Hallo, liebe Freunde der Klaviermusik,
während es zu fast allen Fragen der Musik und Musikgeschichte bis in die letzten Details Bücher oder mindestens Zeitschriftsartikel gibt, habe ich zu diesem Thema noch nichts gefunden, was einen klaren Überblick verschafft. Offenbar wird das Wissen über die Traditionen der Klavierinterpretation vor allem mündlich begleitend zum Unterricht weitergegeben. Als erstes daher zunächst eine erste Übersicht, wer diese Schule geprägt hat. Da sind sicher noch viele Fehler enthalten und wichtige Namen dürften fehlen. Im Ergebnis dann hoffentlich eine Charakteristik des von dieser Schule gepflegten Stils.
Beethoven und Liszt wirken auf diesem Weg bis in die Gegenwart. (Brahms dagegen hatte keine Ambitionen in dieser Richtung. Auch der Einfluss von Clara Schumann über das Hochsche Konservatorium in Frankfurt, an dem sie 1878-92 lehrte, bleibt vergleichsweise gering. Ein Rundfunkbeitrag von 1990 nennt die Schülerinnen Fanny Davies, Ilona Eibenschütz und Adelina de Lara).
Beethoven wirkte über seinen Schüler Czerny. Der war Lehrer von Theodor Leszetycki (1830 - 1915), und der ging bereits 1854 nach St. Petersburg und prägte dort mit Nikolai Rubinstein und Adolph von Henselt die russische Pianistenschule.
Die deutsche Pianistenschule ist weitgehend identisch mit dem Sternschen Konservatorium in Berlin. Es wurde 1850 als Städtisches Konservatorium für Musik in Berlin von Julius Stern, Theodor Kullak und Adolf Bernhard Marx gegründet. Die entscheidende Prägung erhielt es durch den Liszt-Schüler Martin Krause (1853-1918 ). Das Konservatorium kann eine beeindruckende Liste von Lehrkräften aufweisen:
1897–1903: Hans Pfitzner
1900-1920: Engelbert Humperdinck
1902-1903 und 1911: Arnold Schönberg
1904-1918: Martin Krause
1925-1940: Claudio Arrau
1935-1960: Conrad Hansen
Martin Krause war Lehrer von Edwin Fischer und Claudio Arrau. Edwin Fischer (1886-1960) war Lehrer von Badura-Skoda, Barenboim, Brendel, Demus, Hansen, Grete Sultan, und war eng verbunden mit Furtwängler, Schneiderhan, Kulenkampf. Schüler von Arrau waren Karlrobert Kreiten, Donald Sutherland, Rafael de Silva, Roberto Szidon, Greville Rothon, Philip Lorenz und Wolfgang Leibnitz.
25. Jan. 1933, Berta Geissmar, Edwin Fischer, Georg Kulenkampf, Paul Hindemith feiern Wilhelm Furtwänglers 47 Geburtstag
Conrad Hansen (1906-2002) war der letzte Vertreter der deutschen Pianistenschule. Er war Meisterschüler und ab 1922 Assistent von Edwin Fischer und ab 1935 dessen Nachfolger an der Berliner Musikhochschule. 1960 trat er die Nachfolge von Eduard Erdmann an der heutigen Hochschule für Musik und Theater Hamburg an.
1936 wurde das Sternsche Konservatorium während der nationalsozialistischen Gleichschaltung in Konservatorium der Reichshauptstadt Berlin umbenannt und arisiert. Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs erfolgte 1945 die Änderung des Hochschulnamens in Städtisches Konservatorium.
In seinen Glanzzeiten lebte das Konservatorium von der kreativen "Konkurrenz" mit Busoni (1866-1924). Der hatte sich bereits 1894 in Berlin niedergelassen und unterrichtete von 1920-24 an der Akademie (sein Nachfolger wurde 1925-33 Arnold Schönberg). Er hatte zuvor schon jahrelang privaten Unterricht gegeben. Zu seinen Schülern zählen: Leo Kestenberg, Eduard Steuermann, Kurt Weill, Philipp Jarnach (der seinen "Dr. Faustus" zuende führte), Egon Petrie, Dimitri Mitropoulos, Edgar Varese, Stefan Wolpe.
Heute spielt Barenboim eine führende Rolle im Berliner Musikleben. Im "Tagesspiegel" sagte er in einem Interview: "Wie viele Künstler aus dem lateinisch-romanischen Kulturkreis waren am Ende deutscher als die Deutschen: Pablo Casals, Carlo Maria Giulini, Maurizio Pollini, Claudio Arrau. Ihnen sind die sprichwörtlich breiten Tempi wichtiger als jede Leichtigkeit oder Transparenz."
Auch über den "Untergang" der deutschen Pianistenschule konnte ich noch nicht viel finden. Ihr letzter Vertreter Hansen sah die Linie abbrechen. Im Nachruf zu seinem Tod heißt es: "Den jungen Absolventen der Musikhochschulen steht Hansen eher skeptisch gegenüber. Oft sei ihr Spiel einfach nur schnell und laut und zerstöre so etwas Wesentliches im Ausdruck. "Ich bin heute bei wenigen Spielern angerührt - und ich bin sehr traurig darüber", sagt er. Auch kritisiert er, dass blutjunge Talente heute zu schnell vermarktet, in der schnelllebigen Musikszene "hochgeschossen" werden."
Eine andere Linie ging von Liszt über seinen Schüler Emil von Sauer (1862-1942) aus, der über einen sehr langen Zeitraum in Wien unterrichtete. Er war Lehrer von Stefan Askenase und Elly Ney.
Viele Grüße,
Walter