TMOO - Romeo et Juliette (Gounod)

  • cd EMI 1968



    Chor und Orchester der Opéra de Paris; Alain Lombard - 4 (insgesamt nicht schlecht, in den flotteren Passagen sogar sehr gut, aber mir fehlt die Poesie des Stückes, obwohl er fast der einzige des Ensembles ist, bei dem wirklich französische Oper stattfindet)


    Roméo: Franco Corelli - 3,5 (er trifft die Töne, aber nicht den Ton. Immerhin ist der Stimmprotz gezügelt und entspricht dem Charakter, aber die zunehmende Larmoyanz stört, und das noch mehr als seine Italianità)


    Juliette: Mirella Freni - 4,5 (sie singt herrlich und überzeugend, macht aber aus Gounod einen Vorläufer von Puccini)


    Frere Laurent: Xavier Depraz - 3,5 (ein ziemlich heller Bass, weshalb den Ensembles ein Fundamernt - und ihm manchmal die benötigte Tiefe - fehlt. Keine schlechte Leistung, aber eine Fehlbesetzung)


    Stephano: Eliane Lublin - 4,5 (ein überzeugender "Junge" mit sehr passendem Organ und der nötigen Beweglichkeit. Von ihr würde man gerne mehr hören)


    Sonstige: 4 (kompetent ohne herausragende Einzelleistungen oder nennenswerte Ausfälle. Besonders gefällt mir der Capulet von Claude Cales)


    Wertung: 24/6 = 4


    TQ: 4


    Vorbemerkung: diese Oper steht und fällt mit ihren beiden Protagonisten und dem Dirigat, weshalb ich als herausragende Einzelpartien nur noch den Frère Laurent und Stephano aufgeführt habe. Die Summe der Sonstigen, zu denen auch der Chor gehört, ist aber nicht ganz unwichtig, weshalb Einzelleistungen hier ruhig gebührend hervorgehoben werden können, aber in einer Gesamtnote aufgehen sollen.


    Wen es nicht stört, die Oper Gounods, dem Verdi ja kein Unbekannter war, als ein italienisch klingendes Werk in französischer Sprache zu hören, der kann bei Freni und Corelli jeweils noch einen halben Punkt hinzu fügen. Mich stört's, denn es macht aus einer zwar unebenen, aber über weite Strecken auch sehr inspirierten französischen Oper eine süßliche Verdi-Kopie. Da es Lombard nicht gelingt, den Zauber der poetischen Orchesterpassagen wirkungsvoll zu beschwören, bleiben ein paar melodisch schöne Passagen, die von Spitzenstimmen gesungen werden, aber insgesamt kein überzeugendes Drama ergeben. Da die Aufnahme auch nicht ganz vollständig ist, ist sie am ehesten für Fans der Hauptdarsteller zu empfehlen, weniger aber solchen der Oper selbst.


    :hello: Jacques Rideamus


    Links: Salzburg, Festspiele, "Roméo et Juliette", 3.8.2008


  • Bitte die Wertung verdoppeln


    Als ausgewiesener Franco Corelli-Fan möchte ich bemerken, daß, obwohl ich seinen Gesang auch hier sehr liebe, ich der Meinung bin, er war als Romeo nicht ideal besetzt und das gerade bezüglich des Charakters. Er ist mir irgendwie zu glutvoll, ich stelle mir Romeo wesentlich verträumter vor.


    LG


    Kristin

  • VHS Cinetheque 1985


    leider ohne Bild, da Amazon das verkehrte Cover zeigt.


    Chor und Orchester der Opéra de Paris; Alain Lombard - 4 (eigentlich kein großer Unterschied zu der EMI-Aufnahme. Die Vor- und Nachteile der Liveaufnahme gleichen sich aus)


    Roméo: Neil Shicoff - 5 (Mitte 30 war er bestens bei Stimme und schon erfreulich idiomatisch. Einer der besten Roméos der letzten Jahrzehnte, wenn man sein Timbre mag, das mir etwas zu scharf ist. Zu Beginn ist er noch etwas unstet, aber spätestens ab dem "Ah leve-toi" ganz hevorragend und in den Duetten eine ganz hervorragende Ergänzung seiner ebenbürtigen Partnerin)


    Juliette: Barbara Hendricks - 5 + (mit ihrer jugendlichen Stimme und auch optisch fast eine Idealbesetzung, zumal sie schon damals erfreulich idiomatisch sang und auch, soweit im Rahmen des statischen Inszenierungskonzepts möglich, hinreißend spielt)


