Vielleicht ein ungewöhnliches Thema, aber dieser spezielle Tanzstil, bzw. die Kenntnis über diese Tänze, ist auch Heute noch ungeheuer wichtig, um beim interpretieren von Tänzen aus dem 17. & 18. Jahrhundert sowohl das richtige Tempo zu finden, als auch eine angemessene musikalische Gestaltung zu finden.
Allerdings haben viele Menschen eine völlig falsche Vorstellung von dem Tanz des 17. und 18. Jahrhunderts.
Diese falsche Vorstellung wurde natürlich von Kinofilmen aus dem letzten Jahrhundert immer wieder erneuert.
Was oft zu kurz kommt, sind die fest vorgeschriebenen Bewegungen der Arme, die speziellen Tanzschritte und das die Tänze allesamt auf geometrischen Formen basieren.
Im 17. Jahrhundert waren jedoch nicht die gewöhnlichen Balletttänzer die Stars, sondern Kirchenfürsten, Könige und Kaiser !
Für viele heutige Menschen ist die Vorstellung, dass Staatoberhäupter Ballett tanzen grotesk.
Doch im 17. und 18. Jahrhundert war das Ballett eine äußerst beliebte Möglichkeit sich in Szene zu setzen, und zu repräsentieren.
Bis in die 1670er Jahre hinein war es übrigens Frauen verboten auf der Bühne zu tanzen, da man ihnen nicht zutraute die Eleganz der Männer zu erreichen.
Natürlich traten Frauen, besser gesagt die Fürstinnen in den Hofballetten ganz selbstverständlich auf.
Louis XIV 1653 im Ballet Royal de la Nuit
Seit geraumer Zeit erlebt dieser Barocktanz eine wahre Renaissance.
Es gibt viele Gruppen die diese Tänze pflegen.
Vor allem war es Francine Lancelot, die den Barocktanz in seiner ganzen Schönheit wieder „entdeckte“
Ihre berühmtesten Tätigkeiten waren z.B. die Choreographien für die Inszenierung von Lullys Atys durch Villegier. William Christie hatte die musikalische Leitung.
Dieses Opernereignis (1976) war die Wiedergeburt der Barockoper in unserer Zeit.
Es folgte eine reine Tanzveranstaltung mit ihrem Ensemble „Ris et Danceries“ in Versailles „Grand Bal a la Cour de Louis XIV“ (1981)
2003 starb Francine Lancelot, doch ihre Bemühungen um den Barocktanz werden nach wie vor weitergeführt.
Doch was benutzt man als Quellen ?
Genau wie in der Musik, gibt es auch für den Tanz unglaubliche viele Aufzeichnungen.
Quellen für den Barocktanz, auch „la belle Danse“ genannt gibt es also reichlich.
Der erste Schritt war, die Entzifferung der „Notation“ der alten Tanzmeister.
Als das geschehen war, tat sich eine ganze Welt auf.
Zum einen fällt auf, dass die Tänze für die Bühne ganz anders gestaltet sind als die höfischen Tänze.
So war es am Hofe üblich, dass nicht der ganze Hofstaat auf eimal tanzte sondern stets nur ein Paar nach dem anderen.
Und das hatte seinen Grund, es erhöte den Druck auf die Adligen, Fehler wurden nicht verziehen und so wurde jeder öffentliche Hoftanz, ein Tanz der über die eigene Stellung in der gesellschaft entschied.
In der Oper oder im Ballett gab es für die großen Fürsten die Solo Tänze, aber es gab auch Paartänze oder ganze Formationstänze.
Natürlich ist Frankreich das Zentrum des Tanzes gewesen.
Seit dem beeindruckend "Ballet de la Royne" von 1581 war Frankreich das Zentrum des Balletttanzes.
Von Raoul - Auger Feulliet (c.1653 – 1710) stammt die wohl bedeutendste Sammlung von Choreographien für das 17. Jahrhundert.
Er war nicht nur selbst Tänzer, er arbeitete auch als Choreograph, Herausgeber und Autor verschiedener Schriften über den Tanz seiner Epoche.
Natürlich ist Feulliet nicht der einzige der diesen faszinierend Tanz überliefert hat.
Er war es jedoch der die „Tanzschrift“ entwickelte, die dann die ganze Epoche über verwendet wurde.
Außerdem gehen auf ihn die 4, bzw. 5 Ballettpositionen zurück.
Feuillet: Tanzschrift für ein Ballett
Feulliet: Tanzschrift des Bourre d'Achille
Diese Tanzschriften umfassen pro Tanz mehrere Seiten, so werden verschiedenen "Stadien" der Choreographie gezeigt.
