Hamburg, Staatsoper, Turandot, Puccini, UA: 1983 - Back to the Eighties

  • Liebe Taminos und Paminas,


    kaum äußere ich, dass es sich wohl nicht lohne, über Opernbesuche in Hamburg zu berichten, weil außer mir ja doch keiner da hin gehe, schon werde ich eines Besseren belehrt. Über die Turandot-Inszenierung, bei der ich mir nicht sicher war, ob sich über sie zu schreiben lohnt, hat JL bereits berichtet:



    Umso mehr Freude macht es mir, auch meinen Senf dazuzugeben.


    Die Inszenierung kenne ich – mit dieser Einstellung habe ich die Oper betreten. Meine Erinnerung hat mich allerdings getäuscht. Es handelt sich um eine alte Inszenierung aus dem Jahre 1983. Von daher ist es unfair, an den Feinheiten der Personenführung zu mäkeln. Allerdings, Feinheiten hat es überhaupt keine gegeben… In Erinnerung hatte ich eine sehr gute, eindrucksvolle Inszenierung, die kaum Wünsche offen lässt. Gesehen habe ich eine Inszenierung, die ihre Herkunft aus den Achtzigern aufs Schlimmste offenbart.


    Das Bühnenbild und die Ausstattung hat JL oben bereits treffend beschrieben. Hinweisen möchte ich auf die Bilder der Inszenierung, die es auf der Staatsoper-Homepage zu sehen gibt (leider in sehr schlechter Qualität – klein und nicht anklickbar): „http://www.hamburgische-staatsoper.de/_auffuehrungen/inhalt.php?event=75195&t=&culturall_SESSION=9terkj2nh364nfnea5ctnfifm6&culturall_SESSION=9terkj2nh364nfnea5ctnfifm6“


    Kostüme und Maske stellen auf die Schreckensherrschaft Turandots ab, schreibt JL richtig. Der Mandarin Turandot, die Minister, das Volk sind in schwarz-weiß gehalten. Alles ist statisch. Keine Farbe, keine Lebendigkeit ist zu sehen. Das Volk, die Chorsänger, ist verbunden mit Ketten. Allerdings sind die Chorsänger nicht aneinandergekettet, sondern sie halten die Ketten selbst. Die Gesichter des Volkes sind nicht zu sehen. Zu den schwarz-weißen Kostümen der Chorsänger gehören ebensolche Masken. Entmenschlicht und leidend wirkt das Volk. Die Idee der Regie, das Volk seine Ketten selbst halten zu lassen, hat mir gefallen. Die Unterdrückung ist zumindest auch selbstverschuldet, wird mir klar. Daran erinnerte ich mich, wenn später in der Nacht das Volk ebenfalls mittut bei der Suche nach Personen, die Calafs Namen kennen, wenn es somit zum Mittäter bei der Folter von Liu wird. Zur entmenschlichten Atmosphäre bei trägt überdies die Lichtregie. Sehr karg wird beleuchtet, ohne warme Farben.


    Calafs Kostüm besteht aus schwarzer Lederhose und roter bodenlanger robenartiger Jacke, mit großen Schulterpolstern. Ja, rot, nur Calaf trägt die Farbe der Liebe. Im dritten Akt trägt dann auch Turandot rot.


    Das Problem bei den Kostümen – wie auch bei den Frisuren – ist, dass sie offensichtlich den Achtzigern entstammen. Man konnte sie nicht ansehen, ohne sich an schlechte Science-Fiction-Filme aus der damaligen Zeit zu erinnern. Star Trek- Zorn des Khan kam mir in den Sinn. Meine neben mir sitzende Schwägerin machte Witzchen über Darth Vader-Verschnitte. Als Timur dann die Bühne betrat, kam noch ein Hauch Eastern dazu. Denn Timur wirkte genau so wie die alten Kung Fu-Meister aus jenen schlechten Filmen aus den Siebzigern, in denen die blinden Opas plötzlich zu fliegen beginnen und die Feinde niedermachen.


