Ja die Liebe hat bunte Flügel - Georges Bizet: Carmen

  • Liebe Taminoianer


    Schon der Titel ist diesmal ein Tabubruch, Carmen sollte man nur in der Originalsprache hören. Nichtsdestoweniger brachte erst die Wiener Aufführung von 1876 den gewünschten Erfolg, aber da war das Werk auch schon umgeschrieben, die Sprechstellen waren von Ernest Guiraud zu Rezitativen umgewandelt worden, Musik aus andern Opern Bizets entlehnt (der Komponist war schon 1875, 3 Monate nach der Uraufführung verstorben) wurden als Balletmusik eingesetzt



    Wurde in meiner Jugend die Oper noch vereinzelt in deutscher Sprache gespielt, so ist das heute nicht mehr der Fall, man ist wieder zu französischen Originalfassung zurückgekehrt, zumeist werden auch die Rezitative aus dem Werk verbannt.


    Eigentlich ist das alles gar nicht so wichtig, denn nicht einmal die restliche Musik dieser Oper stammt zur Gänze aus Bizets Feder.
    So stammt beispielsweise die "Habanera" von Sebastian Iradier, dem Komponisten von "La Paloma" Ein Zyniker meinte einmal: Hätte Bizet, zwei Seiten weiter geblättert, wäre heute "La Paloma der "Renner" dieser Oper...na ja wer weiß.


    Bizet soll diese Musik übrigens auf Druck seiner Auftraggeber eingefügt haben. Sein angeblicher Kommentar dazu "Die Leute wollen Dreck haben, eh bien - sollen sie ihn haben"


    Auch das Auftrittslied des Escamillio ist eine Anleihe, diesmal jedoch beri eignen Werken. Es stammt aus einer unvollständigen Oper Bizets....


    Die französische Uraufführung war für das Publikum ein Schock: Man betrachtete die Oper als unmorailisch. Bizet erwog kurz eine Umarbeitung mit Happy End, jedoch wurde er von den Sängern der Uraufführung davon abgehalten.


    Carmen beruht übrigens auf einer wahren Geschichte, die von Prosper Merime, der die Lebensbeichte des baskischen Toreros Don José Lizzarrabengoa in der Todeszelle aufgezeichnet und zu einer Novelle verarbeitet hat. Die Librettisten Meilhac und Halévy, die Bizet vom Auftraggeber der Oper zugeteilt wurden, strafften die Handlung und bauten weitere Figuren (Escamillo und Micaéla ) ein. Bizet hat selbst auch ein wenig mitgemischt.


    So, das war wie immer, die Einleitung, die in diesem Fall lediglich dazu diente, die Frage zu stellen welche derzeit am Markt befindlichen Aufnahmen ihr unserem neuen Mitglied Benjamin empfehlen möchtet, der eine diesbezügliche Frage in seinem Vorstellungsbeitrag gepostet hat.


    Beste Grüße aus Wien


    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Sagitt meint:


    Drei Anmerkungen. Meine erste Carmen war vor Jahrzehnten Karajan mit der Price. Damals technisch eine brilliante Aufnahme. Karajan hatte ein Händchen für Sänger und die Price ist eine großartige Wahl. Wenn sie singt, hört man die Frau aus einer Zigarettenfabrik singen. Verraucht und verrucht. Ein wenig vulgär, kraftvoll und wild. Corelli als Don José hat nicht einen so nachhahltigen Eindruck auf mich hinterlassen.


    Zweitens gibt es seit wenigen Monaten einen Mitschnitt aus Wien 1978. Inscenierung von Zefirelli ( also konventionell), der junge Domingo als Don José und Obratsova als Carmen, aber Carlos Kleiber am Pult. Mal wieder. Was dieser Mann aus einer Partitur herausholt, ist schwerlich zu überbieten.


    Drittens gibt es eine Verfilumung von Francesco Rosi. Etwas keimfrei die Mingenes als Carmen, aber Ruggiero Raimondi als Toreador-hinreißend. So stellt man sich einen Macho pur vor. Ansonsten eindrucksvolle Bilder.

  • @Alfred


    Ein paar Ergänzungen. Die Habanera kam nicht primär auf Druck der Auftraggeber in die Partitur, sondern es gab eine längere Auseinandersetzung mit der Hauptdarstellerin, die einen möglichst wirkungsvollen Auftritt haben wollte, und mit den ersten Vorschlägen Bizets nicht zufrieden war. Nach vielen erfolglosen Versionen bequemte sich Bizet letztendlich zur bekannten (und von ihm nicht übermäßig geschätzten) Version.


    Don José Lizzarabengoa ist auch in der Novelle ein Dragonerkorporal (kein Torero!). Die Opernhandlung ist naturgemäß etwas gestrafft und theatralisch wirkungsvoller, aber gar nicht so weit von der literarischen Vorlage entfernt. Escamillo ist zwar wirklich erfunden, aber es gibt den Picador Lucas in der Novelle, der dazu dient, Don Josés Eifersucht noch weiter anzustacheln. Tatsächlich ist Carmen sogar verheiratet, aber ihr Mann sitzt im Gefängnis (genauso zeigt es später Carlos Saura in seinem Carmen-Film). Die Lebensbeichte des zum Tode verurteilten ist eine von Merimée erfundene Rahmenhandlung, die der Geschichte einen authentischen Charakter verleiht.