    Frere Laurent: Frangiskas Voutsinos - 4,5 (ein schön dunkler, stimmgewaltiger Bass, der leider seinen Text rein phonetisch zu deklamieren scheint, was aber in dieser Rolle weit weniger stört als es in anderen der Fall wäre)


    Stephano: Marie McLaughlin - 5 (noch ein ganz vorzüglicher Stephano. Ihre Arie muss sie zwar stehend im Scheinwerferkegel absingen, was sie trotzdem mit vorzüglich lebendiger Mimik absolviert, aber sogar fechtend steht sie brillant ihren "Mann", und die Ensembles des vierten Bildes meistert sie vorzüglich)


    Sonstige: 4 (überzeugend die Leistung Gino Quilicos als Mercutio, der neben Barbara Hendricks und Marie McLaughlin auch die beste darstellerische Leistung von allen liefert, aber auch der Capulet von Yves Bisson ist mehr als ordentlich. Dafür ist der Tybalt von Robert Dume ein Schwachpunkt)


    Wertung: 27,5/6 = 4,58


    Inszenierung (Georges Lavaudant): 3 - (stockfinster und -konservativ. So statisch, dass es fast einer konzertanten Aufführung in Kostümen gleichkommt, sogar in den Kampfszenen des vierten Bildes, aber der Musik bekommt es. Ohne den Bonus des Alters und die gelungenen Bühnenbilder des zweiten Teils wäre die Note noch schlechter)


    TQ: 4 (Ton) 2 (Bild). (Für die dunkle Inszenierung, die wohl die damalige Technik überforderte, kann der Bildregisseur Yves-André Hubert nichts, für die statische Kameraführung aber um so mehr)


    Leider kann man nur hoffen, dass diese lange vergriffene Videokassette irgendwann wieder auf DVD herauskommt, denn musikalisch ist sie als wahres Stimmfest mit solidem bis gutem Dirigat sehr weit oben anzusiedeln und kann - jedenfalls in den Gesangsleistungen - mit den besten Platteneinspielungen mithalten. Da die Inszenierung ohnehin wenig bietet und bei den Genannten mehr als rudimentäre darstellerische Leistungen verlangt und zeigt, drängt sich der Vergleich auf. Nach dem ersten Ansehen (und jetzt noch einmal zum Überprüfen) habe ich die Aufnahme immer nur gehört, das aber gerne, soweit das Werk es erlaubt. Wer diese Oper um ihrer Melodien und gesanglichen Herausforderungen willen mag und Gelegenheit hat, diese alte Aufzeichnung zu erhaschen, sollte die Gelegenheit unbedingt nutzen.


    :hello: Jacques Rideamus

  • cd EMI 1983



    Chor und Orchester des Capitole de Toulose; Michel Plasson - 5 (hier sind nicht nur die heftigen Passagen packend, sondern Plasson versteht es auch besser als jeder andere, die Posie des Geschehens zu Ausdruck zu bringen, wo sie gefragt ist. Zeigte er seiner zweiten Aufnahme mit Gheorghiu und Alagna nicht, dass er es noch besser kann, wäre schon das eine 5)


    Roméo: Alfredo Kraus - 4 (der extreme Weichzeichner des Coverbildes verrät das Problem. Kraus singt enorm kultiviert und sehr schön, aber schon etwas steif für einen jungen Mann und ist von daher kein idealer Partner der vorzüglich gestaltenden Malfitano. Dennoch ist er allein von der Qualität der Tonproduktion her bewundernswert. Leider scheint er des Öfteren zum Mikrophon hin und wieder weg zu wandern und wirkt auch sonst etwas wie ein - sehr guter - Fremdkörper)


    Juliette: Catherine Malfitano - 5 (trotz der extrem starken Konkurrenz kann diese erfreulich jugendliche und dennoch stimmlich ausgereifte Juliette auch mit ihrer nuancierten Charakterisierung begeistern)


    Frere Laurent: José van Dam - 5 (ein tadellos sonorer Pater, den man sich kaum besser wünschen kann)


    Stephano: Ann Murray - 5 (gibt es überhaupt einen schlechten Stephano in den kommerziell verfügbaren Aufnahmen? Hier finde ich wirklich immer die Sängerin am besten, die ich gerade höre, und die blendend singende Ann Murray macht da wahrlich keine Ausnahme. Wer partout "Fehler" sucht, könnte allenfalls anmerken, dass sie nicht burschikos genug ist)


