Nordamerikanische Barockmusik

  • Guten Tag,


    im 17. und 18. Jahrhundert wurde Nordamerika von Auswanderer größtenteils aus England, Frankreich, Holland, Schweden und Deutschland besiedelt. Welche Musik mögen diese Menschen wohl gespielt und gehört haben ?
    Könnte mir vorstellen, dass in den Bürger- und Kaufmannshäuser in Quebec, Bosten, New York bzw. Neu-Amsterdam und Philadelphia -um nur paar Städte zu nennen- bestimmt wie in der "alten Welt" zu dieser Zeit gerne und viel musiziert wurde.
    Spielten sie Musik aus ihrer alten Heimat ?
    Oder gab es dort, wie etwa zur gleichen Zeit in Lateinamerika, eine eigenständige Musikerkultur samt eigenen Komponisten ?
    Hat sich davon überhaupt etwas erhalten ?


    Gruß :hello:


    aus der Kurpfalz


    Bernhard

  • das ist wirklich eine spannende frage - die "lateinamerikanischen" sachen die im 16. und 17. jhd. von den eingewanderten europäern dort geschrieben wurden kenne ich auch ein bisschen von einer cd aus der bibliothek...aber aus dem norden ??? waren die ersten siedler alle (hoch)kulturbanausen :D ???

    "Der moderne Komponist darf seine Werke einzig und allein auf der Grundlage der Wahrheit schreiben."
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    "Der Komponist komponiert erstens für sich selbst und zweitens für das Publikum; aber für ein ideales Publikum und nicht für das...welches real existiert"
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    "Tradition ist die Weitergabe des Feuers und nicht die Anbetung der Asche."
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  • Guten Tag


    Zitat

    Original von Prometeo
    ...aber aus dem norden ??? waren die ersten siedler alle (hoch)kulturbanausen :D ???


    ....viele waren aber Puritaner und Quäker, und deren Einstellung zur Musik ist mir aber nicht bekannt.
    Könnte mir aber vorstellen, dass Musikalien und Notendrucke aus den bekannten europäischen Verlegerorten wie Amsterdam und London durchaus den Weg nach Nordamerika fanden.


    Gruß :hello:


    aus der Kurpfalz


    Bernhard

  • Zitat

    Original von Prometeo
    das ist wirklich eine spannende frage - die "lateinamerikanischen" sachen die im 16. und 17. jhd. von den eingewanderten europäern dort geschrieben wurden kenne ich auch ein bisschen von einer cd aus der bibliothek...aber aus dem norden ??? waren die ersten siedler alle (hoch)kulturbanausen :D ???


    Nein, Kulturbanausen waren die wohl ebenso wenig - oder so sehr - wie die spanischen Eroberer, aber man darf nicht vergessen, wer die frühen Einwanderer der Kolonialzeit (also bis 1776) waren: arme Religionsflüchtlinge, die durch eine große religiöse Inbrunst und als Puritaner durch eine grundlegende Abneigung gegen die Künste allgemein gekennzeichnet waren.


    Wenn man mal die indianische Musik und die der Sklaven außer Acht lässt, die hier wohl auch nicht erfragt ist, kann man also davon ausgehen, dass die in der Neuen Welt zunächst gespielte Musik durchweg religiösen Charakter hatte und bei gelegentlichen Festen mit Volks- und Tanzmusiken ergänzt wurden, die samt und sonders aus Europa mitgebracht worden waren.


    Natürlich gab es sehr viele Musiker, die in der europäischen Tradition komponierten und wohl auch - meist eher regional - aufgeführt wurden. Erst Ende des 17. Jahrhunderts kamen auch die ersten halbwegs namhaften Künstler. Der früheste heute noch bekannte war wohl Charles Theodore Pachelbel (1690-1750), ein Sohn des für seinen KANON heute noch populären Johann Pachelbel, der in die Kolonien auswanderte und sich in Charleston in South Carolina niederließ, wo er eine gewisse Berühmtheit erlangte und buchstäblich Schule machte. Von ihm überlebten nur wenige Stücke, darunter eine Arie namens God of sleep, for whom I languish und ein MAGNIFICAT für Doppelchor, das auch heute noch gelegentlich aufgeführt wird.


    Eine Liste der meisten heute namentlich bekannten, frühen amerikanischen Komponisten findet Ihr hier: http://www.voxnovus.com/resour…can_Composer_Timeline.htm


    Von dort aus könnt Ihr Näheres über die jeweiligen Komponisten recherchieren, was allerdings englische Sprachkenntnisse voraussetzt.