Für den Tanz des 18. Jahrhunderts war ein Namensvetter von Jean Philippe Rameau maßgebend:
Pierre Rameau ( 1674 – 1748 )
Seine Publikation « Le maître à danser » (1725) ist für Heutige Tänzer, die wohl wichtigste Quelle für den historischen Tanz.
Aber nicht nur für Tänzer ist seine Schrift von Interesse, sondern auch für Historiker:
Rameau gibt in seinem Buch über alle „References“ Auskunft und sogar über den Ablauf der Hofbälle von Versailles.
Rameau: Menuett Figur
Zwar gab es auch berühmte Choreographen aus Italien und Deutschland (Taubert) – übrigens nicht zu verwechseln mit Karl-Heinz Taubert, der in unserer Zeit als Lehrer für historischen Tanz berühmt wurde.
Aber spätestens seit den großen Balletten die Louis XIII und Kardinal Richelieu aufführten, versuchten alle großen Höfe französische Ballettmeister zu gewinnen.
Charles II. beklagte sich, dass keiner seiner Musiker eine anständige französische Courante spielen konnte – und so bat er um französische Musiker und Ballettmeister.
Das zeigt schon, wie groß der Einfluss der Ballettmeister auf die Gestaltung der Musik gewesen ist – und es wird klar warum Lully selbst zum Balletttänzer wurde.
Kaum ein Komponist konnte solche Ballettmusik verfassen.
Muffat beschrieb es noch glühender, indem er behauptete, dass die Tänze Lullys so perfekt komponiert wären, dass man sofort hören könne um welchen Tanz es sich handle.
Der Ballettmeister Louis XIV, Pierre Beauchamps, der sehr eng mit Lully zusammenarbeitete war selbst auch Komponist und es sind eine ganze Reihe Ballette von ihm erhalten.
Aber bis auf die Ouvertüre zu dem ersten „Comedie Ballet“ dass Moliere für Vaux-le-Vicomte verfasste, ist bisher noch nichts auf CD erschienen.
Bemerkenswert ist, dass auch im Tanz die gleiche Entwicklung zu sehen ist, wie sie sich in der Musik, der Malerei und der Architektur vollzog.
Vom repräsentativen Barock, das besonders die Darstellung der Macht liebte, werden auch die Tänze immer feingliedriger, zierlicher und sinnlicher.
Der Mythos Menuett
Natürlich denkt man sofort an das Menuett, wenn es um Tänze aus dem Barock geht.
Und so falsch ist das gar nicht – doch war das Menuett nicht immer der beliebteste Tanz, und man muss sich von der Vorstellung verabschieden, dass es nur eine Version des Menuetts gab.
Louis XIV tanzt das Menuett
Fast das ganze 17. Jahrhundert, war die Courante der beliebteste Hotanz.
Die Choreographie bewegt sich auf einem großen Quadtrat und das Tanzpaar „läuft“ mehr oder weniger die Seiten des Quadtrats ab – also von Körperkontakt kann keine Rede sein.
Der Hofball Louis XIV (und somit auch jeder andere Hofball in Europa) wurde von einer „Suite des Branles“ eröffnet, allerdings unterschied sich teilweise die Choreographie von der "Renaissance - Branle" wie sie von d’Arbeau überliefert ist.
Die Branle ist eine Art „Reigentanz“
Man stellte sich also im Kreis auf, und der Fürst begann den Tanz – und führte den Tanz auch stets an, so dass eine Art "Kette" entstand.
Der erste Tänzer führte die anderen Tänzer auf einer "8- Form" in einer reihe hinter sich her.
Aus diesem Grunde waren die Branles stets die Eröffnung der Hofbälle und wurden immer von Staatsoberhäuptern angeführt und getanzt.
Spätestens ab 1670 war das Menuett der beliebteste Tanz am Hofe, das sollte auch bis ins 18. Jahrhundert so bleiben.
Lully und Moliere machen sich im "Le Bourgeois Gentilhomme" (1670) über diese "Menuett Welle " lustig, indem sie Monsieur Jourdain das Menuett erlernen lassen (er scheitert natürlich)
Dieser Paartanz basierte auf einem alten Volkstanz.
Die älteste überlieferte Choreographie basiert auf einer „S“ – Form, die dann im Laufe der Zeit über eine „8“ Form zur „Z“ Form weiterentwickelt wurde.
Im 18. Jahrhundert wurde die Choreographie des Menuetts immer wieder verändert, modernisiert und erweitert. So gab es bald das Menuett für 4 Personen (Menuet a quatre) das zur populärsten Menuet Choreographie werden sollte.
Dann das Menuett für 8 Personen, das wohl zu den kompliziertesten Tänzen der Geschichte gehört. Auch Sonderformen sind überliefrt, wie z.B. das „Menuet de la Reine“ das für Marie Antoinette choreographiert wurde und fast alles an Kompliziertheit schlägt.
