Beechams 1959er "Messiah" - Genial oder mißlungen?


  • "Sechzig Jahre des Studiums von Händels Leben und Werk haben mich zu der Auffassung gebracht, daß er selbst kaum Einwände gegen ein wenig Modernisierung des instrumentalen Teils seiner Oratorien und auch seiner Opern erhoben hätte. Wir wissen, daß er ganz wie Mozart in Demonstrationen einer großen Klangfülle schwelgte - so weit, daß er sich einmal sogar die Unterstützung einer Kanone wünschte. Und ich fürchte auch, daß ohne einige Bemühungen dieser Art der größere Teil seines herrlichen Werks ungespielt bleiben wird - vielleicht zur Befriedigung einiger verschlafenen Lehnstuhl-Puristen, kaum aber zum Vorteil des bewußt lebenden und suchenden Konzertbesuchers."
    Sir Thomas Beecham, 2nd Baronet, CH


    In der Tat ist seine berühmte Messiah-Aufnahme von 1959 mit dem Royal Philharmonic Orchestra aber stark umstritten.
    Man wirft ihm vor, das Barock-Oratorium mit zu vielen wagnerianischen Elementen angereichert zu haben - und fürwahr, viele Teile des Oratoriums erinnern an eine Wagner-Oper.


    Aber ist seine Messiah-Bearbeitung nun ein Meisterwerk oder aber gescheitert?

    »Und besser ist's: verdienen und nicht haben,

    Als zu besitzen unverdiente Gaben.«

    – Luís de Camões

  • GENIAL


    Ich liebe den Massenchor und das zusätzliche Spektakel der Instrumentierung von Sir Eugene Goossens!!!


    Eine anständige Aufnahme braucht man als Grundausstattung natürlich auch, ich empfehle McCreesh. Aber Beechams kautzig-viktorianisches Spektakel ist schon unbedingt kultig, teils hochamüsant, schon längst wieder von eigener historischer Bedeutung, und größtenteils wirklich musikalisch und auf seine Art überzeugend.

  • Zitat

    Original von ThomasBernhard

    GENIAL


    Ich liebe den Massenchor und das zusätzliche Spektakel der Instrumentierung von Sir Eugene Goossens!!!


    Dem kann ich nur beipflichten.
    Viele vermissen scheinbar die Originalität eines Werkes von 1741, mit dem diese Aufnahme wahrlich wenig zu tun hat.
    In jüngster Zeit werden die Aufnahmen des "Messiah" scheinbar auch immer weniger pompös, so wie sie in den 50er und 60er Jahren oft waren.

    »Und besser ist's: verdienen und nicht haben,

    Als zu besitzen unverdiente Gaben.«

    – Luís de Camões

  • Zitat

    Und ich fürchte auch, daß ohne einige Bemühungen dieser Art der größere Teil seines herrlichen Werks ungespielt bleiben wird - vielleicht zur Befriedigung einiger verschlafenen Lehnstuhl-Puristen....


    Da hat sich Herr Beecham wohl umsonst Sorgen gemacht. Dass der Messias/Messiah heute zu den meistgespielten Oratorien überhaupt zählt, nicht aber in seiner Bearbeitung, sagt meiner Meinung nach schon alles. Aus heutiger Sicht ist Beechams Ansicht nicht mehr als ein Kuriosum in der Aufführungsgeschichte des Werkes.


    Thomas

    Da freute sich der Hase:
    "Wie schön ist meine Nase
    und auch mein blaues Ohr!
    Das kommt so selten vor."
    - H. Heine -

  • Sagitt meint:


    wer für monty python schwärmt, den kann auch Beecham nicht erschüttern.Ausserdem ist der Messiah ja an manche Bearbeitungen gewöhnt. War nicht schon zu Händels Zeiten üblich, Riesenchöre und Instrumentalisten einzusetzen.


    Aber wer mag das denn noch ? Offensichtlich gibt es solche, Monty python ist ja auch noch beliebt. Das Leben des Brian wird ja auch noch gesehen ! Also ...

  • Was hat Monty Python mit Händel, Messiah und Beecham zu tun? Und was hast du, sagitt, gegen Monty Python? *g*

  • Zitat

    Original von salisburgensis
    Aus heutiger Sicht ist Beechams Ansicht nicht mehr als ein Kuriosum in der Aufführungsgeschichte des Werkes.


