich Dir Recht, daß man den Werteinstellungen auch der eigenen Epoche mit der entsprechenden Distanz gegenüber stehen sollte.


    Zitat

    ich bin gespannt ob die "Europahymne" wenn das diktatorische Konstrukt "Europäische Union" dereinst zu besehen aufgehört hat -
    auch als "unerwünschtes Werk" gesehen wird.


    Das mit dem "dikatorischen Konstrukt" "Europäische Union" sehe ich anders. Wenn Du Dich denn beklagst, daß wir zu sehr vom Threadthema abwichen, wäre es schön, die Politik lieber außen vor zu lassen.


    Zitat

    Musik, auch jene von Beethoven -sehe ich absolut werttfrei.


    Also mich kotzt eine "ideologiekritische Betrachtung" von Musik auch an. Aber mit einer solchen Haltung, jegliche Musik als "absolut wertfrei" zu betrachten, nimmst du m.E. die extreme Gegenposition ein. Also dann kann man sich über Musik als "geistiges Phänomen" überhaupt nicht mehr unterhalten.


    Musik ist nur insofern wertfrei, als Musik eine absolute Kunst ist. Deshalb bedarf sie der Deutung, denn zwischen bewertbarer Sprache und sprachloser und nicht einmal gegenständlicher ( im Gegensatz zur Malerei) Musik klafft eine unüberwindbare Kluft. Trotzdem erzielt Musik unleugbar gewisse "Wirkungen", über die man dann allerdings sehr wohl streiten kann. Die "unschuldigste aller Künste" ist die Musik auch nicht.


    Allerdings hat Beethoven damit m.E. damit wenig zu tun. Seine Musik wirkt nicht dadurch, daß sie betäubt, verführt, aufstachelt, enthemmt, kollektiviert, in einer zweifelhaften Weise begeistert und dergleichen. Ich denke, Beethoven spricht das Gute in uns an, unsere Humanität, unseren Schönheitssinn. Doch ließe sich dies in ähnlicher Weise über alle gute Musik sagen. Wollen wir etwas über das besondere der Beethovenschen Musik sagen, kommen wir trotzdem nicht darum herum, etwas über ihre Wirkungen zu sagen.


    Meineserachtens ist es aber schon fast ein Tabu, in Hinsicht auf "Klassiker" über Wirkungen zu reden. Bei Wagner zum Beispiel ist das völlig anderes, seine "Wirkungen" sind Thema endloser Diskussionen. Aber Wagner war ja auch Romantiker.


    Die Klassiker sind dem sozusagen von vorneherein enthoben. Man siedelt sie in einer Sphäre "überirdischer Reinheit" an. Das ist ja auch nicht völlig falsch. Aber ich halte es deshalb trotzdem für richtig, die Klassiker ein kleines bißchen auf den Erdboden zurückzuholen, nicht im Sinne kindischer Provokationen ( der "zuckersüße Mozart", der "heroisch polternde Bethoven"), aber in dem Sinne, daß es überhaupt erst möglich wird, über die Wiener Klassik ein Gespräch zu führen.


    Zitat

    Warum fasziniert uns Beethovens Musik noch immer ?


    Meineserachtens eben durch ihre Qualität aber auch durch ihre Qualitäten. Über letztere zu sprechen ist eben schwer, weil man immer zu schnell in schiefe Klischees hereingerät.


    Gruß Martin

  • Zitat

    Original von Alfred_Schmidt
    "Alle Menschen werden Brüder" - welche Horrorvision. Hat schon jemand drüber nachgedacht, wer dann aller unser Bruder wäre ?
    Weltanschaulich überzeugt mich persönlich dieser Satz nicht - die Musik aber wohl.