    @Sagittarius


    Jetzt komme ich dir wieder auf die Schliche. Als du bei Maria Callas schriebst, sie sei dir als Carmen nicht verrucht genug, fragte ich mich: "Was will er eigentlich, und warum?". Jetzt ist es verständlich, da du von Leontyne Price geprägt bist. Tatsächlich ist sie stimmlich eine der besten Carmen der Schallplattengeschichte (und die Karajan-Aufnahme rundherum sehr gut, wenn man Corellis Französisch überhört), vom Typ her ist sie jedoch nur eine mögliche, von mir aus auch gute, keineswegs aber eine ideale Besetzung für diese Rolle.
    Carmen war Zigeunerin, und das in unteren Lagen unverkennbar negroide Timbre der Price will nicht recht dazu passen. Aber du hast recht, wenn du meinst, sie klänge 'verrucht'. Da ist schon was dran.
    Aber ist Carmen verrucht? Sie ist eine sehr selbstbewusste junge Frau, die sich nichts gefallen lässt - schon gar nicht von neiderfüllten Geschlechtsgenossinnen. Und sie ist entschlossen, in Liebesdingen nach ihren eigenen Regeln zu leben, und sie sich nicht von den Männern vorschreiben zu lassen (zumindest in der Oper; in der Novelle ist sie weniger positiv gezeichnet).
    Sie ist keine Frau, die Männer demütigen und ruinieren will, aber es kann passieren, wenn der Falsche an sie gerät. Don José ist ein einfacher und gerader Typ (nein, ich habe nicht Bauerntölpel geschrieben). Vor einer männermordenden Bestie würde ihn sein Instinkt wahrscheinlich bewahren, aber der Verführung in Person erliegt er, ehe er sich bewusst ist, in welchem Schlamassel er schon drinsteckt.
    Carmen ist die perfekte Verführerin und für mich nicht verrucht. Wenn du sie so siehst, bitte (aber ich empfehle dir, dich über dieses Thema auf keine Diskussion mit (d)einer Frau einzulassen! ;) ).


    Nur zur Klarstellung: Dein angesprochener Kleiber-Mitschnitt existiert natürlich auf DVD! Ein paar Jahre später gab es im Fernsehen eine Live-Übertragung aus der Wiener Staatsoper mit Agnes Baltsa und José Carreras. Ich getraue mir aus heutiger Sicht keine Beurteilung der objektiven musikalischen Qualität dieser Aufführung, aber es wurde mit Leidenschaft agiert und es sprühten die Funken auf der Bühne! Das Finale war atemberaubend!


    Da ich Carmen in erster Linie als (unbewusste) Verführerin sehe, bin ich mit der Carmen-Verfilmung von Juilia Migenes recht glücklich (ich muss nur immer bei Micaela geistig abschalten). Sie ist die Verlockung in Person und schafft unter Studiobedingungen eine akzeptable Gesangsleistung (eine der wenigen einmaligen Abstecher in fachfremde Rollengefilde, mit denen ich gut leben kann).


    Ciao

    Ciao


    Von Herzen - Möge es wieder - Zu Herzen gehn!


  • Hallo Theophilius,


    Besten Dank für Deine interessanten Ergänzungen.


    Nun wieder von mir einige Korrekturen, bzw Erweiterungen.


    Laut meinen Informationen hat Merimé tatsächliche einen zum Tode verurteilten Torereo besuchen können und Daraus dann (etwa um 1845) die Novelle gemacht, die dann in sehr vielen DEtails für die Oper verändert wurde. Da ich aber über die "Zuverkässigkeit" schriftlicher Quellen Bescheid weiß, beharre ich nicht darauf, daß es so gewesen sei....



    Abschließend zum Thema verrucht:


    Hier muß man die Maßstäbe von 1875 ansetzen.
    Allein schon ein (in der Oper) alleinstehendes Mädchen, das in einer Zigarettenfabrik (dieser Produktionsstätte des zum Laster verführenden Glimmstengels) ARBEITETE, war schon verrucht genug.


    Diese "Verruchheit" war es die das Publikum des ausgehenden 19. Jahrhunderts gleichermaßen abstieß wie anzog.


    Würd heute die Carmen nackt gesungen werden - man würde das mehrheitlich für originell und "sexy" finden - zu "Verruchtheit genügt das nicht mehr.


    Beste Grüße
    aus Wien
    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Hallo


    Hier noch ein Auszug aus einem Opernführer der Vergangenheit, die Widmung drinn stammt von 1916, er dürfte aber älter sein:


    Zitat

    "Die spanische Zigeunerin Carmen gibt sich ganz ihren Sinnenlaunen hin. Die Liebe in ihrer menschlichsten Form treibt sie vin Leidenschaft zu Leidenschaft bis sie daran zugrunde geht. Nach dem sie viele geliebt, findet sie Gefallen an dem Serganten Don José bestrickt diesen vollständig mir sinnlichem Zauber und verleitet ihn zu Insubordination und Desertation.......


    Glänzende Lichter durchschwirren diese schwüle Handlung....


    Das ganze ist bei allem Effekt und reizendem Kolorit doch sehr stillos, und nur durch die wirklich charakteristische Musik, die den Lokalton ausgezeichnet trifft, zusammengehalten."


