Debussy: Pelleas et Melisande - ein Werk aus der Traumwelt

  • Pelleas et Melisande, unbestritten eines der Meisterwerke des 20. Jahrhunderts, ist einzigartig. Keine andere Oper spielt derart in einer eigenen Sphäre, in einer Zwischen-, einer Traumwelt, erreicht mit der gewollten Beschränkung der Mittel so viel.


    Mehrere Gesichtspunkte machen die Besonderheit aus:


    1) Abgrenzung zu Wagner und „alter“ Singtechnik.


    Debussy negiert die machtvolle, große, Leitmotiv-plakative Orchester- und dramatische Singsprache Wagners. Das Orchester klingt im Vergleich deutlich zurückgenommen. Die Sänger singen keine ausufernden, dramatischen Arien, sondern befinden sich nahezu durchgehend im Rezitativ. Die „alte“ Gesangskunst erschien Debussy für sein Werk nicht mehr geeignet. Seiner Auffassung nach werde in der Oper zuviel gesungen (!). Hinzuarbeiten sei auf ein engstmögliches Nachzeichnen der französischen Sprechsprache, auf einen natürlichen Sprachfluss. In der Mitteilung von 1902 mit dem Titel: „Warum ich Pelleas geschrieben habe“, erklärt Debussy: „Ich habe auch versucht, einem Gesetz der Schönheit nachzukommen, das seltsamerweise in Vergessenheit gerät, wenn es sich um dramatische Musik handelt: Die Personen dieses Dramas sind bemüht, wie natürliche Menschen zu singen und nicht in einer beliebigen Sprache, die aus überholten Traditionen stammt. Das ist die Ursache für den Vorwurf, den man mir wegen meiner angeblichen Bevorzugung einer monotonen Stimmführung, in der niemals so etwas wie eine Melodie erscheint, gemacht hat. Das ist erstens falsch und darüber hinaus können sich die Gefühle eines Menschen nicht ständig auf melodische Art ausdrücken.“


    So wird es verständlich, dass manche Opernfreunde, die sich vorrangig für die Gesangskunst als solche, den Belcanto im engeren Sinne begeistern, Pelleas et Melisande als unbefriedigend empfinden. Für mich gilt das nicht. Mich nimmt die einzigartige Atmosphäre des Pelleas immer aufs Neue gefangen.


    2) Abgrenzung zum Naturalismus / Hinwendung zum Symbolismus


    Der Symbolismus entstand als Gegenbewegung zum Naturalismus. Während die Naturalisten Übersinnliches als nicht wirklich verneint hatten, vertraten die Symbolisten die Gegenauffassung, nach der es auf der Welt mehr gibt, als das sinnlich Erfahrbare. Dieses hinter den Dingen Liegende, das Unbestimmte ist ihrer Auffassung nach wesentlicher Teil der Wirklichkeit. Es kann nur annäherungsweise erfahren, erraten werden. Das Mittel hierzu ist die Kunst, wobei der Kunstadressat unbedingt frei sein muss, nicht eingeengt werden darf. Die Kunst muss sich also lösen von den hergebrachten Regeln. Weg also von der Logik, der Bestimmtheit, der Stringenz der Handlung, weg vom formalen Aufbau, hin zur Andeutung, zur Unbestimmtheit, zur Symbolik.


    Debussy gelingt es, diese Denkweise kompositorisch umzusetzen. Er lässt die hergebrachten Regeln der Kompositionstechnik außer Acht, setzt Akkorde nebeneinander, die funktionsharmonisch nicht nebeneinander stehen dürfen, hält sich nicht an die Regeln der Melodieführung und versetzt den Hörer so in Orientierungslosigkeit. Das Ende einer musikalischen Phrase beispielsweise lässt sich nicht mehr sicher bestimmen.


    Debussys Musik wirkt vor allem durch unterschiedliche, aufs Feinste nuancierte Farbigkeit; Parallelharmonik, Ganztonreihen, Kirchentonarten, fernöstliche Klänge werden immer wieder als neue Mittel Debussys genannt. Selbst Leitmotive verwendet der Komponist, er tut dies aber anders als Wagner derart subtil, dass der Hörer diese Motive kaum wahrnimmt, nur erahnt.


