Zu kurz, zu falsch, zu dumm - Für und wider Musikdarbietungen im Spielfilm

  • Diesen Thread habe ich aus dem Aktualitätsthread "Welchen Film seht Ihr gerade..." ausgekoppelt, wei er ein Thema anspricht, das m. E. weitere Überlegungen und Kommentare verdient. Welche anderen Beispiele kennt Ihr, und wie findet Ihr sie? J.R. II



    Habe gerade den folgenden Film gesehen.



    Das Thema des Films klingt ganz vielversprechend, und zudem spielt klassische Musik eine zentrale Rolle. Der Film hat in der Tat eine gewisse Spannung, die Schauspieler sind gut. Die Handlung wird für meinen Geschmack ein wenig zu schnell und direkt erzählt (der Film ist mit 81 Minuten auch recht kurz). Das Ende finde ich eher enttäuschend.


    Aber worum es mir in erster Linie geht: Ich bin auf den Film gestoßen, weil in ihm das 2. Klaviertrio von Schostakowitsch vorkommt, ein Werk, welches ich sehr mag. Es kommt an zwei Stellen des Films vor. Einmal bei einer heimischen Probe. Das zweite mal bei der Aufführung. Diese Darbietung der Aufführung finde ich lächerlich und gleichzeitig ärgerlich: Dass überhaupt nur der 4. Satz vorkommt, ist ja verständlich.


    Aber zwei Dinge finde ich wirklich ärgerlich: Die Probe ist noch okay. Aber bei der Aufführung des Trios wird die Klavierstimme deutlich aufgemotzt und erhält zusätzliche Noten, die im Original nicht vorkommen. Teilweise hört es sich an, als wolle die Pianistin ein schlechtes Klavierkonzert aufführen. Es klingt scheußlich. (Zuerst dachte ich, sie würde sich aus Nervosität verspielen.) Dazu kommt, dass ein anderer Schluss komponiert wurde, zudem ein völlig nichtssagender. So, als hätte man auf einem Keyboard die Beendentaste gedrückt.


    Zweitens, was wirklich lächerlich ist: Das ganze "Konzert" wird ohne Schnitt (in der Musik) vom Anfang bis zum Ende gezeigt. Es fängt mit dem Anfang des 4. Satzes des 2. Klaviertrios an und endet kaum 2 Minuten später mit dem künstlichen Schluss. So, als würde das ganze Konzert bzw. Trio nur 2 Minuten dauern. Selbst dem Musiklaien muss das doch absurd vorkommen!


    Naja, manch anderen mag soetwas unwesentlich erscheinen. Für mich war es eine herbe Enttäuschung. Warum muss man das gute Werk so verschandeln? (Der Regisseur bringt im "Making Of" dazu irgendeine fadenscheinige Rechtfertigung, die ich nicht verstehe.) Wird sich jemand, den das Werk potentiell interessieren könnte, nun durch diesen scheinbaren Vorgeschmack angezogen fühlen?


    Was denken andere dazu?


    maticus

  • Zitat

    Original von maticus
    Naja, manch anderen mag soetwas unwesentlich erscheinen. Für mich war es eine herbe Enttäuschung. Warum muss man das gute Werk so verschandeln? (Der Regisseur bringt im "Making Of" dazu irgendeine fadennscheinige Rechtfertigung, die ich nicht verstehe.) Wird sich jemand, den das Werk potentiell interessieren könnte, nun durch diesen scheinbaren Vorgeschmack angezogen fühlen?


    Was denken andere dazu?


    Mich hat es nicht so gestört. Eher habe ich mich darüber gewundert, warum ausgerechnet dieses Stück von Schostakowitsch in diesem Film vorkommt. Aber das ist ja schließlich kein Konzertfilm, sondern ein Spielfilm.


    Sehr bitterböse ist die Sequenz mit der Aufnahmeprüfung am Konservatorium inszeniert. Haben da etwa der Autor oder der Regisseur eigene Jugendtraumata verarbeitet?


    Der Film ist aber auch für Cellisten äußerst sehenswert. So ein Cellostachel kann schon zu einer gefährlichen Waffe werden...


    Viele Grüße
    Frank

  • Zitat

    Zitat von Frank Pronath
    Eher habe ich mich darüber gewundert, warum ausgerechnet dieses Stück von Schostakowitsch in diesem Film vorkommt.