    Sonstige: 4,5 (herausragend wieder Gino Quilico als Mercutio. Überwiegend sehr gut ist auch noch Gabriel Bacquier als Capulet. Neben dem gleichwertigen in Plassons anderer Aufnahme das beste "Wurzenensemble" auf Platte. Der Chor ist gut ohne zu bestechen)


    Wertung: 28/6 = 4,67


    TQ: kann ich auf der Basis meiner etwas angeschlagenen (kommerziellen) Kassetteneinspielung nur bedingt beurteilen, aber eine 4 dürfte es schon sein


    Bis zum Erscheinen von Plassons nächster und im Ganzen in etwa gleichwertigen bis leicht besseren Aufnahme war diese das Maß der Dinge in Sachen ROMÉO ET JULIETTE, zumal sie vollständiger ist als andere und zum Beispiel die für den Handlungablauf wichtige Szene zu Beginn des fünften Aktes enthält, in der man erfährt, dass Stephano nicht in der Lage war, Roméo von dem heimlichen Plan zu informieren, der das Missverständnis des tragischen Schlusses erst möglich macht. Vor allem dank Plasson, den es immerhin sogar etwas besser gibt, sowie Malfitano und Murray, die man in ihren Rollen nur hier erleben kann, sollte ein Liebhaber des Werkes diese Aufnahme unbedingt kennen.


    :hello: Jacques Rideamus


  • Dem schließe ich mich vollinhaltlich an - Bitte verdoppeln!


    Liebe Grüße Peter aus Wien. :hello:

  • cd EMI 1998


    bzw.


    Chor und Orchester des Capitole de Toulose; Michel Plasson - 5 (hier ist Plasson noch sorgfältiger und, wo nötig, lyrischer, als in der vorigen Aufnahme. Dabei hilft ihm auch die vorzügliche Tonqualität)


    Roméo: Roberto Alagna - 4,5 (die Aufnahme hat ihn noch in einem passablen Punkt seiner Karriere erwischt. Zwar hat er schon leichte Schwierigkeiten in den extremen Höhen des "Ah, leve-toi" und ähnlichen Passagen, aber ansonsten ist seine Gesangsleistung tadellos. Seine Gestaltung wünsche ich mir aber ungeachtet der vorzüglichen Aussprache und schöner Piano-Passagen lebhafter und trotzdem mit weniger Drückern)


    Juliette: Angela Gheorghiu - 4,5 (sie singt technisch perfekt und klingt auch gerade noch jung genug, aber sie lässt mich im Gegensatz zu Hendricks und Malfitano nie ganz die kalkulierende Primadonna vergessen)


    Frere Laurent: José van Dam - 5 (in der früheren Aufnahme war er noch sonorer, aber auch über diesen Klosterbruder kann man sich nicht beklagen, zumal er an differenziertem Audruck gwonnen hat)


    Stephano: Marie-Ange Todorovich - 4,5 (der tiefste Mezzo und weiblichste Stephano des Vergleichs. Auch sie ist beileibe nicht schlecht, aber allein vom Stimmcharakter ist mir die Konkurrenz lieber)


    Sonstige: 4,5 (der Chor ist deutlich besser als bei Plassons voriger Aufnahme. Unter den übrigen ragt Simon Kennleysides quicklebendiger Mercutio heraus, der eine dicke 5 verdient)


    Wertung: 28/6 = 4,67


    TQ: 5 (ich bespreche hier die links abgebildete, teurere Box und bewerte auch das vorzügliche Beiheft)


    Wer hören will, was man orchestral aus dieser Partitur holen kann, kommt an dieser Aufnahme nicht vorbei. Da sie auch eine vorzügliche Tonqualität aufweist und mit Abstand die vollständigste ist (zwar erschien das Ballett mit seinen gefällig-harmlosen Tanzrhythmen schon Gounod entbehrlich, aber schaden tut es auch nicht), dürfte sie bei der Gesamtleistung des Ensembles die derzeit zu bevorzugende sein. Individuell sind mir die Roméos Jussi Björlings und des feurig frühen Viillazon lieber (einen jungen Alfredo Kraus könnte ich mir sogar als ideal vorstellen), und bei der Juliette gilt meine Präferenz ganz klar Hendricks oder Malfitano, aber die kriegt man leider nicht zusammen. So bleibt unter den Tonaufnahmen (die brutal auf die Hälfte zusammengekürzte DVD mit Gheorghiu und Alagna weigere ich mich zur Kenntnis zu nehmen) diese knapp die erste Wahl, aber wer schon Plassons Version mit Malfitano hat, braucht sie nicht.


