Viele kürzere Opern eignen sich nicht dafür, mit ihnen einen ganzen Opernabend zu bestreiten. Deshalb setzt man sie gerne mit einer passenden, ebenfalls kurzen Oper gemeinsam auf den Plan. Solche Paarungen haben oftmals einen ganz eigenen Reiz, wie man jetzt am Frankfurter Opernhaus einmal mehr erleben durfte.
In Frankfurt wurde „L´heure espagnol“ von Maurice Ravel mit „La vida breve“ von Manuel de Falla gekoppelt, zweimal Spanien, einmal eine heitere Oper, ein andermal ein tragisches, eher veristisches Drama mit Musik, verbunden durch das gleiche Bühnenbild.
Maurice Ravel wurde als Sohn eines schweizer Ingenieurs und einer spanischen Mutter geboren. Diese spanischen Wurzeln bestimmten immer wieder auch seine Musik, nicht nur im wohl berühmtesten Stück des Komponisten, dem „Bolero“, sondern auch zum Beispiel in der „L´heure espagnol“. Der kleine Einakter (Libretto: Franc-Nohain, ein Pseudonym von Étienne-Maurice Legrand) wurde 1911 in Paris uraufgeführt und erzählt die Geschichte des Uhrmachers Torquemada und seiner Frau Concepción.
Die beiden sind ein eher ungleiches Paar, der Uhrmacher interessiert sich mehr für seine Uhren, als für seine Frau, was Concepción dazu verleitet hat, sich einen Liebhaber zuzulegen. Der ist ein dichtender Schöngeist, Gonzalve mit Namen, und besucht Concepción jeden Donnerstag, wenn Torquemada ausser Haus ist, um die Uhren der Stadt Toledo, hier spielt das Stück, aufzuziehen. Auch an diesem Donnerstag erwartet Concepción ihren Liebhaber und drängt den Ehemann förmlich aus dem Haus. Leider ist genau zu diesem Zeitpunkt ein Kunde im Laden des Uhrmachers aufgetaucht: der Maultiertreiber Ramiro ist mit einer kaputten Uhr gekommen und Torquemada bittet diesen, auf ihn bis zu seiner Wiederkehr zu warten. Aber so leicht lässt sich die ehebruchwillige Concepción nicht um ihr Rendevouz bringen. Sie bittet den etwas einfältigen Ramiro, eine von zwei Standuhren, die im Laden stehen, nach oben in ihr Schlafzimmer zu bringen. Der erfüllt die Bitte und kaum ist Ramiro mit der Uhr verschwunden, betritt Gonzalve den Laden. Um den Liebhaber nun unbemerkt in ihr Schlafzimmer zu bekommen, versteckt Concepción Gonzalve in der zweiten Uhr, teilt dem zurückgekommenen Ramiro mit, dass sie nun die andere Uhr oben haben möchte und der brave Mauleseltreiber schleppt die Uhr mit Gonzalve nach oben und bringt die andere wieder herunter. Zwischenzeitlich ist aber der Bankier Don Inigo Gomez eingetroffen, auch er hofft auf ein Liebesabenteuer mit Concepción. Diese lässt ihn allerdings stehen, weil das Objekt ihrer Begierde zwischenzeitlich in ihrem Schlafzimmer eingetroffen ist. Don Inigo versteckt sich in der nun wieder unten angekommenen, leeren Standuhr. Im Schlafzimmer klappt die Sache nicht so, wie Concepción sich das vorgestellt hat – der Dichter sondert nur lyrischen Süsskram ab, anstatt zum Liebesspiel zu schreiten – also muss die Uhr wieder runter und dafür die andere Uhr mit dem Bankier nach oben. Ramiro schleppt ein weiteres Mal die Uhren durch das Haus. Kandidat No. 2 hat aber das Problem, dass er, etwas aus den Fugen geraten, in der Uhr feststeckt und gleichfalls als Liebhaber nicht zu gebrauchen ist. Die Uhr muss, mit dem feststeckenden Bankier darinnen, wieder hinunter. Jetzt erst erkennt Concepción, dass der männlich-muskulöse und starke Mauleseltreiber doch eigentlich genau das Kaliber Mann ist, das ihren Wünschen am ehesten entspricht. Da auch Ramiro Concepción sehr anziehend findet, kommt er ihrer Aufforderung, er möge sie nach oben begleiten, und zwar gänzlich ohne Uhr, gerne nach. Als Torquemada zurückkommt, weiss er wohl, was da in seinem Haus vorgeht, da aber sowohl der Bankier, als auch der Dichter jeweils eine Standuhr kaufen, übersieht Torquemada die Untreue seiner Frau gefliessentlich. Diese wird in Zukunft ihre Freizeit mit dem scharfen Mauleseltreiber verbringen.