    Nur soviel, wie man die Oper ca 40 Jahre nach der Uraufführung beurteilte, da hatte man das prüde 19. Jahrhundert schon abgestreift !!!


    Freundliche Grüße


    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



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  • Hallo Alfred



    Zitat

    Abschließend zum Thema verrucht:


    Hier muß man die Maßstäbe von 1875 ansetzen.
    Allein schon ein (in der Oper) alleinstehendes Mädchen, das in einer Zigarettenfabrik (dieser Produktionsstätte des zum Laster verführenden Glimmstengels) ARBEITETE, war schon verrucht genug.


    Da bin ich nicht deiner Meinung. In Zigarettenfabriken abeiteten ausschließlich Frauen, da war noch nichts Verruchtes daran. Vielleicht schon eher an gewissen bevorzugten Freizeitbeschäftigungen vieler dieser Damen...


    Tatsächlich gehörten sie einer sehr niedrigen Gesellschaftsschicht an, außerdem kommen in der Oper Schmuggler vor, für die das auch noch eine ehrenwerte Beschäftigung ist, und ein charakterschwacher Deserteur ist eine der Hauptfiguren. Die Summe dieser Eigenschaften machte die Oper Carmen so 'revolutionär' (und vielleicht auch verrucht), denn das Opernpublikum dieser Zeit hatte noch nie vergleichbares auf der Bühne gesehen (wenn man von The Beggar's Opera absieht, die aber eine Parodie war).
    Bizet brachte für das vornehme Opernpublikum eine völlig neue Erfahrungswelt auf die Bühne, und es war kein Wunder, dass es ein wenig gedauert hat, bis man bereit war, emotional in diese Niederungen herabzusteigen.


    Wir hören heute nur, dass diese Oper voll von Leben, Glut und Emotion ist wie kaum eine andere, und bedenken nicht, welch kühnen Entwurf sie 1875 darstellte.


    Aber die Opernfigur Carmen hat nichts Verruchtes an sich (oder wenn doch, bitte ich um Aufklärung). Sie ist ein ganz klar gezeichneter Charakter einer ungemein selbstbewussten, emanzipierten Frau (wahrscheinlich auch ein Grund dafür, dass diese Oper heute so beliebt ist; sie ist eine der "modernsten" Opernfiguren überhaupt). Tatsächlich versuchen viele Darstellerinnen, ihr den Anschein des männermordenden Vamps zu geben, was aber zumeist zumindest aufgesetzt, wenn nicht gar peinlich wirkt. Wenn man die stimmlich nicht unbeträchtlichen Hürden dieser Partie überzeugend meistert, braucht man keine derartigen Zutaten.


    Ciao

    Ciao


    Von Herzen - Möge es wieder - Zu Herzen gehn!


  • HalloTheophilius


    Ich weiß nicht ob, Du als Du Deinen Letzten Beitrag schriebst, meinen Auszug aus dem Opernführer von einst schon gelesen hattest.


    Es war schon "verrucht" wenn eine Frau überhaupt arbeiten musste. Allenfalls akzeptierte man noch Modistinnen, Gouvernanten und Fräuleins aus dem Bureaux.
    Fabriksarbeiterinnen waren schon abgestempelt, bevor man näheres drüber wusste - Eigentlich wollten man über "sowas" gar nichts wissen, sie wurden nicht als Menschen akzeptiert.


    Aber da sind unsere Beiträge auch nicht mehr sooo weit voneinander entfernt....


    So, jetzt sollten wir langsam zur nicht ganz unwichtigen Musik übergehen ... :D


    Beste Grüße
    aus Wien
    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Hallo Alfred


    Zitat

    Es war schon "verrucht" wenn eine Frau überhaupt arbeiten musste. Allenfalls akzeptierte man noch Modistinnen, Gouvernanten und Fräuleins aus dem Bureaux.
    Fabriksarbeiterinnen waren schon abgestempelt, bevor man näheres drüber wusste - Eigentlich wollten man über "sowas" gar nichts wissen, sie wurden nicht als Menschen akzeptiert.


    Ganz falsch! Das galt nur mehr für die obersten Schichten. Wir sind schon mitten in der industriellen Revolution. Für Frauen der unteren Schichten war zu arbeiten damals völlig selbstverständlich. Sie waren überwiegend Bedienstete, Lehrerinnen, Schneiderinnen und Fabriksarbeiterinnen (Textilindustrie!). Das war damals natürlich und nichts Anrüchiges mehr.
    Was aber nicht selbstverständlich war, diese Leute auf einer Opernbühne zu sehen, die war bislang für Personen von Stand reserviert gewesen. Daher auch die Akzeptanzschwierigkeiten.


    Ciao

    Ciao


    Von Herzen - Möge es wieder - Zu Herzen gehn!


  • Wir sind wieder mal sachlich nicht allzuweit auseinander.


    Wohl aber in Sachen "Point of View"


    Wer ging denn damals in die Oper ? Die Oberschicht.


    Dazu ein Zitat aus Einem Stück von Hoffmansthal (der Unbestechliche ???)


    Es ist lange her, Details mögen nicht korrekt sein, die Quintessenz jedoch stimmt.