    Thomas


    Hm, ja. Nur hält das Kuriosum dankenswerterweise an.
    Jedes mal, wenn ich das Hallelujah in Beechams Interpretation höre bin ich begeistert von seiner Musikalität und kann mir aber auch kaum ein Lachen unterdrücken angesichts der wahnwitzigen Instrumentation.
    Simon Rattle hatte im letzten Sylvesterkonzert in Berlin das Hallelujah in der Orchestrierung von Goossens als Zugabe gegeben!!!!
    Für diesen musikalischen "Spaß" bin ich ihm dankbar.

  • Habe mir Heute div.Aufnahmen des Messiah angehört bin dann auf diesen Thread gestoßen, habe mir dann auch diese Beecham Aufnahme angehört.
    Fazit: Die 2CDs wanderten in den Keller.
    Als dieser Thread 2005 gestartet wurde war diese Aufnahme schon lange überholt, hatte (hat) wohl immer noch Liebhaber, hatte sie mir auf anraten mal zugelegt, aber so richtig begeistert hat mich damals schon nicht (schwamm damals aber noch nicht auf der HIP Welle), und beim heutigen hören war ich entsetzt!
    Die Orchestrierung von Goossens finde ich irgendwie verschnörkelt, das ganze ist unerträglich langsam, beim Chor "For unter us a Child is born" denkt man nicht an ein fröhliches Ereignis, nein das ist ein Trauergesang! "He was despised" ist ohne den Mittelteil und außerdem schlecht gesungen, das können ja die viel geschmähten Countertenöre besser singen. Vickers Vibrato geht garnicht auch meint man er singt eine Arie von Verdi!
    Das Einzige was man akzeptieren kann ist das Duett Alt/Sopran " He shall Feed his flock", bis Anfang der zweiten CD gehört, mehr habe ich nicht mehr ertragen! :thumbdown:


    Sorry für all diejenigen die die Aufnahme lieben!


    LG Fiesco

    Il divino Claudio
    "Wer vermag die Tränen zurückzuhalten, wenn er den berechtigten Klagegesang der unglückseligen Arianna hört? Welche Freude empfindet er nicht beim Gesang seiner Madrigale und seiner Scherzi? Gelangt nicht zu einer wahren Andacht, wer seine geistlichen Kompositionen anhört? … Sagt nur, und glaubt es, Ihr Herren, dass sich Apollo und alle Musen vereinen, um Claudios vortreffliche Erfindungsgabe zu erhöhen." (Matteo Caberloti, 1643)

  • Fazit: Die 2CDs wanderten in den Keller.


    Hallo Fiesco, manche Keller sind auch Orte, in denen Köstlichkeiten aufbewahrt werden. ;) Ich bekenne mich als Liebhaber dieser Aufnahme, die ich nie gegen moderne Produktionen stellen würde. Sie war - wie ich finde - immer ein hochindividuelles Unilkum. Eben Beecham! Sie nimmt nichts weg. Und will wohl auch keine Konkurrenz gegen jemanden sein. Im Gegensatz zu Dir finde ich die gesanglichen Leistgungen unter den Bedigungen der Einspielung, die fast sechzig Jahre alt ist und unter Berücksichtigung der Intentionen des Dirigenten ganz vorzüglich. Monica Sinclair zum Beispiel, die eine sehr bedeutenden Sängerinnen ihres Fach gewesen ist, würde ich niemals gegen einen Countretenor aufrechnen. Dein Entsetzen sei Dir also gegönnt. :) Für Deine Bewertung aber spricht, dass Du die Aufanhme ihren Anhängern wohl nicht madig machen wolltest.

    Es grüßt Rüdiger als Rheingold1876


    "Was mir vorschwebte, waren Schallplatten, an deren hohem Standard öffentliche Aufführungen und zukünftige Künstler gemessen würden." Walter Legge (1906-1979), britischer Musikproduzent

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  • Letztes oder vorletztes Jahr gab es in Frankfurt die Goossens-Fassung in einem Konzert. Ich habe es aber nicht gehört.

