Alexander Zemlinsky gehört zu den wichtigsten Komponisten seiner Zeit, seine Musik ist ein bedeutendes Bindeglied zwischen der Spätromantik und der zweiten „Wiener Schule“, sie nimmt Zeitströmungen auf, so hört man z. B. Anklänge an den Stil eines Kurt Weill, reizt die Grenzen der Tonalität aus, ohne diese zu überschreiten, lässt das Orchester enorm ausdrucksstark, farbenreich, vielschichtig und kühn erklingen, sie verfügt über eine individuelle Handschrift, die sich immer weiterentwickelt hat und die 1938 jäh verstummte, als der jüdische Komponist Österreich verlassen musste. Es wäre spannend gewesen zu erfahren, was auf der Opernbühne dem „König Kandaules“ gefolgt wäre, aber auch im Fall von Alexander Zemlinsky haben die Nazis mit ihrer menschenverachtenden Ausrottungspolitk eine Karriere vorzeitig beendet und dafür gesorgt, dass der Name Zemlinsky für eine lange Zeit nur Insidern bekannt geblieben ist.
Als Alexander Zemlinsky im Dezember 1938 in New York eintrifft, ist seine letzte Oper „Der König Kandaules“ zwar im Particell fertiggestellt, aber nur zu einem geringen Teil instrumentiert worden. Zemlinsky wandte sich bzgl. seines „Kandaules“ in New York an einen seiner ehemaligen Studenten, Artur Bodanzky, der als Dirigent an der New Yorker Met engagiert war. Da Zemlinsky schon bei anderen seiner Opern wegen der Libretti in der Kritik stand, ist es möglich, dass er Bodanzky nur den Text des „Kandaules“ gezeigt hat. Bodanzky riet Zemlinsky von diesem Stück ab: aufgrund der amerikanischen Prüderie hielt er eine Umsetzung der Nackt- und Beischlafszene im 2. Akt für unmöglich.
Zemlinsky arbeitete am „König Kandaules“ nicht mehr weiter. Auch ein anderes Opernprojekt, „Circe“ wurde nicht vollendet – kaum ein halbes Jahr nach seiner Ankunft in New York erlitt Zemlinsky einen Schlaganfall, dem weitere folgen sollten. Am 15.03.1942 starb Alexander Zemlinsky in Larchmont bei New York.
Die Witwe, Louise Zemlinsky, musste nach dem Krieg erleben, dass ihr Mann und seine Musik in Vergessenheit gerieten. Um dem Werk Alexander Zemlinskys wieder mehr Aufmerksamkeit zukommen zu lassen, entschloss sie sich, einen Komponisten zu suchen, der das letzte Werk ihres Mannes, den „König Kandaules“, vervollständigen sollte. Sie fand ihn 1989 in dem renommierten Komponisten und Musikschriftsteller Antony Beaumont.
Beaumont stellte fest, dass das Particell vollständig erhalten ist, dass Tempo- und Vortragsbezeichnungen komplett eingetragen wurden und auch vielfältige Angaben zur Instrumentierung nicht fehlten. Er sortierte die Blätter und machte sich an die Arbeit, 2/3 des „König Kandaules“ zu vervollständigen.
Am 06.10.1996 wurde der „König Kandaules“ mit grossem Erfolg an der Hamburgischen Staatsoper uraufgeführt, am Pult stand Gerd Albrecht, es inszenierte Günter Krämer, die Hauptpartien waren mit James O´ Neal (Kandaules), Monte Pederson (Gyges) und Nina Warren (Nyssia) besetzt. Diese Aufführung wurde später auch in Köln gezeigt, an der Wiener Volksoper gab es eine Inszenierung des „König Kandaules“, Dirigent war Asher Fisch, Inszenierung: Hans Neuenfels, es sangen Kurt Schreibmayer (Kandaules), Wicus Slabbert (Gyges) und Gertrud von Ottenthal (Nyssia).