    Erstaunlicherweise, darin liegt meines Erachtens seine große Kunst, erreicht Debussy trotz des Verzichts auf die genannten musikalischen Orientierungsmarken eine deutliche Vertiefung des Bühnengeschehens. Die Musik bereichert das Verständnis des Geschehens immens. Sie eröffnet dem Hörer eine neue Bedeutungsebene des Textes, die allerdings ganz im Sinne der Symbolisten mehr erahnt, als gedanklich klar erfasst wird.


    Die Symbolhaftigkeit des Bühnengeschehens ist derart offensichtlich, dass ich hier darauf verzichte, sie zu beschreiben. Nur ganz kurz der Hinweis: Äußerlich geschieht kaum etwas. Das hauptsächliche Geschehen bleibt außerhalb des Sichtfeldes, so wie der Hörer nie erfährt, ob das Schiff, das in den Sturm fährt, untergeht. Das eigentliche Geschehen findet im Inneren der Figuren statt – insoweit dem Tristan sehr ähnlich. Dieses Geschehen wird allerdings nicht psychologisierend im Gespräch, gar im dramatischen Konflikt beleuchtet, sondern bleibt unausgesprochen, wird nur symbolisch dargestellt. Und die Musik tut das ihre, um das Geheimnis der Seelen unterschwellig zu erkunden.


    Zwei Threads gibt es bereits zu Aufführungen dieses Werks: Debussy: Pelléas et Mélisande, Berlin, SO udL, 13. April 2008 (Ruth Berghaus, Sir Simon Rattle)... Debussys Pelleas et Melisande in Darmstadt, 14.10.2007. In einem anderen wird Melisande sehr schön charakterisiert: Die Geheimnisse der Mélisande

    Aufnahmen gibt es viele, 33 verzeichnet Ommer bis 2005. Regelmäßig wird bei der Empfehlung von Aufnahmen auf die französische Vergangenheit verwiesen, auf die damalige französische Gesangskunst. Ich kann da nicht mitreden, ich besitze nur die Aufnahme Boulez´ mit Söderström aus dem Jahre 1969/70. Die aber finde ich sehr gut. Für Empfehlungen anderer Aufnahmen - und natürlich auch für sonstige Stellungnahmen - dankbar wäre ich trotzdem.


    Viele Grüße
    Thomas

  • Lieber Thomas,


    danke für die Eröfnnung dieses so überfälligen threads - ich kann es auch gar nicht glauben, daß es von Empfehlungen abgesehen, keinen thread zum Werk als solches gibt. Den Charakter des Werks hast Du auf glänzende Weise beschrieben.


    Die Subtilität, das Schemenhafte - nur Angedeutete - und eine selten erreichte Einheitlichkeit von Wort und Ton beeindrucken mich sehr.
    Debussy orientiert sich dabei deutlich an den alten, französischen Meistern wie Lully und Rameau.


    Was Einspielungen anbelangt, kenne ich die unter Ansermet und Abbado als CD bzw. Welser-Möst als DVD.


    Eine Beschreibung der Aufnahmen poste ich gerne nach erneutem Hören.


    :hello:
    Wulf

  • Lieber Thomas, lieber Wulf,


    zur Ansermet-Einspielung nenne ich schon einmal die Sänger (bevor ich mir die Aufnahme auch noch einmal anhöre; eine Re-Lektüre der Novelle von Maurice Maeterlinck wäre auch noch vonnöten).


    Pelleas ..........Camille Maurane
    Mélisande.......Erna Sporenberg
    Golaud .........George London
    Arkel.............Guus Hoekman
    Geneviève......Josephine Veasey
    Yinold............Rosine Brédy
    Ein Arzt.........John Sgirley-Quirk
    Ein Hirte........Gregore Kubrack


    Dazu das Orchestre de la Suisse Romande unter der Leitung von Ernest Ansermet.


    Liebe Grüße vom Thomas :hello:

    Früher ist gottseidank lange vorbei. (TP)
    Wenn ihr werden wollt wie eure Väter waren werdet ihr so wie eure Väter niemals waren.

  • Und ich steuere schon mal das Cover der Ansermet-Aufnahme bei:



    Auf der CD ist ausser der Musik noch ein CD-Rom-Track mit Libretto, Künstlerfotos u.a. enthalten.


    LG


    :hello:


    PS: Ansermet hat die Oper schon einmal - 1952 - aufgenommen, mit Susanne Danco und Heinz Rehfuss, auch mit dem Orchester der Suisse Romande.