    Struck by the sounds before the sun,
    I knew the night had gone.
    The morning breeze like a bugle blew
    Against the drums of dawn.
    (Bob Dylan)

  • Zitat

    Rheingold1876
    Für Deine Bewertung aber spricht, dass Du die Aufanhme ihren Anhängern wohl nicht madig machen wolltest.


    Hallo Rheingold1876, keineswegs, so etwas liegt mir nicht, ich war nur irgendwie entsetzt beim wiederhören der Aufnahme!


    LG Fiesco

    Il divino Claudio
    "Wer vermag die Tränen zurückzuhalten, wenn er den berechtigten Klagegesang der unglückseligen Arianna hört? Welche Freude empfindet er nicht beim Gesang seiner Madrigale und seiner Scherzi? Gelangt nicht zu einer wahren Andacht, wer seine geistlichen Kompositionen anhört? … Sagt nur, und glaubt es, Ihr Herren, dass sich Apollo und alle Musen vereinen, um Claudios vortreffliche Erfindungsgabe zu erhöhen." (Matteo Caberloti, 1643)

  • Den Querschnitt des Beecham-"Messsiah" (1 CD) höre ich jedes Jahr zu Weihnachten - eine Tradition seit mehr als 25 Jahren. In jedem Jahr schüttelt es mich am Anfang mehr vor diesen extrem langsamen Tempi und dennoch komme ich zunehmend wieder in einen Rausch hinein, den mir keine zeitgenösssiche "richtige" Händel-Interpretation beschert. Vier wunderbare Solisten, ein umwerfender Chor- und Orchestersound mit emotionalen Abgründen. Ich weiß, dass diese Interpretation nach allem, was wir dank der Musikwissenschaft inzwischen wissen, objektiv falsch ist - aber kann etwas Falsches wirklich so schön sein? :rolleyes:

    Beste Grüße vom "Stimmenliebhaber"

  • Ach,


    Ich habe mir jetzt Hörschnipsel angehört - und mir den Querschnitt bestellt . Das ist ja schon eine sehr üppige, fast schon bombastische Aufnahme. Aber sicher eine hörenswertere . Manchmal höre ich ja auch Stokowskis Bach - wenn mir danach ist.......


    Schönen Abend noch.


    Kalli

  • Hallo, Taminos!


    Zu dieser "Messias"-Aufnahme von 1959 gibt es eine herrliche Geschichte, die ich Euch nicht vorenthalten möchte. Vielleicht hört man diese Aufnahme dann mit anderen Ohren?


    Ursprünglich sollte Lisa Della Casa den Sopranpart singen. Sie gab Mr. Beecham - den man durchaus auch als 'Primadonna' bezeichnen kann - aber einen Korb mit dem Hinweis, ihr Englisch sei nicht gut genug - dabei sprach sie es perfekt, sang sie doch jedes Jahr seit 1954 mehrere Monate in den USA. Der Hintergrund war, dass Beecham die Schweizerin, die ihm für die Rolle der Antonia in dem berühmten "Hoffmanns Erzählungen"- Film von Michael Powell vorgesungen hatte, 1950 ablehnte, weil ihm ihr Englisch nicht gut genug war. (An ihrem Aussehen wird er wohl nichts zu mäkeln gefunden haben.) Dasselbe passierte auch Rudolf Schock, der in diesem Film die Titelrolle singen sollte. Ein Deutscher, der Englisch singt? Never! Dabei sang Schock bekanntlich drei Jahre an Londons Covent Garden seine Rollen (Tamino, Alfredo, Rodolfo, Pinkerton und Hector in "The Olympians") alle in englisch, wie es damals dort üblich war, und kein Londoner Kritiker hat sich über seine Aussprache beschwert! Leider bekam Rudolf Schock keine Möglichkeit zu einer Retourkutsche, wie es Lisa Della Casa möglich war.