    Naja, warum nicht? Die Pianistin spielt in einem Trio, und es gibt nur zwei Klaviertrios von Schostakowitsch.


    Aber selbst dazu bringt der Regisseur eine scheinbare Begründung im "Making Of", so nach dem Motto (die Schauspielerin ist ja keine Pianistin), den Klavierpart des 2. Klaviertrios könne man auch spielen, wenn man schon 25 Jahre nicht mehr Klavier gespielt hat... :hahahaha: Hoffentlich erfährt Richard Kleiderschrank nicht davon. :pfeif:


    Zitat

    Aber das ist ja schließlich kein Konzertfilm, sondern ein Spielfilm.


    Das ist mir schon klar. Aber ich bin immer für Authentizität. Ich bin gegen jegliche Verkitschung, gegen Weichspüler. Wenn sie ein seichteres Werk mit mehr "Pepp" hätten haben wollen, hätten sie bestimmt etwas "besseres" komponieren können, es hat ja eh' ein Komponist mitgewirkt.


    Zudem: Ein Zweiminutenkonzert ist einfach unlogisch/unrealistisch. Man stelle sich vor, sie würden in ein Restaurant gehen, die Szene würde ohne Schnitt gezeigt, und das Essen wäre nach 2 Minuten schon wieder beendet. Würde man das nicht komisch finden? Um der Szene eine zeitliche Logik zu geben, hätten sie einen Schnitt machen müssen. Dann hätten sie sogar den Originalschluss zeigen können...


    maticus

  • Ich habe den Film leider noch nicht gesehen, so dass ich mich zur Funktion des Konzertes darin nicht äußern kann. Der Einwand des Spielfilms ist aber mehr als berechtigt. Ein Spielfilm ist nun einmal keine Dokumentation, und selbst die müssen fast immer kürzen oder nur Ausschnitte anreißen. Man stelle sich vor, alles würde in Echtzeit gezeigt, vom Gang über die Straße bis zum Essen, von anderen Szenen ganz zu schweigen.


    Jede Erzählung muss raffen, und das gilt natürlich auch für Musikaufführungen, die darin vorkommen. Man stelle sich einmal vor, wie lange Formans AMADEUS wäre, wo ja immerhin sehr viel auf die Musik ankommt, die von Neville Mariner eigens für den Film eingespielt wurde, hätte man alle darin vorkommenden Stücke ungekürzt eingebaut. Oder hätte man dann auch etwas Eigenes komponieren lassen sollen?


    :hello: Jacques Rideamus

  • Ich habe diesen Film im Kino gesehen und fand ihn aus psychologischer und schauspielerischer Sicht serh eindrucksvoll.
    Ein Kinofilm ist nun mal kein Konzert- so bedauerlich dass für Musikliebhaber auch sein mag. :(


    F.Q.

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  • Abgesehen von den musikalischen Einwänden, die nach meiner Meinung eher Geschmackssache sind, halte ich den Film für sehr empfehlenswert. Nachdem ich die DVD ursprünglich in der Videothek geliehen hatte, steht jetzt die Anschaffung auf meiner Wunschliste.


    Viele Grüße
    Frank

  • Zitat

    Original von Frank Pronath
    Abgesehen von den musikalischen Einwänden, die nach meiner Meinung eher Geschmackssache sind, halte ich den Film für sehr empfehlenswert. Nachdem ich die DVD ursprünglich in der Videothek geliehen hatte, steht jetzt die Anschaffung auf meiner Wunschliste.


    Viele Grüße
    Frank


    Ich hatte mir die UK-DVD (franz. O-Ton mit engl. UT) gekauft, die es vor einiger Zeit günstig gab und sie inzwischen wieder verkauft.


    Den "musikalischen" Einwand kann ich nicht nachvollziehen. Wenn man ein Trio von Schosti hören und sehen will, dann kauft man sich eine Konzert-DVD, aber keinen Spielfilm.


    Insgesamt habe ich den Film als konventionell iSv. langweilig im Gedächtnis. Ich überlege mir schon aus Platzgründen genau, welche DVD ich wirklich in der Sammlung behalte. Fast immer sind es Filme, die ich mehrmals sehen möchte. Dieser gehörte nicht dazu.

