Schubert: Klaviersonate B-Dur D 960 - Ein Überblick von "Zelenka"

  • Heisst das, dass in dieser Gilels-Aufnahme ein Abschnitt von Cord Garben gespielt wird?

    So behauptet es jedenfalls Cord Garben. :) Wie ich es in Erinnerung habe hat er das "Ergebnis" dann Gilels vorgespielt, ohne ihm zu sagen, dass er da aktiv geworden ist - und der hat es nicht bemerkt! ^^ :hello:

  • Also die Geschichte ist gut, aber glauben kann ich sie nicht. Die pianistischen Welten zwischen Gilels und Cord Garben sind so weit voneinander entfernt, dass ich es für gut erfunden halte. Zwei weitere Geschichten dieser Art: ein hier nicht namentlich genannter Pianist soll das Schumann-Konzert spielen und sagt, die Bühne betretend, er habe sich die Hand in der Taxitür geklemmt und müsse umdisponieren auf ein Mozart-Konzert. Endlich wissen wir es auf berufenem Mund, dass Mozart doch so einfach ist!

    Die zweite Geschichte, deren Wahrheitsgehalt mir von mehreren Pianisten bestätigt wurde, u. a. von dem Ginsburg-Schüler Gleb Axelrod: Grigori Ginsburg - von dem Heinrich Neuhaus sagte, die berühmte Sprungstelle in dem Stück könne man sauber nur von einem mechanischen Klavier oder von Ginsburg hören - hat die kompletten "Réminiscences de Don Juan" von Liszt in einem take aufgenommen und das Ergebnis zur Pressung freigegeben, ohne sich die Aufnahme noch einmal anzuhören.

    Wer das hören möchte, kann sich gern bei mir melden.

    Beste Grüße

    Thomas

  • D 960


    ist für mich eines der größten Werke in meinem Kosmos. Deshalb habe ich davon recht viele Interpretationen. Eine meiner liebsten wurde hier noch nicht genannt - sicher woanders hier, sonst hätte sich wohl nicht :


    Kalli

  • Banner Trailer Gelbe Rose
  • Bernd Stremmel hat auf seiner Website einen grandiosen diskographischen Überblick der B-Dur Sonate veröffentlicht:


    http://www.klassik-prisma.de/Schubert.D.960.htm

    Der diskographische Überblick mag ja gut sein, aber die Analyse ist zum Teil fehlerhaft.

    Der Höhepunkt der Durchführung steht nicht in Ges-Dur sondern in Des-Dur:


    Und der "Orgelpunkt" im zweiten Satz steht natürlich nicht auf C und G sondern auf Cis und Gis (der Satz steht in cis-Moll).

    Ein paar andere Kleinigkeiten und kommen hinzu, aber vor allem werden wichtige Dinge nicht erwähnt, z.B. dass die letzten vier Akkorde des langsamen Satzes das Todes-Thema aus "Der Tod und das Mädchen" in Cis-Dur bilden:



    Von dieser Übereinstimmung habe ich komischerweise noch nie irgendwo gelesen, Dr. Kaletha kann mir also in diesem Fall zu Recht vorwerfen, dass ich die komplette Fachliteratur (die man seiner Meinung nach ja gar nicht sichten muss, um zu wissen, was in ihr steht) gegen mich habe :).

    "Herr Professor, vor zwei Wochen schien die Welt noch in Ordnung."
    "Mir nicht."
    (Theodor W. Adorno)

  • Der diskographische Überblick mag ja gut sein, aber die Analyse ist zum Teil fehlerhaft.

    Der Höhepunkt der Durchführung steht nicht in Ges-Dur sondern in Des-Dur:

    Könnte es sein, dass er eine andere Stelle meint? (Vermutlich nicht - aber Ges unterscheidet sich von Des ja ‚nur’ durch ces, das hier nicht vorkommt. Aber ich bin in diesen Dingen nun wirklich kein Experte.)


    Stremml kennt die Partituren sehr gut und er weiß wovon er spricht.

    Er hat ein Buch über Beethoven und eins über Brahms herausgegeben. Ich habe mal in der Stabi reingelesen.

    Man könnte ihm eine Mail schreiben und auf den Fehler hinweisen (wenn es sich um einen handelt).


    Für mich ist der Höhepunkt der Durchführung die nach dieser Stelle kommende Passage in ppp (Stremml erwähnt sie), wobei nur die allerwenigsten Pianisten dieses ppp zu realisieren vermögen. Am besten zu hören ist es bei Horowitz (seine Aufnahme ist insgesamt aber etwas disparat).


