Verjazzte Klassik

  • Hallo Klassikfreunde,


    Ich liebe Bach.
    Seit kurzem liebe ich auch Jazz.


    Nun lief mir folgende Scheibe über den Weg.


    Modern Jazz Quartet
    Blues On Bach


    Ich weiß noch gar nicht was ich davon halten soll. Ist das legitim oder grenzt das an Blasphemie? Gefällt Euch so was? Wenn ja, gibt es Empfehlungen. Ich werde mich später äußern, aber die Tendenz geht eher dahin, dass ich so etwas nicht brauche. Das dachte ich aber schön öfter... :wacky:


    Liebe Grüße
    GalloNero

    ... da wurde mir wieder weit ums Herz ... (G. Mahler)


  • Diese CD gefällt mir ziemlich gut. Aber ich kenne auch nicht viel anderes. Sie ist jedenfalls wesentlich interessanter als Loussier, von dem ich ein paar Sachen aber auch unterhaltsam finde. Tiefere Erkenntnisse sollte man sich allerdings nicht erhoffen.
    Ich habe im Radio aber auch schon Verjazzungen von Für Elise oder der Pathetique oder so gehört, das funktionierte m.E. sehr schlecht...


    Blasphemie sehe ich da keine. Ich finde, wenn überhaupt Bearbeitungen, dann solche viel interessanter, bei denen eine gewisse Spannung zum Original entsteht. Also z.B. auch Bach/Stokowkis, Brahm/Schönberg usw. (Die hier so populären zeitgenössischen Klavier-, Harmonie- oder Kammermusikbearbeitungen von Mozart oder Beethoven sind mir dagegen bloß historische Kuriositäten.)


    viele Grüße


    JR

    Struck by the sounds before the sun,
    I knew the night had gone.
    The morning breeze like a bugle blew
    Against the drums of dawn.
    (Bob Dylan)

  • Verachtet mir den Loussier nicht. Seine Scheiben haben zu ihrer ursprünglichen Entstehungszeit viel mehr Leute an die Klassik herangeführt, als manchem heute noch bewusst ist. Ich finde sie aber auch heute noch anhörbar:



    Natürlich ist das blanke POPularisierung, in der man keine besonders ernsthafte Beschäftigung mit den Strukturen des Originals vermuten sollte, ebensowenig wie bei den Aufnahmen der Swingle Singers, die mir ihrerzeit aber sogar mit ihrem nicht mehr verfügbaren ANYONE FOR MOZART viel Vergnügen bereiteten:



    Interessantere Bearbeitungen, allerdings mehr mit elektronischen als echt jazzigen Variationen bot übrigens Wende Carlos in ihrem Soundtrack zu Kubricks CLOCKWORK ORANGE, wo sie sich sogar an Rossinis WILHELM TELL und mit erstaunlich zielführendem Mut an Beethovens neunte Sinfonie wagte:



    Solange hier nicht der Anspruch erhoben wird, etwas dem Original Gleichwertiges zu schaffen, finde ich das eher unterhaltsam, manchmal auch inspirierend, aber keineswegs blasphemisch. Blasphemisch wäre es für mich eher, ein Werk ungehört und ungerührt auf seinem abgehobenen Sockel zu belassen.


    Übrigens sollte man in dem Zusammenhang auch an so etwas wie Ella Fitzgeralds Songbooks mit Liedern klassischer Musicalkomponisten denken. Mit dem nötigen Abstand werden die wahrscheinlich erst recht als kongeniale Interpretationen klassischer Musikstücke angesehen werden:



    Ich habe zum Glück noch die vergriffene rote Box mit der Gesamtedition, aber die hier gezeigte ist schon mal ein gut ausgesuchter Querschnitt. Natürlich gilt die Empfehlung auch für die vielen instrumentalen Songbearbeitungen von Miles Davis, Charlie Parker u. v. a.


    Sorry für die Tendenz zum OT, aber ich bin nun mal kein Jazzkenner.


    :hello: Jacques Rideamus

  • Hallo Gallo,


    da hast Du aber ein breites Thema aufgegriffen :hello:.


    Über die häufig polarisierenden Beispiele (wie zB Loussier) hinaus haben sich viele Jazzmusiker mit dem Thema Klassik beschäftigt.


    Aus meiner eigenen Sammlung möchte ich die folgenden Beispiele zeigen, die in keiner Weise repräsentativ sein wollen und können:




    die Scheibe hast Du ja selbst schon erwähnt.



    Eine Platte aus der guten alten CTI-Zeit in den 70er Jahren, wo der Produzent Creed Taylor mit seinen Künstlern einen eigenen "Sound" (Jazz-Funk-Soul) und eine besondere Coverart kreierte.
    Hubert Laws (fl) spielt hier neben einigen Jazztiteln das Sacre Du Printemps von Strawinsky.



    Inspiriert von den Bachschen Konzerten erweist Brubeck dem Meister hier seine Referenz.



    Eumir Deodato - ein schillernder Produzent von tanzbarem Jazz-Rock-Soul Bigband Sound. Jazz für den Massengeschmack und entsprechend gut verkauft. Wer wissen möchte, wie Also sprach Zarathustra für die dance-hall kilngt, ist hier richtig.
    Danben wird auf der Scheibe noch eine Interpretation de Prelude a l`après-midi d`un faun geboten.




    Wieder CTI, diesmal mit Jim Hall - Guitarre, der das Concierto d`Aranjuez interpretiert.