  • Meine Kritik stößt ja hier offenbar auf wenig Verständnis. Das wundert mich ein wenig, weil ich das hier nicht als ein reines Filmforum sehe, sondern als Filmforum innerhalb des Tamino Klassikforums. Geht es daher nicht um Filme, die irgendwie mit Musik zu tun haben? Aber vielleicht habe ich da was missverstanden.


    Aber ich möchte nochmal kurz etwas klarstellen. Natürlich habe ich den Film nicht in der Erwartung gesehen, dass ich da jetzt eine tolle Interpretation des Klaviertrios (zumal in voller Länge) zu hören bekomme. Ich finde es halt schön, meine Lieblingsstücke auch außerhalb des Konzertsaals oder dieses Forums thematisiert zu sehen. Aber dem Stück sollte auch ein gewisser Respekt entgegengebracht werden.


    Erwartet habe ich allerdings eine gewisse Authentizität. Kennt jemand Beispiele von Filmen, in denen schon vorhandene klassische Musik drastisch abgeändert wurde? Mir fällt momentan kein Beispiel ein. (Doch, mir fällt nachträglich noch "Clockwerk Orange" ein, aber das ist m. E. etwas völlig anderes.)


    Aber sei es drum. Den anderen Punkt (zweiminütiges Konzert) sehe ich aber als klaren logischen FEHLER des Films. Das hätte durch einen Schnitt einfach und effektiv behoben werden können. Wozu gibt es denn heutzutage extra Personen beim Film, die für die "Continuity" zuständig sind, also darauf achten, dass auf der Uhr im Hintergrund die richtige Zeit angezeigt wird etc. Um es ganz klar zu sagen: Ich sehe diese Sequenz als klaren logischen Bock, oder es ist Absicht, und dann wird der Zuschauer nicht ernst genommen. Dies ist völlig unabhängig von dem gespielten Stück, denn KEIN Konzert dauert nur 2 Minuten.


    Ich finde, hier im Tamino Klassikforum sollte man solche Dinge ruhig ansprechen können. Ansonsten fand ich den Film durchaus sehenswert, insgesamt aber auch nicht herausragend gut. Trotzdem würde ich den Film empfehlen.


    maticus

  • Lieber maticus,


    natürlich darf und kann man das Problem ansprechen, wenn man eines darin sieht. Wenn da tatsächlich eine Uhr im Hintergrund sein sollte, die der Filmzeit gemäß am Schluss des "Konzertes" nur zwei Minuten weiter ist, wäre das ein klarer Continuity-Fehler.


    Solange es sich aber nicht um eine Schostakowitsch-Biographie handelt, die natürlich seine Instrumentationen wahren sollte, halte ich aber sogar Bearbeitungen für legitim, wobei natürlich am Ergebnis zu urteilen ist, ob die Bearbeitung den beabsichtigten Gewinn brachte.


    Ansonsten bin ich mir natürlich bewusst, dass wir hier in einem Klassikforum schreiben, weshalb ich, seit es dieses neue Forum für Film gibt, am liebsten auch über Filme schreibe, in denen klassische Musik eine wie auch immer geartete Rolle spielt.


    Wenn ich aber den Musikeinsatz in Filmen kritisiere, dann verlange ich von mir auch, dass ich die Gesetze des Filmes in etwa kenne und berücksichtige, nicht nur als Fachmann.


    Andernfalls müsste ich ja auch einem Visconti vorwerfen, dass er in TOD IN VENEDIG nur Mahler-Schnipsel anbietet, obwohl die wenigstens (überwiegend) aus den integren und integralen Kubelik-Einspielungen stammen. Ich versuche mich daher immer zu fragen: "was will das jeweilige Werk (Film, Buch, Musik, egal), erreicht es das für meine Begriffe, und sind die dafür zu bringenden Opfer akzeptabel?"


    Unabhängig davon ist es natürlich legitim, darüber frustriert zu sein, wenn von einem Werk, das man kennt und liebt, nur ein Torso oder noch weniger dargeboten wird. Mir ging das oft genug so. Ich finde es auch völlig legitim, das hier anzusprechen. Nur werfe ich das nicht unbedingt den Filmen oder ihren Musikarrangeuren und nicht einmal immer den Regisseuren vor, die sich öfter über ihre Komponisten hinwegsetzen als dass sie deren Probleme anerkennen und honorieren. Was man ihnen oft genug vorwerfen kann, ist nicht, dass sie Bearbeitungen vornehmen müssen, sondern wie sie das tun (etwa die unnötig aufgeblasene Orchestrierung in den meisten Musicalfilmen), schwerlich aber, dass sie - jedenfalls in der Regel - meist unvermeidlich sind.