    Ein Mitglied der (adeligen ?) Familie will Arzt werden. Darauf das Weibliche Familienoberhaupt:


    " Arzt ???--- Mein Lieber, das ist ja sehr ehrbar, aber in unseren Kreisen hält man sich Ärzte und Rechtsanwälte - aber man wird es nicht selbst."


    Man mag diese Gesellschaftform für überholt halten, 1875 hielt sie jedoch die Zügel noch fest in der Hand und beherrschte Opern- und Konzertleben .
    Natürlich gabe es all diese Berufe - aber sie wohnten in eher ärmlichen Verhälrnissen und waren in der Gesellschaft so gut wie nicht vorhanden,
    zumindest nicht in Europa..


    Eine Annäherung unserer Standpunkte wird wohl kaum zu erreichen sein, ich halte lediglich fest, daß Carmen auch heute mehrheitlich eher als verrucht gesehen wird.




    Beste Grüße


    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Hallo Alfred


    Wir hätten miteinander in dieser Frage kein Problem, gingen wir um 100 Jahre zurück. Aber 1875 lagen die Dinge schon ganz anders.


    Zitat

    Wer ging denn damals in die Oper ? Die Oberschicht.


    Das stimmt nur sehr bedingt und gilt nur für die wenigen "Hofopern". Die meisten Opernhäuser wurden damals privat betrieben und waren gewinnorientierte Unterhaltungsbetriebe (also eine Art "Unterhaltungsetablissements" ; glaubst du wirklich, Mozarts Zauberflöte wurde mehrheitlich von der Oberschicht gesehen? ). Die hatten ein breit gefächertes Publikum, die Oberschicht alleine hätte fürs Überleben nicht ausgereicht.



    Zitat

    " Arzt ???--- Mein Lieber, das ist ja sehr ehrbar, aber in unseren Kreisen hält man sich Ärzte und Rechtsanwälte - aber man wird es nicht selbst."


    Diese Einstellung kann sich nur mehr eine ganz kleine Oberschicht leisten, die außerdem sehr isoliert lebt. Daher war es interessant, sie auf der Bühne zu erleben, denn da konnte nun jedermann ins Theater gehen und sehen, wie es bei "denen da oben" zugeht. Heute brauchen wir das nicht mehr, da eine ganze Zeitschriftenindustrie uns fein säuberlich über jeden Huster der Prominenz am Laufenden hält.




    Zitat

    ..., ich halte lediglich fest, daß Carmen auch heute mehrheitlich eher als verrucht gesehen wird.


    Diese Aussage muss ich wohl akzeptieren, obwohl ich gestehe, dass sie mich etwas überrascht.



    Liebe Grüße aus Graz


    Theophilus

    Ciao


    Von Herzen - Möge es wieder - Zu Herzen gehn!


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  • Hallo Theophilus und Alfred,


    entschuldigt bitte, wenn ich Euren interessanten Streit um die gesellschaftliche Rolle der arbeitenden Frau im ausgehenden 19. Jahrhundert unterbreche :D, aber ich möchte mich wieder eher der Oper selbst und den aus meiner Sicht empfehlenswerten Aufnahmen zuwenden.


    Die hier angepriesene erste Karajan-Aufnahme ist sicherlich grandios - wenn auch eher im Sinne von "grandioses Mißverständnis". Aus der "Opéra Comique" macht K. eher eine Art Verismo à la francaise: die Tempi werden verbreitert, die Farben knalliger, die Akzente heftiger. Zu dieser Karajan-"Carmen" paßt Corellis reißerischer Gesangsstil natürlich hervorragend (man darf da allerdings keinen echt französischen Stilisten wie etwa Georges Thill im Ohr haben). Robert Merrill entledigt sich seiner Torero-Rolle auf kraftvolle, wenn auch recht uncharmante Art und Weise. Bliebe noch Frau Price. Akustisch gesehen arbeitet sie eher in einer kubanischen Zigarrenfabrik. Sehr rauchig und "verrucht", wie schon gesagt, für meinen Geschmack im Brustregister ein wenig zu sehr "hüftwackelnd". Aber insgesamt ein mögliches und gut gesungenes Rollenportrait.


    Den DVD-Mitschnitt mit Kleiber aus der Wiener Staatsoper von 1978 höre ich mir am liebsten bei ausgeschaltetem Fernseher an. Kleiber ist in der Tat hervorragend (endlich richtige Tempi!) und gibt dem Stück bei aller Dramatik so etwas wie eine sehnige Leichtigkeit zurück. Was einem die Aufnahme eher verleiden kann, ist das mangelhafte Französisch der beiden Protagonisten, zwischen denen es durchaus nicht funkt. Domingo gesanglich (wenn auch nicht stilistich) recht schön, Obraztsova gibt die "Carmen" als sehr russisches Mütterchen auf Abwegen.


    Domingo wiederholt seine zwiespältige Leistung auch auf der insgesamt recht guten Solti-Einspielung. Troyanos vermeidet zum Glück jegliche Verismo-Übertreibung bei guter französischer Diktion, wirkt dabei aber oft seltsam unbeteiligt und studiohaft. Exzellent dagegen Kanawas Micaela und vor allem van Dams eleganter Escamillo. Solti dirigiert idiomatisch, bewegt und farbenreich. Zu Recht bemüht er sich um philologische Korrektheit des Textes und ersetzt die stilfremden Guiraud-Rezitative durch Dialoge.