    :hello: Jacques Rideamus

  • CD EMI CLASSICS 1998




    Choeurs et Orchestre du Capitole de Toulouse; Michel Plasson - 5
    Roméo: Roberto Alagna - 3,5
    Juliette: Angela Gheorghiu - 4
    Frere Laurent: José van Dam - 5
    Stephano: Marie-Ange Todorovitch - 4
    Sonstige: 4,5 (toller Chor, Mercutio: Simon Keenlyside - 5; Capulet: Alain Fondary - 4,5)


    Wertung: 26/6 = 4,33


    TQ: 5


    Wunderschönes "französisches" Dirigat mit wunderbarem Chor. Alagna's Romeo durchwachsen, sein Timbre ist nicht unbedingt mein Geschmack, teilweise klingt er farblos, manchmal aber auch schönes Piano wie bei Va! Reponse en paix!. Gheorghiu singt sehr gut und auch schön, aber ihr Timbre ist schon eher fraulich als mädchenhaft. Sehr schöner Bass für den Frere Laurent von van Dam, Todorovitch ein guter aber nicht herausragender Stephano. Gerade die Nebenrollen sind außergewöhnlich gut besetzt. Keenlyside singt den schönsten Mercutio in wunderbarem Französisch. Man lausche nur dem Lied der Königin Mab. Alain Fondary singt den Capulet ebenfalls sehr klangschön.
    Die Aufnahme beinhaltet auch die gesamte Balletmusik. Eine schön gesungene und herrlich instrumentierte Einspielung.

  • cd Opus Arte 1994



    Chor und Orchester des ROH Covent Garden; Charles Mackerras - 5 (Mackerras interessiert sich mehr für das Drama als für die Poesie des Stückes, die aber durchaus auch zu ihrem Recht kommt. Dieses vorzügliche Dirigat eines efahrenen Theaterpraktikers, das man kennen sollte, macht aus der Oper ein Drama im besten Sinne)


    Roméo: Roberto Alagna - 5 (hier ist Alagna noch in Höchstform und fast frei von den Drückern, die seine spätere Aufnahme zuweilen beeinträchtigen. Wer ihn nur aus dieser Zeit kennt, kann seinen nicht sehr viel späteren Verfall nur als schmerzlich empfinden, denn sein - hier noch - vorzüglich idiomatischer Vortrag fehlt dem französischen Repertoire heute sehr. Auch wenn er wohl nie einen Oscar als bester Darsteller verdiente, hier überzeugt er mehr denn anderswo)


    Juliette: Leontine Vaduva - 5 (nach ihrer sehr guten, aber nicht überragenden Antonia im Nagamos HOFFMANN - cd hat mich ihre Darstellung überwältigt. Warum nur hat diese Rumänin es nicht so weit gebracht wie Gheorghiu, der ich sie in dieser Rolle definitiv vorziehe? Und warum ist sie so schnell wieder von der Bildfläche verschwunden? In dieser Aufnahme kommt sie für mich Hendricks und Malfitano gleich, und von den dreien ist sie womöglich sogar die gefühlvollste, die es sich im letzten Akt zu Recht leistet, um des starken Ausdrucks willen auch mal nicht nur schön zu singen, was sie sonst sehr gut tut. Ich muss nun unbedingt auch ihre Micaela und Traviata kennenlernen)


    Frere Laurent: Robert Lloyd - 5 (ein profunder, hervorragend singender Priester, dem man auch die Autorität und die Schlauheit zutraut, was nur wenige Vertreter dieser Rolle ähnlich auf den Punkt zu bringen wissen)


    Stephano: Anna Maria Panzarella - 5 + (ich war schon sicher, alle sehr guten Stephanos gehört und gesehen zu haben, aber sie schafft es mit hinreißender Beweglichkeit von Stimme und Körper, noch einen Tick überzeugender zu sein als ihre Konkurrenz, zumal der visuelle Eindruck ihr hier auch noch dabei zu Hilfe kommt, einen überzeugenden Jungen zu geben. Superb!)