    Timur und Liu, beide übrigens ebenfalls nicht schwarz-weiß, aber auch nicht rot gekleidet, gingen über die Bühne. Von der anderen Seite kam ihnen Calaf entgegen ohne sie zu sehen. Plötzlich standen sie einander gegenüber. Man könnte meinen, dass jetzt irgendeine Reaktion erfolgt wäre, dass sich schauspielerisch etwas ereignet hätte. Aber dem war nicht so. Schauspielerisch geschah exakt nichts. Meine anfängliche Vermutung, das könnte zum Konzept gehören, entpuppte sich schon bald als Irrtum. Die Abwesenheit von Personenführung und schauspielerischem Vermögen blieb die ganze Aufführung lang erhalten, leider.


    Eine Ausnahme gilt für den zweiten Satz. Vor den bisherigen Bühnenaufbau auf die leere Vorderbühne herab senkt sich ein weißer Vorbau. In diesem agieren Ping, Pang und Pong. Sie unterhalten tatsächlich das Publikum. Ihre Späßchen kommen an. Ihre Träume von dem Häuschen im Grünen werden verdeutlicht durch ein kleines Modell, dass einer von ihnen beim Singen in Händen hält. Ihr Leben allerdings ist abgeschottet – verbildlicht anhand der Tür zum Ort der anderen Sätze - dem Platz vor dem Kaiserpalast -, die nicht eine normale Tür ist, sondern ein Schiffsschott mit Drehrad statt Klinke. Die Gleichschaltung der Minister wird durch das Tragen von gleichartigen Kostümen verdeutlicht. Biedere Büroarbeiteroutfits tragen sie, mit angedeuteten Ärmelschonern. Bürohaft wirkte dann auch die Aufzählung der Opfer Turandots. Das alles wirkte geschäftsmäßig, nicht entsetzt.


    Enttäuschend fand ich, dass die Sätze drei und vier wiederum vor derselben Kulisse wie der Akt eins gespielt wurden.


    Bis zum Auftritt Turandots hätte ich trotz der genannten Kritikpunkte noch von einem sehr guten Opernabend gesprochen. Turandot aber machte alles kaputt. Nein, Turandot muss keine Schönheit sein. Als Operngänger habe ich genug Phantasie, um mir vorzustellen, dass Calaf sich in das Aussehen einer Frau der Gattung Hochdramatische verliebt. Das Aussehen Turandots in dieser Inszenierung war aber derart grotesk, so furchtbar anzusehen – die Hässlichkeit der Perücke ist unbeschreiblich -, dass ich ehrlich entsetzt war. Jegliche Glaubwürdigkeit der Inszenierung war ab diesem Moment dahin. JL hat das rote Nicki-Kleid erwähnt – furchtbar.


    Die Folterszene verpuffte ebenfalls mangels sinnvollen Tuns der Sänger. Liu sang in der Mitte. Die anderen standen herum. Auffällig war, dass auch Turandot daneben stand. Sie befand sich schon nicht mehr abgehoben auf dem Podest, sondern hatte sich zu Liu und Calaf begeben.


    Sehr unschön war die Sterbeszene Timurs. Kaum war er tot, beugte sich Calaf über ihn und klopfte ihm kumpelhaft gegen die Schulter. Auch das wirkte einfach nur trashig. Trauer oder gar Schrecken kam dabei nicht auf, nur Kopfschütteln und Heiterkeit im Publikum ob des Schulterklopfens. Liu und Timur blieben dann den Rest der Zeit auf der Bühne liegen. „Warum räumt die denn keiner weg?“, frage meine Schwägerin. Ja, das fragte ich mich auch. Der Kuss, den Calaf Turandot gab und der Rest der freudigen Ereignisse („Sein Name ist Liebe“) fand dann kontrastiert von den Toten statt. Vielleicht wollte die Regie verdeutlichen, dass Calaf und Turandot zukünftig weiterhin über Leichen gehen werden. Calaf war bereits der Tod von Liu nicht zu Herzen gegangen. War dies der Sinn des Tuns, wurde das jedenfalls nicht hinreichend deutlich.

    Musikalisch war der Abend mit einer Ausnahme ein voller Erfolg:


    Das Dirigat von Will Humburg war klasse. So energisch und kraftvoll habe ich die Philharmoniker schon lange nicht mehr gehört. Einen Riesenapplaus gab es am Ende dafür.