    Das nur zur Klarstellung meiner Position, die ich bitte, nicht als Kritik an Dir oder Deiner Position zu verstehen, sondern als - hoffentlich sachdienliche - Korrektur.


    :hello: Jacques Rideamus

  • Lieber maticus,


    ich verstehe Dich sehr gut.
    Kenne ich auch den von Dir angesprochenen Film (noch) nicht, ärgere ich mich doch gern und ausdauernd über musikalische Ungereimtheiten oder schlechtes Schauspielercoaching (denke z.B. an die verkrampften Gambenfinger in "Die siebte Saite" oder das täppisch taktlose Dirigat Hulcezarts in "Amadeus") gerade in Filmen, welche die Musik selbst zum Thema haben.


    Da kann in der Tat auch jene James Bond - Dramaturgie stören, die den Agenten stets seinen Wodka-Martini bestellen, aber nie trinken lässt, da alles Nötige bereits in zwei Sätzen und fünfzehn Sekunden gesagt ist.


    Schlimm ist für mich auch "Das Piano" mit Kompositionen Herrn Nymans, die eigens in Auftrag gegeben worden waren, aber stilistisch 150 Jahre von Handlung und Inszenierung abweichen.


    Um so mehr schätze ich einen Film, der leider nie auf DVD erschienen ist, aber die detailversessene Liebe des Regisseurs Joel Oliansky zur Materie großartig in Szene setzt.
    Amy Irving und Richard Dreyfuss beherrschen in "The Competition" die Tastaturen ihrer Flügel so sicher, dass man selbst bei näherem Hinsehen in langen Takes den Eindruck gewinnt, sie spielten tatsächlich Prokofiew 3 oder Beethoven 5.
    Erst beim Lesen der Credits wird offenbar, dass die Schauspieler zu professionellen Einspielungen mimen.


    Daneben unterbrechen hier plausible und nicht kaschierende Schnitte die mannigfaltigen musikalischen Darbietungen, so dass auch ohne 24-Echtzeitkonzept eine akzeptable Authentizität erreicht wird.






    Diese Problematik wäre eigentlich einen eigenen Thread wert.




    audiamus, Mitgrantler



    .

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  • Zitat

    Original von audiamus



    audiamus, Mitgrantler
    .


    Ein schöner Film, und heut' zumal.


    IMO sogar besser als MR. HOLLAND'S (aka Dreyfuss') OPUS.


    Wenn's Recht ist, mache ich mal aus dieser Diskussion um die DARSTELLUNG von Musik im Film einen eigenen Thread und hole dieses wachsende OT aus dem aktuellen Filmghetto.


    :hello: Jacques Rideamus

  • Lieber Jacques,


    Zitat

    Zitat von Jacques Rideamus
    Wenn da tatsächlich eine Uhr im Hintergrund sein sollte, die der Filmzeit gemäß am Schluss des "Konzertes" nur zwei Minuten weiter ist, wäre das ein klarer Continuity-Fehler.


    Nein, es war keine Uhr zu sehen. Nochmal: Das GESAMTE Konzert wurde ohne Schnitt in der Musik gezeigt (Bild-Schnitt gab es schon), und dies dauerte (in der gekürzten Fassung) halt nur 2 Minuten. Es geht mir nicht um die Kürzung. Es geht mir darum, dass es das GESAMTE Konzert sein sollte, vom Auftritt bis zum Applaus.


    Anderer Fehler, der gerne in Filmen (nicht in diesem) gemacht wird: Profischachspieler spielen an einem Brett, welches um 90 Grad verdeht ist. Das finde ich ähnlich ärgerlich, auch wenn es für manche kleinkariert scheinen mag.


    Zitat

    Nur werfe ich das nicht unbedingt den Filmen oder ihren Musikarrangeuren und nicht einmal immer den Regisseuren vor, die sich öfter über ihre Komponisten hinwegsetzen als dass sie deren Probleme anerkennen und honorieren.


