Erich Kunz wurde am 20.5.1909 in Wien geboren, also ein echter Wiener, und ab 1940 Mitglied der Wiener Staatsoper.
Als Mitglied des legendären Mozartensembles sang er über Jahrzehnte hinweg u.a. den Papageno im Mozarts "Zauberflöte", den Leporello in "Don Giovanni" und die Titelpartie in "Le nozze di Figaro".
Gastspiele führten ihn an nahezu alle bedeutenden Opernhäuser der Welt. Legendär war auch sein Beckmesser in den "Meisteringern von Nürnberg". In kleineren Partien - etwa als Mesner in der "Tosca"- stand er noch bis in die späteren 1980er Jahre auf der Bühne der Wiener Staatsoper.
Auch als Interpret von gehobenen Wiener Liedern erlangte der humorvolle Sänger höchste Beliebtheit.
Doch auch jetzt kommt wieder ein Geständis:
Meine Mutter und ich waren mit der Familie Kunz befreundet und mein, leider, mit 27 Jahren verstorbener Bruder der Schauspieler war, war mit Nicoline Kunz der Tochter auf der Schauspielschule (die leider am 31.12.1997 völlig unerwartet an einem Herzschlag erlag).
So ergab sich, wie von selbstverständlich eine engere Verbindungen zu Erich Kunz selbst. Erich Kunz dem Menschen.
Als ich 1952/53 zum Opernfan wurde, hatte eine Vorstellung daran maßgeblichen Anteil: nach "Nabucco" und "Freischütz" war es Mozarts "Zauberflöte", die ich als 10jähriger Gynasiumsschüler auf dem Stehplatz unserer heißgeliebten Oper erleben durfte.
Die Besetzung entsprach dem Wiener Stil: Irmgard Seefried (Pamina), Anton Dermota (Tamino), Paul Schöffler (Sprecher) - ja und Papageno war, wie konnte es anders sein, Erich Kunz.
Er war für meine und für mindestens zwei weitere Generationen die Inkarnation dieser Rolle, deren Ursprung zweifellos in der Wiener Hanswurst-Komödie liegt und vom Textdichter Emmanuel Schikaneder als wienerisches Ursymbol für Wein, Weib und Gesang in die Oper eingeführt wurde. Und eben dieser Erich Kunz war es, der dieser Rolle mit seiner ganzen liebenswürdigen Pfiffigkeit im Gepräge unserer Heimatstadt jenes Maß am Unsterblichkeit verlieh, das bis zum heutigen Tag Richtmaß geblieben ist, und an dem, meiner bescheidenen Meinung nach, alle Nachfolger bis dato gescheitert sind. Ich gestehe offen, dass ich mir heutzutage freiwillig privat keine "Zauberflöte" mehr ansehen kann - abgesehen davon, dass es heute keinen Mozartstil und keine Mozartstimmen gibt - weil vor allem diese zentrale Wiener Aussage in diesem Stück fehlt.
Dieser Papageno, der uns Wienern quasi einen Spiegel vors Gesicht hält, kann wohl niemals mehr so spezifisch gegenwärtig auf die Opernbühne gebracht werden....
1987, darf ich, mit meiner Mutter, im Kreise seiner Familie einen Samstagnachmittag in seiner Grinzinger Wohnung mit ihm verbringen.
Es klang wie eine Sängerlegende, wenn man bedachte, das Erich Kunz damals noch aktives MItglied unseres Opernhauses war, und mit Partien wie Mesner ("Tosca"), Zirkusdirektor ("Verkaufte Braut") und Benois ("La Bohéme") das, oder besser gesagt sein Publikum noch immer in den Bann schlägt. Und so kann ich an diesem Nachmittag quasi gemeinsam in Doppelconference dies, nicht nur wegen seiner Länge einmaligen Sängerkarierre Revue passieren lassen.
Seit 1941 ununterbrochen im Ensemble der Wiener Staatsoper (zumindest bis 1986 - weswegen er auch schon mit einem internationalen Treueorden in Stockholm ausgezeichnet wurde) in mehr als 4.000 Vorstellungen, daneben eine internationale Karriere von Tokio bis Buenos Aires, von New York bis Mailand.