    Die besondere Affinität Sir Thomas Beechams zur französischen Musik kommt auch seiner "Carmen"-Aufnahme von 1959 zugute. Trotz Guiraud-Rezitativen ist sie stilistisch der "Opéra Comique" sehr nah, besticht durch Präzision und stimmige Tempowahl. Trotz aller vermittelten Hitze schwitzt die Musik h i e r nicht. De los Angeles Carmen ist die von Theophilus angesprochene "moderne Frau", die es nicht nötig hat, den "Weibsteufel" herauszukehren, um verführerisch zu wirken. Dazu noch der perfekte Stilist Gedda und mit Micheau und Blanc hervorragend besetzte "Nebenrollen".


    Wer ganz in die mittlerweile verloren gegangene Welt der "Opéra Comique " eintauchen möchte, sollte sich den alten Cluytens-Mitschnitt von 1950 zulegen. Raoul Jobin und Solange Michel mögen wie die übrige Besetzung nicht die schönsten und besten Stimmen haben, aber dennoch besitzen sie die heute kaum noch vorhandene Natürlichkeit und Selbstverständlichkeit lebendiger französischer Operntradition.


    Grüße


    GiselherHH

    "Mache es besser! (...) soll ein bloßes Stichblatt sein, die Stöße des Kunstrichters abglitschen zu lassen."


    (Gotthold Ephraim Lessing: Der Rezensent braucht nicht besser machen zu können, was er tadelt)

  • Zitat

    Original von Alfred_Schmidt
    Liebe Taminoianer


    Schon der Titel ist diesmal ein Tabubruch, Carmen sollte man nur in der Originalsprache hören.
    [...]
    Wurde in meiner Jugend die Oper noch vereinzelt in deutscher Sprache gespielt, so ist das heute nicht mehr der Fall, man ist wieder zu französischen Originalfassung zurückgekehrt, zumeist werden auch die Rezitative aus dem Werk verbannt.


    Hallo Alfred,


    ist die dt. Version tatsächlich so unerträglich und schmälert sie die gesamte Oper?
    Dt. Versionen werden ja häufig kritisiert - teils schon zurecht -, aber - um auch auf den "Messias" zu verweisen - können sie manchmal durchaus gelungen sein.


    Eine sehr "antike" Aufnahme von Sir Thomas Beecham kann ich empfehlen, wenngleich sie etwas veraltet klingt:



    Sir Thomas Beecham: Georges Bizet, Carmen. The Metropolitan Opera House Orchestra and Chorus. New York 1943.

    »Und besser ist's: verdienen und nicht haben,

    Als zu besitzen unverdiente Gaben.«

    – Luís de Camões


  • Leonard Bernsteins erste Zusammenarbeit mit der Deutschen Grammophon und wohl auch die erste gemeinsame Arbeit der New Yorker MET mit der Deutschen Grammophon. Eine echte Studioproduktion (mit sorgfältiger Klangdramaturgie, aber ohne vordergründige Hörspieleffekte) aus dem Jahr 1973.
    Die Besetzung ist keine Versammlung von "Stars", aber sie leisten dennoch sehr überzeugende arbeit.
    Die oben abgebildeten aufnahmen sind selbstverständlich identisch, nur ist die eine halt mit vollem Libretto, also dickerem Booklet ausgestattet. Der Klang ist sehr gut, hätte als Digitalaufnahme zwanzig Jahre später auch nicht besser klingen können.
    Bernsteins Tempi sind absolut "normal", es gibt nichts ungewöhnliches zu berichten. Ich finde Bernstein Dirigat sehr empfehlenswert, lediglich das Finale könnte ich mir dramatischer vorstellen, aber das befriedigt mich in der Beecham-Studioaufnahme von EMI auch nicht völlig. Leider habe ich keine weiteren Vergleichsaufnahmen, die Anschaffung der Kleiber-DVD und von Abbados Aufnahme sind für die mittelfristige Zukunft geplant. Zu Beecham werde ich mich nochmals äussern, wenn ich diese Aufnahme noch mal gehört habe.


    Nachtrag:
    (Für Leute, die sowiso mindestens vier oder fünf Carmenaufnahmen brauchen, sei dies eine Kaufempfehlung, für Bernsteinfans sowieso, aber für die, denen ein oder zwei gute Aufnahmen reichen, ist Beecham einfach eine viel zu grosse Konkurrenz. Ich höre gerade nebenbei die Beechamstudioaufnahme von 1958/59, das ist schon ein umwerfender Vergleich zu Gunsten Beechams!)



    Gruß, Markus

  • Sagitt meint:


    da habe ich was angestoßen....ich will meine Position ein wenig erläutern. Carmen ist eine selbstbewusste Frau, eine unbedingt Liebende, aber auch eine gefährliche Katze, die Krallen hat.Ich beziehe mich gar nicht auf ihre Position zu Männern, sondern auf ihr Auftreten im Kreis der Kolleginnen, auf die Auseinandersetzung mit Messern- die selbstverständliche Einbezieung von Agressivität.Verrucht bezieht sich weniger auf ihre soziale Stellung, sondern eher auf die Stellung im Soziogramm- da wäre sie eine gefährliche, die man bewundert, aber uch fürchtet. Deswegen gefallen mir Verismo-Versionen von diesem Stück am besten.
    Ich werde aufgrund des threads Callas nochmals genauer nachhören- denn eigentlich passt so etwas durchaus zu ihr.