    Ich glaube, Du liest in diesen Satz zu viel hinein. Es ist ja eine Art Bedingungssatz "Alle Menschen werden Brüder, wo dein [der Freude] sanfter Flügel weilt." Einerseits beschreibt das die ziemlich banale Erfahrung, dass bei freudigen Ereignissen (da reicht schon der Gewinn eines Fußballspiels) Menschen zu solcher Verbrüderung tendieren.
    Andererseits (wenn man die Bedingung wegläßt) denke ich, ist es die weltliche Formulierung einer Haltung, die der christlichen Nächstenliebe ähnelt und seinerzeit als fraternité, heute als Solidarität bezeichnet wird. Oder in der berühmten Meditation von John Donne
    "No man is an island, entire of itself; every man is a piece of the continent, a part of the main. [...] Any man's death diminishes me, because I am involved in mankind..."


    Zitat


    Musik, auch jene von Beethoven -sehe ich absolut werttfrei.


    Das kann man sicher tun (ich sehe es in vielen Fällen ähnlich), aber es ist eine Illusion zu glauben diese "absolute Wertfreiheit" sei eine neutrale Position. Es ist ebenso eine inhaltliche Aussage zu behaupten, Beethovens Fidelio sei ein Manifest gegen die Tyrannei wie zu sagen, es sei einfach eine mitreissende Oper ohne jeglichen politischen HIntergrund. Die zweite Behauptung ist nicht bescheidener oder wenige begründugnsbedürftig als die erste.


    viele Grüße


    JR

    Struck by the sounds before the sun,
    I knew the night had gone.
    The morning breeze like a bugle blew
    Against the drums of dawn.
    (Bob Dylan)

  • Ich glaube - viel, das wird z.B. duch die Threadfülle bewiesen.


    Deshalb, warum gibt es analog zu Mozart kein eigenes Beethoven-Forum? Man würde das, was man sucht, besser finden!


    Lieben Gruß aus Bonn :hello:

    Was Du nicht willst, das man Dir tu, das füg auch keinem andern zu

  • Tamino XBeethoven_Moedling Banner
  • Tamino Beethoven_Moedling Banner
  • Zitat

    Original von Stabia
    Ich glaube - viel, das wird z.B. duch die Threadfülle bewiesen.


    Deshalb, warum gibt es analog zu Mozart kein eigenes Beethoven-Forum? Man würde das, was man sucht, besser finden!


    Lieben Gruß aus Bonn :hello:


    d'accord


    LG


    Maggie

  • Weil das Mozart-Forum schon ein Fehltritt war, der die ohnehin schwierige Systematik des Gesamtforum gefährdet. Das soll nicht rückgängig gemacht werden, aber auf keinen Fall sollte man das wiederholen, damit alles noch unübersichtlicher wird!


    JR

    Struck by the sounds before the sun,
    I knew the night had gone.
    The morning breeze like a bugle blew
    Against the drums of dawn.
    (Bob Dylan)

  • hast schon recht, dennoch...


    Es ist so mühselig, über das Thread-Directory alles erst herunterzurollen, um an den Komponisten zu kommen, außerdem versteckt sich Vieles unter den allgemeinen Klassikthemen und unter sonstigem.


    Ich wäre schon dafür und würde eher überlegen, was zum Desaster des Mozart-Forums geführt hat - so im Sinne des Lernens aus Fehlern.


    Lieben Gruß aus Bonn :hello:

    Was Du nicht willst, das man Dir tu, das füg auch keinem andern zu

  • Wenn ich jetzt und aus der Ferne, ohne nochmal in einzelne Werke hineinzuhören, an Beethoven denke, fallen mir die Klaviersonaten ein und ich könnte mein Gefühl dabei so ausdrücken: Wie der Ruf eines Freundes, der einen aus einer dunklen Gemütsstimmung reißt und sagt: Laß uns doch einen Spaziergang machen! Das trifft wahrscheinlich nur auf ein paar der mittleren Sonaten zu.