    Sonstige: 5 (Eigentlich gibt es hier keinen nennenswerten Ausfall, aber wieder ist es der Mercutio, diesmal von Francois LeRoux, der besonderes Lob verdient. Aber auch die übrigen qualifizieren sich für eine optimale Besetzung, deswegen seien noch genannt: Duc - David Wildon-Johnson, Gertrude - Sarah Walker, Tybalt - Paul Charles Clarke, Capulet - Peter Sidhom)


    Wertung: 30/6 = 5


    TQ: 4 (ich habe die brasilianische DVD, die sehr gut klingt. Nur das Bild ist etwas flau. Die originale DVD ist aber womöglich besser)


    Regie: Nicolas Joel - 4,5 (konservativ im besten Sinne mit viel Sinn für das Detail der Personenführung und sogar etwas Humor. Zwar bleibt es bei der Illustration des Dramas, die aber gelingt sehr gut, sieht man von ein paar überraschenden Fehlern ab, etwa wenn Mercutio ohne Einmischung Romeos erstochen wird)


    Für mich war diese Aufnahme das überraschende Ereignis dieses Vergleichs, und das so sehr, dass ich sie ein zweites Mal überprüfen musste, nachdem ich einige überraschend negative Stimmen bei Amazon gelesen hatte. Ich hatte sie lange nicht mehr angesehen und als sehr gut in Erinnerung, aber warum diese mustergültige Aufnahme nicht einen viel besseren Ruf hat, ist mir unbegreiflich. Eher verstünde ich, wenn er legendär wäre, denn diese Realisierung von Gounods Oper ist rundum die eindrucksvollste, und das sage ich bewusst, nachdem ich alle mir zugänglichen Aufnahmen angehört und, soweit auf DVD verfügbar, angesehen habe. Zugegeben, sehr gelegentlich verrutscht den Protagonisten mal ein Ton, aber das darf man dem Live-Charakter der Aufführung nachsehen, zumal sich niemand vor den exponierten Tönen drückt. Mag es Einzelleistungen geben, die in Teilen noch mehr hervorstechen (Björling, Hendricks, Malfitano, Murray, van Dam, Plasson), aber als Gesamteindruck ist diese Aufführung mustergültig und übrigens auch als idiomatisch überzeugend. Wer nur eine Aufnahme der Oper haben möchte, sollte zu dieser greifen.


    :hello: Jacques Rideamus

  • Falls irgendwer diese Aufnahme kennt und sie bewerten würde, wäre ich sehr dankbar:


    Preiser, 1953



    Orchestra of Théâtre National de l'Opéra, Paris; Alberto Erede
    Roméo: Raoul Jobin
    Juliette: Janine Micheau


    Sie scheint mir eine noch "Französische" zu sein, wenn ich die Besetzung so ansehe, aber die Hörschnipsel sind nicht sehr aussagekräftig (der Stéphano schien mir beim ersten Hören ein bisschen wenig burschikos, aber mittlerweile gefällt mir das jugendliche Feuer, das die Sängerin (Claudine Collart?) in die Arie legt, sehr gut - aber dann ist der Schnipsel auch schon wieder aus und so ähnlich geht es mir auch mit Janine Micheaus Juliette - zu kurz um begeistert zu werden). Ich spiele nämlich mit dem Gedanken, sie zu erwerben, und geeignete Beratung würde mir die Entscheidung erleichtern.


    (Ich bitte schon im Voraus um Entschuldigung, dass ich den TMOO-Thread für Kaufberatung missbrauche.)


    Liebe Grüße,
    Martin

  • Zitat

    Original von Philhellene


    Ich bitte schon im Voraus um Entschuldigung, dass ich den TMOO-Thread für Kaufberatung missbrauche.


    Liebe Grüße,
    Martin


    Kein Problem. Man kann's ja später wieder löschen. Ich kenne diese Aufnahme leider nicht und habe seinerzeit davon Abstand genommen, sie zu erwerben, weil damals Karl Löbl oder Robert Werba in ihrem Handlexikon "Opern auf Schallplatten" dazu schrieben:


    "Die Micheau und Jobin, also das französische Standard-Paar der 50er Jahre, sind zwar stilistisch unanfechtbar, aber in ihrer Wirkung zu - bieder für dieses klassische Liebespaar. Auch Erede hält die Musik von allen heftigen Emotionen fern. Gounod hat jedoch solche komponiert."


    Damals (1983) empfahlen sie die aktuellste mit Freni und Corelli. Was ich - und zwar ganz klar - empfehle, steht ein bisschen weiter oben. Auf DVD Mackerras und auf cd Plasson.


    :hello: Jacques Rideamus

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  • Ich kann mich da eigentlich nur der Wertung von Löbl und Werba anschließen. Die Aufnahme hat mich eher enttäuscht. Zum Zeitpunkt der Aufnahme (1953) war zwar der französische Stil noch hörbar lebendig, der Funke der Begeisterung springt aber nicht über.


