István Kertész und das tragisch frühe Ende eines Dirigentenlebens

  • István Kertész wurde am 28. August 1929 in eine jüdische Familie in Budapest geboren. Nach dem Krieg begann allmählich seine steile Karriere. Er brachte es bis zum Direktor der Budapester Oper, verliess allerdings 1956 aus verständlichen politischen Gründen Ungarn. Sein Weg führte ihn über die Opernhäuser von Augsburg und Köln bis nach London, wo er von 1965 bis 1968 Chefdirigent des London Symphony Orchestra war. (warum nur so kurz??). 1973 wurde er zum Chefdirigenten der Bamberger Symphoniker ernannt, ertrank aber schon am 16. April 1973 im Mittelmeer, als er sich in Israel auf Tournee befand.


    Häufig war er Gastdirigent der Wiener und Berliner Philharmoniker und des Israel Philharmonic Orchestra und in Covent Garden, um nur einige Institutionen zu nennen.


    Viele seiner DECCA-Aufnahmen sind zwar gerade noch so am Markt (-> amazon!), führen aber ein Schattendasein, wie sein Schubert-Zyklus. Wie kommts? Ist er doch kein Mann für alle Sparten?


    Seine Aufnahme der Achten von Dvorak hat mich so überzeugt, dass ich geradezu bereue, diese CD gekauft zu haben anstatt gleich zum vollständigen Zyklus zu greifen.



    ganz hervorragend freilich auch sein "Blaubart"



    oder seine Brahms-Serenaden :yes: :lips:




    eine Quelle

  • Lieber Thomas,


    ich finde auch, daß Kertesz zuwenig präsent ist heutzutage. Freilich: Im Abstand von 35 Jahren wird das Wirken eines Musikers, der lediglich 44 Jahre alt wurde, allein quantitativ von anderen überlagert. Kennengelernt habe ich Kertesz tatsächlich durch die Dortmunder Musikbibliothek in den 1970er Jahren. Als Dvorak-Dirigenten. Die Stadt Köln, die ihn als Operndirigenten verpflichten wollte, sah in ihm den Mozart-Dirigenten. Bei Kertesz müssen wir wohl zwei verschiedene Künstlerpersönlichkeiten miteinander in Einklang bringen: Den Dirigenten, der uns heute durch seine Plattenaufnahmen vermittelt wird (an offiziellen wäre der Dvorak-Zyklus zu nennen zuzüglich der Konzertouvertüren, der Schubert-Zyklus -eine wundervolle GA- und zwei Mozart-Klavierkonzerte zusammen mit Clifford Curzon; soweit jedenfalls der Befund in meiner Sammlung) und den die Live-Persönlichkeit. Inwieweit der Operndirigent in diesen jungen Jahren bereits für die Schallplatte aufzeichnen konnte vermag ich nicht zu sagen. Als DECCA-Vertragskünstler stand er gewiss im Schatten von Solti, und -wie gesagt - er verstarb sehr jung. Die Einspielung des Mozart-Requiems ist von den offiziellen Platten zusätzlich zu den genannten noch greifbar.


    Daß der Schubert-Zyklus ein Schattendasein führt (leider) liegt wohl darin begründet, daß die Deutungshoheit für Schubert zu Kertesz' Zeiten (und auch danach) eindeutig bei Karl Böhm gelegen haben dürfte. Karajan vielleicht noch, aber auch der kann Böhm in meinen Ohren bei Schubert das Wasser nicht reichen.


    Die ernstzunehmenden Konkurrenten bei dem Dvorak-Zyklus waren etwa zeitgleich Witold Rowicki und Rafael Kubelik. Ein schwerer Stand für einen (Platten-)Newcomer.


    Ich selber stelle seine Dvorak-Aufnahmen vor Rowicki und Kubelik, bei Schubert beginne ich schon zu schwanken: das feine, noble Spiel Böhms hat einen bezwingenden Charme (für mich), bei dem das Kertesz bestenfalls gleichziehen kann.


    Kertesz wird wohl auch weiterhin ein Geheimtip bleiben. Auf den Gebieten, die durch offizielle Tonaufnahmen dokumentiert sind, gab es einfach zu viel Konkurrenz.


    Die Qualität seiner Aufnahmen schmälert das nicht.


    Liebe Grüße vom Thomas :hello:

    Früher ist gottseidank lange vorbei. (TP)
    Wenn ihr werden wollt wie eure Väter waren werdet ihr so wie eure Väter niemals waren.

