Dmitri Shostakovich war noch keine 30 Jahre alt, als seine Oper „Lady Macbeth von Mzensk“ 1934 in Leningrad uraufgeführt wurde. Das Stück um die Doppelmörderin Katerina Ismailova, die sich im letzten Akt in einem Straflager das Leben nehmen wird, wurde von Shostakovich kongenial in Musik gesetzt, die Oper gehört zu den stärksten Werken des Musiktheaters im 20. Jahrhundert. Immer wieder wird die Musik mächtig auffahren und sich in enormen Dezibel-Werten entladen, sie bebildert brutale, körperliche Gewalt genauso, wie einen leidenschaftlichen Geschlechtsakt und spart auch nicht mit ironischen Tönen.
Josef Stalin mochte diese Musik nicht, und die „Prawda“ prägte das berühmt gewordenen Wort vom „Chaos statt Musik“ im Bezug auf die „Lady“. Das Werk verschwand von den Spielplänen und konnte erst in einer abgemilderten Überarbeitung unter dem Titel „Katerina Ismailova“ Ende der 50er Jahre wiederaufgeführt werden.
Noch immer kämpft diese bemerkenswerte Oper, trotz einzelner Aufführungen auch im Westen, um die Anerkennung, die ihr gebührt.
An der „Deutschen Oper am Rhein“ hatte nun gestern die „Lady Macbeth“ am Spielort Duisburg Premiere, es dirigierte der GMD des Hauses, John Fiore, die Inszenierung besorgte Dmitri Tcherniakov im eigenen Bühnenbild.
Das zeigt eine moderne, mittelständische Fabrik, viele Arbeiter im Blaumann laufen durchs Bild, ein Gabelstapler stapelt, der Vorstand im dunklen Anzug ist im Hintergrund zu erkennen und im Kontor sitzen die Sekretärinnen vorm Flachbildschirm ihrer PCs.
In der Mitte ein Raum für Katerina, er ist mit Teppichen ausgeschlagen, wirkt fremd in dieser Umgebung und fremd ist auch die Ismailova in ihrer folkloristischen Kleidung geblieben. Sie hat den Sohn des Firmenchefs geheiratet, einen Schwächling, der wohl oft auf Dienstreise ist, was dem Schwiegervater Gelegenheit gibt, sich der Schwiegertochter ungestört zu nähern. Auch die weiblichen Beschäftigten sind vor den brutal-sadistischen Übergriffen des Chefs nicht sicher und auch die Arbeiter langen da kräftig hin.
Es ist wieder soweit, Sinowi, der Ehemann, muss auf eine Reise gehen und der Schwiegervater demütig Katerina: sie muss ihrem Ehemann die Füsse küssen.
Im nächsten Bild vergewaltigt der Arbeiter Sergey die Arbeiterin Axinya, sehr drastisch, auf einer Palette, die am Gabelstapler herauffährt. Katerina tritt hinzu und hilft Axinya. Sie ist von der brutalen Kraft des Arbeiters fasziniert und wird ihn ein Bild später in ihre Kammer lassen. In einer orgiastischen Szene des Orchesters gibt sich Katerina Sergey hin: im Bild sieht das Publikum in Duisburg nur eine heftig schwingende Lampe, da treiben es zwei, dass sich die berühmten Balken biegen.
Der Schwiegervater hat auch noch Lust auf seine – vermeintlich - einsame Schwiegertochter. Als er Sergey bei ihr entdeckt, lässt der alte Ismailov die Arbeiter rufen und Sergey wird zusammengeschlagen, während sich ein Arbeiter a tergo an Katerina vergreift.
Erschöpft von der Prügelorgie will der Hausherr noch eine Portion Pilze essen: Katerina mischt ihm Gift hinein und bringt damit den Alten um. Schnell wird noch ein Pope organisiert, der routiniert das nötige erledigt.
Während eines Orchesterzwischenspiels entkleidet Katerina Sergey: das blutige Unterhemd, die Hose, seine Undershorts. Mit grosser Zärtlichkeit versorgt sie die Wunden, die sich über den ganzen Rücken verteilen. Diese Szene strahlt eine grosse Ruhe und eine wunderbare Intimität aus.
Der Ehemann Sinowi kommt zurück – Katerina und Sergey ermorden hin auf offener Szene und packen den Leichnam und sein Gepäck kurz entschlossen in den Keller.
Nach der Pause wird die Fabrikhalle gerade festlich für die Hochzeit von Sergey und Katerina geschmückt. Katerina ist aufgeblüht, sie trägt zuerst ein modisches, rotes Kleid, später dann ihre Hochzeitskleidung. Ihre Kammer ist jetzt offen, freundlicher. Einer der Arbeiter, ein versoffenes Individuum, ahnt, was im Keller zu finden ist.
Die Polizei schaut vorbei. Die sehen ein wenig nach amerikanischem Krimi aus und sind schon sauer, weil man sie nicht zur Hochzeit eingeladen hat. Die ganze Szene ist von Shostakovich als Satire komponiert worden, der Regisseur lässt sie relativ schnell kippen, wenn nach der Hochzeit, bei der keine rechte Feierstimmung aufkommen will, die Polizisten den Toten im Keller entdecken und Katerina und Sergey festgenommen haben.
