Geschmacklos? - Was darf das Theater (nicht)?

  • Bei meiner Zusammenstellung von Opern um historische Figuren für den hoffentlich bald weiter augebauten Thread Wer steckt hinter...........? erwähnte ich auch Udo Zimmermanns Oper DIE WEISSE ROSE. Dies stieß eine Diskussion an, die den Thread schnell in die Irre führen dürfte und auch nicht wirklich dort hinein gehört.


    Da ich sie aber durchaus wichtig finde, und das am wenigsten wegen der in diesem Zusammenhang verkannten Oper Zimmermanns, starte ich damit einen eigenen Thread.


    :hello: J. R. II

  • Zitat

    Original von Jacques Rideamus
    Udo Zimmermann: Die Geschwister Scholl aus DIE WEISSE ROSE


    Sorry, aber dies finde ich doch geschmacklos. Es gibt Themen, die so schrecklich sind, daß mann darüber nicht einen Unterhaltungsbeitrag (i.e. Oper oder Musical) macht.
    Ich erinnere an meine Ablehnung beim Berliner LdL der Aufführung von Hitler, Stalin, Napoleon, c.s.


    Dies sage ich also nicht Rideamus, sondern Herrn Zimmerman.


    LG, Paul

  • Lieber Paul,


    ohne Zimmermanns Oper zu kennen und daher den Unterhaltungswert der WEISSEN ROSE als solchen einschätzen zu können, frage ich Dich: Wie hältst Du es denn dann mit anderen historischen, gern operatisch verarbeiteten Bezügen?
    Auto-da-fe-Szenen, Folterungen, religiös motivierte Massaker? Sollten all die in der Oper nicht Reflexion finden dürfen? Oder ist schließlich alles eine Frage der musikalischen wie szenischen Umsetzung sowie der sich daraus ergebenden Aussage?



    LG



    Christian


  • Ein "Unterhaltungsbeitrag" ist Zimmermanns "Weiße Rose" gewiß nicht, sondern ein zutiefst erschütterndes Werk. Herr Zimmermann stellt auch nicht die Geschichte von Hans und Sophie Scholl dar, wie es in den verschiedenen Filmen geschehen ist. Die Textgrundlage der "Szenen" ist eine Collage von Auszüge aus Briefen der beiden, die überaus gelungen mit Texten von u.a. F. Fühmann und D. Bonhoeffer kombiniert werden.


    Geschmacklos kann ich das nicht finden, im Gegenteil. Geschmacklos wäre es wohl eher, wenn sich die Kunst nach den Erfahrungen des 20. Jahrhunderts in Eitelsonnenschein und bunter Operettenseligkeit gefiele, denn nach Ausdrucksformen zu suchen, die jenen Erfahrungen Rechnung tragen. Das könnte man mal in einem eigenen Thread diskutieren, der in diesem Forum aber ob seiner notwenig politischen Implikationen wohl nicht gern gesehen werden würde.


    Viele Grüße.
    Medard


  • Lieber Paul,


    über Geschmack lässt sich bekanntlich trefflich streiten, und wir haben es mit, wie ich finde, bedenkenswerten Argumenten beim LAND DES LÄCHELNS auch getan. Ich finde aber nicht, dass man aus falsch verstandener Pietät die abscheulichsten Ereignisse der Geschichte auf dem Theater totschweigen sollte. Natürlich muss man sie mit einem besonderen Verantwortungsgefühl angehen. Manche Werke, die viele von uns sogar schätzen, bezeugen, dass das nicht zu allen Zeiten geschah.


    Udo Zimmermann und seiner - auch in den Texten nach Tagebüchern Bonhoeffers, der Scholls und anderer von den Nazis zum Tode Verurteilten - sehr sensiblen Darstellung des Innenlebens einer Todesstunde sollte man aber den Vorwurf der Geschmacklosigkeit ersparen. Auch, wenn nicht gerade solche Themen gehören auf die Opernbühne. Monteverdi mit seiner INCORONAZIONE DI POPPEA, Händel mehrfach und Meyerbeer in seinen HUGENOTTEN, bis zu den gegenwartsnäheren SOLDATEN des anderen Zimmermann haben das zu Recht auch immer wieder getan, und unsere Kultur wäre ohne solche Werke erheblich ärmer.


    Wenn jemand derartige Schlächtereien, wie aktuell in München die des fiktiven MACBETH, augenfällig macht, dann stellt sich natürlich jedesmal die Frage nach den Motiven, aus denen heraus das geschieht, und den Methoden, die dabei angewandt werden. Die Legitimität eines solchen Versuches an sich sollte man aber nicht in Abrede stellen, denn das würde die Oper sehr schnell auf die bloße Genussveranstaltung reduzieren, als die, zugegeben, anscheinend viele sie sogar ausschließlich sehen wollen. So sehr ich auch das Unterhaltungstheater liebe, zu denen, die das Theater oder die Künste allgemein darauf reduzieren wollen, gehöre ich sicher nicht.


    Wenn wir also historische Vorbilder bekannter Opernfiguren identifizieren wollen, so mag das nähere Wissen um Personen der jüngere Vergangenheit (hoffentlich) nicht ganz so vordringlich sein. Ausgeklammert gehört es deswegen aber noch lange nicht.


    :hello: Jacques Rideamus

  • Zitat

    Original von Klawirr
    Geschmacklos kann ich das nicht finden, im Gegenteil. Geschmacklos wäre es wohl eher, wenn sich die Kunst nach den Erfahrungen des 20. Jahrhunderts in Eitelsonnenschein und bunter Operettenseligkeit gefiele, denn nach Ausdrucksformen zu suchen, die jenen Erfahrungen Rechnung tragen. Das könnte man mal in einem eigenen Thread diskutieren, der in diesem Forum aber ob seiner notwenig politischen Implikationen wohl nicht gern gesehen werden würde.


    Lieber Medard,


    ich finde die Position von Paul interessant, auch wenn ich sie nicht teile. Es hat immer (religiöse) Bestrebungen gegeben, die der Musik ihres unterhaltenden Charakters wegen Schranken auferlegen wollten.


