Aus Einspringern werden Weltstars

  • Anlass zu diesem Thread ist der sensationelle Erfolg des Wotan-Einspringers Thomas J. Mayer in Hamburg. JL jhat hier im Forum darüber berichtet, aber auch andere Kritiken sowie das Publikum waren einhellig begeistert. In nur sechs Stundunden übernahm er dern sängerischen Teil des Parts, den schauspielerischen mimte der indisponierte Falck Struckmann.


    Dieser Thread soll nun einerseits nachforschen welche Künstler von Weltrang (nicht nur Sänger - deshalb befindet sich der Thread auch nicht im Opernbereich, sondern bei den allgemeinen Klassikthemen) auf diese Weise über Nacht in die erste Reihe katapultiert wurden.


    Hiebe werden sowohl Sänger, als auch Dirigenten und (wohl eher selten?) Pianisten und Geiger gesucht.


    Andrerseits kann aber auch analysiert werden, wo diese Künstler VOR ihrer Entdeckung gesungen und gespielt haben - und warum sie erst durch einen Zufall entdeckt wurden.


    Der Thread lässt auch die Möglichkeit offen sich die Frage zu stellen wie viele verborgenen Talente (ich meine solche von Weltrang) in den Startlöchern stehen - und wie viele lebenslang nicht eigentlich zum Zug kommen.


    Ich möchte den Threadtitel etwas weiter gefasst sehen. Auch Künstler, die durch eine Tonträgerauifnahme urplötzlich so auf sich aufmerksam machten, daß ihre Weltkarriere begann lasse ich als "Einspringer" grade noch durchgehen.....


    mfg aus Wien


    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Fricsay sprang mit Anfang 30 (mehr oder weniger als ungarischer Provinzkapellmeister) bei der Weltpremiere (Salzburger Feststspiele 1947) von "Dantons Tod" (Von Einem) für den erkrankten Klemperer ein. Ein Jahr später wurde er Chefdirigent des Berliner (damals) RIAS-Orchesters und GMD.


    Von Bernstein ist mir eine ähnlich Einspringergeschichte (für Walter? Kussevitzky?) als er noch blutjunger Assistent war, im Hinterkopf, aber die Details weiß ich gerade nicht mehr.


    :hello:


    JR

    Struck by the sounds before the sun,
    I knew the night had gone.
    The morning breeze like a bugle blew
    Against the drums of dawn.
    (Bob Dylan)

  • Zitat

    Original von Johannes Roehl
    Von Bernstein ist mir eine ähnlich Einspringergeschichte (für Walter? Kussevitzky?) als er noch blutjunger Assistent war, im Hinterkopf, aber die Details weiß ich gerade nicht mehr.


    Genau, Bernstein war Assistent bei den New Yorker Philharmonikern und sprang sehr spontan (mit wenigen Stunden Vorlauf) für Walter ein. Als erstes Stück stand Schumanns Manfred-Ouvertüre auf dem Programm (im TV hörte ich mal einen kurzen Audio-Ausschnitt aus diesem Konzert und hoffe seither, wenigstens mal der Manfred-Ouvertüre in dieser Live-Darbietung habhaft zu werden (gabs auch möglicherweise mal bei Sony...)). Das Publikum war natürlich nach "Manfred" schon hingerissen.

  • Das Einspringen Bernsteins für Bruno Walter bei einer Matinée der New Yorker Philharmoniker in der Carnegie Hall am 14. November 1943 gehört zu den legendärsten und am besten dokumentierten Karrierekatapulten der Musikgeschichte. Humphrey Burton erzählt, dass ursprünglich Arthur Rodzinski gebeten worden sei, für den erkrankten Bruno Walter einzuspringen, dieser sei aber im verschneiten Stockbridge stecken geblieben und habe angeregt, Bernstein die Übernahme des Konzertes anzuvertrauen. Möglicherweise war dies eine großzügige Gefälligkeit Rodzinskis, der seinerseits einen großen Karrieresprung gemacht hatte, als er 1926 für den erkrankten Stokowski eingesprungen war.


    Bernstein dirigierte also das von CBS landesweit übertragene Konzert mit Schumanns MANFRED - Ouvertüre, dem Stück THEME, VARIATIONS AND FINALE des vor allem als Filmkomponisten bekannten Miklos Rósza und den DON QUIJOTE von Richard Strauss. Als Zugabe dirigierte er dann noch die Ouvertüre zu den Meistersingern, was besonders kühn war, denn dieses Stück hatten die Philharmoniker im Gegensatz zu den anderen lange nicht gespielt gehabt.