    Während die vorstehenden Platten alles Klassiker im Sinne von älteren Aufnahmen sind, ist die Scheibe von Uri Caine relativ neu.
    In spannenden Interpretationen hat sich Werke von Mozart vorgenommen und dafür den Echo-Klassik 2007 erhalten.



    Vermutlich sollte man den thread in den heimeligen Keller verschieben, daß er mE dort eher wahrgenommen wird.


    Grüsse


    Achim :hello:

  • Jeder kennt Joaquin Rodrigos "Concierto de Aranjuez" für Gitarre und Orchester - ein "Muß" für jeden Gitarristen und ein beliebtes Stück für den Sonntags-Nachmittags-Kaffee.


    Laurindo Almeida hat dieses Stück mit dem Modern Jazz Quartet eingespielt - sozusagen "gegen den Strich" gebürstet:



    Auf dieser CD zusammen mit einigen anderen, hörenswerten Stücken:


    1. Silver
    2. Trieste
    3. Valeria
    4. Fugue in a Minor
    5. One Note Samba
    6. Foi a Saudade
    7. Concierto de Aranjuez


    LG


    :pfeif: :pfeif:

    Harald


    Freundschaft schließt man nicht, einen Freund erkennt man.
    (Vinícius de Moraes)

  • Zitat

    Original von Achim
    Hallo Gallo,
    Vermutlich sollte man den thread in den heimeligen Keller verschieben, daß er mE dort eher wahrgenommen wird.


    Hm, da isser ja nun auch gelandet.


    Ich habe lange überlegt, wo ich den Thread platziere. Hatte auch in Eerwägung gezogen zwei zu starten. Habe ihn dann doch bei Allgemeiner Klassik platziert, weil ich davon ausgegangen bin, dass ihn dort dann alle lesen. Ich bin ja vor allem auch daran interessiert, was Klassikhörer davon halten. Aber vielleicht werden viele reine Klassik Hörer sowas gar nicht kennen, kannte ich es ja bis vor 3h auch noch nicht ;-). Mal von den Sketches of Spain abgesehen. Aber das ist ein anderes Thema...


    Es gibt auf das Thema zwei Sichten. Die Sichtweise des Klassikhörers und die Sichtweise des Jazz-Liebhabers. Beide dürfen sich die Fage stellen, will ich sowas hören oder ist das Respektlos. Dem Jazz gegenüber? Der Klassik gegenüber?


    Wo sind die kritischen Hörer?


    Liebe Grüße
    GalloNero

    ... da wurde mir wieder weit ums Herz ... (G. Mahler)

  • Achim hat schon Uri Caine erwähnt, der inzwischen rund ein Dutzend CDs veröffentlich hat, die sich klassischen Komponisten oder Werken widmen. Caine ist ein wunderbarer Pianist und ein äußerst versierter Arrangeur, und seine CDs snd immer wieder überraschend.


    Ich stelle mal nur drei vor, die ich kenne:

    "Wagner e Venezia" sind Arrangements von beliebten Instrumentalstücken (also die üblichen Ouvertüren, der Liebestod und der Walkürenritt) des großen Richie für Salonorchester mit Streichern, Akkordeon und Klavier. Allerdings nicht irgendein Salonorchester, sondern eines aus großartigen Jazzern, die hingebungsvoll und sehr ernsthaft spielen. Live aufgenommen in Venedig.


    Dann die Diabelli-Variationen:

    Caine hat die Diabelli-Variationen für Klavier und Orchester arrangiert und mit Improvisationen ergänzt und mit dem Concerto Köln eingespielt. Eine absolut ernstzunehmende Auseinandersetzung mit dem Werk.


    Das sind zwei Platten, die in einer Tradition des Arrangierens beliebter Werke stehen, die der klassischen Zeit selbst auch nicht fremd war...


    Ein bisschen wilder wird's hier:

    The Goldberg Variations: zwei CDs, vollgepackt mit Variationen auf die Variationen, in allen gestalten. An vielen ist Caine selbst beteiligt, zu einigen hat er befreundete Künstler angeregt. Jede Variation ist anders besetzt. Das "Kettwiger Bach Ensemble" ist ebenso vertreten wie "DJ Logic", es gibt Variationen für Altblockflöte, Laute und Violine und solche für klassisches Jazzquartett.


    Dann habe ich noch zwei Mahler-Platten von Caine:
    und


    Die müsste ich aber erst noch mal hören, um was dazu sagen zu können.


    Ich finde die Caine-Aufnahmen allesamt äußerst inspirierend und vielseitig. Respektlosigkeit könnte ihnen, glaube ich, auch ein hartnäckiger Purist nicht vorwerfen. Denn hier geht es um erheblich mehr als nur darum, beliebte Melodien zu benutzen. Wobei ich letzteres auch nicht verwerflich finde, vor allem, wenn es so geschieht wie bei den Interpreten, die bisher genannt wurden.


    Grüße,
    Micha



    P.S.: Ich hatte letztens erst überlegt, einen eigenen Caine-thread zu eröffnen. Nun passt es hier auch prima hin. Anderes von Caine muss ich mir bald mal besorgen: Die "Otello"-CD und die zur Dichterliebe, zum Beispiel. Lauter Lieblingswerke, auf die Caines Bearbeitungen einen noch mal ganz neuen Blick versprechen.