Letztlich war das Tanzen dermaßen wichtig am Hofe, dass man etwa einen Monat benötigte um das Menuett zu erlenen und fortan mindestens 2 Stunden pro Tag üben musste.
Barocktanz ist Leistungssport !
Menuet d'Exaudet
In Wien war das Menuet unter Leopold I. „verboten“
Leopold hasste seinen Vetter und wollte ja keine Vorliebe mit Louis XIV teilen.
Und so kam es, dass in Wien die „Chaconne“ bzw. „Passacaille / Passacaglia“ in Mode kam.
(diese Täze waren natürlich auch am Hofe des Sonnenkönigs hochbeliebt – warum sonst enden so viele Lully Opern mit einem solchen Tanz ?)
Diese Tänze basierten auf der Courante, und Passacaglia bedeutet ja auch soviel, wie durch eine Straße gehen.
Mit dem Tode Leopold I. zog auch das Menuett am kaiserlichen Hof ein.
Bis ins 19. Jahrhundert hinein wurde weiter Menuett getanzt, bis der „Ländler“, der sich aus der „Allemande“ entwickelte, immer beliebter wurde.
Der „Ländler“ – oder die spätere Form „Walzer“ waren damals natürlich skandalös, aufgrund des ständigen Körperkontakts.
Das Menuett feierte noch einmal ein Revival – und zwar am Hofe Wilhelm II. von Preussen.
Ja ganz recht, am Hofe des letzten deutschen Kaisers.
Mitlerweile sind Gruppen für historischen Tanz aus der HIP Bewegung nicht mehr wegzudenken.
Ihre Erkenntnisse sind für die Musiker pures Gold wert.
Man erkannte z.B. dass viele der Tänze immer zu langsam gespielt wurden, andere wieder viel zu schnell.
Natürlich kann man einwenden dass die Tänze z.B. in Bachs Orchestersuiten nicht zum tanzen gedacht waren (was übrigens nicht belegbar ist) doch wenn man sie im richtigen Tempo spielt, so sind sie eben sehr wohl tanzbar.
Und darauf muss geachtet werden, denn selbst wenn diese Tänze nur in der Konzertsituation erklingen, so verlangte das damalige Publikum dass diese Tänze trotz allem noch tanzbar sein sollten.
(Natürlich ändert sich auch der Charakter der Tänze mit unterschiedlichem Tempo)
Oftmals wurden eben durch solche Konzerte manche Tänze überhaupt erst populär.
Gerade auch aus Opern finden sich ungeheuer viele Tänze in alten Tanzsammlungen wieder.
Den Bezug zum eigentlich Tanz also zu ignorieren sollte man also immer hinterfragen.
Bildmaterial: Wikipedia
Mitlerweile gibt es auch einige CD's die in Zusammenarbeit mit Tänzern entstanden sind: (diese eignen sich übrigens alle hervorragend zum Tanzen, wenn man grad kein Barockensemble für seine Tanzabende unterhält )
die wohl wichtigste Aufnahme erschien als doppel CD bei Erato:
Musiques à Danser
Musiques à l'opera: Les Talens Lyriques / Christophe Rousset
Musiques à la Cour: La Simphonie du Marais / Reyne
Leider scheint die Aufnahme zur zeit nicht erhältlich zu sein.
Diese Aufnahmen entstanden in Zusammenarbeit mit dem Ensemble Ris et Danceries und Francine Lancelot.
Rouset und Reyne sind sowieso Spezialisten für französische Barockmusik.
Die Aufnahmen entstanden in direkter Zusammenarbeit mit den Tänzern, durch das ausprobieren der Choreographien wurden völlig neue Ansätze in die Interpretation gebracht.
Herrliche Aufnahme !
Les Caracteres de la Danse
Ensemble Ris et Danceries
(diese CD ist nur in Frankreich erhältlich)
Ein Aufnahme der Musik die Francine Lancelot mit ihrem ensemble "Ris et danceries" für das Event "Bal a la Cour de Louis XIV" verwendete.
Die Musik fand teilweise auch im Film "L'Allee du Roy" Verwendung
Hervorragend gemacht.
Contredanses from the Dresden Court
Les Berlinois
ungewohnte Barockklänge, da hier Repertoire eingespielt wurde das ausschließlich zum Tanzen gedacht war.
Der letzte Track ein Livemitschnitt eines Tanzes, dort ist sogar das Rufen des Tanzmeisters und natürlich die Tanzgeräusche zu hören.
Aber es gibt natürlich noch viel mehr, mittlerweile ignorien kaum noch HIP Ensembles die Erkenntnisse der Tanzgruppen. Und so entstehen fast alle Einspielungen von barocken Opern, Orchestersuiten oder Tanzsammlungen mit Rücksprache oder Beratung.