    Da gibt es den jahrhundertelangen Kampf um die Musik in der Kirche, das Verbot von (bestimmter) Musik an bestimmten Tagen (selbst im heiligen Köln unserer Tage wurde unlängst eine Kontroverse dieser Art ausgetragen). Während man im katholischen Italien die Oper für eine Zeit ruhen ließ, in der man (opernmäßige) Oratorien aufführte, war zur Zeit der Rundköpfe die Oper überhaupt verboten.


    Ein anderes ist die Tabuisierung von heiligen Stoffen, wobei Wagners Parsifal da eine seltsame Janusgestalt zeigt, ist es doch die einzige Oper, die am Karfreitag erlaubt zu sein scheint. Die Vorstellung, dass Oper das Reich der (sündigen) Unterhaltung ist, scheint auch heute nicht geschwunden zu sein.


    Der (mE falschen) Dämonisierung Hitlers scheint nun die Heiligsprechung der Gegner und Opfer zu entsprechen, ob es nun die Geschwister Scholl oder Anne Frank sind. Auch wenn ich Pauls Skepsis bei dem inflationären von NS-Symbolen auf der Bühne teile, bin ich durchaus nicht der Meinung, dass Stoffe wie die Geschichte der Geschwister Scholl tabuisiert werden sollten. Es gibt mE eine Art des Schutzes, die dem Beschützten schadet und nicht nutzt.


    Vor allem ist auch die Opernbühne alles andere als nur der Platz von Unterhaltung, immer auch wurde sie als Platz der Katharsis, der Erschütterung gesehen. Wenn das Ludus Danielis als zugkräftige mittelalterliche Oper in der Kirche aufgeführt wurde, so war hier die Musik auch ein Träger von Spiritualität und Erbauung. Die "Kirchenopern", die unter dem Namen Matthäus- und Johannespassion jährlich in vielen Kirchen aufgeführt werden, will ich durchaus nicht außer Acht lassen.


    Wie immer ist es nicht der Stoff, sondern wie ich als Künstler mit dem Stoff umgehe, der beurteilt werden muss. Insoweit war Pauls Parallelisierung mit Konwitschnys Inszenierung von "Land des Lächelns" verräterisch. Denn hier ging es ja nicht um den Stoff der Oper, sondern um eine bestimmte Art, den Gehalt der Oper auf die Bühne zu bringen. Wenn man dann den Schritt noch weiter geht, nun Stoffe unabhängig von der Form der Gestaltung und der konkreten Darstellung zu tabuisieren, ist man mE entschieden einen Schritt zu weit gegangen.


    Das nächste wäre wohl ein Verbot von "Orphée aux enfers", oder?


    Liebe Grüße Peter

  • Meine Lieben,


    Gerade heikle Themn werden immer vom Film aufgegriffen, der die Distanz zum Betrachter illusionierend und psychologisch meist viel mehr verkürzt, als dies im Bühnenspiel geschieht. Auch die Geschwister Scholl und ihr tragisches Schicksal wurden schon verfilmt, auf durchaus ernsthafte Weise, die ich keineswegs als unangemessen empfand, sondern - auch - als beklemmenden Blick in seelische Tiefen und Schluchten und die Unvollkommenheit des Menschen, aber auch seine Größe.
    Wenn man Themen der Kriegs- und Nachkriegszeit aufgreift, betreiben viele Filmmacher Schwarzweißmalerei und erregen damit Peinlichkeit (woran zwar oft im Grund anständige, aber allzu naive Sichtwinkel nichts zu ändern vermögen). Diejenigen, die primär Kommerzwirkung im Sinn haben, lassen wir von vornherein aus dem Spiel. Was ich sagen will: Da werden sehr oft äußerst wunde Punkte berührt. Nun hat es keinen Sinn, um Probleme auf Dauer einen großen Bogen zu schlagen. Das mag zwar bei Leuten verständlich und berechtigt sein, denen das unmittelbare persönliche Wunde bedeutet. Aber man ist es der jungen Generation schuldig, auch heikle Fragen anzufassen und sie von allen Seiten zu beleuchten, auch wenn man sie nicht lösen kann (mir schwebt als charakteristisches Beispiel jetzt etwa Axel Cortis und Georg Stefan Trollers WELCOME IN VIENNA vor, in dem man sich letztlich mit Schwäche und Unrecht als Bestandteile des Daseins irgendwie abfinden muß, auch ohne sie gutzuheißen). Dasselbe gilt für Ereignisse wie 9/11, Terrorismus, Tsunami. Oft bewältigt man das Trauma nur durch seine Darstellung in Schrift, Ton und Bild.


    Subjektiv, lieber Paul, kann ich Deine Einstellung verstehen, objektiv kann ich sie nicht teilen. Das wäre für mich zu pessimistisch. Wenn man die Welt - und das Böse - ändern will, muß man auch gleichsam unmögliche Dinge anpacken dürfen. Auch auf die Gefahr hin, daß es schiefgeht (dann sollten die Produzenten aber den Mut haben, ihre Erzeugnisse nicht in den Markt zu schleusen). Ein guter Wille und gute Kunst können auch Berge versetzen und Tabus durchbrechen. Gerade die Oper bietet im Prinzip die Chance, durch Sublimieren etwas auszudrücken, was auf andere Weise viel schwerer möglich ist. Hätte Tosca wirklich gelebt, und wäre ich - lange Lebenszeit vorausgesetzt - ihr Bruder oder gar heimlicher Sohn gewesen, hätte ich Puccinis Oper womöglich nicht ertragen können. Aber gab es nicht genug ähnliche Ereignisse in Wirklichkeit? Hätte darum die "Tosca" nicht entstehen dürfen? (Ich kann mir Edwins Antwort vorstellen, aber der hat persönliche Kriterien...). Soll auf der Bühne nur die heile Welt gespiegelt werden? Ich habe nichts gegen die heile Welt, im Gegenteil, aber nur heile Welt, das wäre etwas für Engel oder eben bloß Kitsch.


    LG


    Waldi

  • Zitat

    Original von Walter Krause
    Gerade heikle Themn werden immer vom Film aufgegriffen, der die Distanz zum Betrachter illusionierend und psychologisch meist viel mehr verkürzt, als dies im Bühnenspiel geschieht. Auch die Geschwister Scholl und ihr tragisches Schicksal wurden schon verfilmt, auf durchaus ernsthafte Weise, die ich keineswegs als unangemessen empfand, sondern - auch - als beklemmenden Blick in seelische Tiefen und Schluchten und die Unvollkommenheit des Menschen, aber auch seine Größe.


