Was mich an Anton Bruckner fasziniert

  • Bei Durchsicht der "Fasziniert"-Threads habe ich festgestell, daß Anton Bruckner hier (noch) nicht vertreten ist.
    Da das Forum über eine bemerkenswerte Anzahl von Bruckner-Kennern verfügt wäre es schade, wenn dieser Thread nicht gestartet würde.
    Bruckner nimmt ja eine Ausnahmeposition unter den Komponisten ein - gerade deshalb ist hier die Analyse besonders interessant.



    mfg aus Wien


    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Hallo!


    Na sowas, Bruckner finden hier ja noch weniger Leute faszinierend als Schütz...
    Was mich an Bruckner fasziniert, sind - na klar - die wundervoll klangintensiven Adagios und die wuchtigen, großangelegten Ecksätze der Symphonien.
    Aber es ist mehr als das. Ich empfinde die Tonsprache Bruckners als sehr "direkt" und "tiefsinnig" zugleich...
    Obwohl es eigentlich nur wenige Werke sind, die ich wirklich faszinierend finde (Symphonien 4,6,8,9 ; Messen 1,3 ; Te Deum ; Streichquintett) - die aber um so mehr - ist Bruckner für mich sowohl der wichtigste Symphoniker nach 1828 als auch der herausragende Komponist geistlicher Musik nach 1828.
    Daß er nicht mehr reife Kammermusikwerke hinterlassen hat als das hervorragende Streichquintett F-dur, ist höchst bedauerlich.


    Viele Grüße,
    Pius.

  • Bruckner faszinierte mich erst auf den zweiten Blick, und zwar ging es bei mir über Wagner. Da ihm ja eine besondere Nähe zu diesem nachgesagt wird, mußte ich das nochmal selbst überprüfen, nachdem eine erste Tuchfühlung mit Bruckner (IX. Symphonie und Te Deum) eher zu seinen Ungunsten ausging. :D
    Aber mir gefallen die VII. und VIII. Symphonie jedenfalls ausnehmend gut, mehr kenne ich bislang nicht.

    »Und besser ist's: verdienen und nicht haben,

    Als zu besitzen unverdiente Gaben.«

    – Luís de Camões

  • Zitat

    Original von Joseph II.
    mehr kenne ich bislang nicht.


    Na dann aber huschhusch die Urfassung der III. Sinfonie kennenlernen. Ist doch eigentlich Pflicht für dich: der Linzer Meister huldigt doch darin seinem bayreuther (gebürtigen leipziger) Meister.


    Finde ich aber schade, dass Dir Bruckners IX. Sinfonie nicht gefallen hat, weil die halte ich nämlich für das allerergreifendste, was Bruckner je geschaffen hat.


    Naja, und wenn Du noch einen trefflichen Einstieg suchst; nimm die IV. Sinfonie, die hat mir Bruckners Welten zuerst erschlossen und bis heute bin ich ihr hin und wieder verfallen.


    Herzliche Grüsse, Thomas Bernhard. Ach ja, der II.te

  • Diese IX. lief damals im Fernsehen, ich weiß nicht mehr, wer dirigierte. Es war m. W. in einer Kirche, irgendwie war die Akustik nicht so toll.


    Sicherlich, man wird noch alle andere Symphonien irgendwann kennenlernen müssen, will man einem Meister wie Bruckner gerecht werden.


    Für mich stand er bislang im Schatten von Mahler, was merkwürdig klingen mag. Aber der Anton bekommt seine Chance noch.


    Liebe Grüße
    :hello:

    »Und besser ist's: verdienen und nicht haben,

    Als zu besitzen unverdiente Gaben.«

    – Luís de Camões

  • Liebe Tamin(as)os


    Was mich an Bruckner fasziniert ist:


    – daß man sich ein Leben lang mit einem Komponisten beschäftigen kann, der so “wenig” geschrieben hat


    – daß Konzerte zu Sternstunden werden können, die man sein Leben lang nicht vergisst


    – die Nachwirkungen eines Bruckner-Konzert, Glücksgefühle, Hoffnung, Emotionen, Freudetränen, wo man sich noch tagelang an dieser Musik nähren kann


    – daß man Bruckner so unterschiedlich Interpretieren kann, Sinfonie Nr 9: Furtwängler 58’45 - Celibidache 76’30 und trotzdem sind beide hoch interessant


    – wegen den Sinfonien 4, 5, 8 und den grandiosen Schlusschorale, was die Sinfonie zu einem Ganzem macht, wo einem der Atem stockt


    – wegen seinen himmlischen langsamen Sätzen, den spektakulären Klangmassen


    – weil er die Brucknerliebhaber spaltet


    Bruckner fasziniert: weil es Brucknerianer, Brucknerrythmus, Bruckner-Kult, Bruckner-Enthusiasmus, Bruckner-Verehrer, Brucknerklang, Brucknerphase, Bruckner-Tempo usw gibt.


    und jetzt wird gebrucknert


    gruß
    roman

  • Ich oute mich mal als fast komplette Bruckner-Ignorantin, die bisher (abgesehen von Chorwerken) nur eine bewusste Erfahrung mit Bruckner gemacht hat und zwar mit der 8. Symphonie.
    Die mir von einem Musik-Missionar untergejubelt wurde , ohne mir zu sagen, worum es sich handelte, bevor ich nicht mein erstes Urteil dazu abgegeben hatte


    Nein, kalt lassen kann einen sowas wahrlich nicht udn es gab Stellen, da wurde mir klar, warum diese Musik solche leidenschaftlcihen Reaktionen weckt und so verzückte Fans hat.


    Aber mir war das einfach zuviel des Guten.
    Ganz schlimm fand ich die ständige "Ladehemmung."
    Mehrfach glaubte ich , es sei nun endlch gut und Alles sei hinlänglich erlöst, aber dann ging es wieder von vorne los.
    Was zuviel ist, ist zuviel- meine Kapazitäten wurden da leider überschritten.
    Aber wie gesagt: ich spreche von einer einzigen Erfahrung, also sehr punktuell.
    Ob die anderen Symphonien ähnlich oder ganz anders auf mich wirken- vielleicht wird das irgendwann noch getestet.


    Jeder Komponist hat vielleciht auch seine Zeit im Leben eines Hörers und die für Bruckner ist bei mir noch nciht gekommen.


    Aber das Faszinierende a priori kann ich schon heute nachempfinden- der langsame Satz war wirklich berauschend.