    Ich habe übrigens die rechts abgebildete Decca-Ausgabe, vor der ich insofern warnen möchte, als dort die Ballettmusik aus dem vierten Akt nicht mit enthalten ist, obwohl sie damals von Erede eingespielt wurde. Da wollte man bei Decca offensichtlich eine CD sparen. Zur Aufnahme selbst:


    Raoul Jobin – sein zweiter Vorname war übrigens eigentlich Roméo – ist meines Erachtens einer der Schwachpunkte dieser Aufnahme. Manchmal klingt er unangenehm schneidend, hohe Töne stößt er offen heraus, meistens so laut und grell, dass das in der Gesangslinie wie ein Fremdkörper wirkt. Darunter leidet auch seine Arie "Ah! Lève-toi, soleil". Auch in der letzten Szene ist er für meinen Geschmack zu laut und undifferenziert, transportiert dadurch kaum Emotionen. Der französische Stil scheint bei ihm nur gelegentlich hervor, wenn er beweist, dass er durchaus zu schönen feineren Tönen in der Lage ist, so z.B. im Duett mit Juliette im 4. Akt.


    Janine Micheau schneidet etwas besser ab. Micheau ist eine Sängerin, für die man etwas Sympathie mitbringen sollte. Bei ihrer zwirnsfadendünnen Höhe lassen sich, wenn man denn will, leicht Kritikpunkte vorbringen. Leider singt sie nicht immer ganz sauber. Sie gewinnt aber sehr in den lyrischen Passagen, insbesondere im zweiten Akt. Da gibt es von ihr wunderschön ausgeformte Phrasen. Ich muss dennoch zugeben, dass ich in dieser Rolle etwas vollere Stimmen lieber höre. Das ist aber wohl Geschmackssache.


    Heinz Rehfuss hat eine noble, angenehm tönende Stimme und viel Stilgefühl, kämpft aber mit der Tiefe. Claudine Collart bringt ihren kurzen Auftritt sehr gut über die Bühne, auch wenn tatsächlich ein ganz kleines Bisschen Frechheit fehlt. Andere kleine Rollen (Capulet, Mercutio z.B.) sind ansprechend, aber auch nicht überragend besetzt. Gut gefällt mir der Tybalt von Louis Rialland.


    Immerhin wäre das eine idiomatische Aufnahme, wenn sich nicht aus mir nicht bekannten Gründen Alberto Erede nach Paris verirrt hätte. Deccas Dirigent vom Dienst war in der französichen Oper offensichtlich nicht zu Hause. Der erste und dritte Akt geraten stellenweise ziemlich knallig mit dominantem Schlagwerk und viel italienischem Brio, anderorts wird über sentimentalere Stellen hinweggebügelt.




    Für die Statistik:


    Choeur et Orchestre du Théatre Nationale de l’Opera, Paris; Alberto Erede – 3
    Roméo: Raoul Jobin – 3
    Juliette: Janine Micheau – 3,5
    Frère Laurent: Heinz Rehfuss - 4
    Stephano: Claudine Collart – 4,5
    Sonstige: 3,5


    Summa summarum: 21,5/6 = 3,58

  • cd EMI 1998



    Chor und Orchester des Capitole de Toulose - Michel Plasson - 5 (schöner, transparenter Orchesterklang, sehr lyrisch, wo es hingehört, aber auch sehr dramatisch, was ich sonst meist bei Plasson vermisse)


    Roméo: Roberto Alagna - 3,5 (hier noch wenig stimmliche Schwierigkeiten in den Höhen, aber häufiger etwas gepresst und vor allem zu wenig lebendig)


    Juliette: Angela Gheorghiu - 4(technisch perfekt und sehr schön gesungen, aber auch viel zu wenig lebendig. Kein Vergleich zu Hendricks!)


    Frere Laurent: José van Dam - 5 (mit differenziertem und ausgesprochen rollenangemessenen Audruck toll gesungen)


    Stephano: Marie-Ange Todorovich - 4,5 (über den tiefen weiblichen Stimmcharakter bei diesser Rolle war ich zunächst auch etwas verwundert, singt aber sehr gut und mit der Lebendigkeit, die ich bei Ghergiou/Alagna etwas vermisse)


    Sonstige: 3,5(der Chor ist gut, aber nicht herausragend, Nebenrollen eher mäßig bis auf Simon Keenleysides Mercutio, dem ich auch eine 5 geben würde)


    Wertung: 25,5/6 = 4,25


    TQ: 5 (ich bespreche die hier abgebildete Box


    :hello: Matthias


  • Ich hab mir diese Aufnahme nun doch zugelegt, und während ich insgesamt mit Zaubertons Ausführungen weitgehend konform gehe, bewerte ich doch - vielleicht aus einer Art generellen Sympathie für französischen Stil - etwas milder.