    Im "Making Of" sagt der Regisseur Denis Dercourt, dass er selbst professioneller Musiker in einem Sinfonieorchester war und seit 1993 Dozent am Konservatorium in Straßburg für Bratsche und Kammermusik! Da würde ich doch erst recht erwarten, dass ihm die Musik eine Herzensangelegenheit ist.


    Zitat

    Was man ihnen oft genug vorwerfen kann, ist nicht, dass sie Bearbeitungen vornehmen müssen, sondern wie sie das tun (etwa die unnötig aufgeblasene Orchestrierung in den meisten Musicalfilmen), schwerlich aber, dass sie - jedenfalls in der Regel - meist unvermeidlich sind.


    Gerade dem "unvermeidlich" würde ich vehement widersprechen. Klar, es muss gekürzt werden bzw. können nur Ausschnitte gezeigt werden. Aber dass das Werk ansonsten bearbeitet, ja vermeintlich "aufgemotzt" werden muss, das kann ich nicht nachvollziehen. Ich brauche natürlich nicht dazusagen, dass das Werk durch die Bearbeitung nicht besser wurde, im Gegenteil wirkte es lächerlich.


    Nimm jetzt einen durchschnittlichen Tamino-Teilnehmer, der Schostakowitsch kaum kennt, diesen Film sieht, der wird denken, dass Schostakowitsch (dessen Name und dessen gespieltes Werk ausdrücklich in dem Film genannt werden) irgendein Kitschkomponist ist, und das finde ich ärgerlich.


    Der Regisseur gab für die Bearbeitung auch eine Rechtfertigung.


    Zitat

    Zitat aus dem Making Of
    Arianes [die Pianistin] Etüde [?] sollte überleiten zu Schostakowitsch, einer Musik, die sehr chabrolesk ist und sehr hart und die wir ein wenig abgemildert [sic!] haben, indem wir ein paar Töne hinzugefügt haben, denn zwangsläufig hat der Film ein Eigenleben, und das Drehbuch war vielleicht erst wirklich etwas chabrolesker, und dann wurde es mehr ein Genrefilm mit mehr Atmosphäre.


    Muss ich das verstehen? Die "chabrolesken" Anteile, die der Film ja offenbar hat (und ich dachte, das wäre ein erstrebenswertes Ideal) wollte er eher meiden? Und "chabrolesk" bedeutet weniger Atmosphäre? Er will "abmildern"? Was denn? Ist der Film sonst zu spannend und nicht zu ertragen? Was ist mit "Genrefilm" gemeint? Diese für mich nicht nachvollziehbare Begründung und der musikalische Hintergrund des Regisseurs gießen m. E. nur noch mehr Öl ins Feuer.


    maticus

  • Zitat

    Original von maticus
    Anderer Fehler, der gerne in Filmen (nicht in diesem) gemacht wird: Profischachspieler spielen an einem Brett, welches um 90 Grad verdeht ist. Das finde ich ähnlich ärgerlich, auch wenn es für manche kleinkariert scheinen mag.


    Geht mir auch gelegentlich so bei historischen Filmen, wenn Fahrzeuge und Bekleidung gezeigt werden, die es noch nicht, nicht mehr oder so überhaupt nicht gab, Dampflokomotiven in Filmen über den 2.WK mit der 1968 eingeführten Computernummer statt der korrekten Baureihenbezeichnung usw.. Aber letzlich geht das alles - jedenfalls solange der Film nicht ausdrücklich als historisch korrekt vermarktet wird - am Kern vorbei.


    Denn es handelt sich um einen Kinofilm, der ganz andere Ziele verfolgt.




    Zitat

    Im "Making Of" sagt der Regisseur Denis Dercourt, dass er selbst professioneller Musiker in einem Sinfonieorchester war und seit 1993 Dozent am Konservatorium in Straßburg für Bratsche und Kammermusik! Da würde ich doch erst recht erwarten, dass ihm die Musik eine Herzensangelegenheit ist.


    Deshalb muß er sich trotzdem den Gesetzen des Films unterordnen, wenn er einen gelungenen Film drehen will. Sonst muß er einen Konzertfilm drehen oder eine Doku, aber keinen Psychothriller. Immerhin wird er auch Film studiert haben, da ist der ihm auch eine Herzensangelegenheit.