    F.Q.

  • Liebe Fairy Queen,


    Was Du hier schilderts kann ich ganz gut nachempfinden. Die 8. ist wahrlich ja auch ein schwerer Brocken um Bruckner kennenzulernen.


    Als ich eine Sternstunde 1990 in Metz mit Bruckner's 8te unter Celibidache erlebte, waren wir eine Gruppe von 10 Freunden die da unterschiedliche Erlebnisse hatten. Eine Freundin empfand ungefähr das gleiche wie Du, sie empfand die Atmosphäre und das mithören als spannend, aber Bruckner errinnerte sie zuviel an Wagner. Ein anderer bewunderte nur die herrliche Akkustik das große Orchester und die Klangmassen, fanden aber keinen Draht zu Bruckner.
    Andere wiederum waren mit mir einer Meinung. Wir mußten uns nur ansehen und wußten was wir dort erlebten. Ich fühlte den Pulsschlag und das Atmen in der Sinfonie. Es ist sehr schwer das zu erklären.


    Vor 30 Jahren sollte ich den 'Stiller' von Max Frisch lesen. Jeder sagte mir, den mußt du lesen. Ich habe vielleicht 5-7 angefangen, kam nie durch, es störte mich irgend etwas. Bis auf einmal, da hatte ich den Durchblick, da verstand ich seine Sprache, seinen Stil. Ich war begeistert. Danach habe ich den ganzen Frisch am Stück gelesen. So ungefähr ging es mir auch bei Bruckner. Ich habe heute noch meine Probleme u.a. mit Thomas Bernhard und verschiedene Mahler- und Shostakovich-Sinfonien.


    gruß
    roman

  • Meine erste Bekanntschaft mit Bruckner machte ich über die günstig erstandenen Schallplattenaufnahmen mit Bernard Haitink (immer noch nicht die schlechteste Wahl heute...). Ich fand das Klangbad, das An- und Abschwellen faszinierend, ohne dass eigentlich in der Musik etwas passierte. Und die "Ladehemmung", die Fairy Queen kritisiert, hängt eben oft damit zusammen, ob der Dirigent es schafft, das als organisch darzustellen. Ich kann's aber auch nachempfinden, Bruckner gehört zu den Komponisten, bei denen ich entsprechend gelaunt sein muss, um ihn anzuhören. Nichts für fröhliche Stunden, man muss schon bereit sein, sich darauf einzulassen.


    Den richtigen Brucknerrausch gab's für mich aber dann im Konzert, Ende der 80er Jahre in der Hamburger Musikhalle bei Günter Wand, in Sätzen wie dem Fugen-Finale der Fünften, als das gesamte Orchester mit seinem Klang einem das Gefühl gab, in den Sitz gedrückt zu werden wie bei einem startenden Jet. Diese Konzerte waren meine Bruckner-Sternstunde.

    "Nur in der Gesellschaft wird es interessant, Geschmack zu haben."
    Immanuel Kant

  • Zitat

    Ganz schlimm fand ich die ständige "Ladehemmung."
    Mehrfach glaubte ich , es sei nun endlch gut und Alles sei hinlänglich erlöst, aber dann ging es wieder von vorne los.
    Was zuviel ist, ist zuviel- meine Kapazitäten wurden da leider überschritten


    Interessant, wie Du das beschreibst.
    Ich hatte einst dasselbe Problem, hab es aber anders beschrieben:
    Immer wenn man meinte, die Schlußfanfare blase nun zum alles übertrumpfenden Finale, dann kam noch eine Rückwendung, eine Zurücknahme gewissermaßen - und es wurde von neuem ein Finale aufgebaut, das sich dann erneut als Scheinfinale entpuppte......
    Ein Zaudern und zögern, ein Zurückschrecken for dem endültigen Finale -und doch immer wieder nah dran....


    Interessanterweise findet sich dieser "Charakterzug " seiner Werke auch in Bruckners realem Leben wieder, wenn man bedenkt wie oft er seine Sinfonien - oft auf Anraten von Kritik, Freunden und Feinden - immer wieder überarbeitet hat - "Endgültiges" - im Sinne des Wortes war Ihm offenbar unangenehm. Der Zauderer ist hier IMO gut erkennbar, ob das andere auch so sehen, das weiß ich nicht.


    mfg aus Wien


    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Banner Trailer 2 Gelbe Rose
  • Was ich bei Bruckner weniger mag, sind manche Charakteristika seiner Musik (und ihrer Rezeption), die auch hier im Thread gelegentlich genannt werden:


    - die Überwältigungsästhetik
    - die dröhnenden, um nicht zu sagen: waffenstarrenden Schlussapotheosen
    - der Zwang zur dauernden Repetition
    - der Kult um den Komponisten, der von seinen Dienern gelegentlich auch auf seine Dirigenten übertragen wird



    Aber hier geht's ja um das Faszinosum Bruckner - da kann ich einiges nennen:


    - die Fähigkeit, einem relativ (!) starren Modell neun bzw. zehn faszinierende Ausprägungen abzugewinnen
    - Bruckner als Melodiker - für mich der größte nach Schubert (unzählige Beispiele, allein in der siebten Sinfonie: Haupt- und Seitenthema, die beiden Themen des langsamen Satzes, das Trio, der Seitensatz des Finales...außerdem: das Tubenthema im Adagio der Achten, die Seitensätze im Kopfsatz und im Adagio der Neunten)
    - Bruckner als Klangmagier: etwa in den Anfängen der dritten und vierten Sinfonie...
    - wie schon häufig genannt: die langsamen Sätze
    - manchmal: der ungeheuer große Bogen - Kopfsatz der Neunten, Adagio der Achten...
    - Bruckner der Moderne, vor allem in der neunten Sinfonie: die Aufgipfelungen im Kopfsatz, das unglaubliche Scherzo, die unaufgelöste Dissonanz kurz vor dem Ende des dritten Satzes...


    Außerdem finde ich es faszinierend, wie Bruckner in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts einen wirklich völlig eigenständigen Weg geht. Mit der Schumann-Brahms-Linie hat er bekanntlich eh nichts am Hut, aber mit Berlioz, Liszt und eben auch mit Wagner hat er ebenfalls nicht viel zu tun: ein paar Themenzitate und die Verwendung von Wagnertuben sind fast schon alles...