Die Geschichte des „König Kandaules“ geht auf Platon und Herodot zurück, Friedrich Hebbel hat ein Drama mit dem Titel „Gyges und sein Ring“ geschrieben, das 1889 in Wien uraufgeführt wurde und André Gide wiederum schuf das Schauspiel: „Le Roi Candaule“, das die Vorlage zur Oper „Der König Kandaules“ von Alexander Zemlinsky wurde, und zwar in der Übersetzung von Franz Blei.
Der Fischer Gyges beginnt das Stück mit einer Art Prolog: „Der sein Glück hält, soll sich gut verstecken! Und besser noch, sein Glück vor andern“. Gyges beschreibt sich als aufrechten, einfach lebenden, aber zufriedenen Mann. Den König Kandaules kennt er seit Jugendtagen, die Jungs haben zusammen am Strand gespielt, aber Gyges hat seit dieser Zeit keinen Kontakt mehr zum König, beobachtet aber aus der Ferne, dass Kandaules von Speichelleckern umgeben ist.
Kandaules hat Gäste zu einem Fest eingeladen. Er will auf diesem Fest seinen Gästen seine schöne Frau Nyssia erstmals unverschleiert zeigen. Für dieses Fest liefert Gyges einen Fisch, schlägt aber die Einladung, auch am Fest teilzunehmen, aus. Er macht keinen Hehl draus, was er von den Gästen des Königs hält.
Während des Festes zwingt Kandaules seine Frau Nyssia, sich zu entschleiern, widerstrebend gehorcht die Königin. Verlegenheit macht sich unter den Gästen breit. Die Königin Nyssia legt Wert darauf, nicht als „Gut“ des Königs behandelt zu werden.
Einer der Gäste beisst auf einen Ring, der im Fischfleisch verborgen war. Eine Inschrift im Ring besagt auf griechisch: „Ich verberge das Glück“.
Kandaules lässt den Fischer Gyges holen. Dieser schildert, wie gerade seine Hütte abgebrannt ist, weil seine Frau, Trydo, eine Köchin bei Kandaules, betrunken aus dem Palast nach Hause gekommen ist und beim Suppekochen die Hütte in Brand gesteckt hat. Als auch Trydo geholt wird, erkennt einer der Gäste des Königs jene Frau, mit der er in der vergangenen Nacht in der Palastküche Sex hatte. Gyges erträgt nicht, dass er seine Frau mit einem anderen hat teilen müssen und ermordet seine Frau vor den Augen aller. Die Bewunderung des König Kandaules für den Fischer steigt, er bietet dem Fischer seinen Reichtum und seine Freundschaft an.
In der Nacht neigt sich das Fest im Palast dem Ende zu. Kandaules ist allein mit Gyges und glaubt, dessen Motiv, seine Frau Trydo zu töten, läge darin begründet, dass der Fischer die Königin Nyssia gesehen habe und nicht hätte ertragen können, dass diese viel schöner sei, als seine Frau Trydo. Gyges gesteht, dass er die Königin kaum angeschaut hat und Trydo einzig und allein aus Eifersucht, einem ihm bis dato unbekanntem Gefühl, getötet hat.
Kandaules, der herausgefunden hat, dass der Ring des Fisches unsichtbar macht, will Gyges die ganze, nackte, Schönheit Nyssias zeigen. Kandaules steckt Gyges den Ring an den Finger und nötigt ihn, mit Nyssia allein zu bleiben. Von Nyssias Schönheit überwältigt, schläft Gyges mit Nyssia, die glaubt, Kandaules sei der Mann, der ihr beiwohnt.
Voll Reue verbirgt sich der unsichtbare Gyges im Palast vor König Kandaules und Nyssia. Der König sucht Gyges, spürt erstmals so etwas, wie Eifersucht, als Nyssia gesteht, die letzte Nacht sei die schönste von allen Nächten gewesen. Gyges hat das Gespräch unsichtbar mitangehört. Nun gibt er sich Nyssia gegenüber zu erkennen, erzählt ihr, dass er es war, der in der Nacht bei ihr war. Nyssia ist entsetzt über dieses Geständnis und über das, was Kandaules ihr angetan hat. Sie fordert Gyges auf, den König zu töten. Widerstrebend gehorcht Gyges. Nyssia erklärt Gyges zum neuen König.