    Die Ausnahme, wo ich mit Zaubertons Einschätzung nicht einverstanden bin, ist Janine Micheau. Ich finde ihre Juliette nämlich großartig. Ihre Stimme ist schon eher zart, hat aber auf dieser Aufnahme doch einen gewissen Körper (der ihr z. B. in der Carmen unter Beecham fehlt) und ihre Höhe ist, wenn schon Faden, doch feiner Goldfaden, mit dem man kostbare Kleider bestickt. Zu dem Mädchen Juliette passt das alles wunderbar, sie hat aber auch noch dramatische Reserven für den letzten Akt. Ihr perfektes Französisch, ihr gutes Stilgefühl, ihre subtilen Nuancierungen tun ein übriges. Begeistert bin ich auch vom Drive in "Je veux vivre".


    Die französischen Tenöre der damaligen Zeit neigten öfter zu einem etwas nasalen, eigentümlichen Stimmklang. Raoul Jobin hat dieses spezifische Timbre in großem Ausmaß, was selbst auf mich oft befremdlich wirkt. (etwa "Ange adorable" - klingt nicht wirklich gut) Außerdem passt es kaum zu einem jugendlichen feurigen Verliebten, als den man sich Roméo doch meistens vorstellt.
    Daneben gibt es aber auch Passagen, die er wirklich gut hinkriegt, und, ein großer Pluspunkt: er harmoniert wunderbar mit Janine Micheau, z. B. im Duett im 4. Akt.


    Heinz Rehfuss als Frère Laurent fehlt im 3. Akt die Tiefe, so dass ich mich über eine derartige Besetzung wundere. Ansonsten ist er stimmlich solide und stilistisch in Ordnung, aber unaufregend.
    Alberto Eredes Dirigat ist definitiv nicht ideal für eine französische Oper. Manchmal scheint sich das Orchester der Pariser Opéra gottseidank darüber hinwegzusetzen und manche Stellen geraten dann doch elegant-leichtfüßig.


    Claudine Collart hat eine relativ dunkle Stimme für den Stéphano, legt allerdings auch die Arie nicht neckisch bis provokant an, sondern eher als wehmütiges Lamento. Die lyrischen Stellen klingen wunderbar traurig, und der Mittelteil der zweiten Strophe sogar regelrecht hasserfüllt, und ich bedauere, dass sie diesen Hass nicht das ganze Stück durchgehalten hat. Eine Interpretationsrichtung, die ich bisher noch nicht gehört habe, die der Arie aber auch gut steht.


    Vom Rest gefällt mir besonders Pierre Mollets Mercutio (wäre 5), und auch Louis Riallands Tybalt und Charles Cambons Capulet sind recht gut besetzt.



    Choeur et Orchestre du Théatre Nationale de l’Opera, Paris; Alberto Erede – 3
    Roméo: Raoul Jobin – 3+
    Juliette: Janine Micheau – 5
    Frère Laurent: Heinz Rehfuss – 3
    Stephano: Claudine Collart – 4,5
    Sonstige: 4


    Gesamt: 22,5/6 = 3,75


    Fazit: Eine interessante Zweitaufnahme, die doch zum größeren Teil den alten französischen Stil überliefert und mit Janine Micheau auch eine Juliette bietet, die gegen ihre Nachfolgerinnen bestehen kann. Ich halte sie jedoch weder für eine Referenzaufnahme des Werkes, noch für eine Referenzaufnahme des französischen Stils.

  • Da ich mich gerade mit den verschiedenen musikalischen Adaptionen des Romeo-und-Julia-Stoffes beschäftige, stieß ich zwangsläufig auch auf die Grand opéra von Charles Gounod.

    Zu den Aufnahmen ist ja bereits einiges gesagt worden. Mich würde insbesondere Folgendes interessieren:


    Es gibt neben der bekannten EMI-Gesamteinspielung unter Alain Lombard von 1968 auch einen wenige Jahre zuvor unter seinem Dirigat entstandenen Querschnitt von 1964. Gemeint sind diese Aufnahmen:


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    Die tendenziellen Schwachpunkte der Gesamtaufnahme wurden mit den beiden Titelrollen (Corelli und Freni) ja bereits benannt. Nun scheint der Querschnitt die idiomatischeren Sänger aufzubieten (besonders Gedda).