    Es handelt sich vor allem um einen diskographischen Überblick, die Analyse ist zur Orientierung und nicht besonders lang. Aber Stremmel schaut immer in die Noten und ich schätze seine Seite sehr. Sein Beitrag zu Bruckners Achter ist erschöpfend, ich hatte an anderer Stelle schon darauf hingewiesen.


    ChKöhn Wie stellst Du hier eigentlich direkt Noten ein? Ich dachte, man kann keine eigenen Bilder/jpg-Dateien hochladen.

  • Könnte es sein, dass er eine andere Stelle meint? (Vermutlich nicht - aber Ges unterscheidet sich von Des ja ‚nur’ durch ces, das hier gar nicht vorkommt.)

    Er beschreibt ja ausdrücklich den Durchführungsteil mit den Achtel-Triolen, der in A-Dur beginnt:

    Der führt aber zu keinem Höhepunkt in Ges-Dur sondern eben zu dem o.g. in Des-Dur. Es gibt in der ganzen Durchführung kein Ges-Dur.


    Für mich ist der Höhepunkt der Durchführung die nach dieser Stelle kommende Passage in ppp (Stremml erwähnt sie), wobei nur die allerwenigsten Pianisten dieses ppp zu realisieren vermögen. Am besten zu hören ist es bei Horowitz (seine Aufnahme ist insgesamt aber etwas disparat).

    Ich bin nicht ganz sicher, welche Stelle Du meinst (Stremmel erwähnt als ppp-Stelle nur den Triller unmittelbar vor der Reprise). Das erste Thema erscheint vor der Reprise im Diskant zuerst pp in d-moll, dann ppp in B-Dur (siehe Notenbeispiel unten), dann p und wieder in d-moll, bevor dann die Überleitung zum Triller folgt. Das Besondere an dieser Stelle ist, dass das Thema zwischendurch schon einmal in der Grundtonart wiederkehrt, aber durch die extrem zurückgenommene Dynamik, die pulsierenden, quasi über dem Grundton schwebenden Akkorde und den Wechsel zwischen d-Moll und B-Dur stellt sich hier keinerlei "Grundtongefühl" ein, sondern es klingt im Gegenteil wie extrem weit entfernt und instabil. Es ist also das Paradoxon einer Scheinreprise in der richtigen Tonart:

    "Herr Professor, vor zwei Wochen schien die Welt noch in Ordnung."
    "Mir nicht."
    (Theodor W. Adorno)

  • Das ist genau die Stelle, die ich meine! Nach meinem Verständnis ist das noch Teil der Durchführung - die hier eben nach Innen geht („extrem weit entfernt“, wie Du schreibst) und dort ihren Höhepunkt findet. So nehme zumindest ich es wahr. Vor allem die Akkorde in der linken Hand sind natürlich nicht leicht ppp zu spielen, das gelingt nur wenigen.


    Ich werde Stremmel eine Mail schreiben und ihn auf deine Bemerkung hinweisen.

  • Banner Trailer Gelbe Rose
  • Banner Trailer 2 Gelbe Rose
  • Das ist genau die Stelle, die ich meine! Nach meinem Verständnis ist das noch Teil der Durchführung - die hier eben nach Innen geht und dort ihren Höhepunkt findet. So nehme zumindest ich es wahr. Vor allem die Akkorde in der linken Hand sind natürlich nicht leicht ppp zu spielen, das gelingt nur wenigen.

    Ja klar, das ist Bestandteil der Durchführung. Das Besondere ist, dass hier an deren Ende das "richtige" Thema in der "richtigen" Tonart erklingt, aber etwa so, als hätte man das Ziel nur zufällig und ohne es zu bemerken schon einmal erreicht und wäre dann einfach weiter bzw. wieder zurück (nach d-Moll) gegangen. Dieses scheinbare Herumirren zwischen den Tonarten, diese komponierte Instabilität ist natürlich ein ganz wesentlicher Zug Schubertscher Musik.

    "Herr Professor, vor zwei Wochen schien die Welt noch in Ordnung."
    "Mir nicht."
    (Theodor W. Adorno)

  • Das hatte ich übersehen:

    ChKöhn Wie stellst Du hier eigentlich direkt Noten ein? Ich dachte, man kann keine eigenen Bilder/jpg-Dateien hochladen.