Er, der ursprünglich Kaufmann werden sollte und über die deutsche Provinz den Weg nach Wien fand, ist vor allem durch seine Mozartpartien und seinem Beckmesser in den "Meistersingern von Nürnberg" in die Musikgeschichte eingegangen.
Der Beckmesser, seine Debütrolle in Wien und später sein Durchbruch in Bayreuth und an der Met, wies schon zu Beginn auf sein außerordentliches schauspielerisches Talent hin. Dieser Stadtschreiber war bei Kunz nicht nur eine Klamaukfigur, eine satirische Parodie Wagners auf seinen ewigen Kritiker Hanslick, sondern vielmehr auch ein einsamer, komplexgeladener, aber auch zutiefst unglücklich Liebender - also vielleicht die einzige Figur mit tragischer Komik aus der Feder Richard Wagners.
Doch nun zu den Mozartpartien: vom Papageno war ja bereits die Rede - doch zur Übertitelung dieser Rollen möchte ich einen Ausspruch Hermann Preys zitieren: "Mozartpartien, wie Papageno, Figaro, Leporello und Guglielmo vor allem in Wien zu singen, das heißt wohl für alle, einen Kunzkomplex zu überwinden!" So etwa sein Figaro - eine treuherzige liebenswerte Mischung von Kammerdiener, gepaart mit Vertrautheit, Schlauheit und eben jener Spur Intrigantentum, die ihm zum wahren Drahtzieher des Geschehens macht. Keine Spur vom großen Donnergrollen der Französischen Revolution und keine Spur von ordinärer Friviolität - sondern eben ein Rokokomensch durch und durch, das war letztendlich Wolfgang Amadeus Mozart, und das war unser Erich Kunz.
Unvergesslich auch die großen Aufführungsserien in Salzburg und Wien von "Cosi fan tutte", wo vor allem das Herrentrio Dermota, Kunz, Schöffler für zwei Jahrzehnte das Herz dieser Vorstellung bildete. Diese Mischung des schönstimmigen Dermota mit dem schalkhaften Kunz und dem weisen philosophierenden Schöffler - das war wienerischer Mozart in Reinkultur!
Oder etwa sein Leporello: der schon quasi ein Westentaschenformat seines Herrn darstellt und dessen Registerarie eine wahres Feuerwerk von Liebesabenteuern vor der entsetzten Donna Elvira aufrollt - ich glaube kein Sterblicher kann da das Minenspiel von Kunz zusammen mit einer Schwarzkopf oder Güden vergessen?
Aber auch kleineren Partien hat Erich Kunz seinen Stempel aufgedrückt: so etwa sein neureicher, frisch geadelter Herr von Faninal, der Gott sei Dank im Film (DVD) auch der Nachwelt erhalten geblieben ist, sein zappelnder Physikus Spalanzani in "Hoffmanns Erzählungen", sein umwerfend komischer Bandit in Aubers "Fra Diavolo", seine heitere Commedia-dell'arte Figur des Harlekin in "Ariadne auf Naxos", sein pfiffiger Schmuggler in der "Carmen" und sein vergreister Kardinal von Lothringen in "Palestrina".
Nicht zu vergessen: zwei Buffopartien, mit denen er auch im italienischen Fach reüssieren konnte: sein komödiantisch erbschleicherischer Gianni Schicchi sowie sein Dr. Bartolo im "Barbier von Sevilla".
Doch die Zeit im Theater an der Wien brachte es mit sich, dass die Staatsopernsänger auch im Domizil der Volksoper Operette zu singen hatten. Und so wurden speziell Werke der goldenen Ära im wahrsten Sinn des Wortes "verkunzt": vom ewig zaudernden Menelaos in der "Schönen Helena" über Zsùpan ("Zigeunerbaron"), Caramello ("Eine Nacht in Venedig"), der Figaro - Leporello - Kopie des Josef ("Wiener Blut") bis zum wienerisch charmanten Leutnant Montschi im "Walzertraum" - all das waren Operettenaufführungen, von deren Qualität man heutzutage nur mehr träumen kann. Gottlob sind aber diese Produktionen des Dirigenten Ackermann auf LP / CD erhalten gelieben. Und ich kann nur raten sie sich diese möglichst vollständig ihrer Sammlung einzuverleiben, und ich bin sicher, ihr werdet ebenso wie ich an den alten Schlager denken müssen: "Das gab's nur einmal!"