  • Zitat

    Original von GalloNero
    Ich weiß noch gar nicht was ich davon halten soll. Ist das legitim oder grenzt das an Blasphemie?


    Warum gleich so negativ? Ich hallte es da eher mit dem seiner Zeit führenden holländischen Komponisten Willem Pijper, der die Ansicht vertrat, Konsertsäle seien keine Gotteshäuser und Musikwerke keine Predigten.


    Vielleicht kann man aus seiner eigenen Warte heraus von Geschmacklosigkeit, Kitsch oder dergleichen reden, aber Blasphemie....Bach schrieb für Gott, was nicht bedeutet, daß er selber einer war. Diese Behauptung wäre - für einen christlichen Menschen - Blasphemie :D


    Ansonsten vermag ich zu den hier vorgestellten Alben (noch) nichts zu sagen. Caine steht allerdings schon länger unter meiner Beobachtung :pfeif:


    :hello:
    Wulf



  • Zumindest Primal Light mag ich auch gern:





    Unter diesen Bearbeitungen von Mahler-Sätzen und -Liedern gefällt mir diejenige des dritten Satzes der ersten Sinfonie am besten: da wird wirklich die Sprengkraft dieses Stücks entfesselt, großartig! Hier ist natürlich auch die Nähe Mahlers zum Klezmer am engsten - Uri Caine und seinen Mitstreitern geht es ja explizit darum, die Bezüge Mahlers zur jüdischen Musik (im weitesten Sinne) offenzulegen. Ob die wirklich so eng sind, sei mal dahingestellt: Tatsache ist, dass Caine & Co hier einige überaus suggestive Mahler-Bearbeitungen gelingen - der Trauermarsch der Fünften ist verblüffend, die über das Urlicht gelegte instrumentale Klage bewegend, ebenso wie der Synagogengesang im Abschied aus dem Lied von der Erde. Bei den Lied-Pastiches gefällt mir nicht alles, aber interessant ist es allemal. Nur auf das Adagietto für Klavier kann ich verzichten.


    Die zweite Mahler-CD Caines (Dark Flame) habe ich dann allerdings als müden Aufguss empfunden, Wagner e Venezia fand ich allenfalls hübsch und aus den Diabelli-Variationen bin ich schnell ausgestiegen.


    Die Dichterliebe kenne ich nicht - wäre vielleicht für den aktuellen Thread interessant, um der Heine- und der Schumann-Ebene noch eine dritte hinzuzufügen... ;)



    So, das war für mich Total-Banause das erste Posting im Jazz-Forum :D. Jetzt muss ich mir nur noch was für's Musical-Forum einfallen lassen... :wacky:



    Viele Grüße


    Bernd

  • Ich habe jetzt die Clockwork-Orange-Musik nicht präsent (aber ich meine die Beethoven-Ausschnitte wären fast alle original gewesen und der Rossini elektronisch, aber nicht jazzig). Das klassische "Switched on Bach"-Album hat aber mit Jazz nichts zu tun. Es ist notengetreuer Bach, nur eben auf dem Synthesizer. Mit Ausnahme der "Improvisation" die als Mittelsatz des 3. Brandenburgischen dient; aber auch die ist nicht das, was man gängigerweise unter Jazz versteht. Ich kenne die erkleckliche Anzahl an Folgealben nicht. Aber das Original "Switched on Bach" ist m.E. eine sehr respektvolle und völlig ernstzunehmende Bach-Auseinandersetzung. Ebenso war John Lewis vom MJQ ein glühender Bach-Verehrer (der wohl auch das WTC eingespielt hat, das habe ich aber nie gehört).


    Von Caine habe ich mal bei Bekannten was gehört. Und vielleicht auch mal im Radio. Ich weiß aber nicht mehr genau, was es war. Einiges fand ich bescheuert (IIRC das Beethoven oder das Schumann-Album oder beide), anderes wohl interessant genug, um mal eine CD zu bestellen, die ich jedoch leider nie erhalten habe. Irgendwie habe ich dann das Interesse wieder verloren.
    Der Witz beim Jazz ist m.E. die (kollektive) Improvisation. Wenn man als Basis dafür was Klassisches nehmen will, meinetwegen. Mit manchen Sachen mag das funktionieren, bei anderen schlägt es zum gegenseitigen Nachteil aus. Weil eine klassische Melodie als Basis der Improvisation ja nicht besser geeignet sein muß als ein gewöhnlich aus der Unterhaltungsmusik stammender Standard, im Gegenteil. Und weil alles, wo es auf Ausgestaltung, möglichst vollständige Durchorganisation aller Parameter ankommt, bei einer solchen Behandlung meist sehr einseitig beleuchtet wird. Kurz gesagt, die Durchorganisation verschwindet zugunsten weniger Elemente.


    Loussier finde ich gewiß nicht schlecht (ich habe das aber nur auf LP und ewig nicht gehört), aber es geht schon ein bißchen in Richtung Hintergrund/Loungemusik. Klar, kann man Barockmusik auch unverjazzt so behandeln, aber ich sehe hier eigentlich eher selten wie durch die Bearbeitung eine Dimension erschlossen wird, die mir das Original auf neue Weise näherbringt. MJQ müßte ich jetzt nochmal reinhören, die fand ich aber irgendwie deutlich "ernster" als Loussier. W. Carlos schließlich nutzt die damals neuen Möglichkeiten der Elektronik wirklich auf eine brillante Weise, auch zu Verdeutlichung der Stimmen usw. aus. Ich will das natürlich nicht auf eine Ebene mit den Bearbeitungen Schönbergs oder Weberns heben, aber es ist schon ziemlich gut und keineswegs ein bloßer Gag.