Die Geschichte erzählt eine für Zemlinsky typische Dreiecksgeschichte zwischen zwei Männern und einer Frau, nicht unähnlich bsplsw. dem Einakter „Eine florentinische Tragödie“ – autobiografische Elemente spielen sicher eine Rolle, auch bei der deprimierenden Feststellung, dass es das „Glück“ ultimativ nicht geben kann.
In Kaiserslautern inszeniert Henry Arnold, er gehört (wie Philipp Stölzl oder Jürgen Weber) zu einer Generation von Regisseuren, die nicht mehr nur in einer Gattung arbeiten. Arnold hat Schauspielerfahrung, dreht Filme, betreut Fernsehproduktionen und hat bereits zahlreiche Werke fürs Musiktheater inszeniert.
Der Vorhang hebt sich vor dem Einsetzen der Musik, man sieht einen elipsenförmigen Durchbruch an der Rampe, die Innenseiten können beleuchtet werden, die Bühne ist mit graublauen Stoffbahnen verhängt, das sieht ein wenig wie die fortschrittlichen, abstrakten Bühnenbilder der 30er Jahre aus. Auf der Bühne als einziges Ausstattungsstück ein frei im Raum bewegliches Podest, auf dem eine trapezförmige Erhöhung montiert ist, die als Tisch oder Lagerstätte dienen kann.
Drei Personen sind auf der Szene zu erkennen: Nyssia, Gyges und Kandaules. Stumm läuft die Schlussszene des Oper ab: der Moment, wo Gyges den König töten wird. Mit Einsetzen der Musik wird der Mord riesenhaft vergrössert immer wieder als Video-Einspielung auf die Rückwand projeziert werden, Kandaules erlebt sterbend die Geschichte der Oper noch einmal.
Die Farben der Kostüme sind gedeckt, oft grau-schwarz, manchmal an Uniformen erinnernd, der Koch, z. B., trägt zu Stiefelhosen, Stiefeln und militärischer Kopfbedeckung eine Metzgerschürze über dem nackten Oberkörper und befehligt eine 5-köpfige Dienerschar mit einer Reitgerte, quasi eine maskuline Verkehrung der Mägde und ihrer Aufseherin aus „Elektra“ von R. Strauss.
Die Gäste des Königs Kandaules sind Karrikaturen mit dicker Brille, stöckelnde Bilderbuchtunten, oder effeminierte Schöngeister mit Schnupftuch am Finger.
Auf der verhältnismässig kargen Bühne (im Hintergrund kann noch eine Art Portal heraufgefahren werden, das mit Plastikvorhangstreifen verhängt ist, ein identisches, grösseres Portal im vorderen Bühnendrittel bildet die Raumbegrenzung für den zweiten Akt) legt der Regisseur viel Wert auf eine gute und überzeugende Personenführung. Das Stück läuft nachvollziehbar und spannend ab.
Im zweiten Akt wird während der grossen Szene zwischen Kandaules und Gyges ein Tänzerpaar die jungen Männer parallel zu den Sängern darstellen. Und hier zeigt der Regisseur eine homoerotische Begegnung der jungen Männer, die durch das Auftauchen von Gyges späterer Frau Trydo beendet wird. Das bringt natürlich eine stärkere Fallhöhe in die Handlung ein, bleibt aber trotzdem fragwürdig. Der Hauptkonflikt der Handlung entsteht durch eine heterosexuelle Dreiecksbeziehung, die Faszination des Kandaules für Gyges mag noch in einem Wiedererkennen der eigenen Person im anderen liegen, eine sexuelle Konnotation lässt sich durch das Stück nicht reibungslos legitimieren.