  • Felipe II fragte:


    Zitat

    ist die dt. Version tatsächlich so unerträglich und schmälert sie die gesamte Oper?
    Dt. Versionen werden ja häufig kritisiert - teils schon zurecht -, aber - um auch auf den "Messias" zu verweisen - können sie manchmal durchaus gelungen sein.


    Hallo,


    Für mich ist das natürlich nicht unerträglich, ich hab ja die ganzen deutschen Texte noch im Kopf, hönnte fas als Souffleur (ohne Textbuch) für alle Mozart-Opern gehern :D


    Aber die Zeiten haben sich gewandelt.
    Wenn Du als Junger solch eine Aufnahme empfiehlst ist das schick und exotisch. wenn ich das tu, schauts antiquiert aus. :yes: :yes:


    Auch Klassik unterliegt gewissen Moden, Du wirst sehen.......


    Beste Grüße aus Wien
    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



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  • Hallo Sagittarius,


    zum letztgesagten kann ich vollkommen zustimmen. Es ist ja nicht zuletzt diese schillernde Persönlichkeit, die so viele Sängerinnen sich um diese Rolle bewerben lässt, obwohl sie so ihre Tücken hat (von der Anforderung an die Stimme).


    Schließlich bin ich auch der Meinung, dass Maria Callas eine sehr überzeugende Charakterisierung der Figur gibt. Gewiss, es war nicht ihr Stimmfach, und es war eine ihrer letzten Aufnahmen. Also geh bitte nicht zu hart mit ihr ins Gericht...


    Ciao

    Ciao


    Von Herzen - Möge es wieder - Zu Herzen gehn!


  • Hallo,


    Vielen herzlichen Dank für die vielen Tipps. Werde morgen mal die einschlägigen Shops abklappern (sind eh nicht so viele in Wien) und schaun was hier so lagernd oder lieferbar ist.


    lg
    benjamin

  • Hi,


    bei Da Caruso wird die Wahl sicherlich zur Qual (die haben in der Regel so ziemlich alles Greifbare am Opernsektor vorrätig)!


    Ciao

    Ciao


    Von Herzen - Möge es wieder - Zu Herzen gehn!


  • Hallo,


    Ja, war wirklich die Qual der Wahl. Hab heute bei Da Caruso neben einigen anderen Opern (der Bankomat gleich neben dem Geschäft ist gemein) diese Carmen erworben:


    Freu mich schon aufs Anhören, nachdem die Liebste heute Abend Firmenfeier hat, kann ich auf der Anlage Vollgas geben. :)


    lg,
    Benjamin

  • Gute Wahl!



    (Was heisst gut, die Beste!!! Allerdings gibt es hier eine Reihe empfehlenswerter Zweitversionen)


    Ciao

    Ciao


    Von Herzen - Möge es wieder - Zu Herzen gehn!


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  • Also dann viel spaß mit Carmen, Die Andern Opern kanst Du ja im Thread "Heute erst gekauft" vorstellen


    Beste Grüße


    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Kennt jemand den Carmen-Film von Karajan, der demnächst im Rahmen der "DVD-Offensive" von der Deutschen Grammophon veröffentlicht wird??? Was ist davon zu halten?

  • Kann mich nur nochmals herzlich bedanken. Hab die Emi Classics Aufnahme gerade das 2. Mal gehört und bin restlos begeistert. Da passt einfach alles. Vielen Dank.


    lg
    benjamin

  • Hallo Giselher


    Zitat

    Akustisch gesehen arbeitet sie eher in einer kubanischen Zigarrenfabrik


    Sollen wir jetzt Leontyne Price für außerordentliche Werktreue loben? Wie wir ja alle wissen ( :D ), ist die Habanera ein kubanischer und kein spanischer Tanz!


    Ciao

    Ciao


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  • Hallo Markus


    Zitat

    Kennt jemand den Carmen-Film von Karajan, der demnächst im Rahmen der "DVD-Offensive" von der Deutschen Grammophon veröffentlicht wird??


    Er ist ganz großartig!!!


    Ciao

    Ciao


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  • Georges Bizet
    Carmen


    Leontyne Price, Franco Corelli, Robert Merrill, Mirella Freni
    Herbert von Karajan
    Wiener Philharmoniker


    RCA Red Seal 26.35035
    (11/1963)



    Ich gehe mit Carmen (einer meiner ausgewiesenen drei Lieblingsopern in diesem Leben) sehr sparsam um, und der aktuelle Carmen-Schwerpunkt, den ich auf Grund des Threads hier veranstalte, ist praktisch die Neuentdeckung aller meiner Aufnahmen, die viele, viele Jahre nicht mehr gehört und gesehen waren.


    Carmen wird heute in zwei Versionen gespielt. Zum einen als große Oper in der Fassung von Guiraud (meiner Erinnerung nach für die Erstaufführung an der Wiener Hofoper geschaffen) und (etwa seit den siebziger Jahren) vermehrt wieder in der ursprünglichen Fassung von Bizet für die Opéra Comique.
    Karajan dirigiert natürlich die Guiraud-Fassung, wie es damals generell üblich war. Die Akzeptanz dieser Fassung dürfte auch davon abhängen, ob man sie als erste oder zweite kennengelernt hat. Ich habe Carmen so kennengelernt (als Fernsehfilm der Salzburger Festspielaufführung 1967) und erst später die Originalfassung (Bernstein). Ich kann mit beiden gut leben und habe keine Präferenzen. Mich interessiert mehr die jeweilige Realisierung.