    :hello:


    JR

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  • Hi


    Jacques Loussier mit seinen Mannen musste in diesem Thread natürlich vorkommen. Da komme ich nicht umhin, noch einmal auf sein Vivaldi-Album The Four Seasons hinzuweisen. Hier wird mit dem klassischen Material viel freier umgegangen als bei den Bach-Bearbeitungen, also weniger Klassik und viel mehr Jazz. Ich fand das sehr gelungen, eine richtig schöne Scheibe.


    Ciao


    Von Herzen - Möge es wieder - Zu Herzen gehn!


  • Zitat

    Original von Johannes Roehl
    Ich habe jetzt die Clockwork-Orange-Musik nicht präsent (aber ich meine die Beethoven-Ausschnitte wären fast alle original gewesen und der Rossini elektronisch, aber nicht jazzig). Das klassische "Switched on Bach"-Album hat aber mit Jazz nichts zu tun. Es ist notengetreuer Bach, nur eben auf dem Synthesizer. Mit Ausnahme der "Improvisation" die als Mittelsatz des 3. Brandenburgischen dient; aber auch die ist nicht das, was man gängigerweise unter Jazz versteht. Ich kenne die erkleckliche Anzahl an Folgealben nicht. Aber das Original "Switched on Bach" ist m.E. eine sehr respektvolle und völlig ernstzunehmende Bach-Auseinandersetzung. Ebenso war John Lewis vom MJQ ein glühender Bach-Verehrer (der wohl auch das WTC eingespielt hat, das habe ich aber nie gehört).


    Ich habe die Musik von CLOKWORK ORANGE noch sehr präsent. Die Beethoven-Ausschnitte darin sind in der Tat teilweise Originalausschnitte (in einer Karajan-Interpretation der DG, wenn ich richtig erinnere), aber auch längere Strecken mit elektronischer "Uminstrumentierung", ähnlich der Bearbeitung der Rossini-Ouvertüre und früher dem "Switched-on-Bach". Dass das Jazz wäre, habe ich nicht behauptet und mich deshalb auch für das OT entschuldigt.


    Von Caine habe und kenne ich nur die Mahler-Platte "Primal Light / Urlicht", die ich länger nicht gehört habe, und die erst kürzlich wieder gehörten Wagner-Bearbeitungen aus Venedig. Die klingen wie eine interessante "Harmoniemusik". Für Jazz würde ich sie aber auch nicht halten, nur weil sie - soweit ich beurteilen kann, ziemlich notengetreu - ebenfalls uminstrumentiert sind.


    Dass solche Bearbeitungen im besten Fall Strukturen frei legen und variieren, in aller Regel aber "nur" die leichtere Konsumierbarkeit der Originale erhöhen (sollen), darin können wir uns leicht einig werden.


    Ich halte das aber auch nicht für ein Sakrileg oder auch nur für illegitim. Solange niemand von mir erwartet, dass ich etwas anderes als interessante Unterhaltungsmusik oder gar ein gleichwertes Äquivalent für das Original darin sehe, kann ich mich bei vielen derartigen Bearbeitungen gut unterhalten, denn von den schmachtfetzigen Ri-Öden sind zumindest die genannten Beispiele doch Welten entfernt.


    Das hat mit Jazz und damit diesem Thread und Forum aber wirklich eher nichts zu tun, und deshalb bin ich jetzt :stumm:


    :hello: Jacques Rideamus

  • Zitat

    Original von Jacques Rideamus
    Von Caine habe und kenne ich nur die Mahler-Platte "Primal Light / Urlicht", die ich länger nicht gehört habe, und die erst kürzlich wieder gehörten Wagner-Bearbeitungen aus Venedig. Die klingen wie eine interessante "Harmoniemusik". Für Jazz würde ich sie aber auch nicht halten, nur weil sie - soweit ich beurteilen kann, ziemlich notengetreu - ebenfalls uminstrumentiert sind.


    Dass solche Bearbeitungen im besten Fall Strukturen frei legen und variieren, in aller Regel aber "nur" die leichtere Konsumierbarkeit der Originale erhöhen (sollen), darin können wir uns leicht einig werden.


    Die Wagner-Stücke sind in der Tat (fast) reine Uminstrumentierungen für ein Nobel-Kaffeehausensemble. Wagner hat sowas ja in Venedig selbst erlebt und goutiert.


    Die Mahler-Platten stellen allerdings richtige, z.T. tiefgreifende Umarbeitungen dar, in denen Jazz m.E. schon eine große Rolle spielt.



    Viele Grüße


    Bernd

  • Zitat

    Original von Johannes Roehl


    Wenn man als Basis dafür was Klassisches nehmen will, meinetwegen. Mit manchen Sachen mag das funktionieren, bei anderen schlägt es zum gegenseitigen Nachteil aus. Weil eine klassische Melodie als Basis der Improvisation ja nicht besser geeignet sein muß als ein gewöhnlich aus der Unterhaltungsmusik stammender Standard, im Gegenteil. Und weil alles, wo es auf Ausgestaltung, möglichst vollständige Durchorganisation aller Parameter ankommt, bei einer solchen Behandlung meist sehr einseitig beleuchtet wird. Kurz gesagt, die Durchorganisation verschwindet zugunsten weniger Elemente.