    Harald


    Freundschaft schließt man nicht, einen Freund erkennt man.
    (Vinícius de Moraes)

  • Zitat

    Original von ThomasNorderstedt
    So wird es verständlich, dass manche Opernfreunde, die sich vorrangig für die Gesangskunst als solche, den Belcanto im engeren Sinne begeistern, Pelleas et Melisande als unbefriedigend empfinden. Für mich gilt das nicht. Mich nimmt die einzigartige Atmosphäre des Pelleas immer aufs Neue gefangen.


    Ja, mich auch - ich könnte immer wieder regelrecht süchtig werden nach dieser Musik. Die Abbado-Aufnahme, mit der ich das Werk Anfang der 90er kennenlernte, habe ich damals bestimmt 50mal, wenn nicht öfter, durchgehört. Und ich bin es nie satt geworden.


    Der zweite überwältigende Eindruck war die Produktion der Oper 1994 an der Frankfurter Oper, in der grandiosen Regie von Christoph Marthaler im Bühnenbild von Anna Viebrock, dirigiert von Sylvain Cambreling, mit Victor Braun, Urban Malmberg und Catherine Dubosc. Habe ich bestimmt auch zehnmal gesehen, eines meiner größten Musiktheatererlebnisse. Leider nie aufgezeichnet und für immer vorbei. Wenn man bedenkt, was für öde Inszenierungen auf dem DVD-Markt angeboten werden: Peter Steins Märchenkitsch in Cardiff (dirigiert von Pierre Boulez), Sven-Eric Bechtolfs Zürcher Mainstream-Deko mit den Laubsägearbeiten von Welser-Möst... :no:


    Debussys Werk zählt kurz vor Salome von Strauss zu den ersten "Literaturopern", in denen eine dramatische Vorlage weitgehend unverändert und ohne zum "Libretto" zurechtgestutzt zu werden, vertont wird (eine Pelléas-Novelle gibt es m.W. nicht). Ich finde bei Maeterlinck besonders faszinierend, wie das Ganze auf der einen Seite tatsächlich als selbstreferentielles symbolistisches Spiel mit Zeichen zu lesen ist, man das Stück andererseits aber auch als typisches Eifersuchtsdrama des fin de siècle auffassen kann. Das machen sich ja auch viele Inszenierungen zunutze.


    Wie gesagt: kennengelernt habe ich Pelléas in der Abbado-Aufnahme mit den Wiener Philharmonikern, Maria Ewing (Mélisande), Francois LeRoux (Pelléas) und José van Dam (Golaud). Das ist der Beweis dafür, dass eine Aufnahme auch ins Schwarze treffen kann, wenn sie ausgesprochen unidiomatisch ist. Für letzteres sind vor allem die Wiener Philharmoniker verantwortlich, die allein schon die "falschen" Instrumente mitbringen: man vergleiche nur die Wiener Oboen mit ihren französischen Pendants in den weiter unten genannten Aufnahmen. Aber trotzdem: es wird wunderbar farbig gespielt, der Luxusklang hält sich in Grenzen, Abbado dirigiert fantastisch und die Sänger halten sich gut bis sehr gut:







    Es herrscht, soweit ich das beurteilen kann, ein gewisser (von mir geteilter) Konsens darüber: Wer Pelléas "idiomatisch" hören will in Gesang, Orchester und Dirigat, sollte weder zu Ansermet noch zu Cluytens greifen (obwohl die Aufnahmen ihre Meriten haben), sondern zu noch früheren Dokumenten. Ihr Vorteil u.a.: sie sind spottbillig zu haben.




    Der Klassiker, mit überragender Besetzung: Irène Joachim - Mélisande, Jacques Jansen - Pelléas, Henri-Bertrand Etcheverry - Golaud; Orchestre de la Société des Concerts du Conservatoire Paris, Dirigent: Roger Désormière. Von 1941, also mit leider erheblichen klanglichen Einschränkungen.






    Überragend! Diese Aufnahme ist gesanglich derjenigen von Désormière vielleicht ganz leicht unterlegen, aber sonst: hervorragender Mono-Klang (1953) und vom Dirigat noch aufregender, weil bei aller Poetik sehr geschärft und dramatisch (damit auch gut geeignet, Vorurteile über diese Oper auszuräumen): Janine Micheau - Mélisande, Camille Maurane - Pelléas, Michel Roux - Golaud; Orchestre de l'Association des Concerts Lamoureux, Dirigent: Jean Fournet (ein toller Dirigent!). Rita Gorr singt übrigens Geneviève (die beste, die ich kenne) - und ich kann es kaum glauben, dass ich diese Sängerin noch vor zehn Jahren (in Essen als Priorin bei Poulencs Dialogues) auf der Bühne erlebt habe.