    Lieber Waldi,


    das Mittel der filmischen Verarbeitung ist ein anderes als das der musikalischen, dem Film glaubt man wohl eher die Information, da ist immer auch ein Hauch Dokumentarfilm dabei. Deshalb meine ich, dass der Vergleich mit dem Film hier schwierig ist.


    Zitat


    Gerade die Oper bietet im Prinzip die Chance, durch Sublimieren etwas auszudrücken, was auf andere Weise viel schwerer möglich ist.


    Der Unterschied wäre wohl, dass hier der Zugriff subjektiv geschieht, etwa durch die psychologische Ausdeutung psychischen Geschehens durch die Musik.


    Liebe Grüße Peter

  • Lieber Peter,


    Eben darum meine ich, daß die Oper hier noch eher geeignet ist, Tabus zu überwinden, weil sie sich nicht so in die Intimität des Individuums und seiner Empfindung drängt. Die Oper stellt die Dinge aus größerer Distanz und stärker typisiert dar. Und Oper heißt nicht nur Musik!
    Und auch nicht nur Unterhaltung!


    Paul hat ausdrücklich Oper und Musical als seine Negativbesipiele genannt. Er hätte aber aus seiner Sicht viel eher den Film nennen können. Mit dem kann man viel eher ins Fettnäpfchen treten. Mit meinem Hinweis auf dieses Medium wollte ich die Oper quasi entlasten. Außerdem - zum Film gehört in der Regel auch Musik. Aber das ist ein anderes Thema.


    LG


    Waldi

  • Zitat

    Original von Walter Krause
    Eben darum meine ich, daß die Oper hier noch eher geeignet ist, Tabus zu überwinden, weil sie sich nicht so in die Intimität des Individuums und seiner Empfindung drängt. Die Oper stellt die Dinge aus größerer Distanz und stärker typisiert dar. Und Oper heißt nicht nur Musik!
    Und auch nicht nur Unterhaltung!


    Lieber Waldi,


    da bin ich mit Dir einig; natürlich sind das alles Kann-Bestimmungen, aber die Möglichkeit zur Stilisierung in der Oper ist eben eine Chance und keine Gefahr.


    Liebe Grüße Peter

  • Banner Trailer 2 Gelbe Rose
  • Ob man ein Thema wie das der "Weissen Rose" als Oper verarbeiten "darf" (als Theaterstück darf man es sehr wohl) ist wohl eine frage von welchem Standpunkt aus man die Begriffe "Musik" und "Oper" betrachtet und bewertet.
    Paul dürfte unter Oper (wie ich übrigens auch) vorzugsweise eine musiktheatralische Unterhaltungsform sehen, die einerseits zur Erbauung und Ergötzung des pt Piblicums dazusein hat, und andrerseits auch ein Spiegel der gesellschatlichen Hierarchie ist.


    "Aufarbeiten" unangenehmer Stoffe hat - wenn man die Oper aus dieser Sicht sieht - in diesem Zusammenhang im Opernhaus nichts zu suchen.


    Interessant ist, daß man historische Stoffe sogar für Belcanto-Opern herangezogen hat - darunter etliches Blutrünstige.
    Aber eigenartigerweise berührt einen das nicht mehr - man erfreut sich an den perlenden Koloraturen, den seidenen Kostümen und den historischen interessanten Bühnenbildern. Daß hier teilweise Menschen geschlachtet werden nimmt man billigend in Kauf - ja ich behaupte sogar, daß dies einen gewissen Reiz auf das Publikum ausübt.


    Opern des 20. Jahrhunderts hingegen brechen alle Tabus - und scheinen bemüht zu sein, unangenehme Texte mit sperriger M;usik und spartanischen Bühnenbildern zu kombinieren. All das wäre nicht so furchtbar, würde es nicht dadurch künstlich am Leben erhalten, daß man es mittels uinserer Steuergelder subventioniert.


    Ich habe viel Verständnis dafür, wenn Oper, die unterhält und erfreut, dann subventioniert wird, wenn sie trot großer Auslastung der Häuser nicht mehr kostendeckend auf die Bühne gebracht werden kann.
    Jedoch Steuergelder in ungeliebt Werke, ungeliebte Inszenierungen zu verpulvern - das halte ich für verfehlt.


    Oper- soweit ich das zurückverfolgen konnte war stets eine Kunstform, die ihrem Publikum, sei es kaiserlich, königlich, adelig oder bürgerlich - Satisfaction bieten musste - sonst wäre sie niemals finanziert worden.


    Ich sehe Oper immer auch mit dem Auge und Ohr des (verkappten) Theatermannes, der auf Publikumswirksamkeit zielt:
    Da verbieten sich Themen wie "Die weisse Rose" schon aus DREIERLEI Gründen - aus ästetischen - kommerziellen - und moralischen.


    Letzeres bedarf einer Erklärung: Ich bin mir nämlich nicht sicher, ob nicht "das publikumswirksame Thema" der Hauptantrieb solcher Werke ist - wobei ich der Auffassung biin, daß selbst dies eine Fehleinschätzung ist - Wer aus der heutigen Generation kenn heute noch die Geschwister Scholl ?


    Meine PERSÖNLICH Meinung ist, daß es durchauss legitim ist, solche Werke zu schaffen, sie verletzen IMO den Anstand nicht wirklich - Allerdings darf man sich nicht wundern, wenn das Publikum solchen Werken Widerwillen entgegenbringt - und sie meidet.....


    Ich sehe persönlich auch keinen Grund, warum man sich nicht NACH den "Erfahrungen des 20. Jahrhunderts " nicht amüsieren sollten.


    Andere Kunst und Unterhaltungsformen sind in dieser Hinsicht ja auch nicht gerade zimperlich......