    Zitat

    Nimm jetzt einen durchschnittlichen Tamino-Teilnehmer, der Schostakowitsch kaum kennt, diesen Film sieht, der wird denken, dass Schostakowitsch (dessen Name und dessen gespieltes Werk ausdrücklich in dem Film genannt werden) irgendein Kitschkomponist ist, und das finde ich ärgerlich.


    Dieser Tamino-Teilnehmer muß dann aber schon sehr naiv sein...


    Zitat

    Muss ich das verstehen? Die "chabrolesken" Anteile, die der Film ja offenbar hat (und ich dachte, das wäre ein erstrebenswertes Ideal) wollte er eher meiden? Und "chabrolesk" bedeutet weniger Atmosphäre? Er will "abmildern"? Was denn? Ist der Film sonst zu spannend und nicht zu ertragen? Was ist mit "Genrefilm" gemeint? Diese für mich nicht nachvollziehbare Begründung und der musikalische Hintergrund des Regisseurs gießen m. E. nur noch mehr Öl ins Feuer.
    maticus


    Wo ist da das Problem? Er wollte einen Psychothriller drehen, also gerade keinen Auteur- sondern einen typischen Gernefilm, der lediglich aufgrund der beruflichen Herkunft des Regisseurs im Milieu der klassischen Musik spielt.


    Jeder Genrefilm hat ein Eigenleben, wie er ganz richtig feststellt. Das hat er berücksichtigt und Kompromisse bei der Musik gemacht. Eine für mich klare Begründung. Hätte er eine Doku über die Musikausbildung gemacht, wäre der Film ganz anders inszeniert worden. Der Film gibt die Regeln vor, nicht die Musik.

  • Hallo Robert,


    Zitat

    Zitat von Robert Stuhr
    Deshalb muß er sich trotzdem den Gesetzen des Films unterordnen, wenn er einen gelungenen Film drehen will.


    Und gegen welche Regel hätte er verstoßen, wenn er das Stück nicht verändert hätte? Hätte es dann auch nur einen Kinobesucher weniger gegeben? Wäre die Filmkritik schlechter gewesen? Ich behaupte: Nein! Welchen Mehrwert haben die zusätzlichen Noten? Ich behaupte: keinen.


    Zitat

    Dieser Tamino-Teilnehmer muß dann aber schon sehr naiv sein...


    Nicht notwendig. Wenn er das Werk von Schostakowitsch kaum oder garnicht kennt...


    Zitat

    Wo ist da das Problem? Er wollte einen Psychothriller drehen, also gerade keinen Auteur- sondern einen typischen Gernefilm, der lediglich aufgrund der beruflichen Herkunft des Regisseurs im Milieu der klassischen Musik spielt.


    Ich dachte, Chabrol hätte auch Psychothriller gemacht. Gerade er!


    Zitat

    Der Film gibt die Regeln vor, nicht die Musik.


    (s.o.) Wäre schön, wenn man diese Regeln mal konkret benennen könnte. Ansonsten kann man ja viel behaupten. Immer wird sich auf irgendwelche "Regeln" oder auf das "System" berufen, wogegen man nichts machen könne. Ich könnte noch zynisch (und leicht off-topic) hinzufügen: "Alle" haben sich immer auf die Gesetze des Marktes berufen, jetzt sind sie am Schreien...


    maticus

  • Zitat

    Original von maticus
    Hallo Robert,
    Und gegen welche Regel hätte er verstoßen, wenn er das Stück nicht verändert hätte? Hätte es dann auch nur einen Kinobesucher weniger gegeben? Wäre die Filmkritik schlechter gewesen? Ich behaupte: Nein! Welchen Mehrwert haben die zusätzlichen Noten? Ich behaupte: keinen.


    Schon möglich, aber sich über eine derartige Nebensächlichkeit in einem Psychothriller so zu ärgern, das will mir nicht in den Kopf. Das ist ungefähr so, als wenn sich jemand Vilsmaiers Stalingrad ansieht und bei der anschließenden Kritik in erster Linie darüber empört, daß relativ früh im Film zwei Schützenpanzer zu sehen waren, die es in dieser Ausführung erst ab 11.43 gegeben hat. Das geht doch völlig am Film vorbei.