    Als '2. Wahl' wurde dann Joan Sutherland - gerade durch ihre "Lucia di Lammermoor" in London zum Superstar geworden - engagiert. Sir Thomas, der ähnlich wie Otto Klemperer für weibliche Reize sehr empfänglich war, fand die Australierin wohl nicht nach seinem Geschmack und quälte sie mit derart langsamen Tempi, dass ihr fast die Luft ausging. Und wir alle wissen, wie lange die Sutherland ihre Töne halten konnte. Nachdem sie den Dirigenten um ein normales Zeitmaß gebeten hatte und bei ihm auf taube Ohren stieß, bat sie um die Auflösung ihres Vertrages. Jennifer Vyvyan, die dann schließlich den Sopranpart in diesem "Messias" sang, war offensichtlich aus härterem Holz geschnitzt - oder Beecham hatte endlich eingelenkt.


    Übrigens hatte Sir Thomas, der auch für seine anzüglichen Reden bekannt war, sich ein Jahr vor dieser Aufnahme mit Victoria de los Angeles angelegt und sie ebenfalls mit seinem 'Schneckentempo' anlässlich der Aufnahme von Bizets "Carmen" vergrault. Und das nur aus Wut, weil eine 'gewisse Madam Callas' (Originalton Beecham) - die ursprünglich als Carmen vorgesehen war - kurzfristig abgesagt hatte. Dabei hatte er schon seit Jahren viel mit der Spanierin zusammen gearbeitet. Er feuerte bei den Proben zu dieser "Carmen" auch den Kinderchor der Pariser Oper, weil sie ihm zu 'affig' waren und ersetzte ihn durch - wahrscheinlich wohlerzogenere - Kinder aus Versailles. Schließlich konnte Senora de los Angeles ein Jahr später zur Fortsetzung der Aufnahme überredet werden und Beecham machte auch keine Schwierigkeiten mehr. Inzwischen war aber die Sängerin der Mercedes von 1958 (Marcelle Croisier) verstorben, weshalb in den Unterlagen zu dieser Aufnahme zwei Sängerinnen in dieser Rolle genannt werden.


    Bis heute wird auch gerätselt, welche Sängerin des 'Blondchen' es war, die Thomas Beecham bei der Aufnahme von "Die Entführung aus dem Serail" (1956) gefeuert hat und durch Ilse Hollweg ersetzte. Weiß das einer von Euch?


    Wenn ich bedenke, wie oft es gerade bei Schallplatten-Aufnahmen 'gekracht' hat - und ich kenne etliche solcher Geschichten - bin ich immer wieder erstaunt, wie wenig davon aus der schwarzen Rille zu hören ist.


    Viele Grüße!


    Carlo

  • Ich habe angesichts der letzten Posts (Danke lieber Stimmenliebhaber und lieber Kalli) mal bei Amazon gewühlt und bin bei Prime Music fündig geworden. Da kann ich mir die Gesamtaufnahmen der beiden "Sirs", Adrian Boult und Thomas Beecham vergleichend anhören:


    Den ersten habe ich übersprungen und bin mit Thomas Beeacham angefangen, die temporal in etwa vergleichbar ist mit der deutschen Aufnahme von Karl Richter (nur etwas langsamer).
    Ich bin direkt auf meinen ersten Lieblingschor gegangen: "And the Glory of the Lord"- da bekam ich rasch feuchte Augen. In dieser Interpretation konnte man die "Herrlichkeit Gottes, des Herrn" mit den Händen fühlen, und erst das "Hallelujah"- das war pure Anarchie! Mein Gott, Sir Thomas hat erst gezeigt, welche Sprengkraft wirklich in dieser Musik sitzt. Und dann macht er am Schluss noch ein Accelerando, das alle Dämme bricht: ich werde mir die Aufnahmen wohl zulegen, wenn ich aus Bonn wieder zurück bin, wohin ich Freitag fahren werde (Beethoven-Fest) und feste fünf Konzerte in drei Tage anhöre (Beethoven und Schubert und einige andere) und am vierten Tag in Köln schon wieder aussteige um ein sechstes Konzert zu hören (Beethoven und Schönberg).
    Genial ist dieser Messias schon, aber ist er auch misslungen? Mir scheint, wie bei vielen anderen Beispielen auch, vor allem bei Beethoven und Schubert (Klaviersonaten), dass die Musik beider Komponisten (vor allem bei den beiden großen B-dur-Sonaten) solche temporalen Extreme vertragen kann und trotzdem ihre Aussagekraft behält. Ob es hier auch so ist, werde ich dann etwas später herausfinden.