    Und diese ist hier in besten Händen. Karajan mit den Wienern ist wieder einmal der zusätzliche Star auf der Besetzungsliste. Wenn man sich der Aufnahme einfach hingibt, wird man mit phantastischem Orchesterspiel belohnt. Farbig, sinnlich, spannend, dramatisch, dabei nie forciert, man hat immer das Gefühl: genauso muss es sein! Es ist, als wenn Böhm Mozart dirigiert.


    Gishelhers Bemerkung, es handle sich dabei um ein grandioses Missverständnis, ist ein Witz. Karajan wusste genau, was er wollte, und warum er es wollte. Es scheint immer noch an einigen Herrschaften vorbeigegangen zu sein, dass etwa ab 1958 einige Studios bei Opernproduktionen versuchten, die fehlende Optik durch zusätzliches musikdramatisches Agieren und eingebauter akustischer Effekte wenigstens teilweise zu kompensieren. Dies währte ein gutes Jahrzehnt und endete wegen des zu großen Aufwands und wegen der Abgänge der dafür verantwortlichen Visionäre (Legge und Culshaw). Daher die stärkeren musikalischen Akzente, deswegen wackelt Carmen stimmlich mit den Hüften und auch deshalb zieht man den Kopf ein, wenn Don José im 3. Akt den Warnschuss gegenüber dem nächtlichen Eindringling abgibt. Das war damals beabsichtigt und es wurde als große Errungenschaft gefeiert. Vergleicht man diese Aufnahme mit dem Film von 1967, wird man feststellen können, dass Karajan dort genau in jenen Bereichen zurücknimmt, wo die vorhandene Optik nicht mehr durch Orchestereffekte verdoppelt werden muss, und generell weniger plakativ spielt. Auch wird seine neue Carmen nicht mehr stimmlich mit den Hüften wackeln, da sie es ohnehin optisch hinreissend macht. Und zuguterletzt muss man Karajan bescheinigen, dass er die diffizile Balance zwischen mehr an Effekt und vielleicht zuviel des Guten besser hält als sein großer Konkurrent dieser Tage - Georg Solti. Der produzierte in diesen Jahren eine Reihe legendärer Einspielungen mit deutlich mehr an zusätzlichem musikalischen und technischen Agieren - und wird heute gerade deswegen schon gelegentlich kritisiert.


    Nun zurück zu dieser Aufnahme. Die vier Protagonisten können sich auf dem roten Orchesterteppich voll entfalten. Das gelingt besonders den Damen sehr gut. Leontyne Price als Carmen wurde schon mehrfach erwähnt. Sie agiert stimmlich mehr, als man es gewohnt ist, aber davon abgesehen ist sie eine sehr überzeugende, sinnliche und (ja Sagittarius!) leicht verruchte und gefährliche Carmen. Großartig Mirella Freni in ihrer zweiten Leib- und Magenrolle als Micaela. Bei den Herren schaut es etwas weniger gut aus. Sie neigen naturgemäß zu einer mehr veristischen Darstellung ihrer Rollen. Franco Corelli ist berüchtigt für sein Französisch, hier geht es aber noch relativ gut (viel besser als 10 Jahre später bei Maazel), er ist ein sehr akzeptabler Don José in direkter Verwandtschaft mit Jon Vickers und Placido Domingo. Robert Merrill kann den Escamillo zwar gut singen, ist aber - wie Giselher richtig bemerkte - mehr polternd als charmant und attraktiv. Die Faszination, die er auf Carmen ausübt, erschließt sich dem Hörer nicht recht.


    Wenn man die Guiraud-Fassung akzeptiert, ist das in Summe eine grandiose Einspielung der Carmen mit wenigen Einschränkungen.

    Ciao


    Von Herzen - Möge es wieder - Zu Herzen gehn!


  • Hallo Theophilus,


    sicher hat sich mit der - im Gegensatz zur Pariser Uraufführung erfolgreichen - Wiener Erstaufführung von 1875 und den dafür komponierten Guiraud-Rezitativen eine Art Nebenstrang gebildet, der eine eigene Art von Aufführungstradition (polemisch gesprochen: Fehlentwicklung) begründet hat.


    Guirauds Rezitativfassung ist in mehrfacher Hinsicht problematisch. Zum einen ebnet er durch die verbindenden Rezitative die Tonartenunterschiede und die damit von Bizet beabsichtigten Kontraste der einzelnen Musiknummern ein. Die Dialoge enthalten zudem wesentlich mehr wichtige Informationen über die einzelnen Figuren, die zu deren Verständnis beitragen. Sie sind im spezifischen Stil der "Opéra comique" gehalten, also realistisch und ohne den "hohen Ton", der beispielsweise die Dialoge im "Fidelio" oft peinigend werden läßt. Guiraud aber nähert durch das Zitieren von Motiven und Motivphrasen im Sinne von Wagnerschen Leitmotiven das Stück der Gattung "Musikdrama" an, öffnet so falschem Pathos und der Gefahr zu großer Schwere Tür und Tor. Was Bizet aber vor allem wollte war Leichtigkeit (Anweisungen wie "léger", "leggiero" etc. finden sich, wie ich nachgelesen habe, offenbar in der Partitur zuhauf). Gleichzeitig vermerkt er den Gebrauch des Portamentos, also eines typischen Stilmittels der italienischen Gesangstechnik, immer dann, wenn er ihn haben will, also nicht andauernd. Viel öfter aber finden sich Anweisungen wie "non legato", "staccato" und "rhythmé", was eben typisch "französisch" ist.


