Aus diesem Beitrag entstand in dem Thread: BELLINI: "La sonnambula" - Die hohe Kunst der Einfachheit eine Sonderdiskussion über die großartige Sopranistin Nathalie Dessay, die ich gerne in den entsprechenden Thread verschoben hätte. Zu meinem Erstaunen haben wir zwar inzwischen eine Fülle neuer Threads über viele verdiente Sängerinnen der Vergangenheit, aber keinen über eine der bedeutendsten der Gegenwart, sieht man von zwei spezialisierten ab, in die dieser Meinungsaustausch sie auch nicht passen will.
Ich habe daher diese kleine Notoperation eines eigenen Threads ohne richtigen Start vorgenommen. Es wäre schön, wenn jemand, der kompetenter ist als ich, baldmöglichst einen Einführungsbeitrag nachholen kann. Wenn dabei auch noch eine bessere Idee für einen Threadtitel heraus kommt, bin ich gerne bereit, den hier zu ändern. J. R. II
Liebe Fairy Queen,
eine so schnelle Reaktion hatte ich nicht erwartet, Danke.
Mich würde interessieren, ob Dein Eindruck von der Dessay als ideale Amina auf frühere Aufführungen, die Du erlebt hast, beruht oder die jüngste CD. Meist vermischen sich ja diese Eindrücke, vor allem wenn dann noch eine starke Bühnenpräsenz in’s Spiel kommt, auf die Dessay Wert legt: "Ich bin keine Sängerin. Ich fühle mich nicht so. Ich bin auch keine Musikerin. Natürlich mache ich Musik, aber nur, weil ich spiele. Ich bin wirklich eine Schauspielerin, die singt."
Ich habe das etwas bange Gefühl, daß die Aufnahme etwas zu spät kommt. Soweit ich weiß, hat Natalie Dessay zwei Stimmbandoperationen hinter sich. Über den Verlust von extremen Spitzentönen braucht man sich ja nicht zu grämen, deswegen singt sie wohl die Königin der Nacht oder die Olympia nicht mehr, die sie allerdings als Rollen mit wenig Entwicklungsmöglichkeiten nach eigener Aussage allmählich als langweilig empfunden hat. Aber es scheint generell so zu sein, daß sie sich nicht mehr so leicht in die Höhe schwingt, wie zuletzt auf der CD „Opernarien von Verdi, Bellini, Donizetti” empfunden.
Ich fürchte, daß auch die auf dieser CD demonstrierte Stimmfachüberschreitung ihren Preis hat - so sehr ich verstehe, daß eine Sängerin nicht nur das Singen möchte, was die Stimme hergibt. - Eine ganz andere Frage ist, gehört aber nicht hierher, wie weit eine Konzeption trägt, die in Ermangelung von Stimmvolumen diese Rollen nur noch als fragile Frauenfiguren erfaßt. - Immerhin hatte die Dessay noch im Jahre 2000 selbst gesagt, daß sich „die Stimme nicht in dem Maß vom hohen Koloratursopran wegentwickelt“ hätte, wie sie gehofft habe, so daß Sie „in absehbarer Zeit weder Elvira noch Violetta interpretieren könnte“. Hat sie sich nun wegentwickelt? Auf jeden Fall klingt „Caro nome“ zeitweise angestrengt, das wäre in besseren Zeiten nie passiert - diese Rolle kommt zu spät. Das wäre vielleicht nicht so schlimm, aber Lina Pagliughi klingt in der Aufnahme unter Questa trotz technischer Probleme am Ende ihrer Karriere sehnsuchtsvoller.
Wenn Du schreibst, Dessays „Stimme IST einfach eine Sonnambula sui generis“, so lautet meine Frage, war sie das um 2000 herum nicht eher, ist sie das noch heute? Ist das Timbre noch so jugendlich? Aber meine wirkliche Frage an Dich lautet, hat sie es geschafft der stimmlich eigentlich ideal liegenden Rolle auch dunkle, schmerzliche Töne zu entlocken? Trifft sie den elegischen Ton wie die Pagliughi?
Denn im Gegensatz zu zwei Herren im Thread halte ich Bellinis Anima für eine der berührendsten Frauenfiguren der italienischen Romantik. Man höre doch „ Ah! Non creda“ z.B. mit der Callas, verinnerliche dabei „ Potria novel vigore il pianto, il pianto mio recarti“.Schmachtfetzen, trivial, hirnrissiges Libretto? Mein Gott, es ist wunderbare Musik.
Überhaupt die Callas - man sollte nicht vergessen, daß Bellini diese Rolle, wie die Norma für Giuditta Pasta geschrieben hat. Ich kann mir nicht vorstellen, daß die Pasta oder auch die Malibran eine „Femme fragile“ gebracht hat. Insofern hat m.E. die Callas der Figur etwas zurückgegeben, was jede Sängerin danach nicht mehr umgehen kann. Gilt das für die Natalie Dessay in dieser Aufnahme? Immerhin räumte sie in einem Interview, Sommer 2007, ein: „Jeder Sänger ist irgendwie von ihr beeinflusst. Aber man darf einfach nicht dran denken, sonst traut man sich gar nicht mehr, den Mund aufzumachen. Ich hasse sie dafür!“
Arimantas
P.S. Kennst Du bereits die CD mit Bachkantaten unter Emmanuelle Haïm? Vor allem auf die Kantate BWV 82a, „Ich habe genug“, bin ich sehr gespannt. Ich kenne diese Fassung für Sopran und Flöte nur noch mit Nancy Argenta.