    Die letzten drei Sonaten und die späten Streichquartette gelten ja als die ganz großen Werke Beethovens und das schätze ich auch etwa so ein. Besonders die Streichquartette, die haben für jede Zeit etwas zu sagen, wenn man auch die "Sprache" das musikalische Idiom erst lernen muß oder sich zurückzuversetzen versuchen muß, um die Radikalität dieser Werke zu spüren; aber ich denke, man spürt es auch so, weil es in der Musik selber ist. Es kommt mir vor wie etwas, das weit in den Raum hinausreicht, so weit wie ein Mensch überhaupt nur gehen kann, an die Grenze dessen, was ein Mensch leisten und ausdrücken kann. Die Große Fuge ist vielleicht das deutlichste Beispiel.


    Stefan George hat mal in einem Brief geschrieben: "Ich lebe immerfort an den äussersten rändern, ich gebe das lezte mögliche - auch wo keiner es ahnt" (oder so ähnlich). - Ich sehe in Beethovens op. 130, 131 und folgenden ein solches "leztes mögliches" und mir läuft ein Schauer über den Rücken, wenn ich das höre. Auf der einen Seite radikaler Individualismus vielleicht, aber so, daß es am Ende doch das Menschentum selber ist, das hier (s)einen Ausdruck findet.


    Ich finde in Beethovens Musik keine Religiosität, bzw. auch mit der Missa solemnis bin ich nie in dieser Weise warm geworden, aber daß das Religiöse nicht in der Weise da ist, wie man es bei Bach z.B. dauernd hinzudenken muß und mitfühlt, das ist m.E. gerade auch eine besonders schöne, weltliche, humane Qualität an Beethoven.


    Natürlich gehört Beehoven in seine Zeit und ist in seiner Ausdrucksweise aus dieser Zeitgebundenheit zu denken. Doch vermute ich, daß das "Zeitlose" eher so entsteht, daß jemand aus seiner Zeit heraus wirkt, als daß er gegen die Zeit etwas gezielt "Ewiges" konstruieren möchte. Und so würde ich Beethoven eine zeitlose Qualität zusprechen, die er in vielen Werken und in seiner ganzen Sprache erreicht hat; das transportiert etwas, was nicht nur Aufschluß über ihn persönlich gibt, sondern enthält etwas "Menschlich-Allgemeines" (auch wenn die Kategorie abgedroschen klingt), so daß man Wesen von einem fremden Stern, die erfahren wollen, was der Mensch ist, auch eine Platte Beethoven geben könnte oder sollte. Wenn man jenen Wesen etwa nur Mozart und Bach gäbe, könnten sie sich von vielen Konflikten, die im Menschenherzen stattfinden, keinen Begriff machen.

  • Zitat

    Original von Stabia
    Ich wäre schon dafür und würde eher überlegen, was zum Desaster des Mozart-Forums geführt hat - so im Sinne des Lernens aus Fehlern.


    Liebe Stabia,


    es ist kein Desaster des Forums, es ist ein Desaster von Beiträgen, aus dem man in allen sachbezogenen Threads lernen kann: Dass man ein wenig disziplinierter schreibt, zu persönlichen Plaudereien in das Forum wechselt, das dazu gedacht ist, bei Korrekturen nicht noch eine lange Diskussion führt, um sich am Ende zu bedanken, weil man es endlich auch verstanden hat, statt einfach den Beitrag zu korrigieren (und vorher die Möglichkeiten von PNs zu nutzen) usw. usf.


    Aber - da bin ich der gleichen Meinung wie Johannes - es sollte beim Mozart-Forum bleiben, sonst kommt mit dem gleichen Recht zu dem gewünschten Beethoven- auch noch ein Bach-, Schubert-, Brahms- und Wagnerforum dazu. Es gibt andere Möglichkeiten, Thematiken zu bündeln.


