Händels RADAMISTO im Badischen Staatstheater (24.02.2009)

  • RADAMISTO
    Oper in drei Akten von Georg Friedrich Händel (HWV 12a)


    Performance des Badischen Staatstheaters vom 24.02.2009


    Tiridate … Patrick Henckens
    Fraarte … Berit Barfred Jensen
    Polissena … Kirsten Blaise
    Farasmane … Mika Kares
    Radamisto … Tamara Gura
    Zenobia … Delphine Galou
    Tigrane … Ina Schlingensiepen
    Musikalische Leitung … Peter Van Heyghen
    Regie … Sigrid T'Hooft
    Bühnenbild … Christian Floeren
    Kostüme … Stephan Dietrich
    Dramaturgie … Katrin Lorbeer
    Ensemble … Deutsche Händelsolisten
    Ballett … Ensemble Corpo Barocco
    Choreographie … Sigrid T'Hooft


    Die (wohl aufgrund der irreführenden HWV-Nr. 12) als ‚Frühwerk’ propagierte Oper RADAMISTO ist das Werk eines reifen 35jährigen Operngenies. Zum Händeljahr 2009, an dessen 14. April sich des Meisters Tod zum 250ten Male jährt, scheute das Badische Staatstheater weder Mühe noch Kosten (die Produktion verschlang schlappe 120.000,-- €) für eine besondere Produktion von Händels Radamisto, welcher am 27. April 1720 im King’s Theatre London uraufgeführt wurde.


    Das Libretto von Nicola Francesco Haym gefällt mir recht gut, ähnlich dramatisch wie Rodelinda vom selben Librettisten, aber nicht so perfekt, denn der Schluß ist doch sehr an den Haaren herbeigezogen: Da wird einfach dem Vorschlag gefolgt, so zu tun, als sei nie etwas gewesen, jeder geht wieder dorthin, wo er herkam und Friede, Freude, Eierkuchen…


    Was ist nun ‚besonders’ an dieser Produktion? Es sollte dem Wunsch gefolgt werden, die Oper ganz ‚original’ barock darzubieten. Die Originalität sollte Bühnenbild, Kostüme, Ballette, Choreographie und Regie umfassen. Für die musikalische ‚Wahrheit’ sorgte vertrauensvoll das Ensemble Deutsche Händelsolisten. Nun, die Kostüme waren fantastisch und an Stiche der Uraufführungszeit angelehnt, die Bühnenbilder (es gab pro Akt 3 Szenenwechsel, per summa also 9 verschiedene Designs) liebe- und kunstvoll gemalt. Das Foyer war garniert mit allerlei aufschlussgebenden Schautafeln, auf denen verschiedene original erhaltene Barock- oder Rokkoko-Theater detailiert in ihrer Funktionsweise vorgestellt wurden: darunter natürlich jenes aus Drottningholm und das hiesige von Ludwigsburg. Zudem waren die Noisemaker (Regen-, Wind- und Donnermaschine nebst Wasserfall) detailgetreu nachgearbeitet und standen dem staunenden (manchmal etwas schüchternen und doppellinkshändigen) Publikum zum Selftest zur Verfügung.


    Umso ernüchternder und ziemlich enttäuschend war es, daß diese Geräuschmaschinen während der Aufführung von Händels Radamisto leider nicht zum Einsatz kamen. Die Barockbühne gab sich mit der Präsentation der Bühnenbilder und dem Hin- und Herschieben der Kulissen offenbar zufrieden. Für mein Empfinden reicht dies allerdings noch lange nicht aus – da ist noch „viel Luft nach oben“. Ach, doch: die erste Scene präsentierte drei (!) bewegte Wellen, deren hintere allmählich im Dauerschlaf versank... Highlight im wahrsten Wortsinn war die Bühnenbeleuchtung: Die Versorgung mit Licht erfolgte über vier bis sechs (je nach Scene) Kronleuchter, welche mit echten Kerzen bestückt waren und eine sehr angenehme Atmosphäre schufen. Dadurch wirkten alle Acteure des Geschehens als ein Teil des Ganzen – niemand stand also im besonderen Rampenlicht. Quasi als Ironie des Schicksals fiel gleich zu Beginn des 2. Aktes stellenweise das elektrische Licht im Orchestergraben aus und konnte trotz mehrfacher Versuche, dies während der Aufführung wieder in Dauerfunktion zu bringen, erst wieder mit Beginn des 3. Aktes seine vollen Dienste leisten (tja, mit Kerzen wär’ das nicht passiert). Mir persönlich hat die Kerzenbeleuchtung sehr gut gefallen, wenn auch die Illusion der Kulissen dadurch stark beeinträchtigt wurde (auf welchem Schlachtfeld hängen 6 Kronleuchter vom Himmel herab…?). In Drottningholm hatte man dies im 18. Jahrhundert bereits anders gelöst, indem man hinter den Schiebekulissen Kerzen mit diagonalen Spiegeln anbrachte… Vielleicht war aber auch der Hintergedanke, daß das Scheusal im Herzen von Karlsruhe endlich den Flammen zum Opfer fällt...


