Die Tilgung des Arnold Mendelssohn (1855-1933) aus dem "kollektiven Musikbewusstsein"

  • Dieser Beitrag über den Komponisten Arnold Mendelssohn ist kein verspäteter Nachtrag zum 1. April, sondern es soll hier der Versuch unternommen werden, einen Komponisten zu würdigen, um dessen Person und Werk nun seit Jahrzehnten das Gras des Vergessens höher und höher wuchert, so daß zu befürchten ist, daß sowohl Name, Werk und Person binnen kurzer Zeit vollständig aus dem "kollektiven Musik-Bewusstsein" getilgt sein werden.


    Gleich zu Beginn: eine Verwandtschaft zu dem "berühmten" Mendelssohn besteht, wenn sie auch als eher weitläufig zu bezeichnen ist. Im weitverzweigtem Hause Mendelssohn gab es nicht nur Philosophen, Finanzgenies und MusikerInnen. Der Vater Arnolds, Wilhelm Mendelssohn, war einfacher Bahnhofsvorsteher in Ratibor in Schlesien, der Geburtstadt Joseph von Eichendorffs und Arnolds Onkel (2ten Grades!) war "unser" berühmter Felix Mendelssohn Bartholdy. Nach dem frühen Tod des Vaters im Jahr 1866 übersiedelt der Rest der Familie über Potsdam nach Berlin, wo sie Unterstützung durch die "reichen Verwandten" findet und wo arnolds musikalische Begabung erstmals intensive Förderung findet.



    Arnold Mendelssohn (1855-1933)


    In Berlin wurde Mendelssohn einer der letzten Schüler des "Berliner Palestrina",des legendären August Eduard Grell (1800-1886), der lange Jahre als Direktor der "Berliner Singakademie" vorstand.
    Grell erteilt ihm ein förderndes Zeugnis, in dem er ihm “bedeutendes Talent für Composition” bescheinigt.



    August Eduard Grell (1800-1886)


    Seine erste eigene Stelle als Kirchenmusiker bekommt Mendelssohn 1880 als Organist und Chordirigent der “Neuen evangelischen Kirche” in Bonn. An der Rheinischen Friedrich Wilhelms Universität unterrichtet er zudem die evangelischen Theologiestudenten in Orgelspiel und Harmonielehre.
    Weitere Stationen in seiner Laufbahn waren Bielefeld,Köln und Frankfurt(Main), wo er unter anderen Paul Hindemith, Kurt Hessenberg und Kurt Thomas unterrichtete. Zu allen Zeitens seines Schaffens stand jedoch Geistliche Vokalmusik im Zentrum seiner Bemühungen und jeder, der In Deutschland zwischen 1960 und 1980 evangelische Kirchenmusik stundierte, kennt den gebetsmühlenartig wiederholten Ausspruch, daß Mendelssohn einer der "Erzväter der Erneuerung der ev. Kirchenmusik" in Deutschland sei, ohne daß man jemals eine einzige Note von ihm gesehen hatte.


    Seine Herkunft aus der späten Romantik, einer manchmal geradezu überbordeneden "Sexten-Seligkeit" bekam nach den Erschütterungen des 1. Weltkrieges, einen "heilenden" Dämpfer, die musikalischen Strukturen werden linearer, das Klangbild transparenter, der Überschwang der frühen Jahre weicht resignativer Trauer.


    Mendelssohn, der sich nach 1914 verstärkt der Instrumentalmusik zuwandte, starb genau rechtzeitig, unmittelbar nach der sogenannten "Machtübernahme"
    durch Hitler im Jahr 1933 und BEVOR man ihn brandmarken, demütigen oder wie auch immer desavouieren konnte und am Ende jenes Jahres 1933 konnte sein Freund Karl Straube noch en letztes grosses a-cappella-Werk seines toten Freundes zur Uraufführung in Leipzig bringen.
    Danach sank der Vorhang für Arnold Mendelssohn, der sich bis zum heutigen Tage nicht wieder gehoben hat.


    Die musikalischen Interessen im Nachkriegs-Deutschland waren der Beschäftigung mit einem Komponisten, der sich "traditioneller" satztechnischer Methoden bediente, wohl wenig förderlich und auch der "berühmte Name" dürfte sich in seinem Falle als eher hinderlich für eine wirkliche Renaissance erwiesen haben. Die (wenigen) und sicher gutgemeinten Versuche, in den letzten Jahren das eine oder andere Werk aufzuführen, änderten an der traurigen Gesamtsituation im Grunde nichts.


    So kann es auch nicht weiter verwundern, daß die diskographishe Ausbeute im Falle Arnold Mendelssohns sich bescheiden ausnimmt, aber wenigstens gibt es, wenn auch nur auszugsweise, seine "Geistliche Chormusik" op. 90 von 1920 in einer durchaus kompetenten und klangschönen Einpielung zu erwerben. Darin befindet sich eine meiner Lieblings-Motetten übehaupt, das geniale "Also hat Gott die Welt geliebet", das quasi in Ausdruck, Form und Struktur als Kompilaton der Bemühungen von Brahms,Bruckner und Reger um diese Gattung zu sehen ist.