    Das sehe ich, sofern ich es richtig verstanden habe, ähnlich. Was sind denn die kompositorischen Vorlagen im Jazz? Gut, es gibt Originalkompositionen, brauchen wir hier nicht behandeln. Dann die Standards des sogenannten American Songbooks, Melodien (!) also z. B. aus dem Musical- oder Filmbereich. Hier nimmt man nichts weiter als die Melodie und dann geht das Werkeln los in Form von Reharmonisierungen, rhythmischen Änderungen usw. Gleiches gilt in jüngerer Zeit für Pop-Songs. Was mit einem Stück von Jerome Kern oder Cole Porter funktioniert, klappt natürlich auch mit einem von McCartney oder Sting.


    Was aber nun mit komplexen klassischen Werken, die mehr Instanzen unterliegen, als einer Melodie auf einer Akkordfolge? Sich die Melodie der Fünften Beethovens greifen und die Konstruktion oder den Effekt der Instrumentierung beiseite lassen? Das Ta-Ta-Taaaaa rausziehen, harmonisch etwas verschmutzen, ein paar blaue Noten dazu, und wir haben einen jazzigen Beethoven? Mich hat das nie befriedigt. Das ist kein guter Beethoven und das ist auch kein feiner Jazz. Dem einen ist vieles genommen, dem anderen tut diese Simplifizierung auch nicht gut.


    Ausnahmen bestätigen die Regel: Die Rodrigo-Arrangements für Miles Davis von Gil Evans finde ich wunderbar, sie transportieren den Charakter der Musik in andere Klangfarben. Mit dem Bach- und weiterem Gedöns von Loussier & Co kann man mich aber jagen. Da graut es mich als Freund der Bach'schen Werke ebenso wie als Jazz-Liebhaber, der das einfallslose Gehacke Loussiers nicht erträgt, sobald er ins immergleiche Gestochere in den Improvisationen gerät.


    Ähnliches muss ich über das Modern Jazz Quartet sagen. Pianist John Lewis und besonders Vibraphonist Milt Jackson schätze ich sehr. Dieser gebremste Schaum aber, diese gewollte "sophistication" und Anbiederung an ein klunker-rasselndes Publikum, das gutes Geld für die dritte Reihe in der Carnegie Hall zahlt, finde ich musikalisch unbefriedigend. Kommerziell kann ich es verstehen, ich gönne den Musikern jeden Cent und die Anerkennung, die sie in der Breite durch ihr viel besseres Musizieren in anderen Kontexten nie erhalten haben. Es handelt sich beim MJQ auch nicht um ein bedingungsloses Heranschmeißen durch pure Selbstaufgabe, aber ich finde die Ergebnisse blutleeer, artig und sterbenslangweilig. Gepflegtes Fußwippen, mehr ist nicht.


    LG
    B.

  • Zitat

    Original von Barbirolli
    Dieser gebremste Schaum aber, diese gewollte "sophistication" und Anbiederung an ein klunker-rasselndes Publikum


    Hm. Das ist aber ein etwas undifferenziertes Argument, dass man auf den gesamten "Cool Jazz", also auch auf die von Dir gelobten Gil-Evans-Arrangements, anwenden könnte, wenn man wollte (ich will nicht). Klingt ein bisschen nach "Wenn's nicht fetzt, ist es kein Jazz." Behrendt hat das als den ewigen Widerstreit zwischen "hip" und "cool", dionysisch und apollinisch im Jazz beschrieben, aber na ja...


    Grüße,
    Micha



  • Obwohl ich einige aufnahmen des Modern Jazz Quartet kenne/besitze - diese war mir bis jetzt unbekannt. (Danke für den Tipp, ichwerde sie mir besorgen :yes: )


    Ich möchte jetzt den Bogen etwas weiter ziehen, und von Bach im Speziellen auf Barock im Allgemeinen verweisen.Und ich beziehe mich inhaltlich dabei auf ein Gespräch, das mit Harnoncourt im Zusammenhang mit seinem Monteverdi-Zyklus in Zürich (wer kann sich eigentlich an diese maßstabsetzenden Prtoduktionen noch erinnern ?) geführt worden ist. Er meinte damals sinngemäß, dass die Komponisten jener Zeit nicht jede Note und exakt für jedes Instrument notieren mussten, weil die Musiker ja die Richtung kannten und außerdem dadurch Raum für Improvisation gegeben war. Die exakte Notierung aller Noten gab erst wesentlich später.
    Zwischen dem traditionellen Jazz - ich denke hier vor allem an den in New Orleans von den Marching Bands geprägten Stil bis hin zum Dixxieland - und der barockmusik gibt es also nach meinem Empfinden gewisse formale Verbindungen. Das geht zum Teil bis zu ähnlichen Instrumentierungen (Die Fülle der Streicher kam ja auch in der so genannten E-Musik erst mit den jahren - vielleicht vergleichbar mit den Bläsersätzen der Bigbands im Jazz).
    Wenn sich also das MJQ, Lousiier und Co. vor allem an barocken Meistern "vergreifen", könnte man das schon auch als "back to the roots" verstehen.
    Anders stellt sich natürlich die Frage, ob derartige Bearbeitungen dem subjektiven Musikverständnis entsprechen oder - wie es wohl die Hardcoreklassiker empfinden - als Blasphemie bezeichnet werden. Da kann man eine eindeutige Antwort wohl nicht geben. Bei mir stehen da immer zwei Betrachtungen im Mittelpunkt -
    a) eignet sich ein Stück für eine swingende, jazzige, popige, ... Bearbeitung ? Bei Mahler, Bruckner, dem Verdi- oder Mozartrequiem etwa würde ich NEIN sagen; bei beispielsweise den Orchestersuiten von Bach, den Jahreszeiten von Vivaldi oder auch mancher Symphonie von Mozart sehe ich die Sache schon anders.
    b) wie ist die Qualität der Musiker - und die steht bei Jaques Loussier, dem MJQ oder auch den Swingle Singers (jedenfalls für mich) nicht zur Diskussion.


