Musikgeschmack: Unterschied zwischen Hören und Musizieren?

  • Aus meiner eignenen musikschaffenden Praxis als (Chor)sänger stelle ich immer wieder fest, dass eine große Diskrepanz zwischen den Werken besteht, welche ich gerne höre (sei es im Konzert oder auf CD) und jenen Werken, welche ich selbst musiziere (in meinem Fall also singe).


    Als Beispiel sei die Matthäuspassion genannt. Als Chorsänger habe ich das Werk schon viele Male mitsingen dürfen, und es macht mir jedes Mal erneut eine große Freude. Vor allem die vielen abwechslungsreichen Chöre (weniger die Choräle) sind mir ein stetig neues Highlight im Konzert.
    Dagegen besitze ich nicht eine einzige Aufnahme der Matthäuspassion auf CD und plane auch keine Anschaffung. Grund: es ist nicht mein Musikgeschmack, genauer gesagt, mein Hörgeschmack.


    Genau dieser Widerspruch verwundert mich stets aufs neue, zumal mir viele Werke begegnen, bei denen ich derlei Effekte feststelle.


    Interessanterweise habe ich noch kein Werk mit wenig Freude gesungen, welches ich umso mehr als Hörer schätze. ?(


    Daher meine Frage an die musikschaffenden Taminos:


    Kennt ihr auch diesen Widerspruch zwischen konsumierter und musizierter Musik?
    Gibt es Werke, die ihr gern musiziert aber nicht gerne hört?
    Gibt es Werke, die ihr gerne hört aber nicht gerne musiziert?


    Liebe Grüße, der Thomas, gespannt auf Antworten. :hello:

  • Hallo Thomas,
    ich kann Deinen Gedankengang gut nachvollziehen.


    Die Wiener Klassik z.B. ist nicht mein Geschmack als Zuhörer, aber als ausübenden Musiker gibt es für mich fast nichts interessanteres, als z.B. ein Mozart-Quartett einzustudieren.


    Auch viele Werke der "moderneren" Musik, z.B. von Komponisten wie v.Webern, aber auch wirkliche zeitgenössische Musik wie z.B. Werke von Glanert, haben keinen großen Reiz für mich als Hörer, aber sehr wohl als Interpret.


    Das praktische "sich auseinandersetzen" macht mir halt schneller klar, daß es sich um großartige, kunstvolle Musik handelt.


    Auf der anderen Seite gibt es natürlich auch Musik, welche mir als Hörer sehr, sehr gut gefällt, mich aber beim selber spielen nicht annähernd so fasziniert.
    Dies mag paradox klingen, aber es ist so und als Beispiel bringe ich jetzt mal Filmkompositionen von Morricone, welche herrlich klingen, aber beim spielen im Orchester mich langweilen.


    Ich unterscheide sehr genau, welche Musik mich beim Hören fesselt, und welche Musik mich bei der Arbeit fesselt.


    Opernaufnahmen höre ich mir grundsätzlich nicht an, denn Opern interessieren mich eigentlich nicht. :pfeif:
    Nun arbeite ich aber in einem Opernorchester, und dies sehr gerne, denn spannende und gute Opern zu erarbeiten und aufzuführen macht oft großen Spaß. :yes:


    Nur würde ich mir selber keine als Zuhörer antun, dazu bin ich viel zu sehr Liebhaber von Sinfoniekonzerten.


    Als Hörer interessiert mich Musik ab Wagner aufwärts bis zu den nach wie vor anzutreffenden Nachzuckungen der Spätromantik.


    Als Interpret interessiert mich eigentlich alles, und natürlich ist auch eine Aufführung der Matthäuspassion immer ein Erlebnis und überhaupt die Beschäftigung mit Bach lebensnotwendig für mich.


    Aber es ist nicht mein "passiver" Hörgeschmack, so eigenartig das klingt.



    Viele Grüße,
    Michael

  • Ja, das geht mir genauso!


    Was das Hören angeht, bin ich ziemlich stark auf den Barock fixiert, im Besonderen auf geistliche Vokalmusik. Die meisten anderen Epochen lassen mich da ziemlich kalt, und wenn ich mal den Barock verlasse, dann meistens auch nur für geistliche Vokalmusik - alles andere reizt mich einfach nicht! :untertauch:


    Wenn ich aber selbst am Klavier sitze, spiele ich leidenschaftlich romantische Klaviermusik, besonders Chopin :jubel: .