    Ich glaube übrigens, daß das Theme - so es jemanden interessiert - durch eine Realisierung auf den Sprechtheater oder (noch besser) im Bereich des Films besser bedient wäre.....


    mfg
    aus Wien


    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Zitat

    Original von Alfred_Schmidt
    Paul dürfte unter Oper (wie ich übrigens auch) vorzugsweise eine musiktheatralische Unterhaltungsform sehen, die einerseits zur Erbauung und Ergötzung des pt Piblicums dazusein hat, und andrerseits auch ein Spiegel der gesellschatlichen Hierarchie ist.


    "Aufarbeiten" unangenehmer Stoffe hat - wenn man die Oper aus dieser Sicht sieht - in diesem Zusammenhang im Opernhaus nichts zu suchen.


    Lieber Alfred,


    aber eben das hat etwa die Revolutions- und Schreckensoper, für die Beethovens Fidelio ein Beispiel ist, getan. Ein anderes Beispiel wäre Lortzings "Regine".


    Auch bei Verdi gibt es eine Anzahl von Beispielen, wie etwa das Eintreten für die vom Wege Abgekommene, die Edelprostituierte. Vom Verismo will ich gar nicht erst reden.


    Auch im Barock gab es (siehe etwa Keiser) durchaus das Aufgreifen von aktuellen Stoffen, das durchaus den Charakter des "Aufarbeiten unangenehmer Stoffe" hat. Und Molière macht exakt das, was Du monierst, mit Hilfestellung von Lully.


    Zitat

    Opern des 20. Jahrhunderts hingegen brechen alle Tabus - und scheinen bemüht zu sein, unangenehme Texte mit sperriger M;usik und spartanischen Bühnenbildern zu kombinieren. All das wäre nicht so furchtbar, würde es nicht dadurch künstlich am Leben erhalten, daß man es mittels uinserer Steuergelder subventioniert.


    Was die Oper "Die weiße Rose" angeht, so glaube ich nicht, dass hier "unangenehme Texte mit sperriger Musik" kombiniert werden. Ich kenne die Oper leider nicht, kenne aber anderes von Udo Zimmermann, und muss mich auf das verlassen, was hier geschrieben wurde. Die letzte moderne Oper, die ich mir - per DVD - ansah, André Previns "A Streetcar Named Desire" scheint mir auch nicht Deine Kriterien für Opern des 20. Jahrhunderts zu erfüllen.


    Zitat

    Oper- soweit ich das zurückverfolgen konnte war stets eine Kunstform, die ihrem Publikum, sei es kaiserlich, königlich, adelig oder bürgerlich - Satisfaction bieten musste - sonst wäre sie niemals finanziert worden.


    Mit dem Aufstieg des Bürgertums wurde aber der Bildungsauftrag an die Oper manifestiert. Das einfache Wohlgefallen konnte da nicht genügen.


    Zitat

    Ich sehe persönlich auch keinen Grund, warum man sich nicht NACH den "Erfahrungen des 20. Jahrhunderts " nicht amüsieren sollten.


    Da bin ich durchaus Deiner Meinung. Der einmal von Adorno verbreitete Rigorismus ist mir fremd.


    Liebe Grüße Peter

  • Zitat

    Original von Alfred_Schmidt
    "Aufarbeiten" unangenehmer Stoffe hat - wenn man die Oper aus dieser Sicht sieht - in diesem Zusammenhang im Opernhaus nichts zu suchen.


    Das verstehe ich nicht. Denn sogar wenn man das 20. Jahrhundert und historische Stoffe ausschließt, so bieten auch Klassiker der Oper doch einiges Unangenehme. Sie stellen unangenehme Fragen wie, ob es möglich ist individuelles Glück und gesellschaftlichen Erfolg unter einen Hut zu bekommen. Da denke ich an Aida oder Tristan und Isolde.
    Wer denkt denn bei der Schlussszene der Aida "Schön, dass die beiden sich doch noch gekriegt haben"?
    Bei Tristan und Isolde ist ja vielleicht sogar weniger das Problem, dass deren Liebe in ihrer Welt keine Zukunft hätte. Jedenfalls wird hier das Verhältnis von individuellem Glück und gesellschaftlichem Erfolg so zugespitzt, dass die besonders von Tristan zusammenphantasierte "absolute" Liebe, die keinerlei Rücksichten auf reale Gegebenheiten nimmt, auch keine Alternative ist. Eher ein narzisstischer Wahn.
    Ich finde, diese beiden Klassiker warten mit genügend Morbidem auf, dass sie auch aus dem Opernhaus verschwinden müssten, wenn unangenehme Stoffe da nicht hinein gehörten.


    Viele Grüße


    :hello:

  • Liebe Leute,


    Daß meine Bemerkung eine derartige Reaktion erweckte, hatte ich nicht erwartet. Laß mich dann was mehr dazu sagen.


    Zitat

    Paul dürfte unter Oper (wie ich übrigens auch) vorzugsweise eine musiktheatralische Unterhaltungsform sehen, die einerseits zur Erbauung und Ergötzung des pt Piblicums dazusein hat


    Dieses Zitat von Alfred gibt genau den Grund wieder, warum ich nicht über Film redete. Denn ein Dokumentarfilm könnte sehr wertvoll sein.


    Auch wenn etwas mit Pietät komponiert wurde, die Regisseure haben ihre eigene Interpretation. Und wer kann/darf sagen, daß diese Interpretation auch respektvoll sein wird.


    Es gibt einen großen Unterschied zwischen Werken - ob Buch, Oper, Lied oder was denn auch - aus der jüngsten Vergangenheit, und etwas aus einem Jahrhundert davor.


    Darf ich hier ein Beispiel geben, daß deutlicher als Worte sagen kann, wie vorsichtig man sein soll.
    Meine neunzigjährige Mutter erlebte 1932 einen Schiffbruch. Der "Georges Philippar" brannte und sank in der Nähe von Aden. Mehr als 24 Stunden schaukelte das Rettungsboot auf dem Meer. Ungefähr 100 Menschen starben durch diesen Schiffsbrand. Meine Mutter hörte die Todesschreie von Menschen. Was ihr bespart wurde, so erzählte meine Großmutter, war, daßs sie nicht sah, wie Haien Ertrinkenden fraßen.
    Je älter meine Mutter wird, je mehr dieser Brand und seine Folgen wieder lebendig werden. Eine Fernsehsendung wo ein Brand gezeigt wird, kann schon einen verderblichen Einfluß haben.
    Von Menschen, die bewußt den zweiten Weltkrieg erlebten, höre ich auch solche Erfahrungen.