    Auf CD findet man den Querschnitt in der leider vergriffenen, aber hochinteressanten Box 10 Opéras Français, wo für meine Begriffe lauter Highlights in Form von Querschnitten versammelt sind:


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    Barcode: 724357308922

    »Und besser ist's: verdienen und nicht haben,

    Als zu besitzen unverdiente Gaben.«

    – Luís de Camões

  • Mich würde insbesondere Folgendes interessieren:


    Es gibt neben der bekannten EMI-Gesamteinspielung unter Alain Lombard von 1968 auch einen wenige Jahre zuvor unter seinem Dirigat entstandenen Querschnitt von 1964. Gemeint sind diese Aufnahmen:

    Lieber Joseph!

    Ich habe keine Ahnung, was Du wissen willst. Darum schreiben ich einfach was ich weiß!

    Die Carteri/Gedda/Dens-Aufnahme war keine Gesamtaufnahme sondern nur ein Querschnitt.


    Ursprünglich sah sie so aus117604768.jpg

    Klanglich ist dieser Querschnitt nicht optimal. Die Solisten sind allerdings so gut, dass man dadurch für den trüben Klang des Orchesters entschädigt wird. Sie sind in bester stimmlicher Verfassung. Gedda und Dens sind phantastisch! Auch die Carteri versteht sich erstaunlicherweise auf die ars gallica, eine Qualitätsstimme - wie die beiden anderen Solisten - hat sie allerdings nicht. Trotzdem gelingen die Duette der Liebenden stilistisch besser und entschieden poetischer als in der Freni/Corelli-Aufnahme.


    Beste Grüße

    Caruso41

    ;) - ;) - ;)


    Wer Rechtschreibfehler findet, darf sie behalten!

  • Ich habe keine Ahnung, was Du wissen willst. Darum schreiben ich einfach was ich weiß!

    Lieber Caruso,


    es ging mir um einen Vergleich der beiden Aufnahmen unter Alain Lombard. Ich hätte dies wohl noch etwas genauer formulieren sollen.

    Dem bist Du nun allerdings ohnehin nachgekommen und hast, wie üblich, überaus fachkundig das Entscheidende geschrieben, wofür ich danke.


    Es ist interessant, dass man einen seinerzeit kaum 24-jährigen Dirigenten mit dem Querschnitt betraute, wo er sich offenkundig bewährte, durfte er vier Jahre später dann ja auch die Gesamtaufnahme leiten.


    Man hätte sich in der Gesamteinspielung vielleicht andere Solisten gewünscht. Andererseits, meine ich, kann etwas Italianità á la Corelli bei einem in Verona angesiedelten Topos der Weltliteratur auch nicht völlig schaden.


    Alan Blyth schrieb im "Gramophone" im Zusammenhang mit der damals neu erschienenen Aufnahme unter Slatkin: "[...] the Lombard [recording] sounds unidiomatic beside the new one though Freni’s and Corelli’s juicy, Italianate voices aren’t wholly out of place in a Verona setting."


    Beste Grüße

    »Und besser ist's: verdienen und nicht haben,

    Als zu besitzen unverdiente Gaben.«

    – Luís de Camões

  • Man hätte sich in der Gesamteinspielung vielleicht andere Solisten gewünscht.

    In den sechziger Jahren wäre es durchaus schwer gefallen, passende Sänger zu finden, die mit der französischen Sprache und dem französischen Gesangsstil wirklich vertraut waren. Besser eine Gesamtaufnahme mit Freni und Corelli als gar keine. An dem Gesang der beiden kann man sich ja durchaus erfreuen. Allerdings klingt es eher nach Mascagni oder Zandonai.


    Corelli habe ich sogar live als Romeo gehört: 1967 mit der wunderbaren griechischen Sopranistin Jeanette Pilou als Juliette. Sie war gerade im französischen Fach ganz vorzüglich und Corellis Machismo-Singen passt nicht recht dazu. Es spricht sehr für Corelli, dass er dass wohl bemerkte und im Laufe des Abends differenzierter und sensibler sang.


    Beste Grüße

    Caruso41

    ;) - ;) - ;)


    Wer Rechtschreibfehler findet, darf sie behalten!