    Viele Grüße


    Bernd

  • Zitat

    Original von Zwielicht
    Peter Steins Märchenkitsch in Cardiff (dirigiert von Pierre Boulez), Sven-Eric Bechtolfs Zürcher Mainstream-Deko mit den Laubsägearbeiten von Welser-Möst... :no:


    Hallo Bernd,


    ich wollte es gar nicht aussprechen, hatte es aber ähnlich in Erinnerung, wenn ich es auch nicht so drastisch ausgedrückt hätte. Aus Erinnerung fällt Welser-Möst im vergleich zu Abbado und zu Ansermet deutlich ab, die Inszenierung mit der Peugeot-Szene - nun ja - merkwürdig. Ich muss aber gestehen keine Vergleichmösglichkeiten zu haben und ansonsten (bisher) auch nicht im Opernrepertoire wirklich zu Hause bin, so daß mir eine Beurteilung, ob eine Inszenierung bzw. deren Deko Mainstream ist oder nicht, nicht gerade leicht fällt.


    Was die Musik anbelangt: bereits die ersten Streicherakkorde sind von einer außerordentlichen Schönheit und Nobilität, die mich sofort gefangen nimmt.


    :hello:
    Wulf

  • Zitat

    Original von Wulf
    ich wollte es gar nicht aussprechen, hatte es aber ähnlich in Erinnerung, wenn ich es auch nicht so drastisch ausgedrückt hätte. Aus Erinnerung fällt Welser-Möst im vergleich zu Abbado und zu Ansermet deutlich ab, die Inszenierung mit der Peugeot-Szene - nun ja - merkwürdig. Ich muss aber gestehen keine Vergleichmösglichkeiten zu haben und ansonsten (bisher) auch nicht im Opernrepertoire wirklich zu Hause bin, so daß mir eine Beurteilung, ob eine Inszenierung bzw. deren Deko Mainstream ist oder nicht, nicht gerade leicht fällt.


    Hallo Wulf,


    einfach dem eigenen Urteil (nicht dem Vorurteil) vertrauen, würde ich sagen. So schlimm finde ich Bechtolfs Inszenierung nicht, nur halt sehr konventionell in leicht modernisiertem Ambiente.


    Ihr habt doch die Berghaus-Inszenierung an der Berliner Staatsoper - bestimmt lohnend, Thomas hat oben ja die Berichte verlinkt. Ich kenn sie leider nicht.


    Pelléas ist keine robuste Oper, die auch bei mittelmäßigen Aufführungen "rüberkommt". Ich habe mal eine solche in Nürnberg gesehen und es war quälend. Hier habe ich zum erstenmal verstanden, dass man die Oper auch langweilig finden kann.



    Zitat

    Was die Musik anbelangt: bereits die ersten Streicherakkorde sind von einer außerordentlichen Schönheit und Nobilität, die mich sofort gefangen nimmt.
    Wulf


    :yes:


    Überhaupt die Zwischenspiele und die Orchesterbehandlung... :jubel: Meine Lieblingsszenen sind ja die letzte des ersten Akts mit ihrer Zartheit und ihrer untergründigen Bedrohlichkeit (und dem berühmten harmonisch offenen Schluss, der dann in Mahlers Abschied wiederkehrt). Zweitens die Szene in der Grotte am Ende des zweiten Akts: schon der Anfang mit den gedämpften Hörnern! Und dann natürlich das Aufleuchten bei Voici la clarté! und das versickernde Ende... Drittens im Zentrum des dritten Akts und der ganzen Oper: Die Szene im Gewölbe mit dem "Geruch des Todes"... :faint: Und dann das anschließende Aufsteigen ans Licht... :faint: :faint: Zu den erschütterndsten Szenen zählt der Abschnitt des vierten Akts, in dem Golaud seinen Sohn zwingt, Pelléas und Mélisande zu belauschen und zu beobachten (ich ziehe es übrigens vor, wenn Yniold von einem Knaben gesungen wird, auch wenn das vielleicht dann technisch nicht so makellos ist).


    Ein Rest Konvention haftet dagegen noch dem Liebesduett im vierten Akt an, manchmal fühlt man sich von ferne sogar an Gounod erinnert. :D


    Aber dann wieder der fünfte Akt - schon die paar Takte Orchestereinleitung. Und der stumme Tod der Mélisande...