    Bei einem Film wie "Tous les Matins du Monde", wo sich fast alles um die Musik, um Saint Colombe und Marais dreht, wäre Kritik an der Darstellung der Musik eher am Platze.



    Zitat

    Nicht notwendig. Wenn er das Werk von Schostakowitsch kaum oder garnicht kennt...


    Wer achtet bei einem Psychothriller darauf, ob Schosti 100% korrekt wiedergegeben wird? 1 von 100.000? Und wer glaubt ernsthaft, er könne mit dem Soundschnipsel Schosti als Komponisten einordnen? 1 von 1.000.000?



    Zitat

    Ich dachte, Chabrol hätte auch Psychothriller gemacht. Gerade er!


    Und was hat das mit dem Kern des Problems zu tun, nämlich sich über einen musikalischen Fehler aufzuregen, der in einem Genrefilm dieser Art vollkommen nebensächlich und ohne jede Bedeutung ist?



    Zitat

    Der Film gibt die Regeln vor, nicht die Musik.


    Zu den Regeln gehört es jedenfalls, daß in einem gekonnten Psychothriller die Inszenierung spannend sein muß, die Handlung darf nicht allzuviele logische Löcher aufweisen und die Charaktere müssen glaubwürdig und überzeugend sein. Die Musik kann sehr zur Spannung bzw. Atmosphäre eines Films beitragen. Wenn er ihn zB mit bayerischer Blasmusik unterlegt hätte, dann wäre das kontraproduktiv gewesen, aber so?


    Ich finde zB die Figuren zu oberflächlich gezeichnet (zB. im Gegensatz zu Chabrol!), sie bleiben für mich blaß, der Film plätschert zu sehr vor sich hin, um wirklich zu überzeugen. Das sind in meinen Augen Fehler, über die man sich unterhalten sollte, nicht Schostis Musik.

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  • Zitat

    Original von Robert Stuhr
    Aber letzlich geht das alles...am Kern vorbei.


    Gute Ausrede für das gesamte Spektrum zwischen Schlamperei, Lieblosigkeit und Ignoranz.


    Vergleiche dazu auch den Thread Musikalisch Außermusikalisches - Taminos Kuriositätenkabinett (zumindest an den Stellen, wo es mal nicht um Forumspolitik geht).


    Hier war der Stein des Anstoßes ein Film, der die Musik offensichtlich auf die Protagonistenliste gesetzt hat.
    Da hätte der Herr Bratschendozent (!) mit Sicherheit eine elegantere Lösung finden können. Naja, wenn man's recht bedenkt...


    Glücklicherweise gibt es aber immer mal wieder Regisseure, die trotz Berücksichtigung der Detailtücke anständige Filme zurechtschustern können, ohne Opfer den Bedürfnissen des Mediums, höchstens der eigenen Bequemlichkeit bringen zu müssen, um dann ihren Fernseh- oder Filmpreis nicht kritiklos oder gar nicht entgegennehmen.

    Und wenn sie sich für zweifuffzig die Stunde einen Musikstudenten in beratender Funktion anmieten.



    audiamus



    .

  • Hallo Robert,


    in einem Cineasten-Forum hätte ich diese Kritik vermutlich nicht angebracht. Obwohl ich dabei bleibe, dass das Konzert ein logischer Fehler ist, unabhängig von dem gespielten Stück selbst. Über weitere Schwächen könnte man sich auch unterhalten, aber wir sind hier ja schließlich in einem Musikforum.


    Zitat

    Und was hat das mit dem Kern des Problems zu tun, nämlich sich über einen musikalischen Fehler aufzuregen, der in einem Genrefilm dieser Art vollkommen nebensächlich und ohne jede Bedeutung ist?


    Nun, Du hast doch versucht, die Argumentation des Regisseurs damit zu verteidigen, indem Chabrol und Psychothriller als etwas voneinander Gegenteiliges dargestellt wurde.


    Ich weiß zwar immer noch nicht, was ein "Genrefilm" ist, aber Du stellst es quasi so dar, als würde es sich bei einem Psychothriller per se um ein anspruchsloses Produkt handeln. Für mich gibt es nur gute oder schlechte Filme. Auch Psychothriller können für mich gute Filme sein, es gelten dieselben Kriterien. (Vielleicht ein Grund, warum ich so selten ins Kino gehe.)