  • Danke für diese Erinnerung an einen zu Unrecht Vergessenen. Tatsächlich finde ich es beachtlich, dass er trotz seiner relativ kurzen Aktivität unter der Dominanz von Böhm, Karajan, Kubelik & Co (nichts gegen de, notabene) in "seinem" Repertoire bis heute nicht nur eine gute Reputation behalten hat, sondern das, mindestens relativ zu Vielproduzierern wie Ormandy oder selbst Fricsay, noch immer eine ganze Reihe von Aufnahmen ganz offiziell auf dem Markt sind.


    Neben der in der Tat grandiosen Serie der Dvorak-Sinfonien sollte man aber nicht vergessen, dass er auch im italienischen Fach durchaus sattelfest zugange war.


    So hat er den m. E. besten DON PASQUALE auf Rundlingen dirigert, nämlich diesen mit Fernando Corena Graziellöa Sciutti



    Auch auf sein Stabat Mater von Rossini möchte ich nicht verzichten trotz oder neben Giulini:



    Mit Pilar Lorengar, Yvonne Minton, Luciano Pavarotti und Hans Sotin hat er m. E. sogar das bessere Gesangsquartett.


    Gar nicht so schlecht für jemanden mit einer so kurzen Karriere, die ihn sonst womöglich zu einem ernsthaften Konkurrenten Georg Soltis hätte werden lassen.


    :hello: Jacques Rideamus

  • Ich erlaube mir mal, einen Thread wieder nach vorne zu holen, der seit seiner Anlage in 2008 in den Tamino Dirigentenportraits bislang ein Schattendasein führte. Mich wundert ein wenig, dass ich im Forum bislang so selten was von Kertész gelesen habe. Und auch dieser Andenken-Thread ist sehr knapp. Ist die Konkurrenz der Karajan-Jünger, Böhm-Verehrer usw. in diesem Forum zu übermächtig? Als musikalischer Laie, aber Klassikliebhaber hätte ich mir gewünscht, man hätte mich schon mal früher auf diesen Dirigenten aufmerksam gemacht. So fällt dieses Verdienst nun der Decca Australian Eloquence Reihe zu.


    Nebenstehende Aufnahme von Bruckners Vierter gehört für mich jedenfalls auch zu den Aufnahmen, die hier in Erinnerung gebracht werden dürfen.


    Gruß enkidu2

    Nach Schlaganfall zurück im Leben.

  • Diese Box mit 4 CDs von Decca Australian Eloquence enthält die Sinfonien Nr. 1 - 4*, die Haydn -Variationen* sowie die Serenaden 1 und 2+.
    * Wiener Philharmoniker, + London Symphony Orchestra


    Berührend im Booklet zu lesen, dass die Aufnahmen der Haydn-Variationen von Istvan Kertész am 1. März 1972 begonnen wurden. Am 16. April 1973 verstarb der Dirigent. Die Wiener Philharmoniker beendeten die Aufnahme ohne den Dirigenten zu seinem Gedenken im Mai 1973.


    Anmerkung: Der Katalog von Decca Australian Eloquence enthält 15 weitere Aufnahmen.
    .

    Vor Schuberts Musik stürzt die Träne aus dem Auge, ohne erst die Seele zu befragen:
    so unbildlich und real fällt sie in uns ein. Wir weinen, ohne zu wissen warum; Theodor W. Adorno - 1928




  • Kertesz kenne ich bereits lange durch seine Schubert- und Dvorak-Zyklen, die ich sehr schätze. Das Stabat mater von Rossini lernte durch die von ihm geleitete Aufnahme kennen - da konnte bis heute kein anderer mithalten (was aber zugegebenermaßen auch mit der bei Kertesz hervorragenden Sängerbesetzung zu tun hat, mit der exquisiten DECCA-Aufnahmetechnik jener Zeit - aber eben auch mit Kerstez' Gestaltung dieser so opernhaften Kirchenmusik).
    Die 'Australian eloquence'-Reihe brachte mich auf den Gedanken, mir auch die Mozart-Aufnahmen zuzulegen. Sehr überzeugt hat mich das Requiem (dem Mozarts Freimaurermusiken beigegeben sind). Bei den Symphonien weiß ich noch nicht so recht, ob ich wirklich Herausragendes höre. Bisher war mein Eindruck, dass es sich um gute Interpretationen handelt - gut eben; nicht mehr, nicht weniger. Ich müsste mich nochmal mehr in diese Aufnahmen vertiefen und noch kein Urteil fällen. Vielleicht sollte ich das wohl vor allem mal gegen 'Mozart-Heroen' jener Zeit im Vergleich hören: zum Beispiel Böhm oder Szell (dessen Mozart mir ausnehmend gut gefällt).