    Der Erfolg war phänomenal. Bernsteins Mentor Sergej Kussevitzky hörte die Übertragung im Rundfunk und schickte ihm noch während der Übertragung ein Glückwunschtelegramm, und der Kritiker der New York Times lobte ihn auf der Titelseite. Die Kritiker aller führenden Zeitungen waren fast ausnahmslos begeistert. Das Magazin New Yorker wies kurz danach darauf hin, dass Bernstein nicht nur einer der ganz wenigen Amerikaner, sondern auch mit seinen damals 25 Jahren der jüngste Dirigent überhaupt war, der jemals ein Abonnementskonzert der New Yorker Philharmoniker leiten durfte.


    Schon im folgenden Jahr durfte er dann zehn der führenden Orchester der USA dirigieren, und wurde er zum "Music Director" der NYP ernannt, deren Leitung er nach einer sich aus diesem Erfolg spontan ergebenden Weltkarriere 1957 übernahm.


    EDIT: Sorry für die Verdopplung, Thomas, wir hatten parallel geschrieben und gepostet.


    :hello: Jacques Rideamus

  • War ja keine Verdopplung, Danke für die umfassende Darstellung!


    Gibts einen Mitschnitt von diesem Konzert zu erwerben?


    Nachtrag:



    (jetzt aber verdoppelt :D )


    TB :hello:

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  • Sehr spektakulär war auch, wie Astrid Varnay schlagartig berühmt wurde:


    Am 6. Dezember 1941 (!) sagte Lotte Lehmann, die die Sieglinde an der MET singen sollte, ab und man fand keinen Ersatz. Da gab es lediglich diese 23jährige, die noch auf keiner einzigen Bühne gesungen hat: Astrid Varnay!


    Die restliche Besetzung ist natürlich auch ein Traum: Am Pult: Leinsdorf, von der singenden Zunft: Helen Traubel (an diesem Tag ihr Rollendebüt als Brünnhilde!), Kerstin Thorborg, Lauritz Melchior, Friedrich Schorr, Alexander Kipnis.


    Und wenige Stunden später sollte sich Amerika im zweiten Weltkrieg befinden.



    wenn das keine sensationelle Aufnahme ist....


    :jubel: :jubel: :jubel: :jubel: :jubel: :jubel: :jubel: :jubel: :jubel:

  • Nicht ganz so spektakulär, weil sie zuvor in Europa schon recht bekannt war, aber für ihre Weltkarriere bedeutend, war 1959 das Einspringen von Leonie Rysanek über Nacht für niemand geringeren als Maria Callas in der Rolle der Lady Mabceth an der MET, mit der sie New York und den Rest der Welt eroberte, und aus der diese Aufnahme resultierte:



    Berühmt ist auch das Einspringen Arturo Toscaninis in Rio de Janeiro für einen mir namentlich nicht bekannten Dirigenten. Im zarten Alter von 19 oder 20 Jahren dirigierte er dort seine erste AIDA und ward fortan nicht mehr so sehr als Orchestercellist, sondern als Dirigent gefragt. Der Rest ist Geschichte.


    Und da wir noch keinen Sänger hatten: Juan Diego Florez wurde 1996 als Einspringer nach Pesaro geholt und hatte nur zehn Tage Zeit, die haarsträubend virtuose Corradino-Partie in der kaum gespielten Rossinioper Mathilde di Shabran einzustudieren, mit der er seine Weltkarriere begann.



    :hello: Jacques Rideamus

  • Nicht zu vergessen ds Einspringen von


    Hilde Konetzni,


    dia als Marschallin im 1. Akt für


    Lotte Lehmann


    an der Covent Garden einsprang. Nicht, dass Hilde Konetzni nicht die Marschallin in Wien schon gesungen hätte,


    aber es war vor der damaligen Königin von England,


    nur habe ich das Datum vergessen.


    Liebe Grüße Peter aus Wien. :hello: :hello:

  • Der berühmteste Einspringer war sicher Arturo Toscanini.


    1886 in Rio de Janeiro saß er bei einem Gastspiel der Mailänder Scala in


    Aida als Cellist im Orchester,


    als der Dirigent ausfiel sprang er ein und wurde der


    berühmteste Dirigent der Welt.



    :hello:Herbert.

    Tutto nel mondo è burla.

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  • Toscanini war halt Cellist...... :D


    Es kursiert ja der Bratscherwitz, daß ein Bratscher für einen erkrankten Dirigenten einsprang und eine ganze Tournee lang dirigierte.


    Als er er nach längerer Zeit dann wieder Platz an seinem Bratschenpult nahm, fragten ihn die Kollegen:
    "Sag mal, wo warst Du die letzte Zeit? "


    :untertauch:


  • Der berühmteste?? Auch heute noch???