    Viele Grüße


    Bernd

  • Im vorangegangenen Beitrag eher als Negativum in Bruckners Werk aufgefasst, möchte ich diesen Begriff der Überwältigungsästhetik doch als Leitmotiv meines Beitrags nutzen, stellt doch ein Erlebnis, das sich genau mit diesem Terminus deckt, den Ausgangspunkt einer intensiven Faszination dar, die Bruckners Symphonien bei mir hervorrufen.


    Den Einstieg in die kompositorische Welt des Meisters aus St. Florian erfolgte jedoch - eher ungewöhnlich - nicht über die Symphonien, sondern ausgerechnet über die Kammermusik: Sein großartiges Streichquintett, dessen Adagio mich dem Kreis der Brucknerverehrer näher rücken ließ.


    Dennoch verging fast ein Jahr, ehe dieser Komponist dann auch mit seinem großorchestralen Hauptwerk meinen musikalischen Horizont erweiterte, als Vorbereitung auf ein Konzert mit Mariss Jansons erwarb ich eine Aufnahme der 4., 'Romantischen', Symphonie, deren erster Satz und Scherzo mich von Anfang an begeisterten, während mich das Andante im Saal dann zum ersten Mal etwas von dieser tiefen Faszination verspüren ließ, die mich nun bei seinen Werken erfasst.



    Dann schlließlich, im April diesen Jahres, hörte ich Bruckners 3te in der Urfassung mit den Münchner Philharmonikern unter dem Dirigat Christian Thielemanns. Schon von der ersten Note an überwältigten mich die anstürmenden Klangmassen, der Wechsel zwischen zarter Melodik und schierer orchestraler Wucht fesselte mich in einer bisher ungekannten Weise. Die vier Sätze durchlebte ich in einem Zustand äußerster Konzentration, die mir die Symphonie bis ins Detail zu erschließen schien, als hielte ich einen Schlüssel zu dieser Musik in Händen.
    Nach 80 Minuten von etwas, was mir den Begriff "Überwältigungsästhetik" im hellsten Licht erscheinen lässt, denn überwältigt war ich, gab mir der enthusiastische Schlussapplaus ob Thielemanns fulminantem Dirigat die Zeit, aus Bruckners herrlichen Welten aufzutauchen. Aufzutauchen, um den Abend in einer nicht oft erlebbaren, fast ekstatisch guten Laune zu beschließen, beflügel, befreit, voll von Energie.
    Auf die Frage, was mich an Anton Bruckner fasziniert, gab es in diesem Moment nur ein, universale Antwort:


    Seine Musik

    'Architektur ist gefrorene Musik'
    (Arthur Schopenhauer)

  • Zitat


    Original von Novecento
    Dann schlließlich, im April diesen Jahres, hörte ich Bruckners 3te in der Urfassung mit den Münchner Philharmonikern unter dem Dirigat Christian Thielemanns. Schon von der ersten Note an überwältigten mich die anstürmenden Klangmassen, der Wechsel zwischen zarter Melodik und schierer orchestraler Wucht fesselte mich in einer bisher ungekannten Weise. Die vier Sätze durchlebte ich in einem Zustand äußerster Konzentration, die mir die Symphonie bis ins Detail zu erschließen schien, als hielte ich einen Schlüssel zu dieser Musik in Händen.
    Nach 80 Minuten von etwas, was mir den Begriff "Überwältigungsästhetik" im hellsten Licht erscheinen lässt, denn überwältigt war ich, gab mir der enthusiastische Schlussapplaus ob Thielemanns fulminantem Dirigat die Zeit, aus Bruckners herrlichen Welten aufzutauchen. Aufzutauchen, um den Abend in einer nicht oft erlebbaren, fast ekstatisch guten Laune zu beschließen, beflügel, befreit, voll von Energie.


    Genau so ist es!! So empfinde ich Bruckner auch. Ich habe die 5. mit Thieleman und den Münchnener erlebt. Mir ging es genauso. Das ist Bruckner!


    gruß
    roman

  • ich habe Schwierigkeiten mit Bruckner. Brahms Musik :jubel: :jubel::stumm: scheint mir sehr viel näher. Mich stoßen bei Bruckner vor allem die triumphierenden Coda-Teile ab. Am unangenehmsten kingt das z.B. am Ende des 4. Satz der 8. Sinfonie oder noch schlimmer der Choral am Ende der Fünften, obwohl der Satz als solches nicht uninteressant komponiert ist (mit der sehr komplexen Fuge). O.K. am Ende von Brahms S. 2 steht ja auch ein triumphales Ende, aber das ist in der Brahmschen Musik wesentlich gebrochener und Brahms zog auch Konsequenzen in seinen späteren Sinfonien.
    Sehr schön gelungen ist das Trio im Scherzo der Bruckner Nr. 8 , vielleicht weil es verhaltener ist.
    Bei der Bruckner 7 gefällt mir vor allemn die Kammerfassung (vom Schönbergschülerkreis mal erstellt), weil sie schlanker und nicht so massiv den Hörer entgegenkommt.


    :hello:

  • Hallo Amfortas,


    Komisch, ich finde die Codas bei Bruckner einfach als i-Tüpfelchen, oder die Kirsche auf dem Kuchen, und triumphierend empfinde ich sie auch nicht, eher erlösend. Vielleicht ist es die ständige "Ladehemmung" die Dich bei Bruckner stört.


    gruß
    roman

  • Zitat

    ich habe Schwierigkeiten mit Bruckner. Brahms Musik ... scheint mir sehr viel näher. Mich stoßen bei Bruckner vor allem die triumphierenden Coda-Teile ab. ...


    Zitat

    Komisch, ich finde die Codas bei Bruckner einfach als i-Tüpfelchen, oder die Kirsche auf dem Kuchen, und triumphierend empfinde ich sie auch nicht, eher erlösend. ...


    Na was glaubt ihr, warum der Musik-Gott für Brahms UND Bruckner gesorgt hat? ;)


    :hello:

    Ciao


    Von Herzen - Möge es wieder - Zu Herzen gehn!


  • Zitat

    Original von Amfortas08
    O.K. am Ende von Brahms S. 2 steht ja auch ein triumphales Ende, aber das ist in der Brahmschen Musik wesentlich gebrochener und Brahms zog auch Konsequenzen in seinen späteren Sinfonien.