    Aber so etwas kann ich mir nicht für längere Zeit auf CD oder gar im Konzert anhören... :no:




    Gruß, Heliaster :hello:

    "Phantasie ist unser guter Genius oder unser Dämon."
    - Immanuel Kant (1724-1804)

  • Als - letztlich zu selten - dilettierender Klavierspieler mache ich die Erfahrung, dass ich gerne höre, was ich technisch nie schaffen würde. Da das damit, dass ich aus der Übung komme, immer mehr wird, wächst tendenziell auch das Interesse an solistischer Musik. So etwas wie die Ballade in g-moll von Chopin konnte ich mal ein wenig spielen, jetzt geht nichts mehr, also höre ich sie mir wieder an ...


    Klavierkonzerte, die ich nie gespielt habe, liebe ich durch die Bank! Alle.


    Anders ist es seltsamerweise bei Duomusik. Früher fast nie gespielt, jetzt durch einige Bekannte schon, sind das leichtere Sachen mit führender Trompete oder mit Violine, selten auch mit Flöte. Die Violinsonaten von Mozart zu hören und besser kennenzulernen, auch in unterschiedlichen Interpretationen, interessiert mich stärker, seit ich die eine oder andere ganz gerne mit einem Geiger spiele, der mir im Vergleich technisch wohl leicht überlegen ist.


    Besten Gruß, Wolfgang

    Lieber Fahrrad verpfänden denn als Landrat enden!

  • Ich bin ja nur Gesangsdilettant und insofern gibt es vieles was ich gern höre, aber nicht singe, weil meine Fähigkeiten zu begrenzt sind. Am liebsten singe ich Dowland, Purcell, Bach und klass. Lied (Schubert, Schumann). Meine GL meinte, ich sollte mich auch mit Oper anfreunden und wir haben Mozart gesungen, "Se vuol ballare.." und gemeinsam "Bei Männern welche Liebe fühlen" (sie ist Mezzo), um dann doch wieder zum nächsten Lied aus der Dichterliebe zurückzukehren. Oper singe ich also nicht, gehe aber seit einiger Zeit wieder häufiger und mit großem Vergnügen in die Oper. Im übrigen habe ich Oper - außer einigen Gesamtaufnahmen von Mozart-Opern - auch nicht auf CD, weil für mich das Gesamtspektakel einer Aufführung dazu gehört, und mir ohne dieses Spektakel das Ganze einfach zu lang wird.


    Richtig gern singe ich einige Lieder aus Bachs Schemellis Gesangbuch, kleine Kostbarkeiten, und solche Lieder wie "Komm süßer Tod" sind selbst für einen Atheisten wie mich besonders anrührend. Im Konzert habe ich es einmal mit Schreier - schön gesungen - gehört aber das (oder eine CD) muß ich nicht wieder haben. Über eine Stunde protestantisch pietistisch-fromme choralähnliche Solo-Gesangsmusik anzuhören finde ich doch extrem nervig.


    Liebe Grüße, MG

  • Tamino XBeethoven_Moedling Banner
  • Bei mir deckt sich überwiegend das, was ich am Liebsten höre mit dem , was ich am Liebsten singe.
    Mozart, Schubert, Schumann, Händel, Purcell, Rameau, Fauré, Debussy und besonders Bellini und Reynaldo Hahn gehören sowohl zu meinen Hör- als auch Singfavoriten.
    Warum sollte ich denn Sachen singen, die mir nciht wirkich gefallen?
    Das ist ja eben der Riesenvorteil derer, die nicht professionell davon leben müssen und den sollten sie dann auch nutzen! :]


    Zwei Ausnahmen fallen mir spontan ein.
    Auf der einen Seite Bach.
    Den höre ich furchtbar gerne, finde ihn aber so schwierig zu singen, dass mir leider oft die Freude beim Einstudieren abhanden kommt.


    Auf der anderen Seite Operetten. Die singe ich manchmal mit grossem Vergnügen, höre sie mir aber nur in den seltensten Fällen freiwillig an.
    Heute noch die Perichole von Offenbach aus unserem Opernabo.. Gute Inszenierung, eine tolle Stephanie d'Oustrac in der Titelrolle, gut musiziert und wenn ich Mezzo würde ich das sicher gerne singen - aber ansehen....
    Irgendwie kann ich mit der Gattung passiv nicht warm werden. :(


    F.Q.