    Die bereits lobend erwähnte Vierte von Bruckner harrt noch der ernsthaften Beschäftigung; ebenso Kertesz' Brahms.


    Hier das Requiem:


    Grüße,
    Garaguly

  • Berührend im Booklet zu lesen, dass die Aufnahmen der Haydn-Variationen von Istvan Kertész am 1. März 1972 begonnen wurden. Am 16. April 1973 verstarb der Dirigent. Die Wiener Philharmoniker beendeten die Aufnahme ohne den Dirigenten zu seinem Gedenken im Mai 1973.

    Ich glaube, die Aufnahmen begannen am 1. März 1973. 1972 dürfte ein Tippfehler im Booklet sein. Alles andere würde von den Recording-Daten her keinen Sinn ergeben.


    Eine Diskographie habe ich im englischen Wikipedia-Artikel gefunden.


    Gruß enkidu2

    Nach Schlaganfall zurück im Leben.

  • Lieber enkidu2


    Die gleichen Gedanken machte ich mir auch. Wenn man richtig zitieren will, dann muss man den Angaben folgen. Mit deinem Zusatz der Wahrscheinlichkeit eines Tipp-Fehlers macht die Datierung einen Sinn.
    .

    Vor Schuberts Musik stürzt die Träne aus dem Auge, ohne erst die Seele zu befragen:
    so unbildlich und real fällt sie in uns ein. Wir weinen, ohne zu wissen warum; Theodor W. Adorno - 1928




  • Lieber moderato,


    mir wurde auch erst beim Lesen Deiner Zeilen bewusst, dass sich in diesem Jahr nicht nur Klemperers Todestag zum vierzigsten Male jährt, sondern eben auch der von Kertész. Aber über eine Kertész Gedenkedition habe ich nichts lesen können. Also müssen wir sie uns wohl selber zusammenstellen.


    Gruß enkidu2

    Nach Schlaganfall zurück im Leben.

  • Lieber moderato,


    mir wurde auch erst beim Lesen Deiner Zeilen bewusst, dass sich in diesem Jahr nicht nur Klemperers Todestag zum vierzigsten Male jährt, sondern eben auch der von Kertész. Aber über eine Kertész Gedenkedition habe ich nichts lesen können. Also müssen wir sie uns wohl selber zusammenstellen.


    Gruß enkidu2


    Naja, die "Australian Eloquence" könnte man doch quasi als Kertesz-Edition betrachten. Da ist ja einiges enthalten. Mehr wäre in einer Box wohl auch nicht drin. So gibt's sogar auch eine Schostakowitsch-Aufnahme.


    Grüße,
    Garaguly

  • Tamino Beethoven_Moedling Banner
  • Zitat

    Garaguly: Bei den Symphonien weiß ich noch nicht so recht, ob ich wirklich
    Herausragendes höre. Bisher war mein Eindruck, dass es sich um gute
    Interpretationen handelt - gut eben; nicht mehr, nicht weniger

    hallo Garaguly,


    Mit den MOZART-Sinfonien in Bezug auf ISTVÁN KERTÉSZ hast Du sicher recht. Ich glaube, daß ihm HAYDN besser gelegen ist. Was ihm aber mit dem LONDON SYMPHONY ORCHESTRA ganz hervorragend gelang, war seine Einspielung der MOZART-Klavierkonzerte KV 488 und 491 zusammen mit dem genialen MOZART-Interpreten CLIFFORD CURZON, eine Aufnahme, bei der einfach alles stimmt, und die zu der von mir am häufigsten gehörten MOZART-Konzerten zählt!!



    Gruß


    wok


  • heute vor 40 Jahren ist er in Israel bei einem Badeunfall ertrunken:


    István Kertész (* 28. August 1929 in Budapest; † 16. April 1973 in Kfar Saba, Israel) war ein ungarischer Dirigent, hauptsächlich in den Gattungen Oper und Konzert. Er studierte Musik an der Franz-Liszt-Musikakademie in Budapest, wo er unter anderem von Zoltán Kodály unterrichtet wurde. 1956 verließ er Ungarn und fand in Augsburg eine Stelle als Musikdirektor. Später ging er nach Köln, wo er auch begraben liegt.