    Ob man es will oder nicht, so lange es noch Überlebenden gibt, so lange wird dies noch tabu sein.


    LG, Paul

  • Zitat

    Original von musicophil
    Auch wenn etwas mit Pietät komponiert wurde, die Regisseure haben ihre eigene Interpretation. Und wer kann/darf sagen, daß diese Interpretation auch respektvoll sein wird.


    Nun, das kann auch für einen Film gelten. Und wegen eines möglichen Missbrauchs etwas zu verbieten, ist sehr ungewöhnlich. Das sollte sofort die Autos von den Straßen verbannen.


    Zitat

    Es gibt einen großen Unterschied zwischen Werken - ob Buch, Oper, Lied oder was denn auch - aus der jüngsten Vergangenheit, und etwas aus einem Jahrhundert davor.


    Dann hätte, lieber Paul, Beethovens "Fidelio" nicht aufgeführt werden dürfen, denn da lebten viele Opfer fürstlicher Willkür. Wir wären das erste Zeitalter, das zeitgenössische Stoffe auf der Bühne verböte ...


    Zitat

    Von Menschen, die bewußt den zweiten Weltkrieg erlebten, höre ich auch solche Erfahrungen.


    Und trotzdem gab es in der Literatur eine sehr intensive Aufarbeitung der Traumata des Ersten Weltkriegs - und selbstverständlich auch des Zweiten. Ich bin sogar der Meinung, dass eine künstlerische Bewältigung auch Opfern helfen kann, ein Trauma zu überwinden, während das Verschweigen die Traumata verlängert. So sieht man das meines Wissens auch in der Medizin.


    Zitat

    Ob man es will oder nicht, so lange es noch Überlebenden gibt, so lange wird dies noch tabu sein.


    Niemand wird gezwungen sein, ein Buch zu lesen, einen Film zu sehen, eine Oper zu erleben. Und in den Schulen legen wir größten Wert darauf, dass sich unsere Kinder mit der Vergangenheit auseinander setzen.


    Solange Du schreibst, dass Du solche Stoffe nicht sehen willst, respektiere ich selbstverständlich Deine Entscheidung. Wenn Du aber allen anderen vorschreiben willst, was sie sehen dürfen und was nicht, gehst Du für mich entschieden zu weit.


    Liebe Grüße Peter

  • Zitat

    Original von pbrixius


    Nun, das kann auch für einen Film gelten. Und wegen eines möglichen Missbrauchs etwas zu verbieten, ist sehr ungewöhnlich.


    Lieber Peter,


    Du übersiehst hier etwas. Denke an Alfreds Zitat "...eine musiktheatralische Unterhaltungsform".
    Das Wort Unterhaltung betone ich hier.


    Wenn solche Sachen nur für Unterhaltung gemacht werden, gehören sie m.E. verboten zu werden, solange usw....
    Und so weit ich weiß, ist das Zweck einer Oper UNTERHALTUNG.
    Nicht umsonst redete ich nicht über Film, sondern über Dokumentarfilm.


    LG, Paul

  • Lieber Alfred,


    Du führst in Deinem Beitrag einige Aspekte zusammen, die erstmal nichts miteinander zu tun haben. Was Kunst darf oder soll, welche gesellschaftliche Funktion sie zu verschiedenen Zeiten hatte, ob die Subvention von Kultur sinnvoll und gerechtfertigt ist oder nicht und wer welche Kunstformen einer Subvention für würdig resp. unwürdig hält, Inszenierungsstile und Bühnenästhetik früher und heute – das sind Themen die nur bedingt zusammen zu diskutieren sind.



    Zitat

    Original von Alfred_Schmidt
    Ob man ein Thema wie das der "Weissen Rose" als Oper verarbeiten "darf" (als Theaterstück darf man es sehr wohl) ist wohl eine frage von welchem Standpunkt aus man die Begriffe "Musik" und "Oper" betrachtet und bewertet.
    Paul dürfte unter Oper (wie ich übrigens auch) vorzugsweise eine musiktheatralische Unterhaltungsform sehen, die einerseits zur Erbauung und Ergötzung des pt Piblicums dazusein hat, und andrerseits auch ein Spiegel der gesellschatlichen Hierarchie ist.


    Um es zugespitzt zu formulieren: mir fällt kein Thema ein, das nicht Gegenstand einer Oper werden dürfte. Ob das Aufgreifen eines Stoffes sich als gerechtfertigt erweist, läßt sich dann allein daran ermessen, ob die künstlerische Auseinandersetzung gelingt oder nicht.



    Zitat

    "Aufarbeiten" unangenehmer Stoffe hat - wenn man die Oper aus dieser Sicht sieht - in diesem Zusammenhang im Opernhaus nichts zu suchen.


    Das „Aufarbeiten unangenehmer Stoffe" ist sicherlich nicht eine Aufgabe der Oper – und es würde sie auch überfordern. Das gilt aber genauso für Sprechtheater oder den Film. „Aufarbeitung“ ist eine Sache der Fachwissenschaften. Daß wir aktuell in einem Stadium sind, in dem publikumswirksame „Aufarbeitung unangenehmer Stoffe“ vornehmlich in den Formaten Film und Talkshow passiert, ist schon etwas fragwürdig.


    Die künstlerische Reflexion historischer Erfahrung ist aber eine ganz andere Sache – und keine Erfindung der Jahre nach 1945. Das weiß so ziemlich jeder, der mal ein Shakespeare-Stück gelesen oder eine Gemälde von Goya gesehen hat. Beispiele aus dem Bereich des Musiktheaters hat pbrixius ja oben bereits angeführt.



    Zitat

    Opern des 20. Jahrhunderts hingegen brechen alle Tabus - und scheinen bemüht zu sein, unangenehme Texte mit sperriger M;usik und spartanischen Bühnenbildern zu kombinieren. All das wäre nicht so furchtbar, würde es nicht dadurch künstlich am Leben erhalten, daß man es mittels uinserer Steuergelder subventioniert.


