Jazzgrößen und ihre Zwillingsbrüder in der Klassik

  • Liebe Jazzer,


    zum ersten Mal seit vielen Jahren habe ich mich wieder an meine längst vergangene Jazzleidenschaft erinnert, angeregt durch eure threads hier. Dabei fiel mir ein Spiel ein, dass ich damals für mich spielte: ich suchte nach verwandten Seelen in Jazz und Klassik, nach verborgenen Zwillingen. Das soll natürlich nicht auf Vergleiche hinauslaufen, die auf sämtlichen Beinen hinken würden, sondern es geht um ein Assoziationsspiel. Also, hier ein paar von meinen Paaren:


    John Coltrane - J. S. Bach. (Merkt man ja schon am Vornamen.) Die beiden großen Spirituellen. Ist es übertrieben zu sagen, dass "A Love Supreme" im Jazz einen ähnlcihen Rang hat wie die Matthäuspassion in der Klassik?


    Count Basie - Joseph Haydn. Gutmütig verschmitzt schnurrendes Wohlergehen.


    Sun Ra - Gustav Mahler. Die beiden Groß-Größer-AmGrößten-Orchestralen Instrumentationsmeister, mit den irrsinnigsten Tutti-Ekstasen. Und bei beiden: das Scheinbar-Idyllische aus der Tradition als Zitat. (Beim späten Sun Ra leider nicht mehr nur als Zitat. Vielleicht hat Carla Bley ihn dann als Mahler-Zwilling abgelöst?)


    Spielt ihr mit?


    Grüße!
    Micha

  • Hm, wer fiele mir denn da ein?


    Thelonious Monk und Erik Satie Beides ziemlich schräge Vögel, vor allem musikalisch, wirken mit ihrer Musik in sich gekehrt und machen beide den Eindruck, als hätten sie irgendwas gehört, was sich in der Zukunft musikalisch ereignen wird. Als ordentliche Musikpetzen schrieben sie's natürlich vor der Zeit auf.


    John Lewis und J.S. Bach. Zwilling? Fast schon ein Wiedergänger. Aber wer weiß, vielleicht war Bach der bislang schärfste Jazzer, was im 20. Jahrhunder dann endlich erkannt wurde.


    Johnny Smith und W.A. Mozart. Jaja, iss schon klar, bei mir drehen sich die Schmusescheiben. "Moonlight in Vermont" heißt die Platte, die mich auf diesen Vergleich bringt.


    So, jetzt muss ich weiterhören.


    Liebe Grüße vom Thomas :hello:


    (der sich über jeden Tamino-Zuwachs aus dem Ruhrpott freut, Micha :hello: )

    Früher ist gottseidank lange vorbei. (TP)
    Wenn ihr werden wollt wie eure Väter waren werdet ihr so wie eure Väter niemals waren.

  • Pierre Boulez - Anthony Braxton extrem Komplexes, Errechnetes klingt lyrisch und wunderschön.


    Charles Ives - Charles Mingus Was dem einen Volkslieder, Kirchenlieder, Feuerwehrkapellen sind, sind dem anderen die afro-amerikanischen Spirituals, Blues & Roots. Beide bauen das ziemlich schräg ein und sind ihrer Zeit weit voraus gewesen. Aber Mingus ist auch direkt von Ives so beeinflußt gewesen, wie vielleicht kein anderer Komponist des 20. Jahrhunderts und kannte von Ives auch schon vieles, was noch zu seiner Zeit gar nicht aufgeführt war oder dann langsam erst entdeckt wurde, über seine guten Freunde Gunter Schuller und Leonard Bernstein.


    Hanns Eisler - Willem Breuker Beide ruhen zutiefst in der Tradition, verwenden jedoch avancierteste Techniken (Dodekaphonie, bzw. Free Jazz) ihrer Zeit auf fassliche Weise zum politischen Engagement und mit viel Humor. Jedoch gilt auch hier, Breuker ist von Eisler direkt beeinflußt, wie einige andere: Heiner Goebbels, Charlie Haden mit seinem Liberation Orchestra, Pino Minafra ....


    :hello: Matthias

  • Hallo zusammen,


    mir fällt dazu die Kombination


    Vivaldi - Dave Brubeck


    ein.


    Beide haben eines der populärsten Stücke des jeweiligen genres geschrieben (4 Jahreszeiten und take 5) und viele weitere Stücke, die oberflächlich betrachtet, ähnlich klingen :D.


    Grüsse


    Achim :hello:


  • - und beide neigen dazu, einen einmal gefundenen Rhythmus das ganze Stück lang unverändert durchzuziehen...


    Grüße,
    Micha

  • Hallo zusammen,


    Charlie „Bird“ Parker - Max Reger: Zu viele Drogen - zu viele Noten!
    (Wobei ich persönlich die Musik Max Regers bisher sehr schätze)


    Viele Grüße
    Frank

    From harmony, from heavenly harmony
    this universal frame began.

  • Mir fiel gerade beim Staubsaugen noch ein Paar ein
    (nein, mein Staubsauger klingt nicht wie ein Tenorsax. Schön wär's.)
    :


    Albert Ayler und Béla Bartók
    Back to the roots und zurück in die Zukunft - die Volksmusik als Rettung vor der Bodenlosigkeit der Freiheit


    Grüße,
    Micha

  • Ein sehr schöner, geistreicher und witziger thread mit neugierig stimmenden Vergleichen.