    Nun, ich denke, so kann man es nicht sehen. Dies impliziert einen qualitativen Gewinn umgekehrt proportional zur 'Triumphalität' des Finales. Doch ich kann diese - selbstvertändlich wohl subjektiv gemeinte - Einschätzung keinesfalls teilen. Ich glaube nicht, dass Brahms aus seinen 'Fehlern' in der 2ten Symphonie gelernt hat, und darum, und auch nur darum seiner Dritten ein fast kammermusikalisch verklingendes Finale hat angedeihen lassen; seiner Vierten wiederum einen intellektuell-ernsten Variationssatz.


    Demnach wäre der ewig triumphale Bruckner ja quasi unbelehrbar gewesen, und auch Beethoven, dessen IX. Symphonie ebenfalls in strahlender Größe endet.


    Nun gut, vielleicht gibt es auch Differenzen im Verständnis des Wortes 'Triumph' selbst, Roman sieht es ja z.B. eher als Erlösung.
    Manch einer würde es bei Bruckner vielleicht einfach nur 'Laut' nennen.



    Meines Erachtens aber verlangt die Konzeption von Bruckners Symphonien aber einfach nach dieser Art von Schluss. Um das zu vollenden, was ich vorangehend versuchte, mit dem ebenfalls unterschiedlich bewertetem Begriff der "Überwältigungsästhetik" zu beschreiben suchte. Jene sich vorwärtsstürmend und doch in erhabener Größe und Ruhe erhebenden Klangmassen, die alle Sätze innerhalb seiner Werke bestimmen, können für mich einfach nicht in Zurückhaltung verklingen, sondern müssen am Ende ihre ungeheuere Präsenz entfalten.



    P.S.


    Amfortas08, solltest Du einfach eher eine Vorliebe für 'Ruhigeres' am Ende haben, so kann ich Dir ausgehend von einem kürzlich geführtem Gespräch über Sibelius nur dessen Symphonien empfehlen:


    Zitat

    Original von MFP


    Ebenso unverwechselbar ist seine Art, Spannungsbögen aufzubauen
    (und oft im entscheidenden Moment plötzlich abzureissen!) -
    z.B. in seiner 5.Symphonie
    - diese Symphonie hat übrigens auch einen Schluß, der seinesgleichen sucht!
    Überhaupt scheint das Komponieren von Schlüssen keine leichte Sache für Sibelius gewesen zu sein....


    Hier steht am Ende oft Ruhe und Klarheit in reinster Form.

    'Architektur ist gefrorene Musik'
    (Arthur Schopenhauer)

  • Was mich an Anton Bruckner fasziniert ...


    In der Musik ein ganz Grosser, im Leben eher klein.
    Gilt ja auch für andere grosse Komponisten ...

    :):):)

  • Nun, ich denke, so kann man es nicht sehen. Dies impliziert einen qualitativen Gewinn umgekehrt proportional zur 'Triumphalität' des Finales. Doch ich kann diese - selbstvertändlich wohl subjektiv gemeinte - Einschätzung keinesfalls teilen. Ich glaube nicht, dass Brahms aus seinen 'Fehlern' in der 2ten Symphonie gelernt hat, und darum, und auch nur darum seiner Dritten ein fast kammermusikalisch verklingendes Finale hat angedeihen lassen; seiner Vierten wiederum einen intellektuell-ernsten Variationssatz.
    Na ja die Schlüsse von Brahms 3 + 4 sind doch wesentlich gebrochener und skeptischer (ja ich würde sagen , die ganze fetzige Passacaglia der Brahms 4) als in seinen beiden ersten Sinfonien. Statt „Fehler“ + Lernen, würde ich aber schon sagen, Konsequenzen aus seinen vorherigen Sinfonien gezogen.


    Demnach wäre der ewig triumphale Bruckner ja quasi unbelehrbar gewesen,
    Was seine Schlüsse betrifft – in gewisser Weise ja bzw. jaein. Der Schluss des 4. Satzes von S 9 (in wie weit er echter Bruckner ist, ist ja auch nicht 100 % ig sicher) klingt immerhin weniger plakativ als der von S 8. Damit will ich nicht ins plumpe Bruckner-Bashing verfallen. Bruckner ist in seiner Entwicklung ja gar nicht stehen geblieben. Gielen hat in seinen Mahlerbuch das mal so gesagt:
    kommt man natürlich in der Neunten Bruckner, im Adagio, auf diese entsetzliche Dissonanz: die wirklich entsetzlich ist, weil sie tonal ist mit fremden Elementen, die das Tonale unkenntlich machen. Was die Tuben da spielen, paßt überhaupt nicht zum andern, ist aber kein Schreibfehler, natürlich nicht, Bruckner hat ja alles tausendfach revidiert. Dieser Akkord ist nicht zu erklären, er ist, im Unterschied zu Mahler und Berg, nichts als ein Angstding. Daß Bruckner das innerlich hören konnte, macht ihn - ich trau mich das gar nicht zu sagen - zum avanciertesten Komponisten von den dreien (Zitatende Gielen)
    Ich finde diese Anmerkung von Gielen gar nicht schlecht.
    Was mich aber z.B. bei Bruckner 5 vor allem stört, ist nicht nur der Schluss des 1. Satzes , sondern vor allem der plakativ-affirmative Choral am Ende des 4. Satzes (er wird ja zum Anfang des 4. Satzes vorgestellt, also nach der Einleitung). Während die Kompositionen des Zeitgenossen Brahms ihre Relevanz nicht zuletzt darin haben, sich derlei affirmativer Metaphysik zu verweigern, kommt dieser Choral bei Bruckner ungebrochen daher. Dadurch ist dieser Sinfonie eine unangenehme ideologische Schlagseite mit eingeflochten. Auch z.B. im ersten Satz der S. 6 wird in der Reprise das Hauptthema in einer unangemessenen Art + Weise plakativ-triumphal moduliert. Das graust's mir, wenn ich das höre. Solche Momente finden sich eben bei den späteren wichtigen Brahms-Werken – nach meiner bisherigen Erfahrung - nicht.
    Ich will einfach damit betonen, dass ab einem bestimmten Stand einer kollektiven gedanklichen Erfahrung (die es auch im 19. Jahrhundert bereits gab) bzw. ab einem Stand des Denkens auch in der Kunst bestimmte Dinge nicht mehr möglich sind, ohne in Ideologie, in ohnmächtigen Zuspruch abzugleiten; bzw. das Werk trägt dann Male des Misslingens. Damit soll keinesfalls der ganzen Bruckner verworfen, sondern nur meine Distanz zu bestimmten Momenten seines Werkes ausgedrückt werden. Dann: dass bei Bruckner oft die Hauptthemen der 1. Sätze am Ende in einer aufdringlichen Art + Weise bestätigt werden, verstärkt zusätzlich meine Distanz zu Bruckners Musik. Wie subtil gesetzt dagegen das Hauptthema des 1. Satzes am Ende von Brahms S. 3. :jubel::stumm:


    und auch Beethoven, dessen IX. Symphonie ebenfalls in strahlender Größe endet.
    Ich mag die großartige Konzeption, als quasi riesiger Variationssatz von Beethovens 4. Satz der S9 (+ wenn einer hammergeile Variationssätze schrieb, dann wars vor allem Beethoven: auch für die armen Tastenquäler + gestressten Quartett-Quäler). Ganz kurz dazu: Beethovens S. 9 scheitert in dem sie quasi vergeblich versucht ästhetisch die Unmittelbarkeit einer politischen, sozialen und metaphysischen Utopie zu beschwören. Aber in diesem Scheitern finde ich die 9 Sinfonie wiederum gelungen); wobei der Schluss der 9. nicht zu meinen Lieblingsteilen dieser Sinfonie gehört. Aber ich mag die S. 9 auch ihres Scheiterns wegen (aber das ist ja hier nicht das Thema).


    Nun gut, vielleicht gibt es auch Differenzen im Verständnis des Wortes 'Triumph' selbst, Roman sieht es ja z.B. eher als Erlösung.
    Das würde das ideologische Moment von Bruckners Schlüssen in keiner Weise abmildern.


    Manch einer würde es bei Bruckner vielleicht einfach nur 'Laut' nennen.
    Das wäre wiederum etwas ungerecht gegen Bruckners Werk, also auch gegen die ideologischen Momente.


    Meines Erachtens aber verlangt die Konzeption von Bruckners Symphonien aber einfach nach dieser Art von Schluss. Um das zu vollenden, was ich vorangehend versuchte, mit dem ebenfalls unterschiedlich bewertetem Begriff der "Überwältigungsästhetik" zu beschreiben suchte. Jene sich vorwärtsstürmend und doch in erhabener Größe und Ruhe erhebenden Klangmassen, die alle Sätze innerhalb seiner Werke bestimmen, können für mich einfach nicht in Zurückhaltung verklingen, sondern müssen am Ende ihre ungeheuere Präsenz entfalten.Interessant wäre dazu folgende – zugegeben sehr naiv-kindliche - Spekulation: Wenn Bruckner seine Adagiosätze als Schlusssätze konzipiert hätte, ja was wäre dann ?


    Amfortas08, solltest Du einfach eher eine Vorliebe für 'Ruhigeres' am Ende haben, , so kann ich Dir ausgehend von einem kürzlich geführtem Gespräch über Sibelius nur dessen Symphonien empfehlen: , so kann ich Dir ausgehend von einem kürzlich geführtem Gespräch über Sibelius nur dessen Symphonien empfehlen
    Neben Sibelius (dessen S. 7 ich vor allem mag) gibt es auch andere sehr gelungene andere Abschlüsse auch in bekannten Sinfonien (es muss ja nicht immer ruhig sein und kann sich dennoch der Affirmation verweigern (z.B. Ende von Brahms 4, Mozart S. 40 oder Mahler S. 6) )
    Ruhige Schlüsse (aber ohne Klarheit, im Gegentum !!) gibt es z.B. in
    Tschaikowski: S. 6 :jubel::stumm:
    Mahler S. 4, 9, 10 und LvE :jubel::stumm:
    Schönberg Kammersinfonie Nr. 2 :jubel::stumm:
    Schostakowitsch S. 14 und S. 15 :jubel::stumm:
    Egon Wellesz späte Sinfonien :jubel::stumm:
    Berg: Lulu-Suite :jubel::stumm: (wenn man diese Suite als Sinfonie auffasst + warum soll das denn nicht möglich sein ?)


    :hello:

  • Anton Bruckner :jubel:


    Warum ich von Anton Bruckner fasziniert bin?


    Weil er es immer wieder schafft,mich mit seiner Musik zu überwältigen.


    Meine erste Bruckner CD war die Sinfonie 8 von Oehms unter Skrowaczewski.
    Als sie vorüber war,war ich regelrecht mitgenommen...im positivsten Sinne des Wortes natürlich.


    LG


    Hörer

    ARROGANZ IST DIE PERÜCKE GEISTIGER KAHLHEIT.

  • Banner Trailer 2 Gelbe Rose
  • Zugegebenermaßen: Es dauerte lange, bis mich Bruckner faszinieren konnte. Wieso der schwere Einstieg? Ich weiß es nicht. Vielleicht war die Neunte damals nicht der richtige Anfang (noch dazu in einer, wie man hier meinte, mäßigen Live-Wiedergabe im Kölner Dom). Die "beliebteste Bruckner-Symphonie", die Siebente, konnte mich auch nicht recht packen, so daß Bruckner erstmal ein Schattendasein fristete. Da ein Wagnerianer aber eigentlich fast immer auch Brucknerianer ist, konnte ich mich damit nicht abfinden und habe ihm nochmal eine Chance gegeben. Zum Glück. Denn die Jochum- und insbesondere die Karajan-Gesamtaufnahmen der Symphonien überzeugten mich dann vollends (meine liebsten Symphonien sind wohl, in absteigender Reihenfolge, folgende: V, VIII, IX, I, IV, VI, II, VII, III, 0, 00 – die ersten fünf, sechs sind recht fix, danach wird es schwierig).


    Aber was fasziniert mich nun an Bruckner?


    Vermutlich die schiere Unendlichkeit seiner Symphonien, die monumentalen Ecksätze, die unendlich schönen Adagios und die feurigen Scherzos. Seine Symphonien sind wahrlich titanenhaft, insbesondere die "großen", V, VII, VIII und IX. Für mich der größte Symphoniker (zeitlich) nach Beethoven (noch vor meinen anderen Lieblingen Tschaikowsky und Mahler).

    »Und besser ist's: verdienen und nicht haben,

    Als zu besitzen unverdiente Gaben.«

    – Luís de Camões

  • Da hatte ich schon den leichteren Einstieg.


    Schon in der Schule haben wir den 1. Satz der IV. durchgenommen, ein ausgesprochen klangschöner Einstieg, wie ich meine.