Wem es nicht gegönnt war, Erich Kunz auf der Bühne zu erleben, für den möchte ich eine seiner bekanntesten von den unzähligen Anekdoten nacherzählen:
In der Ära Karajan gastierte die Wiener Staatsoper mit dem "Rosenkavalier" an der Mailänder Scala. Alles war bereit, da fehlte plötzlich der Notar, der im 1. Akt mit dem Ochs um den Ehevertrag zu feilschen hatte. Kunz der den Faninal sang, wurde von Karajansekretär Mattoni gebeten, doch gegen eine Extragage auch diese Partie mitzuübernehmen. Da erinnerte sich unser Spaßmacher an eine Freund, einen gewissen Dr. Bruno Fichtinger (ich glaube es war der Zahnarzt der Familie?), der schwärmerisch davon träumte auch einmal auf einem Opernzettel als Akteur zu stehen zu dürfen. Und so wurde vereinbart, dass Erich Kunz den Notar unter dem Namen Bruno Fichtinger singen sollte. Den so gedruckten Programmzettel nahm man als Souvenir dem Freund mit.
Ein gelungener Gag, doch die Anekdote ist noch nicht zu Ende: im nächsten Jahr gastierte man wieder mit "Rosenkavalier" und auf die Bitte von Kunz, doch wiederum auch den Notar mitzuübernehmen zu dürfen, kam die prompte Telegrammantwort aus Mailand: "Kunz als Notar nicht akzeptabel - wollen lieber Bruno Fichtinger!"
Derlei Geschichten und noch so manche direkt von der Bühne würden wahrscheinlich ein ganzes Buch füllen.
Was aber Erich Kunz für uns alle, die mit unserer Oper zutiefst verwurzelt sind, bedeutet, wurde anlässlich seiner letzten Geburtstagsmatinee klar: dort sang Kunz nach seinem unverwüstlichen Schweinebaron Zsùpan, wohl das Symbol seines Urwienertums schlechthin: "Das Fiakerlied".
44 Wiener Opernsaisonen, 14 überlebte Direktoren und war bis 1989 noch immer in den eingangs erwähnten Partien tätig, das war und bleibt Erich Kunz, der wie kein zweiter an diesem Vormittag die große Liebe und Bewunderung seines Publikums entgegennehmen durfte.
Ich bekenne mich offen, nicht nur aus Freundschaftsgründen zur Familie, auch zu diesen zu gehören, die sich alljährlich auf die Silvestervorstellungen mit ihm als Gefängnisdirektor Frank in der "Fledermaus" zu freuen und jede weitere kleine Partie zu genießen.
An diese hier kann ich mich besonders gut erinnern: als er im Jahr 1966 in der Shakespearevertonung von Benjamin Brittens den Zettel im "Sommernachtstraum" spielte, posaunte er den pathetisch idealistischen Satz heraus: "Lasst mich den Löwen spielen" - ohne Zweifel, das hätte unser geliebtes Opernfaktotum auch gekonnt...
So ging mein Nachmittag mit Erich Kunz im herüberdämmernden Laterndlzauber der Grinzinger Heurigen zu Ende (1987).
Sein letzter Herzenswunsch (1989), der für die Staatsoper eine spezielle Angelegenheit sein sollte, ging in Erfüllung: auch an seinem 80. Geburtstag noch in seinem geliebten Haus auf dem Programmzettel zu stehen - als Mesner in der "Tosca".....
Erich Kunz starb am 8.9.1995 in Wien, und liegt in einem Ehrengrab der Stadt Wien auf dem Wiener Zentralfriedhof, 2. Tor Gruppe 40, Nummer 174.