    Viele Grüße


    Bernd

  • Hallo zusammen,


    Ich würde mir gerne eine DVD-Aufnahme von Pelléas zulegen, aber
    Eure Anmerkungen bzgl. der DVD-Aufnahmen aus Cardiff und Zürich klingen ja nicht sehr vielversprechend... (Ist Boulez denn wenigstens musikalisch gut?)


    Bei jpc habe ich aber noch zwei andere DVDs gefunden:


    1. Aus Lyon



    Dirigent: Gardiner
    Regisseur: Strosser
    Sänger: Alliot-Lugaz, Roux, Van Dam, Soyer


    2. Aus Glyndebourne (kostet gerade nur 9,99 Euro!)



    Dirigent Davis
    Regisseur: Graham Vick
    Sänger: Christiane Oelze, Richard Croft, John Tomlinson


    Kennt die jemand? Ist eine davon empfehlenswert?



    Danke & Grüße,
    Melanie

  • Zitat

    Original von Mela
    Eure Anmerkungen bzgl. der DVD-Aufnahmen aus Cardiff und Zürich klingen ja nicht sehr vielversprechend... (Ist Boulez denn wenigstens musikalisch gut?)


    Hallo Melanie,


    die Boulez/Stein-DVD habe ich mir schon lange nicht mehr angesehen und -gehört, deshalb ohne Gewähr: das Dirigat von Boulez habe ich als sehr gut in Erinnerung, aber die sängerischen Leistungen fand ich nicht überragend. Ich will nicht verschweigen, dass ich Leute kenne, die von der Peter-Stein-Inszenierung im Bühnenbild von Karl-Ernst Herrmann begeistert sind. Recht texttreu mit vielen Szenenwechseln, clarté und obscurité sind immer da, wo sie hingehören, das Ganze changiert zwischen einem präraffaelitischen Mittelalter und einem Tschechow-Drama. Viele rühmen die Personenführung von Peter Stein, ich finde sie überladen - und die "imposanten" Bühnenbilder erschlagen für mich die Musik. Geschmackssache.


    Zu den beiden anderen DVDs kann ich leider nichts sagen, die Regisseure Strosser und Vick habe ich schon in sehr unterschiedlicher Form erlebt.



    Viele Grüße


    Bernd

  • Die Boulez/Stein-Aufnahme habe ich vor zwei Wochen gesehen - und war völlig erschlagen. Stimmt schon: Etwas überladen, sehr mächtige Bühnenbilder, ziemlich nachdrücklich Mythos. Dennoch: So intensiv und menschlich erlebt man dieses Werk selten - beim Tod der Mélisande hatte ich Tränen in den Augen.
    Die Sänger verfügen allesamt nicht über Weltstimmen, singen aber ziemlich genau mit zumeist guter Wortdeutlichkeit und intelligentem Vortrag.
    Überwältigend ist das Dirigat von Boulez - völlig anders als die CD-Einspielung aus London. Boulez baut unglaubliche Steigerungen auf und konturiert die Musik dermaßen klar, daß nachher niemand, absolut niemand mehr behaupten kann, Debussys Partitur sei diffus und kleinteilig. Das große Duett wird gar in einem Ton fiebriger Erregung vorgetragen, der seinesgleichen sucht.
    :hello:

    ...

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  • Ich plädiere für deise Aufnahme:




    V. de los Angeles und G. Souzay sind nciht zu toppen. :jubel: :jubel: :jubel:


    Cluytens ist evtl nicht ganz so gut wie Boulez, aber wer mehr Wert auf die Stimmen als das Dirigat legt, ist hier richtig.

  • Liebe Fairy Queen,
    wenn es nicht DVD sein muß, ja, unbedingt. (Cluytens ist keineswegs schlechter als Boulez - er hat eine andere Sicht auf das Werk; und seine Dramatik ist auch nicht übel. Ich habe überhaupt den Verdacht, der "langweilige" "Pelléas" sitzt in den deutsch-österreichischen Köpfen, weil er von verständnislosen deutsch-österreichischen Kapellmeistern langweilig dirigiert wurde.) Ich rate auch immer zu dieser Aufnahme:
    [jpc]3665039 [/jpc]
    Ebenfalls ziemlich gut gesungen, sehr authentisches Französisch - und hinreißend dirigiert. Leider nicht von der Box ausgekoppelt zu bekommen. Aber die Box ist ohnedies wert, daß man auf sie spart!
    :hello:

    ...