    Schon bald drängte es mich nach den restlichen Sätzen, von meinem Opa hatte ich eine Schallplattenbox geerbt (ich glaube, es war Jochum, bin mir aber nicht sicher). Und so begann die Faszination.


    Ich muss aber zugeben, bei aller Faszination, dass ich bei diesen klangewaltigen und gigantischen Werken mitunter etwas den Überblick über die Form verlieren. Werde mich den Symphonien demnächst noch mal mit Partitur widmen.

  • Habe gestern die Bruckner-Biographie von Bekh zu Ende gelesen.
    Es ist einfach faszinierend, was dieser Mann geleistet hat. Bekh vergleicht ihn, den großen Wagner-Verehrer, mit dem reinen Tor Parsifal und das ist wohl gar nicht so falsch. Bruckner hat die Sinfonie revolutioniert. Er hat Wagners Ansatz für die Sinfonie, insbesondere den Bläser-Einsatz, weiterentwickelt. Er hat Musik geschrieben - und das ist nun meine Meinung - die von so strahlender Schönheit und so unglaublicher Kraft ist, dass man allenfalls noch Beethoven neben ihm gelten lassen kann.
    Er hat uns - wie Bach aus tiefstem Glauben heraus - Gott erkennen lassen.

  • Zitat

    Original von Luis.Keuco
    Bruckner hat die Sinfonie revolutioniert.


    Das kann ich nicht nachvollziehen. Zwar halte ich es auch für übertrieben , Bruckner als "erratischen Klotz" anzusehen, der beinahe außerhalb der gewöhnlichen Musikgeschichte liegt (was wohl Günter Wand mal angedeutet hat). Ich will Bruckners hohe Originalität nicht in Frage stellen, aber, das wurde ja oben schonmal gesagt, er hat im Grunde ein Sinfonie-Modell, das bei aller Eigenständigkeit sehr deutlich an Beethoven und Schubert orientiert ist und von dem nur selten abgewichen wird. Im Gegensatz zu "durchkomponierten" sinfonischen Dichtungen o.ä. ist das m.E. ähnlich konservativ wie Brahms, wenn auch auf andere Art.


    Zitat


    Er hat Wagners Ansatz für die Sinfonie, insbesondere den Bläser-Einsatz, weiterentwickelt.


    Meines Wissens ist es in der Zeit nicht so ungewöhnlich die nunmehr üblichen Ventilinstrumente auch als Melodieträger einzusetzen. Das machen die Russen, Franzosen usw. ebenso. Der einzige "Verweigerer" ist Brahms, der sie oft weiterhin als Naturinstrumente behandelt, jedenfalls wie in der Klassik für besondere Effekte reserviert (z.B. Posaunen in 1, iv, 3,ii, 4, iv und anderswo).
    Edwin Baumgartner hatte irgendwo im Forum darauf hingewiesen, dass ganz erhebliche Unterschiede zwischen Wagner und Bruckner, was die Kompositionsweise betrifft, bestehen: Hier "unendliche Melodie", "musikalische Prosa", dort blockhafte Aneinanderreihung von Viertaktern (Bruckner hat bekanntlich nachgezählt, wenn Kritiker eine Sinfonie durchfallen hatten lassen...) und auch Klangblöcke statt feiner Übergänge. Man hat hier ja auch von einer der Orgelregistratur ähnlichen Instrumentation gesprochen.


    :hello:


    JR

    Struck by the sounds before the sun,
    I knew the night had gone.
    The morning breeze like a bugle blew
    Against the drums of dawn.
    (Bob Dylan)

  • Nun, ich habe ja von Musiktheorie und Sinfoniegeschichte im engeren Sinne keine Ahnung, @Johannes, und so will ich gerne gelten lassen, was du über Bruckners Epigonentum in der Kompositionstechnik sagst.



    Was ich als neu und berührend an Bruckners Sinfonien im Vergleich zu seinen Zeitgenossen empfinde, ist, dass er das Prinzip der Anspannung und Entspannung völlig missachtet.


    Wenn ich z.B. die vierte Sinfonie, vor allem live im Konzertsaal höre, bin ich nachher absolut groggy, weil ich fast anderthalb Stunden unter Hochspannung stehe.


    Um es mit meinen Laienbegriffen auszudrücken: Bruckner jagt die Melodie enorm hoch, spannt die Bögen immer nach oben, aber entspannt fast gar nicht. Diese Empfindung habe ich bei keinem anderen Komponisten und sie macht Bruckner für mich anstrengend, aber ungemein bereichernd.


    tukan

  • Also von "Epigonentum" war keinesfalls die Rede. Ich habe lediglich eine Revolutionierung der Sinfonie angezweifelt, aber eine hochgradige Eigenständigkeit Bruckners durchaus eingeräumt! Eine "evolutionäre" Fortentwicklung werde ich kaum bestreiten, aber selbst hier gibt es, wie gesagt, die Position, die durchaus von Bruckner-Verehrern vorgebracht wird, dass Bruckner einen Sonderweg bestreitet, der nicht weitergeführt wurde (werden konnte?).


    Ich muß aber sagen, dass ich auch Deinen Höreindruck nur schwer nachvollziehen kann. Im Finale vielleicht. Aber im Kopfsatz, das Vogelstimmen (?) Nebenthema usw. ist doch ziemlich entspannt. Auch das Scherzo (einen Satz, den ich nicht leiden kann, aber darum geht es nicht) empfinde ich nicht als besonders spannungsreich.
    Es ist aber wohl richtig, dass bei Bruckner sehr lange "Steigerungswellen" vorkommen, wie sich alle Entwicklungen ja sehr allmählich und breit vollziehen.


    (Wenn eine Aufführung der 4. anderthalb Stunden dauert, ist übrigens etwas faul; sie sollte maximal eine gute Stunde dauern, selbst für die 8. erreicht man 90 min nur bei übertrieben breiten Tempi.)


    :hello:


    JR

    Struck by the sounds before the sun,
    I knew the night had gone.
    The morning breeze like a bugle blew
    Against the drums of dawn.
    (Bob Dylan)

  • Jetzt muss ich mein neu erworbenes Bruckner-Wissen aber auch mal einsetzen:
    Also: Bruckner war der erste, der nach Wagner Tuben einsetzte und keine Hörner. Allein das ändert den Klang gewaltig.
    Dann: Die schiere Länge der Sinfonien, die Einführung mehrerer Themen pro Satz, die Länge der Spannungsbögen, das gab es vorher so nicht.
    Es ist richtig, seine Vorbilder waren Schubert und Beethoven. Aber erweitert deren Klangvorstellung eben enorm.