    Im Laufe der Zeit haben sich Aufführungen außerhalb Frankreichs immer weiter vom eigentlichen Stil des Werkes entfernt und Karajans Aufnahme ist eine Art Kulminationspunkt dieser Entwicklung. Er ist bei weitem nicht der einzige Dirigent in dieser Hinsicht, wohl aber der extremste. Daß das nicht ausschließlich an der Guiraud-Fassung liegen kann, beweist die Aufnahme Beechams. Sie ist dennoch leicht, federnd, gespannt. Sie übertreibt nicht, sie schwitzt nicht.


    Karajans Aufnahme ist dagegen schweißnass vor melodramatischer Aufregung. Während der 1. Akt in dieser Hinsicht noch ganz passabel und manierlich über die Bühne geht, brechen in den nachfolgenden Akten sukzessive alle Dämme: die Geigen schluchzen mit viel Vibrato, die Bläser wälzen sich in geradezu germanischer Breite dahin (bei der Arie des Escamillo fahren die tiefen Bläser dazwischen, als ob "Götterdämmerung" auf dem Spielplan stünde), die Farben werden lauter und schreiender bis zum "Höhepunkt" am Ende, wo wir uns stilistisch dann auch dank des jammernden Herrn Corelli endgültig im Sizilien der "Cavalleria Rusticana" befinden. Daß Karajan das alles so gewollt hat, ist angesichts der von ihm ausgeübten künstlerischen Kontrolle während der Aufnahme keine Frage. Nur ist diese Werkauffassung, mag sie oberflächlich betrachtet auch noch so "aufregend" und rein technisch toll gespielt sein, eine Entstellung des ursprünglichen Werkes in seiner Vernachlässigung des Französischen in Stil und Sprache. Der ansonsten bei Wagner zu Recht manchmal der Effekthascherei beschuldigte Solti geht in seiner "Carmen"-Einspielung von 1975 wesentlich vorsichtiger zur Sache, vielleicht eine Spur zu ernst. Aber er bemüht sich hörbar um den eigentlichen Stil des Stückes. Karajan hingegen schlägt es ungerührt über den Einheitsleisten seines Luxussounds. Eben ein Mißverständnis, wenn auch ein zugegebenermaßen grandioses.


    Grüße


    GiselherHH

    "Mache es besser! (...) soll ein bloßes Stichblatt sein, die Stöße des Kunstrichters abglitschen zu lassen."


    (Gotthold Ephraim Lessing: Der Rezensent braucht nicht besser machen zu können, was er tadelt)

  • Hallo,


    kennt jemand diese Aufnahme?



    Ist zwar auf Deutsch, aber man höre sich mal bevor man vorschnell urteilt - dt. Aufnahme, o Schreck und dergleichen - das "Ha, sieh naht!/Les voici!" an... (hier)
    Einfach bombastisch.


    Gibt es das auch als Gesamtaufnahme?


    Gruß
    Felipe

    »Und besser ist's: verdienen und nicht haben,

    Als zu besitzen unverdiente Gaben.«

    – Luís de Camões

  • ist für mich die wahrhaftigste, weil glaubhafteste aller Opern. Das Sujet "Eifersuchtsmord" ist in den Zeitungs-Chroniken ja kein seltenes Thema.
    Auch wenn ich von den Taminos geprügelt werde, die von José bevorzugte, etwas bodenständige Lösung, ist für mich nachvollziehbar.
    a) Gibt es Liebe, die nicht besitzergreifend ist?
    b) Der liebe José hat alle Brücken abgebrochen, um schließlich einen
    Tritt in den Allerwertesten zu bekommen.


    Aufnahmen, bereits erwähnt:
    Price/Corelli/HvK
    Kleiber/Domingo
    Abbado/Berganza/Domingo - wurde nicht erwähnt, hat mir sehr gut gefallen, ewig schon nicht mehr gehört.

    Otto Rehhagel: "Mal verliert man und mal gewinnen die anderen".
    (aus "Sprechen Sie Fußball?")

  • Lieber Theophilus,
    Du schreibst mir aus der Seele .
    Diese Aufnahme ist bis heute nicht erreicht , geschweige denn übertroffen .
    Der Chor ist nicht überragend und der grosse Merrill hat in den 1960er Jahren in Robert M a s s a r d ( Pariser Oper ; es gab bei Philips eine Gesamtaufnahme mit ihm ) seinen Meister gefunden . Massard hatte alles , was ein grosser Escamillo sängerisch und darstelklerisch haben sollte !
    Corellis Psychologie des Don José finde ioch schon sehr gut .
    Gedda singt nur schöner , aber nicht rollenangemessener !
    Beste Grüsse
    Frank

    Frank Georg Bechyna
    Musik & Medizin

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