    Die frühesten mir und wohl auch allgemein bekannten amerikanischen Komponisten sind
    Stephen Collins Foster (1826-1864), von dem viele Lieder zu amerikanischen Volksliedern wurden, und Louis Moreau Gottschalk (1829-1869), zu dem es hier schon einen Thread gibt. Beide gehören aber schon ins 19. Jahrhundert. Gottschalk hatte vergeblich versucht an einer der Pariser Akademie zu studieren. Deshalb wurde er wesentlich von der Musik der Pariser Salons beeinflusst, und danach klangen seine sehr gefälligen Kompositionen (fast durchweg Klaviermusik) auch. Dennoch ist er sehr interessant, wenn auch sicher nicht mehr als Barockmusiker zu bezeichnen.


    :hello: Jacques Rideamus

  • Zitat

    Original von Jacques Rideamus
    [quote]Original von Prometeo
    Der früheste mir und wohl auch allgemein bekannte amerikanische Komponist, Louis Moreau Gottschalk (1829-1869), gehört schon ins 19. Jahrhundert und hatte vergeblich versucht an der Pariser Akademie zu studieren. Deshalb wurde er wesentlich von der Musik der Pariser Salons beeinflusst, und danach klangen seine sehr gefälligen Kompositionen (fast durchweg Klaviermusik) auch. Dennoch ist er sehr interessant.


    Zu Gottschalk gibt es im Klavierforum auch schon einen eigenen Thread:


    Louis Moreau Gottschalk


    Herzliche Grüße,:hello: :hello:


    Christian

    Beherrsche die Sache, die Worte werden folgen! (Cato der Ältere)

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  • Es gab z.B. die Missionare der Herrnhuter Brüdergemeinde, die sich seit 1735 aus Deutschland kommend in Nordamerika ansiedelten (und dort Moravian Indians oder einfach Moravians genannt wurden). In einer dieser Siedlungen, Bethlehem (Pennsylvania), bauten die Missionare wohl eine beachtliche Musikkultur auf, von der sich George Washington bei einem Besuch in Bethlehem 1782 noch persönlich überzeugen konnte.


    Davon kann man sich auch ein akustisches Bild machen, weil das Ensemble Boston Baroque eine CD mit der Musik der frühen Moravians eingespielt hat:





    Viele Grüße


    Bernd

  • Weiteres Herumgurken mit entsprechenden Suchbegriffen hat als Ergebnis eine CD erbracht, auf der Olivier Baumont nordamerikanische Cembalomusik des 18. Jahrhunderts spielt. Dabei sind u.a. Werke von William Selby, John Christopher Moller und Benjamin Carr. Einige Informationen über die überwiegend in Europa geborenen und ausgebildeten Komponisten kann man sich u.a. bei den Links holen, die bei der von Rideamus verlinkten American Composer Timeline angegeben sind. Danach dürfte ein größerer Teil der eingespielten Werke relativ spät im 18. Jahrhundert entstanden sein.






    Viele Grüße


    Bernd

  • Baumonts CD habe ich - noch die Erato-Originalausgabe. Die Komponisten auf ihr:


    William Selby (ca.1738-1798 )
    Mr. Newman (aktiv 1807-1810)
    Alexander Reinagle (1756-1809)
    John Christopher Moller (1755-1803)
    Victor Plessier (ca.1745-ca.1820)
    James Hewitt (1770-1827)
    William Brown (aktiv 1783-1788 )
    Benjamin Carr (1768-1831)


    Wie man an den Lebens- bzw. Schaffenszeiten sieht, eher Zeitgenossen der Wiener Klassiker. Die Musik klingt am ehesten wie frühe Wiener Klassiker und die damals in England beliebten Komponisten - Arne, Boyce etc.


    Eigenständige "amerikanische" Musik begann, parallel zur Literatur, erst in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts - die bürgerliche Elite an der Ostküste war sehr an der europäischen Kultur orientiert. Auch Gottschalk ist noch ziemlich an europäischer Klaviermusik orientiert, er hat ja in Europa gelernt, obwohl er dann - aber aus seinen Kindheitserinnerungen heraus - folkloristische Themen verarbeitete. Insgesamt würde ich ihn eher an die Seite europäischer Klaviervirtuosen stellen - Kalkbrenner, Mocheles, Dreyschock .... Ich sehe ihn parallel zu Edgar Poe, der dem damaligen Publikum zu modern war, Kollegen wie Mark Twain aber zu europäisch.


    Baumonts CD steht ziemlich konkurrenzlos da. Gut ist sie auch, er spielt ein schönes Goermans-Cembalo von 1774.