    viele Grüße
    Michael


    PS: Ich freue mich schon auf "Play Bach" mit Jacques Loussier am 18. Oktober in Salzburg (Karte habe ich schon) !

  • In diesem Zusammenhang ein Konzerttipp für Taminos/Paminas in Wien und Umgebung:


    14. Oktober 2008
    19.30 Uhr
    Ehrbar Saal (1040, Mühlgasse 30)


    Bach: Reflected


    mit Benjamin Schmid (Violine), Georg Breinschmid (Kontrabass), Diknu Schneeberger (Gitarre), Miklos Skuta (Klavier)


    Veranstalter: Stadtinitiative Wien


    aus dem Text der Programmvorschau:
    "In seinem neuen Jazz-Programm Bach:Reflected stellt beni Schmid mit drei kongeniale Sidemen bezüge her zwischen dem Barockmeister und heutigem Jazzverständnis und spürt dem enormen Einfluss Bachs auf viele Bereiche des Jazz nach. Ein Crossover, das kein Nebeneinander von musikalischen Oberflächen züchtet, sondernder Frage nach tiefer liegenden Parallelen zweier faszinierender Musikepochen nachgeht."


    Das Programm wird übrigens beim Bach-Fest in Salzburg wiederholt.


    Michael 2

  • Ist George Gershwins Musik Klassik? Klar, ihm sind doch schon Threads bei Tamino oberhalb des schummrigen, verrauchten Jazzkellers gewidmet. Ist George Gershwins Musik ohne den Einfluss des Jazz denkbar? Jedenfalls gibt es keinen zweiten Komponisten, an dem die Wechselwirkungen von Klassik und Jazz so schön abzulesen sind. Gershwin begeistert sich für Jazz, schreibt beispielsweise Porgy & Bess, der Jazz nimmt diese Steilvorlage im Gegenzug dankbar an und transformiert sie quer durch alle Formen und Jahrzehnte. Die Jazz-Aufnahmen von "Summertime" oder "My Man's Gone Now" möchte ich jedenfalls nicht zählen müssen...


    Am bekanntesten sind wohl die Aufnahmen von Ella Fitzgerald/Louis Armstrong und von Miles Davis über Porgy & Bess. Nennen möchte ich aber gerne zwei Aufnahmen, die aktuelleren Datums sind, wenngleich auch nicht mehr ganz taufrisch.


    Der wunderbare Tenorsaxophonist Joe Henderson hat 1997 seine eigene Version des neben der "Rhapsody in Blue" wohl bekanntesten Werkes Gershwins angenommen. Ein schönes Konzeptalbum, das nicht wie viele andere daran krankt, einfach mal ein halbes Dutzend hochkarätiger Musiker in ein Studio zu bestellen und sie dann mal losmuckeln zu lassen. Die Stücke sind schön arrangiert, gespielt von Instrumentalisten, die diese im Laufe der vergangenen Jahrzehnte in immer wechselnden Stilen und Besetzungen schon gespielt haben. Hier treffen sie sich - aus zwei Musikergenerationen stammend - um in äußerst schön instrumentierten Arrangements eine nicht sonderlich revolutionäre, aber sehr geschmackvolle Interpretation vorzulegen, die eine in sich stimmige CD ergibt.



    Joe Henderson
    Porgy & Bess

    Verve, 1997


    Herbie Hancock hingegen hat sich gleich dem gesamten Phänomen Gershwin nähern wollen. Nicht nur seiner Musik, sondern auch den Einflüssen, denen Gershwin selbst ausgesetzt war. Womit die Frage erneut gestellt werden kann: Was war zuerst da - das Huhn oder das Ei? Hancocks Reise in Gershwin's World beginnt mit einem Percussion-Intro, das die Sklavenschiffe hörbar macht. Afrikanische Einflüsse landen auf dem neuen Kontinent. Es geht weiter mit den berühmten Gassenhauern, wird flankiert von einem Satz aus Ravels Klavierkonzert, zeigt weitere Einflüsse Gershwins wie W. C. Handy oder seine Wirkungen auf Duke Ellington. Die CD ist weniger als Nachspielen eines klassischen Werkes zu sehen, denn als Hommage an einen Komponisten und seine Wechselwirkungen mit dem Jazz. Die Platte wurde bei ihrem Erscheinen 1998 kontrovers diskutiert, aber auch vielfach ausgezeichnet. Mir gefällt sie. Außerdem muss ich sowieso immer hinhören, wenn Hancock am Klavier sitzt. Bei ihm finde ich fast jeden Tastengriff interessant und aufregend.



    Herbie Hancock
    Gershwin's World

    Verve, 1998


    LG
    B.