    Das war meine erste Opernplatte von ihm:


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    ..eine Schallplatten-Ersteinspielung von Mozarts "La Clemenza di Tito".


    LG


    :hello:

    Harald


    Freundschaft schließt man nicht, einen Freund erkennt man.
    (Vinícius de Moraes)

  • Neuzugang in meiner Biografien-Sammlung, gleichzeitig höre ich mich durch den Brahms-Zyklus durch, ebenfalls neu.


  • Heute gedenken wir wieder des frühen Todes von Istvan Kertèsz am 16. April 1973. Ich habe dazu meine Lieblingskassette ausgesucht:



    Heute ist sein 42. Todestag.


    Liebe Grüße


    Willi :)

    1. "Das Notwendigste, das Härteste und die Hauptsache in der Musik ist das Tempo". (Wolfgang Amadeus Mozart).
    2. "Es gibt nur ein Tempo, und das ist das richtige". (Wilhelm Furtwängler).

  • Der nächste nach Karl Böhm und Berislav Klobucar ist heute Istvan Kertesz. Zum seinem Geburtstag habe ich aus meiner Sammlung die Schubert-Sinfonien ausgesucht:



    István Kertész wäre heute 86 Jahre alt geworden.


    Liebe Grüße


    Willi :)


    teleton hat mich in diesem Thread auf die Aufnahmen aufmerksam gemacht: Franz Schubert - Gesamtaufnahmen der Sinfonien

    1. "Das Notwendigste, das Härteste und die Hauptsache in der Musik ist das Tempo". (Wolfgang Amadeus Mozart).
    2. "Es gibt nur ein Tempo, und das ist das richtige". (Wilhelm Furtwängler).

  • Ich bin auf die nachfolgende Box durch einen Beitrag eines geschätzten Klassikkenners aufmerksam geworden. Bisher konnte ich mich blind auf sein Urteilsvermögen verlassen und habe dadurch viele schöne sowie außergewöhnlich gut aufgenommene oder interpretierte Klassikaufnahmen kennengelernt. Darüber hinaus gefiel mir bereits die Normalausgabe des Dvořák-Zyklus mit Kertész und den "Londonern" ungemein gut. Wegen der guten "Bewertung" habe ich noch einmal zugeschlagen und werde bei Zeiten berichten.


    His Master´s Voice

  • Die in Beitrag Nr. 4 vorgestellte CD habe ich noch als DECCA-LP (Monoaufnahme, elektronisch auf Stereoeffekt getrimmt).


    Wer die Musik sich erkiest, hat ein himmlisch Gut bekommen (gewonnen)... Eduard Mörike/Hugo Distler

  • Die in Beitrag Nr. 4 vorgestellte CD habe ich noch als DECCA-LP (Monoaufnahme, elektronisch auf Stereoeffekt getrimmt).


    Seltsam. Besagte Bruckner 4 ist originär eine Stereo-Einspielung. An eine künstliche Nach-Stereophonisieurng kann ich daher nicht glauben. Magst Du noch einmal nachsehen?

  • Da die Einspielung von 1966 ist, ist sie eine genuine Stereoaufnahme, die als SXL 6227 erschien. Sie wurde auf Ace of Diamonds als SDD 464 wiederveröffentlicht, ebenfalls in Stereo. Tatsächlich gibt es aber eine Monoversion als LXT 6227 Istvan Kertesz Bruckner Symphony 4 Romantic 1966 NM/EX Decca Mono LP, die so auch bei ebay angeboten wird. Aber ich denke, das ist reines Mono ohne Stereophoniserungseffekt. Decca hat bis Anfang 1969 seine SXL-Reihe parallel auch noch mit gleicher Nummer als LXT in Mono veröffentlicht. Diese Infos entstammen den Handbüchern von Phil Rees.

  • Ja und insofern ist eine Nach-Stereophonisierung der Mono-Ausgabe eine eher sinnfreies Unterfangen.

    Zitat

    Aber ich denke, das ist reines Mono ohne Stereophoniserungseffekt.


    Die LXT-Ausgabe waren immer astreines Mono.


    Viele Grüße
    Frank

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