    Da gibt es das eine oder andere amerikanische Label, bei dem es sowas noch geben könnte, aber wahrscheinlioch eben spätere Sachen - ich muß mal suchen.

  • Im 17. und auch im 18. Jahrhundert scheint auch Playfords Sammlung "The English dancing Master" sehr polulär gewesen zu sein.



    Eine Interessante Aufnahme mit Musik aus New Orleans gibt es auch.


    Und zwar handelt es sich um geistliche Musik für ein Konvent in New Orleans, bemerkenswert ist, dass die Stücke aber alle aus Frankreich importiert wurden - allerdings ohne, dass es sich hierbei um geistliche Musik handelt.



    Manuscrit des Ursulines de la Nouvelle Orleans
    Le Concert Lorrain



    Die Musikstücke stammen von Lully, Desmarest, Marais, Campra und Monteclair.
    Und wie bereits erwähnt handelt es sich hierbei keinesfalls um geistliche Musik, sondern um recht populäre Melodien aus Bühnenwerken oder sonstigen Musikveröffentlichungen.
    Diese Musiken wurden mit neuen (französischen - nicht leiteinischen ) Texten versehen.


    So finden sich z.B. aus Atys ein Chor von Lully wieder, der zu einem solchen Gesang umgearbeitet worden ist, oder die verzweifelte Arie der Merope aus Lullys Persee, sowie eine Szene aus Campras "L'Europe Galante" usw.



    Es ist schon beeindruckend welche Verbreitung die französischen Komponisten mit ihren Werken erfahren haben - alle Kompositionen stammen aus den Musikarchiven von New Orleans.



    Die Aufnahme ist zudem noch sehr gelungen.



    Leider scheint diese Serie "Les Chemins du Baroque" aber schon gestrichen zu sein :( - schade , da hätte es bestimmt noch einiges zu entdecken gegeben.

  • Gut, für Barock lieg ich mit diesem Komponisten eigentlich schon ein bisschen daneben, aber im achtzehnten Jahrhundert dauerte es vielleicht noch ein bisschen länger, bis die neuesten Trends über den großen Teich wanderten. Aber selbst, wenn dem nicht so gewesen war, dann ist der folgende Komponist dennoch so eigentümlich, dass man ihn sicher keiner Stilrichtung so recht zurechnen kann und er sich auch in diesen Thread einfügen läßt.
    (falls es doch einen besser passenden Thread geben sollte, bitte ich darum, meinen Beitrag zu verschieben)



    Durch diese Weihnachts-CD, die ich vor Jahren in New York erstanden habe, bin ich zum ersten Mal auf das "Shepherds Carol" oder auch gelegentlich auch "Shilo" genannte Chorstück des Bostoner William Billings (1746-1800) gestossen, dass in den angloamerikanischen Ländern wohl zu dem erweiterten Kanon der Weihnachtshits zu zählen ist und das ich mittlerweile auch sehr ins Herz geschlossen habe...



    vor allem wenn es so schwungvoll dargeboten wird wie auf der folgenden des Taverner Consorts (auf der sich auch noch ein weiteres Stück von Billings befindet)



    oder auf dieser der von Paul Hillier geleiteten Pro Arte Singers.



    In dem von Clifford Bartlett verfassten Booklet-Text zu der Taverner-Einspielung findet sich zu Billings folgender Absazt, die mich sehr reizt, mich gelegentlich weiter mit Billings Kompositionen zu befassen, und den ich hier mal kurz zitieren möchte:


    "Ein seltsamer Mann, durchschnittlich groß, mit ungleich langen Beinen, nur einem Auge, schlechten Manieren und einer ungewöhnlich ungepflegten Erscheinung": Der Bostoner William Billings war Gerber, Chorleiter und der vermutlich erste amerikanische Komponist mit wirklich eigener Stimme, Seiner Musik wurde lange Zeit zwar Interesse entgegengebracht, doch zugleich galt sie als "primitiv". In neuerer Zeit hat man weniger Probleme mit der Tatsache, dass Billlings die akademischen Regeln des Stimmensatzes verschmähte; seine Sprache ist vielmehr wegen ihrer melodischen Kraft willkommen. ..."


    Paul Hillier schwärmt in seinem Booklet ebenfalls von seiner Entdeckung Billings und hat auch eine ganze CD mit Werken von ihm eingespielt, die es für einen Spottpreis bei Harmonia mundi (USA?) zu kaufen gibt:



    Vielleicht kennt ja jemand diese CD und kann etwas dazu sagen?


    Viele Grüße, Kerstin

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