    Ob der Begriff "revolutioniert" nun semantisch unbestreitbar ist, überlasse ich der Diskussion. Fest steht jedoch, dass der Weg von Bruckner zu Mahler, Schönberg, Bartok, Berg, Hartmann und bis in die Moderne geht. Ich glaube, in der 9. findet sich sogar ein Thema, dass man als erstes 12-Ton-Thema bewerten kann.
    Betrachtet man die Musikgeschichte als Fluss, dann gibt es keine Revolution. Aber das Gehen auf zwei Beinen, statt auf vieren, ist doch eine enorme Veränderung, wenn wir die Evolution in der Natur betrachten. Damit will ich nicht sagen, dass vor Bruckner alle noch von Baum zu Baum gehüpft sind oder er das Feuermachen oder das Rad im musikalischen Sinne entdeckt hat. Im Hinblick auf seine Zeit war er jedoch ein großer Neuerer und letztlich auch ein Monolith. Wo waren zu seiner Zeit denn die großen Sinfoniker? Mendelssohn, Schumann tot. Brahms - bei aller Liebe - kein großer Sinfoniker (das gibt jetzt sicher Ärger :untertauch:). Ein großer Komponist war Brahms unbestritten, aber seine Sinfonien erzählen keine Geschichte. Aber das bringt uns eher vom Thema weg.
    Wo waren die großen Sinfoniker zu jener Zeit? Was wäre ohne Bruckner aus der Gattung Sinfonie geworden? Nicht zu vergessen, wer bei ihm lernte und mit ihm arbeitete.


    Zum Höreindruck: Da sind wir halt wieder mitten im Individuellen. Mich macht Bruckner auch fertig. Ich finde die langen Bögen anstrengend, im positiven Sinn. So wie bei einem Sport-Finale, wo man bis zur letzten Minute mitfiebert. Oder wie bei einer Oper. Dafür sorgen auch die Generalpausen. Ein Bruckner-Satz dauert so lang wie eine ganze Haydn-Sinfonie. Dadurch entstehen natürlich ganz andere Weiten und andere Dynamiken. Damit will ich Haydn nicht abwerten. Nur erzielt eben ein Roman eine andere Wirkung als eine Kurzgeschichte oder eine Erzählung. Und Haydn zielte auf andere Effekte ab als Bruckner.
    Ich kann gut nachvollziehen, wie insbesondere im Konzertsaal Bruckner wirkt. Das Donnern der Bläser, die Wucht des Fortissimo ist schon beeindruckend. Das Hirn arbeitet, es sucht nach Mustern. Und es dauert lang, bis sich diese Muster finden. Dazu noch die riesige Orchesterbesetzung, Schlagzeug, das volle Programm. Da steht man schon unter Spannung.

  • Zitat

    Original von Luis.Keuco


    Also: Bruckner war der erste, der nach Wagner Tuben einsetzte und keine Hörner. Allein das ändert den Klang gewaltig.


    Das zumindest ist so nicht richtig bzw. zumindest mißverständlich.


    Ob Bruckner derjenige nach Wagner war, der als erstes Tuben einsetzte, entzieht sich meiner Kenntnis, aber in den Sinfonien, in denen Bruckner die Tuba verwendet (als erstes in der 4. Sinfonie) gibt es natürlich auch Hörner.
    Auch die Wagner Tuben (zu hören in der 7. und 8. Sinfonie) ersetzen keine Hörner.

    Grüße aus der Nähe von Hamburg


    Norbert


    Das Beste in der Musik steht nicht in den Noten.

    Gustav Mahler


  • Vielleicht habe ich mich missverständlich ausgedrückt. Natürlich hat Bruckner nicht Tuben statt Hörnern, sondern Tuben und Hörner verwendet. Aber Tuben waren noch nicht weit verbreitet und so musste man bei manchen Aufführungen auf Hörner zurückgreifen, statt der Tuben.

  • Vorab: Die Basstuba war bereits vor Bruckner durchaus als Bassinstrument zu den üblichen 3 Posaunen verbreitet und kommt bei ihm auch in den Sinfonien vor #7 vor. Die "Wagner-Tuben" in 7 und 8 sind andere Instrumente, die mit einem Hornmundstück von den Hornisten (die Hornisten 5-8 wechseln dann wohl auf die Tuben?) geblasen werden, wenn das hier stimmt:


    "http://de.wikipedia.org/wiki/Tuba"
    "http://de.wikipedia.org/wiki/Wagnertuba"



    Zitat

    Original von Luis.Keuco
    Jetzt muss ich mein neu erworbenes Bruckner-Wissen aber auch mal einsetzen:
    Also: Bruckner war der erste, der nach Wagner Tuben einsetzte und keine Hörner. Allein das ändert den Klang gewaltig.


    Wie gesagt, kommen die Wagner-Tuben nur an ein paar Stellen in der 7. und 8. vor, sonst nicht. Der Blecheinsatz ist aber auch sonst natürlich anders als bei Brahms und sie werden auch bei normaler Besetzung als eine Art Chor eingesetzt. Das ist aber kein Fortschritt oder per se besonders toll, sondern eben ein Stilmerkmal Bruckners.
    (eine "modernere" Instrumentation im Bezug auf die Blechbläser als bei Schumann oder Brahms findet sich selbstredend auch bei vielen anderen, wie etwa Tschaikowsky)


    Zitat


    Dann: Die schiere Länge der Sinfonien, die Einführung mehrerer Themen pro Satz, die Länge der Spannungsbögen, das gab es vorher so nicht.
    Es ist richtig, seine Vorbilder waren Schubert und Beethoven. Aber erweitert deren Klangvorstellung eben enorm.


    Die schiere Länge ist ebenfalls nicht per se fortschrittlich. Bei Nicht-Celi-Tempi relativiert sie sich außerdem. Außer der 5. und der 8. (und der 9., wäre sie vollendet worden) ist keine Sinfonie länger als Beethovens oder Schuberts 9. Einzelne Sätze sind geringfügig länger, aber die Tempi eben auch langsamer. Ein typischer Bruckner-Kopfsatz hat zwar eine bis 30% längere Spieldauer als die Kopfsätze der Eroica oder der 9. von Beethoven, aber das Tempo ist langsamer, die Ereignisdichte ist niedriger. Die Finali der 5. und 8. sind etwa so lange wie das von Beethovens 9. Bleiben die drei sehr langen Adagio-Sätze in 7-9, die sind tatsächlich deutlich länger als selbst lange Beethoven-Adagios (wenn man mal von extrem verschleppten Interpretationen in der 9. und den Klaviersonaten op.106 und 111 absieht.)