    Es gab natürlich den obligatorischen ‚Rampengesang’, der aber in Anbetracht der Kulissen nicht störte, denn die Bilder waren derart kunstvoll gestaltet, daß eine Arie kaum ausreichte, um eine ganze Kollage optisch vollständig zu genießen. Garniert wurde das Ganze, indem die Sängerin oder der Sänger gelegentlich das Gewicht von der rechten zur linken Hüfte verlagerte oder auch mit passenden Balletteinlagen umspielt wurde. Dies ist auch m. E. der Nachteil bei modernen Inszenierungen mit nur einfarbigem Hintergrund… hier müssen die Sänger dann irgendetwas Unsinniges tun, denn es gibt ja nichts anderes zu schauen.


    Sehr schön gelöst war die Anbringung der Übertitelleiste, welche sich in das barocke Bild absolut integrierte und nicht als Fremdkörper wirkte (wie z. B. derzeit in einem m. E. stark missglückten Versuch in Drottningholm). Der Text wurde offenbar von der Hinterbühne auf eine verzierte Blende projiziert, der man ihre Funktion nicht ansah, wenn der Text gerade schwieg.


    Alle Sängerinnen und Sänger hatten ein hervorragendes und solides Niveau: Erst nach anderthalb Akten etwa kristallisierte sich Delphine Galou in der Rolle von Zinobia als meine Favoritin heraus. Patrick Henckens als Tiridate schien mir zunächst etwas seltsam mit seinem dünnen Tenor (der mir aber losgelöst von der Handlung überaus gut gefiel). Irgendwie wollte die Rolle des Widersachers nicht recht auf ihn überspringen, so hatte es den Eindruck. Im Gesamtkonzept jedoch ist zu erkennen, daß diese ‚Schwäche’ durchaus ironischen Sinn machte. Insgesamt muß ich der Regie jedoch ankreiden, daß die Texte in den Rezitativen meist völlig sinn- oder mindestens gehaltlos wiedergegeben wurden – es fehlten deutliche(re) Betonungen bei den für Barockopern üblichen Schimpfworten.


    Eher selten waren Auszierungen im Da-Capo-Teil der Arien zu hören. Mit 'eher selten' meine ich, daß mir Auszierungen in nur zwei Fällen definitiv aufgefallen sind, wobei ich nicht explizit darauf geachtet habe, weil ich dem Genuß der Musik so sehr verfallen war... Auszierungen der Da-Capo-Teile waren aber zu der reproduzierten Zeit obligat.


    Schwachpunkt des gestrigen Abends war ganz klar das Violinsolo im dritten Akt – selten wurden meine Ohren grausamer traktiert. Dafür aber brillierten die Trompetensoli [Stragi, morti, sangue ed armi] und die wenigen Horneinlagen [Alzo al volo di mia fama] umso mehr. Die Deutschen Händelsolisten spielten in der ihnen üblichen und hervorragenden Art, das Continuo war doppelt besetzt und sorgte für allerlei klangliche Abwechslung während der Rezitative.


    Nach jedem Akt gab es ein Ballett, dessen Choreographie mir jedes Mal sehr gut gefliel. Auch hier wurde offenbar auf historische Vorlagen zurückgegriffen und nicht mit modernem Bewegungstanz kombiniert. In dieser Art vertrage ich Ballett sehr wohl, wohingegen ich die ‚Neuschritter’ ab z.B. Schwanensee lieber nicht anzuschauen pflege. NH würde grün vor Neid werden – die Vorstellung inkl. der Ballette und zweier kurzer Pausen nahm ganze viereinhalb Stunden in Anspruch!


    Insgesamt eine runde Sache, die sich gerne wiederholen darf. Davon zeugte auch der tosende Applaus des ausverkauften Hauses.


    Weitere Infos zur Produktion inkl. Pressestimmen, in denen auch auf die präsentierte barocke Gestik näher eingegangen wird (was mir aus Zeimangel jetzt nicht gelingt), gibt es hier.


    Die Produktion soll im April im Radio übertragen (Daten liefere ich nach) und in 2010 erneut auf die Bühne gebracht werden.


    :hello:


    Ulli

    Die Kunst ist [...] vielleicht das Denken des Herzens.
    (Blaise Pascal, 1623-1662)

  • Zitat

    Original von Ulli
    Die Produktion soll im April im Radio übertragen (Daten liefere ich nach) und in 2010 erneut auf die Bühne gebracht werden.


    Voilá:


    SWR2 sendet die Karlsruher Produktion [einen Zusammenschnitt aller Aufführungen?] am 19. April 2009 um 20.03 Uhr.


    :hello:


    Ulli

    Die Kunst ist [...] vielleicht das Denken des Herzens.
    (Blaise Pascal, 1623-1662)

  • Hallo Ulli,


    Vielen Dank für den Radiotipp! Ich hatte nun schon mehrmals von der Aufführung gehört und gelesen, aber leider sind ja schon alle Vorstellungen eine Weile ausverkauft.


    Gruß, Beryllo

  • Hallo Beryllo,


    dann merke Dir ggfs. vor, daß die Inszenierung 2010 im Rahmen der 33. Händel-Festspiele wieder aufgenommen wird. Die dürfte noch nicht so ganz ausverkauft sein... obwohl... ich würde mich ranhalten.


    Nur schade, daß es nur im Radio übertragen wird - da sieht man ja nichts. Und das Sehen ist in diesem Fall ja beinahe das wichtigere...


    :hello:


    Ulli

    Die Kunst ist [...] vielleicht das Denken des Herzens.
    (Blaise Pascal, 1623-1662)