    Carl Tanner sang einen guten Calaf. Seine Stimme hatte das Volumen und die Kraft, die die Rolle braucht. Kernig metallisch sang er seinen Part, bestimmt und fest. Viel Luft nach oben blieb dennoch, weil Tanner jegliche Zartheit, jegliches Rüberbringen von Gefühl in der Rolle völlig abging. Bei Für Interessierte: Bei youtube gibt es ein Video von ihm als Calaf: "http://www.youtube.com/watch?v=hYXcb5T8MUI".


    Elizabeth Connell war eine Riesenenttäuschung. Ihre – eingeräumtermaßen sehr schwierige – Auftrittsarie hat sie total vermasselt. So viele falsche Töne hintereinander habe ich schon lange nicht mehr an der Staatsoper gehört. Später wurde es kaum besser. Die Lautstärke für die Spitzentöne hatte sie noch. Das war´s aber auch schon. Folgerichtig musste sie an diesem Abend auch einige Buhs einstecken – als einzige.


    Sehr gut gefallen hat mir die für Helen Kwon eingesprungene Tatiana Lisnic. Ihr dunkel timbrierter Sopran war ausdrucksvoll, das Vibrato sehr gut eingebunden. Im Gedächtnis geblieben ist mir ein hervorragend gelungenes Abschwellen. Wunderbar! Von der Stimmfarbe her fühlte ich mich ein wenig an Maria Callas erinnert. Merkwürdig, solch einen Eindruck zu haben.


    Wieder einmal ganz hervorragend sang Alexander Tsymbalyuk als Timur. Es ist eine Freude, diesem Ensemblemitglied bei seiner Entwicklung zuzusehen. Sehr kraftvoll und ausdrucksstark hat er gesungen. Wenn Tsymbalyuk sich weiterhin so prächtig entwickelt, kann aus ihm ein wirklich großartiger Sänger werden. Ich drücke die Daumen.


    Ein Riesenlob hat sich überdies wieder einmal der Chor verdient.


    Alles in allem habe ich wegen der mit der genannten Ausnahme sehr erfreulichen musikalischen Leistungen einen wirklich guten Opernabend erlebt. Für einen sehr guten waren die Kritikpunkte zu gewichtig, war vor allem die Leistung Connells zu schlecht.


    Beim anschließenden gemütlichen Restaurantbesuch haben wir lange darüber diskutiert, ob die Inszenierung noch zu retten ist, ob der schlechte Eindruck, den die Inszenierung hinterlassen hat, an den Sängern als Schauspielern oder an der Inszenierung selbst lag. Die überwiegende Mehrheit fand, es lag an der Inszenierung selbst. Sie hat sich einfach überlebt. Ob es aber bald mal eine Neuinszenierung gibt, ist fraglich. Die von mir gesehene Vorstellung war die neunundsiebzigste. Sie war ausverkauft und es gab großen Applaus. Intendant, was willst du mehr?


    Zufälligerweise gibt es auf Klassik.com einen Bericht über die Aufführung, die zwei Tage vor der von mir besuchten stattgefunden hat. Dem dort Schreibenden, Dr. Clarke, hat die Inszenierung überhaupt nicht gefallen: "http://magazin.klassik.com/konzerte/reviews.cfm?task=review&PID=2051"


    Viele Grüße
    Thomas

  • Zitat

    Original von ThomasNorderstedt
    Beim anschließenden gemütlichen Restaurantbesuch haben wir lange darüber diskutiert, ob die Inszenierung noch zu retten ist, ob der schlechte Eindruck, den die Inszenierung hinterlassen hat, an den Sängern als Schauspielern oder an der Inszenierung selbst lag. Die überwiegende Mehrheit fand, es lag an der Inszenierung selbst. Sie hat sich einfach überlebt. Ob es aber bald mal eine Neuinszenierung gibt, ist fraglich. Die von mir gesehene Vorstellung war die neunundsiebzigste. Sie war ausverkauft und es gab großen Applaus. Intendant, was willst du mehr?


    Nanana :P, es ist eine Intendantin, was in der demnächst zu erstellenden Liste "Die zehn besten Opernintendanten" zu würdigen wäre. :D


    Dass eine Inszenierung zwanzig, dreißig, vierzig Jahre lang läuft, wird ja immer seltener. In solchen Fällen darf man eigentlich gar nicht mehr von "Inszenierung" sprechen - Sänger, die den Regisseur nie gesehen haben (jedenfalls nicht im Zusammenhang mit dieser Inszenierung), werden von einem Spielleiter (der in den meisten Fällen die Premiere und die Proben auch nicht mehr erlebt hat) nach schriftlichen Aufzeichnungen eingewiesen, wie sie sich zu verhalten haben. Die Sänger machen je nach Talent das Beste, meistens eher das Schlechte daraus - was bleibt, sind Bühnenbild und Kostüme.