  • Hallo an alle,


    danke für die Rückmeldungen. Vielleicht werde ich ja doch Boulez / Stein ausprobieren, als bekennender Boulez-Fan war ich auf die eigentlich besonders neugierig... Gardiners Ansatz würde mich eigentlich aber auch interessieren.


    Lieber Edwin,


    auf die Inghelbrecht-Aufnahmen hast Du mich auch schon sehr neugierig gemacht, erste Hörproben waren sehr vielversprechend. Aber das ich jetzt gleich in meinem Warenkorb eine Einzel-CD durch das ganze Päckchen austauschen muss, ist nicht fair ;)


    Auf CD habe ich aber bereits Boulez und (ich wage es kaum zu sagen) Karajan, mit dem ich die Oper kennengelernt habe. Der Abbado interessiert mich auch.


    Viele Grüße,


    Melanie

  • Liebe Mela,
    Abbado ist insoferne interessant, als er an einigen Stellen eine abweichende Fassung dirigiert. Eine herrliche Interpretation, die mir durch die etwas zu voluminösen Streicher etwas vergällt wird.
    Die Karajan-Aufnahme habe ich übrigens auch. Audiatur est et altera pars...
    :hello:

    ...


  • Das Dirigat von Cluytens ist das aufregendste und vor allem auch farbigste Pelleas-Dirigat, das mir bislang untergekommen ist! (Boulez - in der Aufnahme mit Söderström - ist zwar gut, aber kühl; für die Mélisande dieser Einspielung gilt das nämliche)
    Victoria de los Ángeles, Gérard Souzay und auch Jacques Jansen sind die absolute Nonplusultra-Besetzung. :jubel:
    Mit dieser Aufnahme kommt genau die Langeweile, die (nicht nur?) in den "deutsch-österreichischen Köpfen" sitzt, jedenfalls nicht auf.


    Victoria de los Ángeles soll ja einmal gesagt haben, dass ihr die Mélisande die liebste Opernrolle sei.


    Liebe Grüße,
    Martin

  • ..ich mag Pelleas + Melisande, vor allem des tollen Orchesterparts wegen. Entdeckt hatte ich sie in Berlin, als ich eine Wiedergabe unter L-Corboz mir mal reingezogen hatte. Das Orchester war da in Hochform.
    Für die Pelleas-Musik verzichte ich auf z.B. sämtliche Strauss-Opern. Die letzten Live-Wiedergaben (Radio-+TV-Mitschnitte) die mich beeindruckt haben sind folgende (vor allem, weil da jeweils das Orchester fetzte):


    - Paris 2007 Haitink Kozena, Naouri, Lemieux (TV, arte)
    - N.Y. MET 08.04.95 Levine Stade, Croft, Braun, Lloyd, Horne
    - N.Y. MET 05.02.05 Levine von Otter, Burden, Palmer, van Dam
    - Ferrara 17.04.02 Minkowski Kozena, le Roux, Bou, Vanier, Keller
    - München 18.11.71 Kubelik Gedda, Donath, F.-Dieskau, Meven
    - Berlin 28.10.03 Gielen Shaham, Trekel, Müller-Brachmann, Youn, Bornemann, Löbel, Yang


    Kubelik ist ein kommerzieller Mitschnitt. Levines Orchester klingt 2005 intensiver + präsenter als 1995. Momentan finde ich den letzten TV-Mitschnitt unter Haitink am besten von den hier aufgezählten, die ich aber auch alle gut finde (Regie ist allerdings etwas altbacken). Ich weiß aber nicht, ob diese inzwischen als DVD erhältlich ist. Wäre ein Tipp, wegen dem Orchester
    Rattle in Wien (2006) und frühere Haitink-Wiedergaben oder Viotti (München konzertant) haben mich weniger beeindruckt.
    Ich hoffe, eine Radiostation übertragt demnächst mal wieder eine Pelleas mit fetzigem Orchester


    :hello:

  • Zitat

    (Boulez - in der Aufnahme mit Söderström - ist zwar gut, aber kühl; für die Mélisande dieser Einspielung gilt das nämliche)


    Vorsicht! Die erste Aufnahme und die zweite (DG-DVD) sind so unterschiedlich, als wären es zwei verschiedene Dirigenten: Die erste ist dominiert von einem Konzept, das die Modernität des Werkes zeigen will. Die zweite ist immer noch sehr genau gelesen und perfekt ausbalanciert, ist aber von einer Dramatik und Expressivität, die hinter Cluytens nicht zurückfällt.
    Eben im Vergleich zu Gardiner gehört - und der kommt leider nicht mit: Liest genau, buchstabiert das Werk aber und vertut sich in seiner Kleinteiligkeit alle Möglichkeiten, Spannungen aufzubauen. Insgesamt nicht übel (nämlich gut gesungen und eine tolle Inszenierung von Strosser), aber orchestral etwas flach.
    :hello:

    ...

