"Kulturschock durch Punk-Lady"
...betitelt Waltraud Brunst im Morgenweb das Konzert der Sopranistin Simone Kermes bei den Schwetzinger Festspielen.
...oder, wie der Amerikaner sagen würde:
This Lady puts the rock in "Barock"
Während Frau Brunst vor allem die orthopädisch bedenklichen Absätze der Kermes für erwähnenswert hält, hat mich, die ich die unglaubliche Freunde haben durfte, das Spektakel live zu erleben, vor allem eines zutiefst beeindruckt, ja geradezu umgehauen:
Die Stimme.
Frau Kermes singt Koloraturen, die so unfassbar sind, dass am Ende der Arien mehrfach [nach einer kurzen Luftholpause] ein Aufschrei durch das Publikum ging, begleitet von stürmischem Applaus. Dabei hat sie einen natürlichen Stimmklang bewahrt, wie man ihn bei Opernsängerinnen, die ein derartiges Niveau an Virtuosität erreicht haben, selten [will sagen: nie] erlebt hat.
Unnatürlich hingegen empfand ich es, dass nach dem Ende einer Wahnwitzigen Koloraturkette kein tosender Jubel ausbrach, sondern das Publikum seine Ausbrüche pflichtbewusst, wenn auch schweren Herzes bis zum Verstummen des letzten Geigentones zurück hielt. Ich hätte mir gewünscht, dass der bei Jazzkonzerten übliche "Szenenapplaus" am Ende eines Solos auch dem Klassikpublikum zustünde, zumal dieser von den Komponisten offensichtlich eingeplant ist, da die Streicher in der Regel nach einer Koloratureinlage bis zum Ende der Arie lediglich bereits bekannte Motive wiederholen.
Eine Mischung aus Marilyn Monroe und Gabi Koester.*
Bei aller Oberflächlichkeit von Brunsts Betrachtungsweise, muss ich ihr in einem Satz Recht geben:
"Ein Gesamtkunstwerk vom Scheitel bis zur Sohle: feuerrote Haare hoch aufgetürmt, ein federplustriges Designer-Gewand mit Ballonrock und Schößchenjacke..."
Die Bühnenpräsenz von Frau Kermes ist mindestens so unfassbar, wie ihr virtuoser Gesang. Die Verwendung eigentlich barocker Attribute wie Turmfrisur und Schößchenrock übertrug sie so brillant in die heutige Zeit, dass dem Publikum beim ersten Anblick der Sängerin förmlich der Atem stockte.
Kermes agiert auf der Bühne weiblich, verführerisch, humorvoll, temperamentvoll, dass es eine wahre Freude ist, ihr zuzusehen. Ihr ungezwungenes Gebaren unterstreicht den Höreindruck, dass ihr hochvirtuoser Gesang ganz natürlich und ohne Anstrengung aus der Kehle sprudelt.
Man bemerkt deutlich, dass sie mit Ernsthaftigkeit und Disziplin bei der Sache ist und doch gleichzeitig mit einem Augenzwinkern auf den Operndiven-Koloraturen-Kastratenzirkus blickt.
Wer die Kermes live erlebt, wird sich ihrer Faszination nicht entziehen können. Wer sie persönlich kennen gelernt hat, muss sie lieben. Die Natürlichkeit und Wärme ihrer Stimme spiegelt sich gleichermaßen in ihrer Persönlichkeit wieder.
Dass man sich mit einer Frau in vollem Ornat einer barocken Operndiva, die gerade zwei Stunden lang von einem tobenden Publikum bejubelt wurde, unterhalten kann, als säße man bei einem Kaffekränzchen, zeugt meines Erachtens von einer großartigen, bescheidenen und liebenswürdigen Persönlichkeit. Weder Foto- noch Autogrammwünsche blieben unerhört.
Am Donnerstag sang sie im Rahmen der Schwetzinger Festspiele im dortigen Schloßtheater das folgende Programm, begleitet von LE MUSICHE NOVE unter der Leitung von Claudio Osele:
Riccardo Broschi (1698 – 1756)
Aus der Oper "La Merope":
Sinfonia
Nicola Porpora (1686 – 1768 )
Aus der Oper "Lucio Papirio":
"Tocco il porto", Arie des Quinto Fabio
"Morte amara", Arie des Quinto Fabio
Tomaso Albinoni (1671 – 1751)
Konzert für Streicher und Basso continuo D-dur op. 7 Nr. 1
Giovanni Battista Pergolesi (1710 – 1736)
Aus der Oper "L'Olimpiade":
"Tu me da me dividi", Arie der Aristea
Antonio Vivaldi (1678 – 1741)
Konzert für Streicher und Basso continuo C-dur RV 117
Aus der Oper "La verità in cimento":
"Amato ben tu sei la mia speranza", Arie der Rosane
Aus der Oper "Griselda":
"Agitata da due venti", Arie der Costanza
Leonardo Leo (1694 – 1744)
Aus der Oper "Il Demetrio":
"Manca solletica", Arie der Cleonice
Antonio Vivaldi
Aus der Oper "L'Olimpiade":
"Tra le follie" – "Siam navi all‘onde algenti", Rezitativ und
Arie des Aminta
Domenico Gallo (um 1730 – um 1775)
"La Follia" g-moll für zwei Violinen, Viola und Basso continuo
Johann Adolf Hasse (1699 – 1783)
Aus der Oper "Artaserse":
"Ombra cara" – "Ombra tradita", Rezitativ und Arie der Didone
Aus der Oper "Viriate":
"Come nave in mezzo all'onde", Arie des Siface
Während der großzügig bemessenen Zugaben, stellte Frau Kermes mit einem Lied von Kurt Weill sowie einem gänsehautigen "Dido's Lament" von Purcell ihre Fähigkeit unter Beweis, auch jenseits barocker Kastratenarien zu brillieren.
So.
Dieser Thread sei hiermit für weitere Wortmeldungen aus der Kermes-Fankurve freigegeben
Kritische Äußerungen werden gnadenlos ignoriert
Wem das alles zu lang zum Lesen war, hier die Zusammenfassung:
Violoncellchen
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