    Liebe Grüße Peter

  • Tamino XBeethoven_Moedling Banner
  • Alex, Du hast, wie andere vor Dir, es gut auf den Punkt gebracht, es ist das menschliche, das uns anspricht, nicht irgend einhöheres Ideal, was nicht greif-und faßbar ist.
    Er hat es gekonnt, indem er sich in seinem Werk nicht versteckt hat, nicht abstrahiert hat, sondern uns miterleben läßt die Freude, den Humor, die Angst, den Schmerz, es ist heraushörbar, egal, welche Sprache man spricht. Das das so ist kann auch nur der Grund dafür sein, daß seine Musik auf der ganzen Erde, wo Menschen sind, verstanden und geliebt wird, an sich eine Sache, die man fast nicht versteht.
    Wenn ich in Bonn sehe, mit welcher Andacht Japaner ins Geburtshaus gehen. Naiv denkt man, die haben doch einen ganz anderen Kulturhintergrund. Nein die Musik wird eben verstanden.
    Ich finde das phänomenal. Mir fällt nicht Ähnlich universales ein, wenn man von Internet oder anderen technischen weltweit verbreiteten Dingen absieht, aber etwas "geistiges" fällt mir sonst nicht ein.


    Auch in den Jugendwerken z.B. Op. 2 berührt mich der jugendliche Humor, die noch von keinem Leid getrübte Lebensfreude, die miterlebbar ist. Da muß man nicht zu den letzten Werken greifen.
    Mich fasziniert auch immer wieder, daß Interpreten, egal, wo sie geboren wurden, das darstellen können, zuletzt bei Artur Pizarro habe ich das so empfunden.


    lieben Gruß aus Bonn :hello:

    Was Du nicht willst, das man Dir tu, das füg auch keinem andern zu

  • Was hat mir LvB heute gesagt?



    Ich habe musikalisch seinen Zyklus "An die ferne Geliebte" wieder mal hervorgekramt, und mich mit der Dame auseinandergesetzt.


    Mindestens alle zwei Jahre taucht sie bei meinen Konzerten auf, und jedes Mal entdecke ich neue Fascetten, die es umzusetzen gilt. Sei es, dass mich mein Begleiter drauf aufmerksam macht, oder dass ich selber noch etwas in den Noten zu erkenne glaube, was ich vorher noch nie umgesetzt habe.


    Sich beschäftigen mit Musik bedeutet, immer offen für alles zu sein.

  • Vor Jahren gab es mal einen Film mit Charlton Heston "2022?, die überleben wollen", oder so ähnlich.


    Da hat sich der Vater/Freund einschläfern lassen, damit er der Nachwelt nicht mehr zur Last fällt. Als er in der Sterbekammer lag, durfte er sich noch etwas wünschen. Er wünschte sich Naturaufnahmen von früher wie Waldesrauschen, Rehe, Gebirge...


    ...und im Hintergrund lief der 1. Satz von Beethovens 6. Sinfonie...


    Ich kann mich noch heute daran erinnern, wie es mir eisig über den Rücken gelaufen ist, und wie ich geheult habe, ob der tollen Musik.