    Eigentlich fand und finde ich diese Praxis ein Unding. Sie wird auch allenfalls noch in vielleicht (höchstens?) zehn Häusern in Deutschland und Österreich praktiziert. In dem glücklicherweise stillgelegten Unterforum über "traditionelle" Operninszenierungen gibt es ja einen Thread, der solche Dinosaurier sammelt.


    Ich beklage es weißgott nicht, wenn diese Praxis, die zu den merkwürdigsten Kennzeichen des Repertoiresystems gehört, allmählich ausstirbt. Allerdings ist in Zeiten, in denen die meisten Produktionen allenfalls noch fünf Jahre laufen (manchmal noch kürzer), nicht zu verkennen, dass solche Aufführungen in gewissen Fällen von Teilen des Publikums besonders geliebt werden. Das muss noch nicht mal unbedingt etwas mit Gegnerschaft zum "Regietheater" zu tun haben, sondern bedient ein nostalgisches Bedürfnis nach "Kontinuität". Ich kenne jemanden, der dem "Regietheater" durchaus aufgeschlossen gegenübersteht, aber in München trotzdem immer wieder in den berüchtigten Otto-Schenk-Rosenkavalier geht: nicht wegen der "Inszenierung", manchmal wegen der Sänger, aber vor allem, weil das Immer-Wieder-Erleben sowas wie eine lebensgeschichtliche Konstante ist. Auch wenn heute nicht mehr Carlos Kleiber dirigiert, sondern nur noch Peter Schneider...



    Viele Grüße


    Bernd

  • Zitat

    Original von Herbert Henn
    Was soll denn bedeuten: UA. !983. Wahrscheinlich habe ich den Scherz nicht verstanden. Bitte um Aufklärung.


    Lieber Herbert,


    Thomas bezieht - leicht ironisch, wie ich denke - das Kürzel UA nicht auf die tatsächliche Uraufführung der Oper, sondern auf die auch schon 25 Jahre zurückliegende Premiere der Hamburger Inszenierung, die er schildert.


    Diese stammt übrigens von Giancarlo del Monaco, dem Sohn von Mario del Monaco. Wenn ich behaupten würde, der nach wie vor sehr aktive Giancarlo inszeniere so, wie sein Vater gesungen hat, dann wäre das falsch: dieser Regisseur ist ein wahres Chamäleon - er kann sich einmal ultrakonservativ gebärden, dann wieder bilderstürmerisch radikal, und die Zwischentöne beherrscht er auch - je nachdem, was man von ihm erwartet (oder was er glaubt, was man von ihm erwartet).



    Viele Grüße


    Bernd

  • Hallo Herbert,


    es ist so, wie Bernd es verstanden hat. Tut mir leid, wenn ich für Verwirrung gesorgt habe, zumal man kurz an die Uraufführung der kompletten Vervollständigung denken könnte. Die war aber bereits 1982, meine ich.


    Viele Grüße
    Thomas

  • Vielen Dank für die Informationen. Das erklärt natürlich eine ganze Menge, insbesondere die seltsamen Kostüme. Allenvoran die der Turandot, von denen mir das rote Nickikleid besonders suspekt war.
    Vor dem Lichte der 80ger erklärt sich auch das Ping, Pang, Pong Kostüm in der Zwischenszene und das Stöffchen des Calaf-Kostüms.


    Trotzdem gefällt mir die Anlage der Inszenierung. Schade, dass das Konzept den Sängern nicht vermittelt wird. Nur beim Chor scheint es klar zu sein. Deshalb macht er insgesamt auch dei beste Figur. Ich wüßte nicht was dagegen sprechen soll eine gute Inszenierung lange zu spielen. Lebt denn noch jemand, der die UA seinerzeit gesehen hat und kann sich noch daran erinnern?


    Übrigens scheint Elizabeth Connell etwas in ihren Leistungen zu schwanken. In meiner ersten Turandot war sie auch nicht so gut wie in der zweiten Aufführung eine Woche später. Aber es liegt wohl an der Partie.