    Ich habe viel Verständnis dafür, wenn Oper, die unterhält und erfreut, dann subventioniert wird, wenn sie trot großer Auslastung der Häuser nicht mehr kostendeckend auf die Bühne gebracht werden kann.
    Jedoch Steuergelder in ungeliebt Werke, ungeliebte Inszenierungen zu verpulvern - das halte ich für verfehlt.


    Was wäre denn so ein Tabuthema, das sich von vornherein als Gegenstand einer Oper verbieten würde? Und wo legen denn „Opern des 20. Jahrhundert“ es partout auf einen Tabubruch an? Zimmermanns „Die Weiße Rose“ kannst Du jedenfalls nicht meinen, denn dort findet ein äußerst sensibler, alles andere als plakativer oder tabubrechender Umgang mit dem Thema statt.


    Ja, und das leidige Thema der Subventionen für die Moderne Kunst, die ja eigentlich keiner haben will... Ich war gestern Abend in der Essener Philharmonie und habe dort u.a. Schuberts „Rosamunde“ und die Große C-Dur-Symphonie gehört. Also: ganz unpolitisches Programm, kein NS, keine Tabubrüche und auch sonst nichts schlimmes. Außer mir und meiner Frau waren dann auch ca. ganze 60 weitere Gäste da. Es waren mehr Personen auf der Bühne als im Saal. Samstagabend, 20.00 Uhr - in einer Stadt mit mehr als 500.000 Einwohnern (+ Universität + Musikhochschule + Kunsthochschule undundund), die zudem ein Einzugsgebiet mit einer Bevölkerung von > 2.000.000 Menschen hat.


    Man muß also nicht Zimmermanns „Weiße Rose“ spielen, um auf horrende Subventionen angewiesen zu sein.


    Zitat

    Oper- soweit ich das zurückverfolgen konnte war stets eine Kunstform, die ihrem Publikum, sei es kaiserlich, königlich, adelig oder bürgerlich - Satisfaction bieten musste - sonst wäre sie niemals finanziert worden.


    Genau! Und das scheint mit Schubert wohl nicht mehr zu gelingen.


    Zitat

    Ich sehe Oper immer auch mit dem Auge und Ohr des (verkappten) Theatermannes, der auf Publikumswirksamkeit zielt:
    Da verbieten sich Themen wie "Die weisse Rose" schon aus DREIERLEI Gründen - aus ästetischen - kommerziellen - und moralischen.


    Letzeres bedarf einer Erklärung: Ich bin mir nämlich nicht sicher, ob nicht "das publikumswirksame Thema" der Hauptantrieb solcher Werke ist - wobei ich der Auffassung biin, daß selbst dies eine Fehleinschätzung ist - Wer aus der heutigen Generation kenn heute noch die Geschwister Scholl ?


    Das halte ich für schlicht falsch. Es verbietet sich weder aus ästhetischen Gründen - Zimmermanns "Oper" ist ästhetisch nämlich durchaus gelungen (um dies zu beurteilen, sollte man das Werk zumindest kennen) -, noch verbietet es sich aus moralischen Gründen - wobei ich ich Dein „moralisches“ Argument als solches nicht so recht verstehe, kommt es doch in einem ökonomischen Mäntelchen daher. Und das ökonomische Argument kann, wie gezeigt, ebensogut auf Schuberts D944 zutreffen.


    Zitat

    Meine PERSÖNLICH Meinung ist, daß es durchauss legitim ist, solche Werke zu schaffen, sie verletzen IMO den Anstand nicht wirklich - Allerdings darf man sich nicht wundern, wenn das Publikum solchen Werken Widerwillen entgegenbringt - und sie meidet.....


    Das ist mir jetzt ganz ein Rätsel. Wieso sollte ein Werk wie die „Weiße Rose“ den Anstand verletzten? Was bedeutet hier eigentlich Anstand?


    Zitat

    Ich sehe persönlich auch keinen Grund, warum man sich nicht NACH den "Erfahrungen des 20. Jahrhunderts " nicht amüsieren sollten.


    Es hat ja auch niemand behauptet, daß man sich nicht amüsieren dürfte. Die Frage ist, ob Musik als Kunstform sich in der Funktion eines Amusementgenerators erschöpfen müssen sollte.


    Viele Grüße,
    Medard


  • Lieber Paul,


    dann hätten solche Filme wie "Schindler's List" oder Chomskys "Holocaust" nicht gedreht werden dürfen - das kann doch nicht Dein Ernst sein. Auch ein Dokumentarfilm hat als Zweck Unterhaltung, das betrifft nur einen sehr engen Bereich von wissenschaftlichen Dokumentationen, die man außerhalb des wissenschaftlichen Bereichs nicht zu sehen bekommt, wo die Komponente Unterhaltung überhaupt keine Rolle spielt.


    Liebe Grüße Peter

  • Zitat

    Original von musicophil


    Und so weit ich weiß, ist das Zweck einer Oper UNTERHALTUNG.



    Selbst wenn hier nicht von Brittens War Requiem, Picassos Guernica, Hemingways Wem die Stunde schlägt oder Chaplins Der große Diktator die Rede sein soll -
    wo steht das über die Kunstform Oper geschrieben?



    audiamus



    .

  • Zitat


    Da bin ich durchaus Deiner Meinung. Der einmal von Adorno verbreitete Rigorismus ist mir fremd.


    Wobei auch der Adorno zugeschrieben Rigorismus das Ergebnis einer Fehllektüre ist.


    Viele Grüße,
    Medard

  • Banner Trailer 2 Gelbe Rose
  • Zitat

    Original von Klawirr


    Wobei auch der Adorno zugeschrieben Rigorismus das Ergebnis einer Fehllektüre ist.


    Lieber Medard,


    wie so häufig sind Missverständnisse folgenreicher als Verständnisse ...


    Liebe Grüße Peter

  • Lieber Paul,


    wer sagt eigentlich, dass Oper ausschließlich der UNTERHALTUNG zu dienen hat?


