Die Premiere am 24. Januar im Musiktheater im Revier war meine erste Live-Berührung mit Benjamin Britten - und was soll ich sagen: ich war zutiefst beeindruckt und berührt, nicht nur von dem Werk an sich, sondern ganz besonders von der wirklich großartigen Leistung aller Beteiligten. Das war seit längerer Zeit endlich mal wieder ein Opernabend, der mir sicherlich für lange Zeit im Gedächtnis und im Herzen bleiben wird. Ich möchte wirklich jedem empfehlen, den Weg nach Gelsenkirchen auf sich zu nehmen - es lohnt sich! Die Neue Philharmonie Westfalen unter Rasmus Baumann spielt schlichtweg großartig - spannungsreich, aber immer transparent, zupackend aber immer subtil. Was aus dem Orchestergraben kommt ist immer kraftvoll und dabei enorm sauber und sängerfreundlich. Auch der Chor ist einfach eine Wucht, nicht nur musikalisch sondern auch szenisch sehr exakt in der Darstellung - jedes Chormitglied stellt quasi einen ganz individuellen Charakter in dieser Fischerdorf-Gemeinde dar - und die "Peter Grimes"-Rufe haben mich bis ins Mark getroffen. Aus dem durchweg jungen Ensemble des MIR müßte man eigentlich jeden Sänger und jede Sängerin dieser Aufführung besonders hervorheben. Die Ellen Orford von Majken Bjerno ist emotional sehr eindrucksvoll verkörpert und gesungen. Jan Vacik in der Titelrolle bietet alle Kräfte auf, geht auch an seine stimmlichen Grenzen und zeichnet dadurch einen psychologisch sehr detaillreichen Grimes, der in mir Mitleid und Wut zugleich geweckt hat - ein großes, "kaputt gemachtes" Kind, trotzig, unbeugsam, seelisch gleichsam verkrüppelt und brutal. Seinen Lehrjungen behandelt er so, wie er es von der Gesellschaft am eigenen Leib erfahren musste. Seine stämmige Figur nutzt er ideal um sich in der Darstellung als Außenseiter in einer Gesellschafft von Außenseitern noch schmerzhafter abzugrenzen. Dazu die bemerkenswert gute und genaue Regiearbeit der jungen Elisabeth Stöppler (deren Namen man hoffentlich zukünftig häufiger lesen und hören wird), in der jeder szenische Vorgang klar gestaltet ist, ohne puren Aktionismus, ohne Leerlauf und ohne szenische Unnötigkeiten. Spannend auch das Bühnenbild (Ausstattung: Kathrin-Susann Brose) das mit wenig Mitteln einen tollen Spielraum schafft, dabei wandlungsfähig ist und den schwierigen Grad zwischen szenischer Genauigkeit und assoziativem und spielerischem Freiraum meistert.
Eine wirklich großartige Aufführung an deren Qualität sich so manch größeres Haus ein Beispiel nehmen sollte.