  • Was haltet ihr eigentlich von der folgenden Einspielung unter Ansermet?



    Mit Spoorenberg, Maurane, London, Hoekman et. al.


    Eine sehr schöne Aufnahme, allerdings habe ich das Gefühl, dass Ansermet von Wagner aus dirigiert, der Zugriff scheint mir mehr spätromantisch denn modern.
    Müsste meine inzwischen etwas blassen Eindrücke aber mal wieder auffrischen.


    :hello:
    Wulf

  • Lieber Wulf,
    der Ansermet war für mich etwas enttäuschend - und zwar, weil er, wie Du völlig richtig feststellst, sehr nachromantisch agiert. Ich habe den Verdacht, daß er versucht, dem Werk eine gewisse Robustheit zu verleihen, statt einen werkspezifischen Zugang zu finden. Was mich dabei interesssiert, ist, daß dieses Wunderwerk sozusagen trotzdem funktioniert. Ob man es auffasert wie Boulez in seiner ersten Einspielung oder robust nimmt wie Ansermet oder ekstatisch ausschwingend wie Inghelbrecht und Désormières oder vor Spannung bebend wie Boulez in seiner zweiten Aufnahme oder ganz filigran differenziert wie Abbado - das Werk "hält". Und sage noch einmal, daß der "Pelléas" nur durch eine gute Aufführung erträglich wird. Ich behaupte, daß das eine der spannendsten Opern überhaupt ist. Einlassen muß man sich darauf. Aber das muß man bei jedem Kunstwerk!
    :hello:

    ...

  • Lieber Edwin,


    Du hast genau das in Worte gefasst, für das ich ein für mich unbestimmtes Gefühl hatte - es klingt tatsächlich ein wenig wie "deutsche Eiche".


    Die von Dir angesprochene Interpretations"immunität" scheint mir gerade bei Debussy ein interessanter Aspekt zu sein und sicher einen eigenen thread wert.


    (Bei den von mir so geschätzten Etudes - ich hoffe, ich nerve inzwischen damit nicht - war sich Debussy ja der Bedeutung des Werkes durchaus bewusst und war der Ansicht, endlich ein interpretations"unabhängiges" Werk geschaffen zu haben - O-Ton müsste ich noch einmal recherchieren.)



    :hello:
    Wulf

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  • Lieber Wulf,
    einer von uns sollte vielleicht einen Thread zu den "Etudes" eröffnen. Ich habe sie gestern gehört - und bin noch immer völlig weg. Das ist quasi ein Kompendium der Neuen Musik. Ich kannte sie natürlich, hatte sie aber nicht gar so stark in Erinnerung.
    :hello:

    ...

  • Zitat

    Original von Edwin Baumgartner
    Lieber Wulf,
    einer von uns sollte vielleicht einen Thread zu den "Etudes" eröffnen. Ich habe sie gestern gehört - und bin noch immer völlig weg. Das ist quasi ein Kompendium der Neuen Musik. Ich kannte sie natürlich, hatte sie aber nicht gar so stark in Erinnerung.
    :hello:


    Lieber Edwin,


    nicht wahr? Ein unglaublich starkes Werk - für mich zählt es zu dem Besten, was in dieser Gattung in der abendländischen Kunstmusik je komponiert wurde.
    Freut mich, daß Dich die zwölf auch so fesseln.


    Was den thread anbelangt, da ist uns schon jemand zuvor gekommen: Douze Etudes :)


    :hello:
    Wulf

  • Hallo an alle,


    da ich nächstes Wochenende in Wien die neue Pelléas-Produktion sehen darf, beschäftige ich mich gerade - nach sehr langer Zeit - wieder intensiver mit dieser Oper. Ich bin wieder ziemlich begeistert und frage mich, wieso ich sie solange nicht gehört habe.