    Zitat

    Zu den Regeln gehört es jedenfalls, daß in einem gekonnten Psychothriller die Inszenierung spannend sein muß, die Handlung darf nicht allzuviele logische Löcher aufweisen und die Charaktere müssen glaubwürdig und überzeugend sein.


    Eben, glaubwürdig und (möglichst) keine logische Löcher. Genau mein Anspruch!


    maticus

  • Zitat

    Original von maticus


    Nun, Du hast doch versucht, die Argumentation des Regisseurs damit zu verteidigen, indem Chabrol und Psychothriller als etwas voneinander Gegenteiliges dargestellt wurde.


    Ich habe meine Beiträge noch einmal durchgelesen und sehe nicht, daß ich Chabrol und Psychothriller als etwas Gegenteiliges dargestellt habe.


    Möglicherweise reden wir da auch aneinander vorbei:


    Den von Dir beschriebenen Fehler im Film von Dercourt sehe ich auch (nach Deinem Hinweis, beim Sehen ist er mir nicht aufgefallen, mir wäre allerdings auch nicht im Traum eingefallen, nach dem Schnipsel Schosti einzuordnen). Ich meine allerdings, daß der Fehler im Gesamtkontext des Films belanglos ist und man ihn nicht so überbewerten sollte.


    Ich will Dercourt also nicht verteidigen. Aber ich finde den Film schlecht, weil er spannungsarm ist, er plätschert vor sich hin, die Charaktere sind oberflächlich (alles anders als bei Chabrol), und nicht wegen des hier eher belanglosen musikalischen Fehlers.


    Zum Begriff Genrefilm hier ein Einstieg:


    http://www.mediamanual.at/medi…mgeschichte/genrekino.php

  • Naja - spannungsarm und oberflächlich ist schon weit übertrieben. Im Gegenteil, die hervorragenden Schauspieler haben die Charaktere sehr überzeugend dargestellt. Ich empfand den Film als sehr spannend und unterhaltend. Die Pianistin wirkte auf mich derart arrogant und zynisch, dass ich dem Film sogar ein schlimmeres Ende gewünscht hätte.


    Mit Chabrols neuestem Werk ("Die zweigeteilte Frau") kann dieser Film auf jeden Fall leicht mithalten.


    Viele Grüße
    Frank

  • Zitat

    Zitat von Robert Stuhr
    Ich habe meine Beiträge noch einmal durchgelesen und sehe nicht, daß ich Chabrol und Psychothriller als etwas Gegenteiliges dargestellt habe.


    Ich habe die Aussage des Regisseurs, die ich oben zitiert habe, und Deine Aussage


    Zitat

    Er wollte einen Psychothriller drehen, also [...] einen typischen Gernefilm,


    zusammengenommen. Du setzt in diesem Kontext "Genrefilm" mit "Psychothriller" gleich. Der Regisseur sagt, Schostakowitschs Musik sei ihm zu chabrolesk gewesen (obwohl es anscheinend wohl so geplant war), und deswegen sei sie abgeändert worden, und es sei ein Genrefilm (=Psychothriller) entstanden (im Gegensatz zu einem Chabrolfilm). Ich orientiere mich hier nur an Deiner (und des Regisseurs) Argumentation.


    Deine (anderweitigen) Kritiken an dem Film teile ich größtenteils. Tendenzen in Richtung Chabrol hat er ja, aber nicht dessen Qualität (die der Regisseur ja offenbar bewusst meiden wollte??). Völlig spannungsarm fand ich ihn nicht. Ich wollte schon wissen, wie es ausgeht, ein Katastrophe schien sich ja anzubahnen. Aber ein zweites mal werde ich mir den Film wohl nicht anschauen.


    maticus

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  • Hallo Frank,


    Zitat

    Zitat von Frank Pronath
    Die Pianistin wirkte auf mich derart arrogant und zynisch, dass ich dem Film sogar ein schlimmeres Ende gewünscht hätte.


    Ich habe sowieso Schwierigkeiten, das Ende als wirklich schlimm anzusehen (das soll es ja wohl sein). :hahahaha: Der Film spielt ja im 21. Jahrhundert und nicht im Mittelalter.


    maticus