    "Jeder hat das Recht, seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern UND ZU VERBREITEN"


    Dieser Satz aus unserer Verfassung, für den es bestimmt ein Pendant in der niederländischen gibt, erwähnt zwar die Kunst und die Musik nicht ausdrücklich, schließt sie aber noch weniger aus. Im Gegenteil: die Praxis belegt, dass die meisten Rechtsstreitigkeiten auf diesem Sektor gerade im Bereich der künstlerischen Freiheit ausgetragen werden und meist die Künstler dabei Recht bekommen, wenn sie nicht massiv gegen die Rechte Einzelner oder andere Gesetze (etwa Verbreitung von Naziideologie) verstoßen. Von einer Einschränkung bestimmter Formen von Unterhaltungsmedien etc. ist mit gutem Grund nirgendwo die Rede, denn ein Medium, dem die Aufklärung und Diskussion über brisante Medien verboten ist, kann und darf es aus den genannten Gründen nicht geben. Sogar Operetten können und dürfen sehr sozialkritisch sein, und wenn Jacques Offenbach manche seiner Werke in einer anderen Zeit oder in einem anderen Land geschrieben hätte, wäre wahrscheinlich eine Haftkariere ein Teil seiner Biographie geworden. Natürlich ist dabei stets die Verhältnismäßigkeit von Thema und Transportmittel zu beachten. Niemand plädiert für Cancans in Vernichtungslagern. Aber selbst das wäre zwar höchstwahrscheinlich mehr als geschmacklos, aber immer noch kein Verbotsgrund, wenn dabei keine spezifischen und authentischen Personen dem allgemeinen Hohn preisgegeben werden.


    All das ist auf die Oper nicht weniger anwendbar. Niemand spricht Dir das Recht ab, Dich Werken zu verweigern, die Dein Feingefühl verletzen, oder Deiner Empörung über sie Ausdruck zu geben, wenn Du ihnen ungewollt ausgesetzt werden solltest. Das gleiche Recht solltest Du aber jedem zugestehen.


    Dazu gehört auch dass Recht, mit den Mitteln der Oper eben KEIN Unterhaltungstheater zu machen, sondern z. B. eines, das zum Nachdenken oder zur Aufklärung über historische oder aktuelle Verbrechen aller Art eingesetzt wird. Wo willst Du die Grenze ziehen? Willst Du ernsthaft ausgerechnet dem Musiktheater jede Auseinandersetzung mit brisanten Themen der Gegenwart oder der jüngeren Vergangenheit mit seinen ureigenen Mitteln untersagen? Dann sei Dir bitte bewusst, dass schon die Forderung nach Geschmacksdiktatur und Themenzensur eine höchst gefährliche Angelegenheiten ist, die nur zu leicht auf den Anreger zurück schlägt.


    Nicht akzeptabel finde ich auch die Begründung, man dürfe dergleichen nicht komponieren, weil man nicht weiß, was (spätere) Regisseure daraus machen. Man kann sich sehr wohl darüber streiten, ob man aus Aidas Pyramide eine Gaskammer oder aus dem IDOMENEO einen Anlass zum Islamistenstreit machen sollte. Man sollte aber auch da die Auseinandersetzung mit den tatsächlichen Gegebenheiten und Werken suchen und nicht gleich pauschal nach Verboten von allem rufen, was einem nicht gefällt. Wie würde es Dir gefallen, wenn man mit ähnlich fadenscheinigen Argumenten (historische Verfälschungen und geschmacklich Fragwürdiges gibt es da ja auch) Aufführungen von Händel oder Haydn verbieten wollte? Und wenn Du meinst, dass Du das nicht ins Auge fasst: in welchem Jahr, bei welchem Satz oder Thema oder welcher Art Darstellung willst Du die Grenze ziehen? Ich fürchte, Du bist Dir der Konsequenzen dessen, was Du da forderst, auch für Dich selbst nicht bewusst. Man kann nur in aller Konsequenz den Anfängen wehren - oder gleich aufgeben, denn wenn jeder seinen eigenen Verbotskatalog erlaubt bekäme, wäre bald das Wort "erlaubt" überflüssig, weil nichts mehr dafür übrig bleibt.


    Gefallen muss es Dir nicht, aber zulassen solltest Du es - und kritisieren darfst Du es. Wenn Du das öffentlich tust, musst Du damit rechnen, dass andere von dem gleichen Recht Gebrauch machen und ihre Meinung zum Ausdruck und ggf. auch gegen die Deine in Stellung bringen.


    :hello: Jacques Rideamus


  • Lieber Rideamus,


    das steht dann aber im dritten Teil desselben Artikels des Grundgesetzes


    (3) Kunst und Wissenschaft, Forschung und Lehre sind frei. Die Freiheit der Lehre entbindet nicht von der Treue zur Verfassung.


    Liebe Grüße Peter

  • Das Ziel der Oper war die Wiederbelebung der antiken Tragödie. Auch wenn das auf einem Mißverständnis beruhte, so war es der Ausgangspunkt Ende des 16. Jhds. Und auch wesentliche spätere "Reformer" wie Gluck, später Berlioz oder Wagner scheinen diese Mustergattung des abendländischen Dramas immer als ein zentrales Vorbild gesehen zu haben, was sich oft ganz platt und oberflächlich schon an den gewählten Sujets zeigt.
    Der Zweck der antiken Tragödie war, den Zuschauer durch Furcht und Mitleid, die angesichts des dargestellten Geschehens empfunden wurden, von ungesunden Emotionen zu "heilen". :D (Der Zweck der zotigen Satyrspiele dürfte entsprechend gewesen sein :D)
    Ich habe irgendwo anders schon mal die halbe Poetik zitiert...


    Natürlich ist es Unsinn, daß sich der Zweck einer Kunstform (wenn sie überhaupt einen expliziten Zweck haben sollte, ich finde immer noch attraktiv, daß es sich hierbei um Dinge mit Selbstzweckcharakter handeln könnte) daraus bestimmt, was ihre Begründer für ihn gehalten haben. Aber es ist vielleicht nicht verkehrt, deren Positionen nicht ganz aus den Augen zu verlieren.