    Da ich noch ziemlicher Jazz-Novize bin, der Name Dave Brubeck aber schon mal fiel, würde mich doch sehr interessieren, wie ihn die Alteingesessenen beurteilen. Take Five ist freilich ein Evergreeen und die EInspielung mit dem Quartet vorzüglich.


    Hier wurde er mit Vivaldi verglichen - einem Komponisten, über den sich die Gelehrten bezüglich seines Rangs durchaus streiten.
    Ist dem bei Brubeck auch so? Oder gilt er als "unantastbar"? Gibt es bei ihm Schwankungen in der Qualität der Werke??


    :hello:
    Wulf

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  • Hallo Wulf,


    zuerst sollte man vielleicht etwas klarstellen. Das Stück „take five“, das auch fast jeder Laie kennt und mit Brubeck verbindet, ist nicht von ihm, sondern von seinem langjährigen kongenialen Partner Paul Desmond (Saxophon) geschrieben worden.


    Take 5 und 4 Jahreszeiten verbindet meines Erachtens, daß es einem, oberflächlich gehört, fast schon aus dem Hals heraushängt, bei intensiverer Betrachtung jedoch vielfältige Reize offenbart.


    Brubeck hat Anfangs 60er Jahren diverse „Hits“ gelandet, nach Expertenmeinung mehr als jeder andere Jazzmusiker (kann ich nicht verifizieren).
    Seine Qualitäten liegen mE weniger in seinen Fähigkeiten am Piano, als in seinen Kompositionen und Arrangements.
    Seine Spezialität waren insbesondere Stücke in ungeraden Taktarten – zum Beispiel Take 5 in 5/4 und Blue Rondo a la turk in 9/8. Taktwechsel innerhalb einzelner Stücke, genannt sei Kathy`s Waltz mit dem Wechsel zwischen 4/4 und 6/4, waren eine weitere kompositorische Eigenart.


    Beispielhaft seien die folgenden Platten genannt:





    Anspieltip auf time further out: unsquare dance !!
    Ein völlig schräges handclapping/drum Stück, das den Akteuren höchste Konzentration abverlangt hat.


    Brubeck war meines Erachtens nicht unantastbar, dafür war seine Musik meines Erachtens zu cool, zu mathematisch. Leistungsschwankungen ? Habe mal das Penguin Jazz on CD durchgeschaut. Bis auf eine Ausnahme jede Platte mindestens 3 von 4 Sternen, das zeugt mE doch von durchgängiger Qualität.


    Grüsse


    Achim :hello:

  • Gerry Mulligan und Igor Strawinsky


    An diesen Vergleich habe ich sofort zu Beginn des Threads denken müssen, finde aber auch nach reiflichem Nachdenken als Begründung lediglich den Umstand, daß er auf "Symphonic Dreams" auch im Stile von Strawinsky improvisiert hat. Basis war das "Sacre". Sodann: die merkwürdige Quartett-Besetzung seines Gerry Mulligan Quartets (S, Tp. Bs, Dr), die Arrangements der Standards und Eigenes wie "Nights at the turntable" erinnern schon an den frühen Strawinsky der "Drei Stücke für Streichquartett" aus 1910. Reicht das als Begründung?


    Ich erweitere jetzt mal die Spielregeln und stelle die Bildchen von CD's des genannten Jazz-Musikers ein, zunächst die genannten "Symphonic Dreams"



    Als Dokument der Quartett-Zeit mit Chet Baker dann diese hier:



    Leider ohne "Frenesi"


    Liebe Grüße vom Thomas :hello:

    Früher ist gottseidank lange vorbei. (TP)
    Wenn ihr werden wollt wie eure Väter waren werdet ihr so wie eure Väter niemals waren.

  • Zitat

    Original von Thomas Pape
    Gerry Mulligan und Igor Strawinsky


    Finde ich spontan und instinktiv völlig einleuchtend. Ich kann dir aber im Augenblick auch nicht sagen, warum. Vorhin habe ich zufällig gerade die Mulligan/Baker-Aufnahmen gehört. (Quelle coincidence! Aber Paul liest hier bestimmt nicht mit...) Das scheint mir aber mit den Vergleich nicht zu treffen, sondern eher der spätere Mulligan, der Big-Band-Arrangeur, und der Stravinsky der neoklassizistischen Phase. Etwas von Neoklassizismus hatten diese Mulligans-Arangements vielleicht auch; das Alte raffiniert instrumentiert und harmonisch ein bisschen verfuchst wieder hervorholen, sowas, circa.


    Grüße,
    Micha

  • Vielleicht ein wenig gewagt, Derek Bailey, den Apologeten der nicht-idiomatischen Improvisation, überhaupt in den Bereich des Jazz zu rücken, aber er hat viel mit Jazz Leuten zusammen gespielt und irgendwie wurde ja auch die britische improvisierende Szene, auch wenn das was sie hervor brachte, selten nach Jazz klang, doch dem Free Jazz zugerechnet.
    Mich erinnert jedenfalls Bailey's spröder Art sehr an die Stücke von Webern und war ja wohl auch, laut eigener Aussage, zu Beginn stark von Webern beeinflusst, bevor er sich der reinen Improvisation zu wandte.