    Angenehme Nacht


    Willi :)

    1. "Das Notwendigste, das Härteste und die Hauptsache in der Musik ist das Tempo". (Wolfgang Amadeus Mozart).
    2. "Es gibt nur ein Tempo, und das ist das richtige". (Wilhelm Furtwängler).

  • Bis heute wird auch gerätselt, welche Sängerin des 'Blondchen' es war, die Thomas Beecham bei der Aufnahme von "Die Entführung aus dem Serail" (1956) gefeuert hat und durch Ilse Hollweg ersetzte. Weiß das einer von Euch?


    Lieber Carlo, obwohl ich das auch nicht weiß, möchte ich mich melden, um Dir zu sagen, wie mir Die Geschichte um die "Messiah"-Besetzung gefallen hat. Am Ende finde ich die Entscheidung für die hochindividuelle Jennifer Vyvyan sehr gut. Sie fügt sich nach meinem Eindruck in das Gefüge der Aufnahme bestens ein und passt auch zu den anderen Solisten. Sie ist - wie ich finde - immer etwas unterschätzt geblieben. Deshalb war ich froh, als vor Jahren diese CD erschien:



    Und da wir schon bei Händel sind, auch dies ist eine Empfehlung:



    Und Dir, lieber Willi, möchte ich auch danken für Deine erhellenden Eindrücke. Den Hinweis auf die "Sprengkraft" von Bechams "Messiah" will ich mir merken. Er tritt es.

    Es grüßt Rüdiger als Rheingold1876


    "Was mir vorschwebte, waren Schallplatten, an deren hohem Standard öffentliche Aufführungen und zukünftige Künstler gemessen würden." Walter Legge (1906-1979), britischer Musikproduzent

  • Nach geschlagenen dreizehn Jahren wurde dieser Thread wiederbelebt. Danke schon mal dafür.


    Beechams "Messiah" war eine meiner ersten Aufnahmen davon. Ich meine mich zu erinnern, dass ich damals ganz begeistert war von der Aufnahme. Die idiomatischste Deutung ist das natürlich definitiv nicht. Bei wenigen habe ich mehr den Eindruck das Opernhaften. Sir Thomas scheint das Oratorium säkularer aufzufassen als dies andere, insbesondere mein geliebter Karl Richter (in seiner deutschsprachigen Aufnahme - die spätere englischsprachige fällt m. E. ab), tun. So langsam die Tempi insgesamt sein mögen, ist mir Beecham gerade im Hallelujah doch zu rasant. Da hatte Richter für mein Dafürhalten die richtigen Zeitmaße und die geistige Durchdringung. Eine weitere große Einspielung aus jener Zeit ist diejenige von Otto Klemperer, wie Richters aus dem Jahre 1964. Bei allen Unterschieden im Detail ist allen dreien gemein, dass sie heutzutage als "überholt" gelten, was ihren Wert aber nicht mindert.

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    Als zu besitzen unverdiente Gaben.«

    – Luís de Camões

  • Eine weitere große Einspielung aus jener Zeit ist diejenige von Otto Klemperer, wie Richters aus dem Jahre 1964. Bei allen Unterschieden im Detail ist allen dreien gemein, dass sie heutzutage als "überholt" gelten, was ihren Wert aber nicht mindert.


    Lieber Joseph, ich finde es sehr interessant, das Du das Wort überholt in Anführungszeichen setzt. Selbst meine ich dazu, dass in der Kunst, wozu auch die Interpretation von Musik zu zählen ist, nichts überholt ist bzw. werden kann. Es sei denn, man greift den so alten wie absurden Anspruch der DDR-Politik auf, überholen ohne einholen zu wollen. ;) Alles steht in seiner Zeit und sollte unter den jeweils konkreten Bedingungen betrachtet und kritisch gewürdigt werden. Schließlich käme doch auch niemand auf die Idee, eine Skulptur von Donatello im Vergleich zu Barlach als überholt zu bewerten. Ich bin auch ganz erstaunt, dass der "Messiah" in der Goossens-Fassung unter Beecham plötzlich diese Aufmerksamkeit findet. Gut so! :)

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  • Die Geschichte hat Beecham allerdings nicht recht gegeben. Seit der Rückbesinnung auf originale Besetzungen (Marriner, Leppard u.a.) und dann auch historische Instrumente hat Händels Musik, gerade auch jenseits des Messiah und anderer bekannter Werke, einen völlig neuen Schub erhalten. Es war daher eine krasse Fehleinschätzung, dass Händel zum "Überleben" solche Bearbeitungen nötig hätte.