  • Zitat

    Original von miguel54
    Ich muß sagen, ich finde Marcus Roberts' Version von Gershwin's Rhapsody viel interessanter als Hancock's:


    Hoppla, ich kenne gar keine Einspielung der "Rhapsodie in Blue" mit Hancock. Wo gibt es die?


    Oh ja, und Marcus Roberts fand ich in seinen Aufnahmen Mitte bis Ende der 80er Jahre auch großartig. Die Live-Doppel-CD "Live at Blues Alley" von Wynton Marsalis, bei der Roberts am Klavier sitzt, ist eine Sternstunde. Ich hatte dann aber das Gefühl, dass dieser großartige Pianist im musikpolitisch-konservativen Fahrwasser von Marsalis, Crouch & Co leider untergegangen ist. Die fatalen Folgen dieses Kurses für eine lebendige Musiklandschaft wären aber Thema eines eigenen Threads...


    LG
    B.

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  • My fault - ich verwechsle gerne die Rhapsody und die Klavierkonzerte ... :untertauch:


    Roberts hat sich gottlob von Marsalis, Crouch & Co. nicht vereinnahmen lassen, etliche erstklassige CDs gemacht (für RCA und dann Columbia), auch nach seinem Weggang aus Marsalis' Gruppe - aber als sein Vertrag bei Columbia wie der aller Jazzmusiker nicht verlängert wurde, zog ersich nach New Orleans zurück - aber es soll ihm dort gut gehen, hat mir jemand im Organissimo Forum gesagt.


  • Ich habe diese Platte vor Monaten in einem Angebotsschwung mit erworben und sie erst jetzt aufgelegt.
    Den Worten von Barbirolli ist eigentlich nichts hinzuzufügen. Wer Stevie Wonder einmal jazzangehaucht hören möchte, sollte St. Louis Blues anspielen.
    Faszinierend die vocalise-form mit K. Battle.
    Hancock entfaltet einen Kosmos der Möglichkeiten und Deutungen, der mich als Hörer gebannt zurückläßt :jubel:


    Grüsse
    Achim :hello:

  • Zitat

    Original von Achim


    Aus meiner eigenen Sammlung möchte ich die folgenden Beispiele zeigen, die in keiner Weise repräsentativ sein wollen und können:



    Ich habe erst heute bemerkt, dass Miles Davis gemeinsam mit Gil Evans nicht nur Rodrigo bearbeitet hat. Auf der CD Miles Ahead - Miles Davis + 19, immerhin schon von 1957, findet sich "Maids of Cadiz" nach "Les Filles de Cadix" von Leo Délibes.



    LG
    B.

  • In die Reihe der klassischen Bearbeitungen bzw. Neuarrangements gehört Duke Ellingtons "Nutcracker Suite", die, wie ich gerade mit Entsetzen feststellte, nicht mehr zu kriegen ist (jedenfalls bei jpc und amazon nicht). Eine überaus charmante und witzige Platte, die mich als Tschaikowsky- und Ellington-Fan sehr begeistert.


    Grüße,
    Micha

  • Zitat

    Original von Michael M.
    In die Reihe der klassischen Bearbeitungen bzw. Neuarrangements gehört Duke Ellingtons "Nutcracker Suite", die, wie ich gerade mit Entsetzen feststellte, nicht mehr zu kriegen ist (jedenfalls bei jpc und amazon nicht). Eine überaus charmante und witzige Platte, die mich als Tschaikowsky- und Ellington-Fan sehr begeistert.


    Die gab es mal of einer CD der französischen CBS - die Amerikaner sind bei der sehr inkonsistenten, immer wieder unterbrochenen Art, ihren Ellington wiederzuveröffentlichen, bisher nicht zu diesen Suiten vorgedrungen. Z.Zt. würden sie am ehesten bei Mosaic Records wiederveröffentlicht werden, die das weiterführen, was bei SONY in den 1990er Jahren begonnen wurde.


    Die Peer Gynt Suite ist auf dieser CD:


  • Zitat

    Original von brunello
    Ich möchte jetzt den Bogen etwas weiter ziehen, und von Bach im Speziellen auf Barock im Allgemeinen verweisen.Und ich beziehe mich inhaltlich dabei auf ein Gespräch, das mit Harnoncourt im Zusammenhang mit seinem Monteverdi-Zyklus in Zürich (wer kann sich eigentlich an diese maßstabsetzenden Prtoduktionen noch erinnern ?) geführt worden ist. Er meinte damals sinngemäß, dass die Komponisten jener Zeit nicht jede Note und exakt für jedes Instrument notieren mussten, weil die Musiker ja die Richtung kannten und außerdem dadurch Raum für Improvisation gegeben war. Die exakte Notierung aller Noten gab erst wesentlich später.


    So habe ich im Klavierunterricht den Generalbass kennen gelernt: nur Bass-Stimme und die oberste Stimme sind notiert, die beiden dieses Gerüst auffüllenden Mittelstimmen muss man sich aus den Bass-Noten und der unter diesen stehenden Bezifferung erschließen. Dann hat man erstmal einen Akkord, den man stumpf als Akkord oder arpeggiert spielen, aber auch in kompliziertere Figuren auflösen kann.
    Der Generalbaß-Improvisation begegnet man dann wohl bei dem ein Orchester begleitenden Cembalo, das, glaube ich, mit einem Cello zusammen den basso continuo bildet. Bei mindestens einigen Klavierkonzerten von Mozart findet man noch Reste dieser Tradition in den Quellen: da, wo der Solist schweigt, stehen immer noch Bass-Noten für ihn. Er sollte wohl eigentlich das Orchester improvisatorisch begleiten.