  • Eure letzten einfühlsamen Beiträge, liebe Stabia, lieber Alex und lieber Moses lese ich mit grossem Interesse, denn ich zähle zu denen, denen Beethoven bisher nichts gesagt hat und zu denen er gerade erst zu sprechen beginnt.
    Dank dieses Forums, insbesondere dank Peter, versuche ich mich -endlich :untertauch: :untertauch: :untertauch:- diesem Monolithen anzunähern und bin zunächst über die Lieder und die Kammermusik nun seit einigen wenigen Tagen bei den Symphonien angekommen.
    Während die Sprache seiner Lieder, die Klavierkonzerte, Sonaten und Klaviertrios mir sofort verständlich waren, muss ich um die Symphonien erstmal kämpfen, denn diese grosse Form, die ich stets als unüberscihtlich und ermüdend empfinde, liegt mir recht fern.
    Nach der 4.,6., 7., und 8. Symphonie habe ich gestern abend noch die 9. Symphonie gehört und muss gestehen, dass gerade dieses so berühmte Werk mir fast gar ncihts sagt. :(
    Es kann kaum an der Aufnahme liegen, die hat Peter ausgesucht, Dirigent war Furtwängler udn ich hatte mich gerade darauf noch eigens mit einem Film "Taking sides" vorbereitet, war also wirklich sehr offen und neugierig.
    Aber schon der erste Satz war mir unverständlich und sperrig, der zweite ging besser, weil ich wenigstens das Motiv gut verfolgen konnte und eindringlcih fand, den dritten fand ich im Vergleich zu den langsamen Sätzen aus den anderen Symphonien nur langweilig und das Ende-nun ja, dem kann man sich schlecht entziehen.... ;)
    Allerdings haben mir die Sechste und die Achte und auch die Siebte und Vierte wesentlich besser gefallen und ich versuche dahinter zu kommen, was diese Neunte so zum Mythos gemacht hat und warum ich diese Sprache nicht verstehe..... ?( ?( ?(
    Die Sechste z.B. hat mich sofort emotional angesprochen und sogar "getröstet", bei der Achten war ich ganz Ohr und gepackt und total erstaunt, dass diese Symphonie so wenig gefeiert wird.
    Nun harre i h gespannt derer, die mir noch fehlen, mache heute weiter und fange dann wieder von vorne mit anderen Dirigenten an. Dank weiterer liebenswürdiger Taminos habe ich da noch eine Menge zu tun!


    Fairy Queen

  • Hallo Fairy Queen,


    Speziell bei den von dir genannten Favoriten könnte ich dir auch vorschlagen in sein Violinkonzert, den Violinsonaten (vor allem den früheren und speziell der "Frühlings" die von der Tonsprache her m.M. nach weniger typisch Beethoven als eher an Mozart angelehnt, klingt)
    oder auch seine beiden Messen die ich für ziemlich abwechslungsreich gestaltet halte und für viele Geschmäcker etwas dabei sein könnte.


    Ich kann mir gut vorstellen was du eventuell meinst, da ich manchmal auch mit den spürbar "inneren Kämpfen", den rebellischen Anklängen wenig anfangen kann (meist wenn plötzlich von leiseren Passagen in ein fortissimo bei den tieferen Instrumentengruppen die Staccati rythmisch "reinfahren" oder wie zB bei der Egmont-Ouvertüre damit beginnen) das man vor allem des öfteren in seinen Sinfonien hören kann. Da mir aber abgesehn davon prinzpiell schon seine Tonsprache durchaus gefällt, kann ich mit diesen Stellen gut leben und halte es als eine eigene spezielle, persönliche Note und Stil die in gewisser Weise natürlich auch auf seine Anschauungen, seinem Wesen schliessen läßt. Ich höre dann meist immer den Ausspruch "...dem Schicksal in den Rachen greifen" vor mir und es hilft mir in Bezug zu seiner persönlichen Situation gut vorzustellen inwiefern er in seiner Musik seine perösnlichen Gefühle ausdrücken wollte, vielleicht auch in gewisser Weise mußte.(und man kann das ja auch nur bei gewissen Werken deutlich feststellen) Er macht ja das im Prinzip auch nicht irgendwie plump des Effektes wegens sondern setzt es bewußt für gewisse Kontrastbildungen und Farbgestaltungen ein (wo es mich zB überhaupt nicht stört ist es bei der Coriolan-Ouvertüre die sich sehr schön zwischen kämpferisch, leidenschaftlichen und flehenden, wehmütigen Gefühlen hin- und herbewegt und sich beides hier für mich perfekt ergänzt)
    Oder meinst du vielleicht eher etwas anderes als ich es meine. Jedenfalls weiß ich von einigen Anderen das sie bei Beethoven meist mit den von mir oben genannten Stellen gewisse Probleme haben.


    lg
    Thomas

    „Eine Erkenntnis von heute kann die Tochter eines Irrtums von gestern sein.” (Marie von Ebner-Eschenbach)

  • Tamino XBeethoven_Moedling Banner
  • Tamino Beethoven_Moedling Banner