    Mindestens ebenso berühmt ist doch Bernstein als Einspringer für....ich glaube Walter wars, oder??

  • Zitat

    Original von Herbert Henn
    Der berühmteste Einspringer war sicher Arturo Toscanini.


    Der war auch schon dran. Liest eigentlich noch jemand Threads von Anfang an? Wenn nicht, könnten wir Alfred eine Menge Geld sparen und alle Beiträge löschen, die älter als z.B. vier Wochen sind.


    :rolleyes: Jacques Rideamus

  • Lieber Wulf,


    ich denke schon, daß Toscanini der bedeutenste Dirigent des 20sten


    Jahrhunderts war und natürlch auch bleiben wird. :D


    (Aber das gehört garnicht in diesen Thread, sorry.)


    :hello:Herbert.

    Tutto nel mondo è burla.

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  • Das Konzertverzeichnis der Stockholmer Vladimir Horowitz Website von Christian Johansson nennt die Daten für die ersten beiden Hamburger Konzerte von Vladimir Horowitz. Wie man in den bekannten Biografien nachlesen kann, war das erste Hamburger Solorecital kein berauschender Erfolg, trotz so attraktiver Programmbeiträge wie der h-moll-Sonate von Franz Liszt. Am Tag nach diesem Soloabend war Horowitz mit seinem Manager in der Januarkälte im Tierpark Hagenbeck unterwegs und kam des Abends in das Hotel zurück. Dort erreichte ihn die Nachricht, dass er für die erkrankte Pianisten Helene Zimmermann einspringen und in der zweiten Konzerthälfte, nach Beethovens "Pastorale", das Tschaikowsky-Konzert spielen solle. Der Dirigent Eugen Papst erklärte: "Achten Sie nur auf meinen Taktstock, dann wird schon nichts passieren." Obwohl Horowitz dieser Weisung sicherlich folgte, passierte dennoch etwas, nämlich eine Aufführung, bei der schon nach wenigen Takten der Dirigent und das Publikum in ein ungläubiges, trance-artiges Staunen verfielen und anschließend den Pianisten triumphal feierten.



    Hier die Daten zu den Konzerten gemäß der Stockholmer Website:



    January 19, 1926: Hotel Atlantic, Hamburg, Germany



    Program included:
    Chopin: Barcarolle in F-sharp major, Op.60
    Liszt: Sonata in B minor


    Chopin: Etudes [unspecified selection, but among them Op.25 No.10]
    Chopin: Mazurkas [unspecified selection]
    Liszt: Fantasy on two themes from Mozart's opera Figaro's Wedding


    January 20, 1926: Hamburg, Germany [Horowitz stood in for an ill Helene Zimmermann]



    Tchaikovsky: Piano Concerto No.1 in B-flat minor, Op.23
    - Eugen Pabst, conductor/Unknown Orchestra





    Vorher spielte Horowitz 1920 bis 1925 in den drei russischen Metropolen, aber anscheinend nur acht Konzerte ingesamt. Dann spielte er im Januar 1926 mehrere Konzerte in Berlin, mit sehr anspruchsvollen Programmen, siehe unten, aber dadurch erreichte er noch nicht den Rang eines überragenden Stars. Merkwürdigerweise geschah dies erst an dem bemerkenswerten 20. Januar.





    January 2, 1926: Beethovensaal, Berlin, Germany [European Debut]



    Program included:
    Bach/Busoni: Toccata, Adagio & Fugue in C major, BWV 564 Schumann: Fantasy in C major, Op.17


    Rachmaninoff: Unspecified works
    Liszt: Reminiscences de Don Juan (after Mozart)


    January 4, 1926: Beethovensaal, Berlin, Germany [+]



    Medtner: Unspecified work(s) Ravel: Sonatine [+ other works?]
    Chopin: Sonata No.2 in B-flat minor, Op.35 [+ other works?]
    Liszt: Reminiscences de Don Juan and/or the Figaro Fantasy as completed by Busoni


    January 5, 6 or 7, 1926: Blüthner Hall, Berlin, Germany [European Concerto Debut]



    Tchaikovsky: Piano Concerto No.1 in B-flat minor, Op.23 - Oskar Fried/Berlin Symphony Orchestra


    January 14, 1926: Beethovensaal, Berlin, Germany [+]



    Bach/Busoni: Unspecified transcription(s) Schumann: Carnaval, Op.9
    Liszt: Sonata in B minor Liszt: Mephisto Waltz [unspecified]
    [Encores unknown]