Dass die Sängerin der Nyssia nicht nackt auftritt, ist ein echtes Manko, genauso, wie der nicht auch nur ansatzweise zu sehende Beischlaf zwischen Gyges und Nyssia.
Zum Beginn des dritten Aktes steht ein Sarg auf der Bühne – das Video zeigt einen verzweifelt herumirrenden Kandaules, der seinen eigenen Tod voraus ahnt.
Wieder bemerkenswert, wie gut die Sängerin und die Sänger agieren, gerade hier, im dritten Akt, wo Zemlinsky seine Musik eruptiv ausbrechen lässt, sind auch die Sopranistin und ihre beiden Partner stark gefordert.
Das Anfangsbild wiederholt sich. Sterbend will Kandaules noch einen Blick auf Gyges werfen, während die Königin Gyges als neuen König ausruft. „Kandaules hat meinen Schleier zerrissen“, singt Nyssia und der rückwärtige Bühnenvorhang, in dem schon Risse zu sehen waren, bricht herunter und gibt den Blick auf die nackte Bühnenrückwand frei. Starr steht das neue Königspaar im Vordergrund.
Überragend das Orchester des Pfalztheaters Kaiserslautern unter seinem GMD Uwe Sandner. Was dieses doch kleine Orchester mittlerweile an Erfahrung im Umgang mit der Musik von Schulhoff, Krenek und Zemlinsky hat, mit welcher Diszplin und mit wie viel Können sie die Partituren umsetzen, verdient Respekt. Kaiserslautern sollte unbedingt versuchen, Uwe Sandner noch länger in der Stadt zu halten. Die Umsicht, mit der er zu Dirigieren versteht, die Art, wie er Bühne und Orchester zusammenzuhalten versucht, wie er Akzente setzt, wie er mit der Dynamik arbeitet und sich bemüht, den Sänger/innen zu helfen und diese nicht zuzudecken, ist bemerkenswert.
Vom Staatstheater Wiesbaden kam als Gast der Bariton Thomas de Vries nach Kaiserslautern, sein Gyges ist das vokale Zentrum des Abends. Beste Wortverständlichkeit bei klug disponierten, stimmlichen Mitteln – das überzeugt auch im dritten Akt, wo de Vries noch an stimmliche Grenzen stösst.
Ein Kompromiss der Tenor Douglas Nasrawi als Kandaules – sein hell-schneidender Tenor vermag weder sinnliche Kraft zu verströmen, noch sich heldentenoral zu behaupten, Nasrawi ist ein sehr guter Darsteller, als Sänger ist er hier leicht überfordert.
Mit einer Erkältung als indisponiert entschuldigt schlug sich die Sopranistin Valérie Suty als Nyssia sehr wacker – vor allem im dritten Akt waren einige Töne von guter Qualität zu hören und die Sängerin war ebenfalls sehr engagiert bei der Sache.
Ein gewiss grosser Abend für das kleine Theater in Kaiserslautern, schon zur Pause gab es lang anhaltenden Beifall. Der Besuch war zufriedenstellend, auch wenn einige Plätze leer blieben. Viel Beifall für die Künstlerinnen und Künstler – ein toller Erfolg für die Musik von Alexander Zemlinsky.
Begleitet wird die Aufführung von einer Ausstellung in der Eingangshalle, die die Zemlinsky-Gesellschaft aus Wien organisiert hat – wer möchte, kann sich zwecks Vorbereitung der Aufführung die Tafeln auch auf der Homepage der Zemlinsky-Gesellschaft anschauen. Es gab ein Gespräch im Vorfeld der Aufführung zwischen dem GMD Uwe Sandner und Antony Beaumont, ob Einführungen ins Werk organisiert werden, weiss sicher die Dramaturgie des Hauses. Und wer möchte, kann sich auch die CDs anhören: die Hamburger Uraufführung liegt bei „Capriccio“ als Mitschnitt vor.