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    (Bob Dylan)

  • Eine weitere große Einspielung aus jener Zeit ist diejenige von Otto Klemperer, wie Richters aus dem Jahre 1964.

    Lieber Joseph II.,


    ich weiß, hier geht es primär um den MESSIAS in Beechams legendärer Aufnahme, die in ihrem Bombast und ihrem gewaltigen Aufwand bis heute konkurrenzlos geblieben ist, aber sie gehört, wenn vielleicht auch als eine Art von Kuriosum, in jede gute Diskothek.
    Otto Klemperer nahm den MESSIAS sechs Jahre später auf, im November 1964, in der Londoner Kingsway Hall. Die Aufnahme ist bei uns nie recht heimisch geworden, aus ganz unerfindlichen Gründen. Denn sie verfügt über ein erstklassiges Solistenquartett, mit Elisabeth Schwarzkopf, Grace Hoffman, Nicolai Gedda und Jerome Hines. Der Philharmonia Chorus wurde von Wilhelm Pitz, dem langjährigen Bayreuther Chorleiter, einstudiert, und das Philharmonia Orchestra London war damals einer der ersten Klangkörper Europas.
    Ich weiß gar nicht, ob die GA überhaupt jemals auf LP in Deutschland im Handel war (es gab einen Querschnitt), aber als sie 1990 erstmals auf 3 CDs veröffentlicht wurde, habe ich sie mir gleich gekauft.
    So sah die Box aus:

    Inzwischen ist sie auf 2 CDs überspielt und neu herausgebracht worden:

    Dem Booklet der Erstausgabe ist zu entnehmen, daß Klemperer Händels originale Instrumentation berücksichtigt, allerdings mit modernen Instrumenten und einem größeren Streicherapparat, sowie ein Continuo-Cembalo. Weiter heißt es, daß "die Triller, Appoggiaturen und Ornamente fehlen, die Händels Sänger instinktiv eingesetzt haben".
    1964 stand HIP noch in den Kinderschuhen, doch die Aufnahme wurde von der englischen Kritik nach ihrer Erstveröffentlichung als "ein wichtiger Beitrag zur Messias-Diskographie" gelobt, auch aufgrund der Tatsache, daß sie von einem Dirigenten kam, den man nicht ohne weiteres mit Händels Musik in Verbindung brachte.


    Ich persönlich schätze die alte Aufnahme sehr hoch ein, wie auch Beechams gewaltige Interpretation. Dazu habe ich noch die von Dir genannte deutsche Richter-Einspielung (DGG), die Mozart-Bearbeitung mit Mackerras (DGG-Archiv) sowie die erste Produktion mit Sir Colin Davis (Philips), die bei ihrem ersten Erscheinen im Jahr 1966, auch in Deutschland, geradezu als sensationell gefeiert wurde:


    Auch da wird noch auf modernen Instrumenten gespielt, aber der Orchesterapparat besteht aus ca. 35 Spielern, es wurde also gewaltig "abgespeckt". Mit HIP kann ich wenig anfangen, deshalb bin ich mit den genannten Versionen hinreichend und zufriedenstellend bedient.


    LG,
    Nemorino

    Die Welt ist ein ungeheurer Friedhof gestorbener Träume (Robert Schumann).

  • Macht doch bitte hier weiter!


    Da warst du doch schon unterwegs nemorino!


    LG Fiesco

    Il divino Claudio
    "Wer vermag die Tränen zurückzuhalten, wenn er den berechtigten Klagegesang der unglückseligen Arianna hört? Welche Freude empfindet er nicht beim Gesang seiner Madrigale und seiner Scherzi? Gelangt nicht zu einer wahren Andacht, wer seine geistlichen Kompositionen anhört? … Sagt nur, und glaubt es, Ihr Herren, dass sich Apollo und alle Musen vereinen, um Claudios vortreffliche Erfindungsgabe zu erhöhen." (Matteo Caberloti, 1643)