  • Zitat

    Original von Barbirolli
    Ähnliches muss ich über das Modern Jazz Quartet sagen. Pianist John Lewis und besonders Vibraphonist Milt Jackson schätze ich sehr. Dieser gebremste Schaum aber, diese gewollte "sophistication" und Anbiederung an ein klunker-rasselndes Publikum, das gutes Geld für die dritte Reihe in der Carnegie Hall zahlt, finde ich musikalisch unbefriedigend. Kommerziell kann ich es verstehen, ich gönne den Musikern jeden Cent und die Anerkennung, die sie in der Breite durch ihr viel besseres Musizieren in anderen Kontexten nie erhalten haben. Es handelt sich beim MJQ auch nicht um ein bedingungsloses Heranschmeißen durch pure Selbstaufgabe, aber ich finde die Ergebnisse blutleeer, artig und sterbenslangweilig. Gepflegtes Fußwippen, mehr ist nicht.


    Für mich war Blues on BACH vom Modern Jazz Quartet der Einstieg in den Jazz. Die Bach-Bearbeitungen fand ich vor allem klangfarben-mäßig interessant. Ich erinnere mich gerade nur noch an die Choral-Bearbeitung "'Wacht auf' ruft uns die Stimme" (oder wie der heißt), die ich schon im Original nicht so mag und an das es-moll-Präludium aus Teil 1 des Wohltemperierten Klaviers, das ich, gerade wenn es so langsam gespielt wird wie vom MJQ oder Gould, eher als lästige Durststrecke zu der darauf folgenden großartigen Fuge empfinde. Mir gefielen die Blüese in B-flat, A, C & B (H) dann doch besser. Müsste ich mal wieder hören.
    Übrigens hat John Lewis ja auch noch den Crossover in Gestalt von Eigenkompositionen versucht:. Mir liegen da Three Windows & Cortege (27. Oktober 1957 auf dem Donaueschingen Jazz Festival) auf einem Sampler vor. So weit ich mich erinnere, haben die schon einen, tja, "ernsten", um nicht zu sagen steifen Eindruck gemacht. Dann lieber den auch aus Lewis' Feder stammenden J.B. Blues oder Monks Round Midnight.
    Als Sakrileg empfinde ich verjazzte Versionen klassischer Musik nicht. Es kann nur leicht schief gehen. Ich meine, das ist doch wirklich der worst case der Musik: Unterhaltung, schaumgebremst durch die Disziplin, die das Höhere einem abverlangt.
    Gelungen finde ich dagegen wie Oscar Peterson mit seinem Trio "The Maids of Cadiz" (Delibes) verjazzt.


    Viele Grüße


    :hello:

  • Schön, daß John Lewis wieder ins Spiel gebracht wird. Lewis war zeitlebens ein großer Bach-Verehrer. Bei seinen Kompositionen für das MJQ scheint diese zuweilen auch auf. Als Solist jenseits des Quartets hat John Lewis das WTK von Bach bearbeitet und für Philips eingespielt. Die erste der CD's ist mir besonders geläufig: Lewis spielt das Präludium an, variiert es aber auf seine Weise; die Fugen sind teilweise neu- oder umgeschrieben und werden -je nach anzahl Stimmen- auf mehrere Instrumente verteilt. Auf der 1984 erschienenen CD spielen neben John Lewis Joel Lester, Violine, Lois Martin, Viola, Howard Collins, Gitarre und Marc Johnson, Bass.


    Bach by Lewis findet sich auch noch in dem Stück "Vendome", das auf einer der mehrstimmingen Inventionen basiert, und auf den beiden LP's "The Chess Game": hier setzt sich Lewis zusammen mit seiner Frau, der Cembalistin Mirjana Lewis, mit den "Goldberg-Variationen" auseinander.


    Aktuell scheinen die CD's nicht greifbar zu sein, was ein Jammer ist.


    Liebe Grüße vom Thomas :hello:

    Früher ist gottseidank lange vorbei. (TP)
    Wenn ihr werden wollt wie eure Väter waren werdet ihr so wie eure Väter niemals waren.

  • Hallo zusammen,


    genannt werden sollte hier auch Eugen Cicero, von dem ich mir folgende Sammlung gekauft habe:




    Cicero interpretiert hier unter anderem auch Titel aus dem Klassikrepertoire.
    Man mag ein bißchen an Loussier denken. Auch wird Cicero, wenn man nach ihm googelt, sehr wohlwollend besprochen.
    Ehrlich gesagt, wenn ich die Interpretationen höre, klingt das alles irgendwie nach NDR 1 (im Norden weiß man, was das bedeutet = knapp am Schlager vorbei).
    Die Zeit ist mE an den Interpretationen vorbei gegangen.


    Grüsse


    Achim :hello:

  • Hallo Taminos,


    Der Nutzer CUDOII aus dem musiker-board.de ist in der Richtung Klassik-verjazzen auch recht aktiv. Am besten gefällt mir eine Etude, die er geschrieben hat. Ich dachte ihr habt vielleicht auch Gefallen daran. :yes:


    Hier ist der Fred dazu


    Gruß,
    Max

    Sie werden Shakespeare erst richtig genießen, wenn Sie ihn im klingonischen Original lesen.

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