    Das geht über das Sagbare hinaus. Das läßt sich nicht deuten und bedarf keiner Deutung. Es kann nur gehört werden. Es ist Musik. (H.H.Jahnn)

  • Lieber BBB,
    ich kann mich erinnern, vor Urzeiten in einem Melos-Heft einen sehr interessanten Artikel über Mendelssohns Lieder gelesen zu haben, war aber damals chancenlos, Tonaufnahmen oder Noten zu bekommen. Umso mehr danke ich Dir für den Hinweis auf die CD, die ich soeben bestellt habe.
    :hello:

    ...

  • Lieber Edwin, also um Noten für die Vokalswerke sieht es gar nicht so übel aus, der Carus-Verlag und auch Merseburger haben etliches davon in ihrem Programm. Bei den Konzerten der jüdischen Kulturtage mit dem Kaliningrader Orchester in 2004 wurde beim Violinkonzert, wenn ich mich richtig erinnere, aus Abschriften gespielt...
    Ebenfalls und sogar relativ preisgünstig zu haben sind bei ZVAB nben diversen Noten auch seine Aufzeichnungen zur Musik unter dem Titel "Gott Welt und Kunst. Aufzeichnungen." :hello:

    Das geht über das Sagbare hinaus. Das läßt sich nicht deuten und bedarf keiner Deutung. Es kann nur gehört werden. Es ist Musik. (H.H.Jahnn)

  • Als das ehemalige Mitglied BigBerlinBear seinen letzten Beitrag in diesem Thread verfasste, waren die beiden hier gezeigten Streichquartette op 67 und op 83 bereits eingespielt, und zwar in den Jahren 2007 und 2008. Die Veröffentlichung benötigte weiter 4 Jahre, sodaß man diese beiden Werke ab Oktober 2012 im Handel erwerben konnte.
    Die beiden Streichquartette weisen IMO eine sehr individuelle Tonsprache auf - ich könnte sie schwerlich mit jemandem vergleichen. Sperrig und lieblich zugleich, unterschwellig einschmeichelnd und aggressiv zugleich - auf alle Fälle interessant -
    und eigentlich sollten sie in unserer Zeit gefallen.Weder wirklich spätromantisch (wie oft behauptet), noch avantgardistisch, wenngleich gelegentliche Dissonanzen durchschimmern, die indes- weil sparsam aber wirksam eingesetzt - der Musik Würze verleihen...

    Inzwischen ist die CD bereits um 7.99 Euro zu haben - und eigentlich sollte sie jeder Kammermusikfreund in seiner Sammlung haben - wer hier nicht zugreift ist selber schuld. Die Veröffentlichung der 3 Sinfonien des Komponisten werde ich wohl nicht erleben.....


    mfg aus Wien
    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Wer hier nicht zugreift ist selber schuld - Wie wahr. Irgendwie habe ich dann scheinbar doch vergessen, die Bestellung abzusenden - somit habe ich diese Aufnahme verpasst. - Selber schuld.


    EDIT am 18.11.2018:
    Das war ein Irrtum
    Soeben habe ich die CD in meiner Sammlung gefunden



    Heute wurde in einem anderen Thread beklagt, daß es kaum Aufnahmen von Werken Arnold Mendelssohns gibt. Ich habe dann recherchiert und die hier gezeigte Aufnahme der Deutschen Messe op 89 gefunden.
    An sich ein hörenswertes Werk, allerdings gibt es Musikfreunde, die mit geistlicher Musik nichts anfangen können....


    mfg aus Wien
    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Tamino XBeethoven_Moedling Banner
  • Zitat

    Alfred Schmidt: An sich ein hörenswertes Werk, allerdings gibt es Musikfreunde, die mit geistlicher Musik nichts anfangen können....
    Zu denen mag ich nicht gehören. Das wäre ja auch ein Witz, wo ich in zwei Kirchenchören und zwei Chroalscholen singe :D


    Die Scheibe ist schon bestellt, und wenn sie angekommen sein wird und ich sie gehört haben werde, werde ich mich in diesem Thread wieder melden.


    Liebe Grüße


    Willi :)

    1. "Das Notwendigste, das Härteste und die Hauptsache in der Musik ist das Tempo". (Wolfgang Amadeus Mozart).
    2. "Es gibt nur ein Tempo, und das ist das richtige". (Wilhelm Furtwängler).

  • Wie ich gerade nachgeschaut habe, habe ich tatsächlich am 18. Februar 2015 im alten Thread "Leben und Sterben lassen" auf Seite 137, Beitrag 4104, an Arnold Mendelssohns 82. Todestag erinnert und dabei auch die CD mit der Deutschen Messe op. 89 präsentiert. Ich habe es jedoch versäumt, ihn im Herbst 2015 in meine neuen Dateien zu übernehmen, vermutlich, weil er in keiner Wikipedia-Liste stand. Nun steht er drin und wird fortan berücksichtigt.


    Liebe Grüße


    Willi :)

    1. "Das Notwendigste, das Härteste und die Hauptsache in der Musik ist das Tempo". (Wolfgang Amadeus Mozart).
    2. "Es gibt nur ein Tempo, und das ist das richtige". (Wilhelm Furtwängler).