Ganz anders das Stück von Manuel de Falla, der nur wenige Monate jünger als Ravel war. „La vida breve“, das Libretto schrieb Carlos Fernández-Shaw, die Uraufführung fand im April 1914 in Nizza statt, erzählt das Schicksal der jungen Salud und ihrer unglücklichen Liebe zu Paco.
In einem Zigeunerviertel in Granada lebt die junge, arme Salud mit ihrer Grossmutter. Salud hat sich in den hübschen und reichen Paco verliebt, der sie verführt und ihr die Ehe versprochen hat. Der Liebhaber kommt zu spät zu einer Verabredung, Salud macht sich Sorgen, aber die Grossmutter beruhigt das Mädchen. Endlich kommt Paco und zerstreut die Sorgen des Mädchens. Ein alter Zigeuner steckt der Grossmutter, dass Paco schon morgen eine andere, reiche Frau heiraten wird.
Am nächsten Tag ist die Hochzeit zwischen Paco und seiner Braut Carmela in vollem Gange. Vor dem Haus verfolgen Salud, die Grossmutter und der alte Zigeuner das Geschehen. Salud singt vor dem Fenster des Hauses und macht so Paco auf sich aufmerksam. Salud und ihre Begleitung betreten das Haus. Salud erklärt allen, dass Paco sie betrogen hat. Das Mädchen stolpert und bricht tot vor Paco zusammen.
Die Inszenierung in Frankfurt stammt von dem noch jungen Regisseur David Hermann, der zu den interessantesten Regisseuren seiner Generation gehört. Die Bühne ist von Anfang an offen, man sieht ein drei geteiltes Podest, im Hintergrund eine halbkugelförmige Holzgitterwand, dahinter führt eine Treppe nach oben. An der Holzgitterwand angedeutete Uhren, in der Mitte des Raumes die beiden Standuhren, rechts eine Sitzmöglichkeit, links ein grünes Sofa, davor ein grosser Kerzenständer mit einer Kerze darauf.
Die Musik von Ravel zitiert nicht nur spanische Musik, so am Ende z. B. eine Habanera, sondern imitiert auch das Ticken von Uhren und das macht Ravel so geschickt, das man gar nicht richtig hört, wie kompliziert diese Musik teilweise gebaut ist.
Während des kurzen Vorspiels Ticken und Schlagen also in der Musik die Uhren und man sieht jeweils eine der angedeuteten Uhren auf der Bühne aufleuchten. Unter dem Podest links werkelt der Uhrmacher Torquemada. Der Maulesetreiber hat nicht nur die Uhr, die repariert werden muss, mitgebracht – er hat einen ganzen Stierkopf dabei, an dessen Horn die Taschenuhr hängt. Der Onkel von Ramiro war nämlich ein berühmter Toreador und diese Uhr hat dem Onkel bei einem Stierkampf das Leben gerettet. Kurzerhand stülpt Ramiro den Stierkopf auf den Kerzenständer und von dort aus schaut uns das Tier die ganze Oper über an.
Concepción ist leicht bekleidet, was den Mauleseltreiber zuerst etwas verlegen macht, so dass er gar nicht böse darum ist, dass Zimmer mit einer der Uhren verlassen zu können.
Der Gonzalve ist ein rechter Schöngeist, er plaudert munter unsinnige Verse aus und man ahnt schon, dass der wohl keinen feurigen Liebhaber abgeben wird.
Auch der Bankier Don Inigo Gomez taugt dafür wohl nicht, ihm fehlt es an der nötigen Feinfühligkeit für ein Schäferstündchen: kaum angekommen, steht er recht schnell nur noch in seinen roten Undershorts da.
Wenn der Dichter aus dem Schlafzimmer zurückgetragen wird, ist er im Grunde genommen nackt – nur noch ein grosses Feigenblatt für das Nötigste bedeckt seine Blösse.