    Ich habe mich zugegebenermaßen noch mit keiner Bruckner-Sinfonie ausführlich mit Partitur usw. auseinandergesetzt (vom Hören kenne ich die meisten aber recht gut). Aber ich verstehe die angebliche Besonderheit des dritten Themenkomplexes bei Bruckner nicht.
    Ein "Schlußgruppenthema" ist häufig schon bei Mozart (man nehme Jupitersinf., i) und Beethoven (die Eroica hat vielleicht nur ein rudimentäres Hauptthema, aber vor dem eigentlichen Seitenthema mindestens zwei markante Zwischenthemen) und es kommt selbst in der Klassik schon vor, dass vorübergehend eine Tonart vor der Dominanttonart etabliert wird. Diese Spannungsverhältnisse verlieren ja in der Spätromantik ohnehin an Bedeutung. Hier wäre ich über eine Aufklärung, warum das bei Bruckner sowas Besonderes sein soll, wirklich dankbar.


    Zitat


    Fest steht jedoch, dass der Weg von Bruckner zu Mahler, Schönberg, Bartok, Berg, Hartmann und bis in die Moderne geht. Ich glaube, in der 9. findet sich sogar ein Thema, dass man als erstes 12-Ton-Thema bewerten kann.


    Dass bei Mahler (neben vielen anderen) ein Einfluß Bruckners besteht, will ich sicher nicht bestreiten. Bei allen anderen habe ich da doch erhebliche Zweifel...


    Zitat


    Sinne entdeckt hat. Im Hinblick auf seine Zeit war er jedoch ein großer Neuerer und letztlich auch ein Monolith.


    Monolith ja, großer Neuerer nein.


    Zitat


    Wo waren zu seiner Zeit denn die großen Sinfoniker? Mendelssohn, Schumann tot. Brahms - bei aller Liebe - kein großer Sinfoniker (das gibt jetzt sicher Ärger :untertauch:).


    Brahms ist unbestritten ein großer Sinfoniker und ein größerer als Mendelssohn oder Schumann. Da ist unerheblich, daß es "nur" 4 Sinfonien gibt (allerdings auch 4 sinfonisch dimensionierte Konzerte). Sondern es kommt auf den Stellenwert der Werke an. Anders als beim umstrittenen und oft nur bearbeitet aufgeführten Bruckner etablierten sich Brahms' sinfonische Werke sehr schnell und sind seither im Kernrepertoire.


    Zitat


    Ein großer Komponist war Brahms unbestritten, aber seine Sinfonien erzählen keine Geschichte. Aber das bringt uns eher vom Thema weg.
    Wo waren die großen Sinfoniker zu jener Zeit? Was wäre ohne Bruckner aus der Gattung Sinfonie geworden? Nicht zu vergessen, wer bei ihm lernte und mit ihm arbeitete.


    Rott und Mahler studierten bei Bruckner und wer noch?
    Das wäre ein anderes Thema, aber diese "zweite Blüte" der Sinfonie in der Spätromantik ist eine ziemlich eigenartige Sache. Es gibt jedenfalls parallel noch z.B. Tschaikowsky und Dvorak als Sinfoniker und eine ganze Reihe origineller und bedeutender einzelner Werke z.B. von Franck, Chausson, Borodin u.a. Es wäre also die (von einigen fortschrittlichen Komponisten für obsolet erklärte) Gattung auch ohne Bruckner weitergeführt worden.
    (Ob Bruckners Sinfonien "Geschichten erzählen" und ob Sinfonien das überhaupt sollen, sei hier mal ignoriert; ich tendiere zu zweimal nein. :D)


    Zitat


    Zum Höreindruck: Da sind wir halt wieder mitten im Individuellen. Mich macht Bruckner auch fertig. Ich finde die langen Bögen anstrengend, im positiven Sinn. So wie bei einem Sport-Finale, wo man bis zur letzten Minute mitfiebert. Oder wie bei einer Oper. Dafür sorgen auch die Generalpausen. Ein Bruckner-Satz dauert so lang wie eine ganze Haydn-Sinfonie. Dadurch entstehen natürlich ganz andere Weiten und andere Dynamiken. Damit will ich Haydn nicht abwerten. Nur erzielt eben ein Roman eine andere Wirkung als eine Kurzgeschichte oder eine Erzählung. Und Haydn zielte auf andere Effekte ab als Bruckner.


    s.o. Bei einem Haydn-Kopfsatz ist das Tempo doppelt so hoch, die Ereignisdichte noch wesentlich höher. Ein Bruckner-Kopfsatz mag dreimal so lange dauern wie einer von Haydn, aber es "passiert" höchsten anderthalb mal so viel. Das ist schwer zu vergleichen, aber eben so ähnlich wie Figaro vs. Tristan. Es wird im Figaro nicht weniger erzählt (im Gegenteil es passiert viel mehr), aber eben in einem flotten Komödientempo.


    Zitat


    Ich kann gut nachvollziehen, wie insbesondere im Konzertsaal Bruckner wirkt. Das Donnern der Bläser, die Wucht des Fortissimo ist schon beeindruckend. Das Hirn arbeitet, es sucht nach Mustern. Und es dauert lang, bis sich diese Muster finden. Dazu noch die riesige Orchesterbesetzung, Schlagzeug, das volle Programm. Da steht man schon unter Spannung.


    Das will ich gar nicht bestreiten (wenngleich ich erst einmal Bruckner live gehört habe, allerdings gleich die 8. :faint: )


    Ich will den hohen Rang von Bruckners Werken gar nicht bestreiten. Aber revolutionär halte ich für falsch und insgesamt habe ich bei Bruckner (wie bei Mahler) heute den Eindruck einer gewissen Überkompensation. Jahrzehntelang etwas vernachlässigt, sind es auf einmal die "Überkomponisten".


    Vielleicht gehört eine kritische Diskussion allerdings weniger in den "fasziniert"-Thread...


    :hello:


    JR

    Struck by the sounds before the sun,
    I knew the night had gone.
    The morning breeze like a bugle blew
    Against the drums of dawn.
    (Bob Dylan)

  • Banner Trailer 2 Gelbe Rose