Schade, dass Mrawinsky hier so ein "Ausreisser" ist. Alle Anderen zeigen das Werk hochexplosiv !
Lieber Wolfgang,
die Frage ist, was ist die "richtige" Sicht? Schostakowitsch war mit Mrawinsky eng befreundet und hat ihm diese Symphonie gewidmet. Das Entstehungsjahr ist 1943. Man erwartete von Schostakowitsch eine Symphonie, welche den bevorstehenden Sieg in Stalingrad verherrlicht. Schostakowitsch hat sich dem ganz bewußt verweigert - jeden heldisch-pathetischen Charakter vermieden. Es ist interessant, daß Mrawinsky in der 1947iger Aufnahme im ersten Satz noch 3 Minuten langsamer (!) ist als in der von 1982. Nur noch Kurt Sangerling nimmt ihn auch so langsam - ihn holte Mrawinsky als verfolgten Juden in Deutschland persönlich nach Leningrad. Ich glaube, wenn man diesen Zeitkontext berücksichtigt, dann wird klar, Schostakowitsch wollte und konnte keine "hochexplosive" Musik schreiben und wollte die Symphonie auch so nicht dirigiert haben. (Gegen hochexplosiven Kriegslärm und Kriegsjubel setzt man sich schließlich mit einem innerlich-stillen Ton ab und nicht einem, der zusätzlich musikdramatischen Lärm macht.) Spätere Generationen von Dirigenten, die diese Zeit nicht miterlebt haben, können natürlich einen anderen Zugang haben. Mrawinskys Sicht ist letztlich von Schostakowitsch selbst autorisiert. Ich zitiere den Klappentext der CD Mrawinsky-Edition Vol. 17:
"Hatte Schostakowitsch bereits Yevgeny Mrawinskys Interpretation der 7. Symphonie als einzig authentische gelobt, so galt das um so mehr für die 8. Symphonie. Alle Tugenden des Dirigenten Mrawinsky offenbarten sich hier, eine Musik ohne äußere Effekte zu initiieren und die musikalische Form ganz aus sich selbst heraus sprechen zu lassen. So wird bei ihm der seltsame 3. Satz zu einem großen Gleichnis von blind waltendem Schicksal, eine beklemmende Studie der Ohnmacht des einzelnen Menschen. In stumpfer Emsigkeit stapft und taumelt eine Stimme vor sich hin, von akkordischen Peitschenhieben und schriillen Bläsereinsätzen wie von Kommandos taktiert. Aus der einen Stimme werden viele, sieghaft triumpfiert eine Trompete. Nach einem schmerzlichen Aufbäumen hebt der Klagegesang des Largos an, zwölf Variationen über ein neuntaktiges Baßthema. Sie werden bei Mrawinsky zu zwölf Versuchen, lastender Trauer zu entkommen und doch im Sog unendlichen Lebens gefangen zu bleiben.
Die Leningrader Philharmoniker spielten dieses für Musiker und Hörer gleichermaßen anspruchsvolle Werk auch für Gasthörer, auch 1962 auf ihrer USA-Tournee, in einem Land also, das ihnen mit großer Begeisterung entgegenkam. Mrawinsky nahm die 8. Symphonie auch 1947 zum Prager Frühling mit. Dort war diese Symphonie kurz vorher durchgefallen. Die Prager standen allem Sowjetrussischen äußerst mißtrauisch gegenüber und Schostakowitsch galt als staatstreuer Komponist. Mrawinsky aber gelang das Wunder: die gleichen Prager, die kurz vorher das Werk mit einem ihrer Orchester abgelehnt hatten, verstanden es nun und jubelten ihm und seinem Interpreten zu. Im Kontext dieses legendären Gastspielerfolges entstand die vorliegende Aufnahme vom Juni 1947."
Schöne Grüße
Holger