„Sollte dieser Mann verunglückt sein?“
Es sind Bilder, einzelne Bilder, diese werden aneinander gereiht. Der Denker in seiner glutroten Studierstube, eine Schar von Teufeln, die gemessenen Schrittes durch den kaltblauen Raum zieht, Mephistopheles wie ein dekadenter Römer auf einem Wagen liegend, ein Soldat in blutrot japanischer Rüstung in einer Kirche, verzweifelt betend, ein Fürstenhof mir goldglänzendem Herrscherpaar (der Fürst marschiert wie ein Gockel), Protestanten und Katholiken in schwarz und weiß mit absurd hohen Hüten, wie Narren, ein Sternenhimmel, ein Mann, der vor einem riesigen Auge in die Knie sinkt, Schneetreiben in einem schwarzen Raum, eine graue Winterlandschaft, ein Feld mit Stromleitungen im Nichts, ein weiß gekleideter Mann, der in diesem Nichts verschwindet, ein schwarz gekleideter Nachtwächter, er fragt: „Sollte dieser Mann verunglückt sein?“
Am Ende ergibt diese Folge von Szenen den „Doktor Faust“ von Ferrucio Busoni in der Inszenierung (des Intendanten) Peter Mussbach an der Berliner Staatsoper. „Es ist, als habe jemand den ,Faust’ gelesen und würde sich tagträumend mit ihm identifizieren“, schreibt Mussbach in dem (wie üblich sehr aufwändigen) Programmbuch (-heft wäre stark untertrieben) zur Aufführung.
„Eine Reise ins Innere“ (Mussbach).
Dafür hat Busoni keine (auch für seine Zeit nicht) avancierte Musik verwendet. Ungewöhnlich ist die Erzählweise des Stücks, ist auch der Musikgebrauch, die in verschiedensten Stilen (Choral, Tanzsuite, Orgel-Solo, Intermezzo) doch immer eines sein soll: Musik, die nur für sich allein steht – auch im Intermezzo keine Hinführung auf weitere Themen gibt (oder Leitmotive gar).
In Berlin nun setzen dies in Klang und Szene:
Musikalische Leitung: Daniel Barenboim
Inszenierung: Peter Mussbach
Bühnenbild: Erich Wonder
Kostüme: Andrea Schmidt-Futterer
Chöre: Eberhard Friedrich
Doktor Faust: Roman Trekel
Wagner, sein Famulus (auch Zeremonienmeister, Gravis): Christof Fischesser
Mephistopheles: John Daszak
Herzog von Parma: Stephan Rügamer
Herzogin: Carola Höhn
Soldat, Bruder des Mädchens: Mirko Janiska
Leutnant, Beelzebuth: Peter-Jürgen Schmidt
Drei Studenten aus Krakau: Andreas Bornemann, Mike Keller, Andreas Neher
Theologe, Levis: Yi Yang
Jurist: Viktor Rud
Naturgelehrter: Mirko Janiska
Asmodus: Arttu Kataja
Megaros, Tenorsolo: Florian Hoffmann
Solisten hinter der Bühne: Stefani Szafranski, Adriane Queiroz, Gal James
Staatskapelle Berlin
Staatsopernchor
Die Premiere datiert vom 2. Dezember 2006, es war die sechste Vorstellung.
Für mich ein insofern neues Elrebnis, als dass ich immer ein wenig skeptisch war, wenn ich gelesen habe, wenn jemand schrieb, dass ihn eine gelungene Inszenierung über Unzulänglichkeiten der Sänger hinweghelfen konnte.
So war es aber hier für mich.
Eigentlich hat mich keiner der Sänger vollständig überzeugt. Am ehesten sagte mir noch der (auch darstellerisch) souveräne Christof Fischesser zu; auch die drei Studenten aus Krakau waren ein Gewinn, ebenfalls nicht zuletzt darstellerisch. Roman Trekel musste für mein Empfinden teils forcieren und brachte so Anstrengung in Passagen, wo sie für mein Empfinden nicht hingehörte, auch wirkte er teils doch irgendwie unbeteiligt, was bei einem solchen Stück, einer derartigen Tour de Force in Seelenabgründe für den Hauptdarsteller genau genommen ein Unding ist – aber wer weiß, vielleicht saß ich nur zu weit entfernt. Den Mephistopheles hätte ich mir noch diabolischer gewünscht, die Herzogin sicherer in der Höhe.
Den meisten Applaus konnte Daniel Barenboim mit seinem Orchester verbuchen. Zu Recht, wie ich denke. Ich habe eine Idee davon erhalten, was alles in der Oper stecken kann (werde mir nun noch die Einspielungen von Nagano und die DVD aus Zürich holen). Am Ende standing ovations.
Die hätte für mein Empfinden vor allem Mussbach verdient. Er hat der Oper eindringliche, starke Bilder gegeben, die ich noch vor meinem Auge habe. Eine beeindruckende Inszenierung.
Wer also am 10. Mai in Berlin ist, sollte sehen, ob er noch Karten erwerben kann, dann gibt es den Doktor Faust zum letzten Mal in dieser Spielzeit. Preise 20 bis 80 Euro (die Vorstellung am Sonntag war aber keinesfalls ausverkauft. Wie ich eben nachprüfte, gibt es auch noch reichlich Karten).
Gruß, Ekkehard.