David Hermann streift manchmal die Klamotte, aber er überzieht nur ganz selten. Das Stück läuft unterhaltsam und schnell ab, die Inszenierung lässt keine Langeweile aufkommen und bietet den Sängern und der Mezzsopranistin hinreichend Gelegenheit, ihr schauspielerisches Können unter Beweis zu stellen.
Am Ende kommen die fünf Personen nach vorne, die Bühne dreht sich und man sieht dann ein Obdachlosenlager an einer Müllhalde – hier wird nach der Pause „La vida breve“ beginnen.
Keine Zigeunersiedlung also, sondern Obdachlose sind da zu sehen, die im Müll nach verwert- und wohl auch essbaren Dingen suchen. Rechts ein Zelt, in dem Salud lebt und wo sie als Krankenschwester die Obdachlosen versorgt. Vorne rechts sitzt auf einem alten Sessel in einem zerschlissenem Trainingsanzug die Grossmutter, die sich mit Klebstoffschnüffeln längst den Verstand weggeätzt hat. Damen der besseren Gesellschaft bringen ihren Müll vorbei. Die Stimmen von Arbeitern und die Geräusche der Umwelt dringen nur von Ferne an diesen trostlosen Ort.
Paco tritt auf, leger in eine Trainingshose und in ein Shirt gekleidet – er drängt Salud ins Zelt, während die Grossmutter die Wahrheit über den Liebhaber ihrer Enkelin erfährt.
Die Bühne dreht sich, man erkennt jetzt noch in Grundzügen die Uhrmacherwohnung aus dem ersten Teil des Abends. Ganz im Vordergrund ein edles Badezimmer, ganz in weiss, auf dem Badewannenrand die Braut Carmela in ihrer Brautkleidung. Paco tritt zu ihr und Carmela reicht Paco ein Messer, mit dem er sich die Pulsadern öffnen wird.
Am Tag der Hochzeit sieht man eine bunte Hochzeitsgesellschaft mit einem Flamenco-Sänger und einem Gitarristen. Ein Tänzer und zwei Tänzerinnen in klassischen, spanischen Kostümen, der Mann als Torero, begleiten das Geschehen.
Während drinnen gefeiert wird, steht Salud vor dem Fenster im Schatten, alleine, fast im Dunkeln. Sie beschliesst, hineinzugehen. Im letzten Moment der Oper, soeben hat Salud gerade Pacos Verrat geschildert, wird sie plötzlich die Kerze im Vordergrund vom Kerzenständer reissen und mit enormer Kraft ihren Kopf auf den Kerzenständer donnern – der Dorn dringt tief durchs Auge ins Gehirn des Mädchens, Blut läuft in Strömen herunter.
Es ist vor allem eine ausgefeilte Personenführung, die hier zu bewundern ist. David Hermann gelingen glaubwürdige Aktionen und die Sängerinnen der Salud und der Grossmutter folgen dem Regisseur mit starkem, körperlichen Einsatz.
Beeindruckend Barbara Zechmeister als Salud. Die Stimme ist auch in der Tiefe erstaunlich präsent und die Sopranistin verblendet das untere Register geschickt. In der Höhe hat Zechmeister noch Entwicklungspotential, aber hier deutet sich ganz langsam ein Wechsel zu dramatischeren Partien an – ein sehr gelungenes Rollenportrait.
Stark auch die Grossmutter der Elisabeth Hornung. Die Sängerin, langjähriges Ensemblemitglied im benachbarten Darmstadt und in Frankfurt schon vor Jahren als eine der Walküren zu hören, singt sich mit ihrer orgelnden, von den Jahren hörbar angegriffenen Stimme, durchaus für sich einnehmend durch die Partie.
In der „L´heure espagnol“ ist Claudia Mahnke mit ihrer schönen Altstimme eine enorm präsente Concepción, Daniel Behle gibt eine ausgezeichnete Tenorkarrikatur als Gonzalve ab und Aris Argiris ist ein glaubwürdiger Ramiro.
Johannes Debus dirigiert beide Stücke beeindruckend – besonders im Ravel bringt Debus die verschiedenen Elemente der Musik, die Farbigkeit der Instrumentierung, die leicht komplizierte Rhythmik erstaunlich gut zur Wirkung. Etwas schwächer der de Falla, da fehlt ein ganz klein wenig das mitreissende der tänzerischen Stücke, hier gelingen die lyrischen Passagen besser.
Ein spannender, ein gelungener Abend , dem das Publikum viel zustimmenden Beifall spendete.