    Natürlich darf Theater geschmacklos sein. Es ist es wohl immer gewesen: Spott, Hohn, Respektlosigkeit, Schmähkritik waren fester Bestandteil (wenn nicht gar Ziel und Zweck) der Komödie seit der Antike. Das Satyrspiel war derb pornographisch, Tragödien handeln seit jeher von Widerwärtigkeiten wie Inzest, Kindsmord, Blendung, Verstümmelung usw. Es muß es aber nicht sein, es kann vielleicht auch geschmacksbildend sein. Und selbstverständlich kann Geschmacklosigkeit auch dazu dienen, Einfallslosigkeit zu kaschieren. Das kann man aber immer nur fallweise entscheiden.


    viele Grüße


    JR

    Struck by the sounds before the sun,
    I knew the night had gone.
    The morning breeze like a bugle blew
    Against the drums of dawn.
    (Bob Dylan)

  • Zitat

    Original von Johannes Roehl
    Der Zweck der antiken Tragödie war, den Zuschauer durch Furcht und Mitleid, die angesichts des dargestellten Geschehens empfunden wurden, von ungesunden Emotionen zu "heilen". :D (Der Zweck der zotigen Satyrspiele dürfte entsprechend gewesen sein :D)
    Ich habe irgendwo anders schon mal die halbe Poetik zitiert...


    Lieber Johannes,


    da Du auf das Drama der Antike zurückgehst - das starrte ja von auf die damalige Gegenwart bezogene Stoffe. Und eine Tragödie wie "Oidipus" war ja durchzogen von Anspielungen auf aktuelle politische Auseinandersetzungen.


    Für die Komödie galt das ja noch in vermehrtem Maße. Wenn man sich also die Antike als Vorbild nimmt ... Krieg, Mord, Totschlag - alles hinreichend vorhanden.


    Liebe Grüße Peter

  • Zitat

    Original von pbrixius
    Lieber Paul,
    dann hätten solche Filme wie "Schindler's List" oder Chomskys "Holocaust" nicht gedreht werden dürfen - das kann doch nicht Dein Ernst sein.
    Liebe Grüße Peter


    Allerdings. Zumal Schindlers Liste ja nun alles andere als unumstritten ist. Um nicht zu sagen: viel halten den Film für unsäglichen Kitsch.


    Zitat

    Original von audiamus
    wo steht das über die Kunstform Oper geschrieben?


    vielleicht in Pauls Operettenführer?? :stumm: Im Ernst: ich kenne auch keine Quelle, in der festgelegt ist, was Oper ist und was sie darf bzw. nicht darf.


    Sehr anregend ist die Beschäftigung Busonis mit der Gattung und ich gestehe, mit seinen Ansichten zu sympathisieren, auch wenn ich mich nicht nur auf Werke beschränke, die seinen Vorstellungen von Oper entsprechen - da fielen dann wirklich schöne Werke aus dem Raster.


    :hello:
    Wulf

  • Zitat

    Original von Jacques Rideamus
    "Jeder hat das Recht, seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern UND ZU VERBREITEN"


    Dieser Satz aus unserer Verfassung, für den es bestimmt ein Pendant in der niederländischen gibt, erwähnt zwar die Kunst und die Musik nicht ausdrücklich, schließt sie aber noch weniger aus. Im Gegenteil: die Praxis belegt, dass die meisten Rechtsstreitigkeiten auf diesem Sektor gerade im Bereich der künstlerischen Freiheit ausgetragen werden und meist die Künstler dabei Recht bekommen, wenn sie nicht massiv gegen die Rechte Einzelner oder andere Gesetze (etwa Verbreitung von Naziideologie) verstoßen.


    Lieber Rideamus,


    In unserem Grundgesetz steht etwas ähnliches. Aber da steht noch mehr. U.a. was bei euch in Gesetze geregelt wird, haben wir teils im Grundgesetz. Und da wird dann immer vom Richter gewogen, welches Teil des Grundgesetzes unter Umständen wichtiger ist.


    Erklär bitte mal, warum bei Euch dann "Mein Kampf" verboten ist (bei uns nicht), aber soviel alle andere Sachen, die sich mit dem Zweiten Weltkrieg befassen, nicht verboten sind?
    Denn an sich finde ich, daß man dieses Buch, annotiert, verkaufen muß.
    Aber Gott verhüte, das je irgendeiner sowas in Opernform bringt. Ob es überhaupt kann...?


    Eine letzte Bemerkung von mir noch: so lange Regisseure es nötig finden um etwas schreckliches in alten Opern nach der Gegenwart zu übersetzen und dabei Beispiele wie Rote Khmer, Nazis oder vielleicht einmal Islamfundamentalisten nehmen, solange rede ich von Geschmacklosigkeit.


    Und eine Antwort an Audiamus: Auch ein Drama von den Antiken sollte Unterhaltung bieten. Sophokles schrieb seine Werke nicht, damit die Menschen weinten und Asche auf ihren Häuptern streuten.


    LG, Paul


    PS Vielleicht ist es die Zeitgeist, das alles mögen muß. Ob die Menschen damit gedient sind... ?(

  • Zitat

    Original von musicophil
    Auch ein Drama von den Antiken sollte Unterhaltung bieten. Sophokles schrieb seine Werke nicht, damit die Menschen weinten und Asche auf ihren Häuptern streuten.


    Doch, lieber Paul, genau das war ein Hauptanliegen der Kunstform Tragödie gewesen. Ich will nicht mit langen Begriffskatalogen ankommen, in denen kathartische, religiöse und politische Funktion der antiken Tragödie (und des antiken Theaters überhaupt) von mir erklärt würden.


    Aber bitte glaube mir. Ich bin Experte für die griechische Literatur (und die Tragödie im Besonderen) und muß das leider sagen.



    Alex.

  • Zitat

    Original von musicophil
    Erklär bitte mal, warum bei Euch dann "Mein Kampf" verboten ist (bei uns nicht), aber soviel alle andere Sachen, die sich mit dem Zweiten Weltkrieg befassen, nicht verboten sind?


    Lieber Paul,


    das ist ganz einfach. Der Freistaat Bayern ist Rechtsnachfolger, was das Copyright von "Mein Kampf" angeht. Es ist nicht verboten, es wird nicht nachgedruckt. Es gibt allerdings eine offene Debatte darüber, ob man das nicht zulassen sollte. Wissenschaftlern ist "Mein Kampf" auf jeden Fall zugänglich. Am 31.12.2015 erlischt das Urheberrecht.


    Liebe Grüße Peter

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