Das letzte Bild ist ein Clou: eigentlich soll hier ein Zwangsarbeiterzug in die Verbannung zu sehen sein. Nicht so bei Tcherniakov: die Bühne ist auf eine absolut schäbige, kleine Gefängniszelle im schwarzen Raum beschränkt worden, links ein Waschbecken, im Hintergrund die Tür mit der Essensklappe und eine Toilette, auf dem Boden eine Matratze, dazu ein Stuhl und eine immer brennende Neonröhre. Die Stimmen der anderen Gefangenen kommen aus dem dunklen off. Zu Katerina wird eine zweite Gefängene in die Zelle gebracht, Sonyetka: sehr kurze Jeans, freizügiges, bauchfreies Hemd. Sie legt sich gleich schlafen. Katerina besticht einen Wärter, Sergey wird zu ihr in die Zelle gebracht und der entdeckt die neue, scharfe Frau, die auch Sergey gleich interessant findet. Sergey erklärt Katerina, dass er von ihr nichts mehr wissen will, was diese zur Verzweiflung treibt.
Derweil unterhält sich Sergey mit Sonyetka. Recht eindeutig macht diese ihm klar, dass es Sex nur für Bezahlung gibt – Katerinas Strümpfe wären ihr recht. Sergey belügt Katerina, bekommt die Strümpfe und dann auch den hemmungslosen Sex mit Sonyetka. Katerina versucht, sich im Waschbecken zu ertränken, was misslingt. Nachdem Sergey die Zelle wieder verlassen hat, zertrümmert Katerina die Neonröhre und stürzt sich auf Sonyetka, sie tötet die Nebenbuhlerin. Wärter kommen hereingestürmt und treten Katerina mit ihren Stiefeln zu Tode.
Bemerkenswert, wie genau Tcherniakov mit seinen Sängerinnen und Sängern arbeitet, hier ist eine Personenführung zu erleben, die oft unter die Haut geht. Jede/r einzelne auf der Bühne wird genauestens inszeniert, da sitzt jede Bewegung und jeder Blick. Und auch das Ende, in diesem kleinen Raum, kommt sehr überzeugend über die Rampe: ursprünglich springt Katerina, Sonyetka mit sich reissend, von einer Brücke in den Tod.
Die Gewalt- und Sexszenen werden mit dem nötigen Nachdruck, aber auch ohne allzugrosse Überdeutlichkeit in Szene gesetzt, das ist stückadäquat und wurde vom Publikum auch nicht kritisiert.
Im Mittelpunkt steht natürlich Katerina Ismailova: in Duisburg ist eine phänomenale Darstellerin zu erleben, Morenike Fadayomi. Am Anfang ganz verhalten, wenige Bewegungen, beobachtend, wird sie im Laufe des Abends den Wandel in der Persönlichkeit der Ismailova enorm glaubwürdig darstellen. Sängerisch ist die Partie sehr anspruchsvoll und Fadayomi macht das anständig: sie nimmt die Stimme zurück, wo das geht, singt kraftmässig nicht über ihre Grenzen hinweg, nimmt also in Kauf, auch mal zugedeckt zu werden und schafft mit ihrer von Schärfen nicht freien Stimme den Abend respekterheischend.
An ihrer Seite der charaktervolle, schneidende Tenor John Uhlenhopp als Sergey, rollenadäquat besetzt und als Ehemann Sinowi der schöne Tenor von Andrey Dunaev.
Eine Glanzleistung: Oleg Bryjak als alter Ismailov – stimmlich schafft der Bass-Bariton die Partie souverän und darstellerisch gibt er dem brutalen Charakter eine starke Bühnenpräsenz.
Chor und Orchester zeigen sich auf hohem Niveau, das ist klangschön und spannend zugleich und John Fiore dirigiert einen hörenswerten Shostakovich: da kommen, mit etwas breiteren Tempi, die liedhaft-lyrischen Momente gut zum tragen, aber auch die fetzigen Teile der Partitur werden mit einer Spielfreude vorgetragen, die auch in ihrer Präzision maßstabsetzend ist. Die Dynamik wird voll ausgeschöpft, was der effektvollen Musik absolut zuträglich ist.
Zu recht gefeiert: John Fiore, Morenike Fadayomi und Oleg Bryjak.
Dmitri Tcherniakov musste in Berlin beim „Boris“ und erst recht in München bei „Chownschtschina“ mächtige Buh-Rufe hinnehmen. Angespannt betrat er die Bühne – und erst als er merkte, das ihm nur Beifall entgegengebracht wurde, entspannte er sich etwas. Noch beim zweiten Verbeugen erschien er zuerst nur am rechten Bühnenrand, bevor er dankbar inmitten der Sängerinnen und Sänger den Applaus des Publikums entgegennahm.
Nach der Pause blieben einige Plätze unbesetzt: auch 74 Jahre nach der Uraufführung hats die „Lady“ beim Publikum nicht ganz leicht...