    Teil der Beschäftigung war der Kauf der DVD mit Boulez / Stein. Hierzu hatte ich weiter oben nachgefragt und bin jetzt noch eine Antwort schuldig. Musikalisch gefällt mir das ziemlich gut, sehr farbiges, dramatisches Orchester. Auch die Sänger gefallen mir ganz gut, allerdings mit der Ausnahme von Golaud. Als Sänger ist er sicher ganz gut, aber als Darsteller in der DVD hat er mir nicht sonderlich gefallen.


    Aber mit der Inszenierung kann ich mich nicht wirklich anfreunden. Stein bebildert die Oper sehr "Libretto"-genau, aber mir fehlt hier wirklich die Atmösphäre. Es gibt starke Bilder (z.B. die Szene in der Grotte), aber ich würde mir von einer Inszenierung auch eine visuelle Umsetzung der atmosphärisch sehr dichten Oper wünschen.


    Weiterhin habe ich zur Vorbereitung noch mal die erste Boulez-Aufnahme, die Karajan-Aufnahme und die von Zwielicht weiter oben empfohlene Fournet-Aufnahme gehört.


    Ich muss gestehen, dass mir die letzte Aufnahme ausnehmend gut gefällt. Sie ist dramatisch, sie fällt an klangfarben-Reichtum vielleicht etwas hinter den anderen beiden zurück (kann an der Aufnahme-Technik liegen), aber die quasi "Selbstverständlichkeit" des musizieren hat mich sehr überzeugt. Man könnte fast der Meinung sein, dass die Sänger mehr deklamieren, als singen, aber dadurch wirkt das Stück sehr natürlich, aber auch sehrTheater-nah - und natürlich auch sehr textverständlich.


    Karajan fällt bei mir nicht so stark ab, wie ich nach den vorherigen Posts (auch aus einem der Karajan-Threads) erwartet hätte. Im vergleich ist er sicherlich der langweiligste, durch eine zelebrierte Klangschönheit wird meiner Meinung nach das mystische-geheimnisvolle der Oper über- und die innewohenende Dramatik unterbetont. Aber ich habe sie zunächst nicht im Vergleich gehört und da hat es mir eigentlich ganz gut gefallen.


    Boulez (die alte CD-Aufnahme) zaubert wiederum eine ganz andere Klangwelt herbei, teilweise eher schroff, aber sehr reich an verschiedenen Klangfarben. Die Aufnahme ist auch sehr dramatisch, aber ich kann mich mit seinen Sängern leider weniger anfreunden.


    Jetzt fehlen mir noch Desormière, Cluytens und Abbado, aber erst mal bin ich auf Wien gespannt. Bei dem Regissuer Pelly bin ich etwas skeptisch. Er hat natürlich geniale Offenbach-Inszenierungen gemacht, aber der Pelléas ist doch ein ganz anderes Stück.



    Viele Grüße,


    Melanie


  • Hallo Mela,
    ich muss gestehen, dass ich mir von Pelly einiges erwarte, gerade weil ich mit der Stein-Inszenierung auch nicht wirklich glücklich bin. Außerdem ist er der Lieblingsregisseur von Nathalie Dessay (der Melisande), die sich zum Regietheater bekennt und ganz bestimmt nicht damit zufrieden gibt, in schönen Bühnenbildern herumzustehen.
    Ich freue mich jedenfalls!
    lg Severina :hello:

  • Liebe Severina,


    freuen tue ich mich auch :yes:


    Man muss sich ja immer überraschen lassen.


    Wann gehst Du denn in die Vorstellung? Ich gehe am Samstag.


    Viele Grüße,


    Melanie


  • Liebe Mela,
    ich bin am 22. Jänner dort. Bin neugierig, was du berichten wirst! Auf jeden Fall wünsche ich dir einen wunderschönen Opernabend!
    lg Severina :hello:

  • Zitat

    Original von severina


    Liebe Mela,
    ich bin am 22. Jänner dort. Bin neugierig, was du berichten wirst! Auf jeden Fall wünsche ich dir einen wunderschönen Opernabend!
    lg Severina :hello:


    Liebe Severina,


    den wünsche ich dir auch. Ich werde jedenfalls versuchen meine Eindrücke zu schildern.


    Und auf jeden Fall ist es ein absolut tolles stück :jubel:


    Viele Grüße,


    Melanie

  • Zitat

    Original von Fairy Queen
    Bitte unbedingt ausgiebigst berichten!!!!!!! :yes: :yes: :yes:


    Warum nicht selber hören?


    :hello:

    Ciao


    Von Herzen - Möge es wieder - Zu Herzen gehn!


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