    Alfred hat mich auf meine Nachfrage hin freundlicherweise zum "Redakteur" hochgestuft, damit ich gelegentlich kurze Notenbeispiele einfügen kann. Ich erstelle die natürlich aus Urheberrechtsgründen selbst (in Dorico) und achte auch darauf, dass die Dateien möglichst klein sind (meist nur wenige KB).

    "Herr Professor, vor zwei Wochen schien die Welt noch in Ordnung."
    "Mir nicht."
    (Theodor W. Adorno)

  • Mir war bisher überhaupt nicht aufgefallen, dass dieser ppp-Höhepunkt am Ende der Durchführung in B-Dur steht, die Grundtonart klingt hier wie aus einer anderen Welt kommend.


    Nochmal zu Stremmel: obwohl er viele Aufnahmen berücksichtigt, fehlen doch einige. So hat er Barenboims dritte und mE interessanteste Auseinandersetzung aus dem Jahr 2014 nicht berücksichtigt. Und auch einige überaus faszinierende junge Asiaten werden ignoriert.

  • Das hatte ich übersehen:

    Alfred hat mich auf meine Nachfrage hin freundlicherweise zum "Redakteur" hochgestuft, damit ich gelegentlich kurze Notenbeispiele einfügen kann. Ich erstelle die natürlich aus Urheberrechtsgründen selbst (in Dorico) und achte auch darauf, dass die Dateien möglichst klein sind (meist nur wenige KB).

    Finde ich sehr gut die Notenbeispiele!

  • Nona.....


    D 960 ist ( für mich ) der absolute Höhepunkt, ich müsste nachschauen wieviele Versionen ich davon habe. Ugorskaja ist sicher bei meinen " Top 5 "

  • Banner Trailer Gelbe Rose
  • Ich habe soeben von Bernd Stremmel folgende Nachricht erhalten, ChKöhn


    „Der Pianist CHKöhn hat vollkommen recht, wenn er die falschen Tonarten bemängelt. Es ist tatsächlich Des-Dur, so habe ich es im Manuskript auch notiert, aber wohl falsch übertragen. Auch die aufeinander folgenden Orgelpunkte im 2. Satz stehen über cis nund gis. Es tut mir Leid und ärgert mich, dass ich dieses übersehen habe. Im meinem fortgeschrittenen Alter mit nachlassender Sehkraft wäre es gut, wenn ein Sachverständiger "vor der Drucklegung" sich den Text vornimmt. Wo sollte ich den finden?

    Zum 2. Satz wollte ich noch erwähnen, dass Schubert zu Beginn notiert hat: col Ped., ein Hinweis für den Interpreten, das rechte Pedal zu drücken. Anfangs meinte ich, es sei taktweise gemeint, bis ich feststellte, dass die Aufhebung des Pedals erst am Ende des A-Teils T. 42 vorgesehen ist (Peters Ausgabe). Das ist höchst ungewöhnlich, da bei dem langsamen TEmpo der Klang verschwimmen könnte. Möglich wäre allerdings auch ein Übertragungs- oder Lesefehler bei der Drucklegung. Da müsste ich Urtextausgaben zu Rate ziehen, die ich mir jedoch nicht zusätzlich kaufen wollte. Also habe ich auf diesen Hinweis verzichtet.

    Der Hinweis von CHKöhn auf das "Tod und Mädchen"-Titat ist zutreffend, mir dummerweise entgangen.

    Nochmals herzlichen Dank und Alles Gute, bleiben Sie dem Klassik-Prisma treu und kritisch


    Ihr Bernd Stremmel“

  • Was für eine wohltuende Antwort auf einen Fehlerhinweis! Ich will das explizit erwähnen, auch wenn es ein wenig OT ist.

  • Das ging ja schnell! Ich kann zwar verstehen, dass einen so etwas ärgert, aber andererseits kann das doch auch einfach passieren.

    Zum Pedal im zweiten Satz denke ich, dass das Auflösungszeichen in T. 42 in der Peters-Ausgabe von fremder Hand hinzugefügt wurde (ich habe die Ausgabe nicht), denn sowohl in der alten Gesamtausgabe als auch in den Urtext-Ausgaben von Henle, Bärenreiter (Neue Schubert-Ausgabe) und Wiener Urtext steht lediglich am Beginn "col pedale". Es gibt auch im Kritischen Bericht der Wiener-Urtextausgabe keinen Eintrag dazu, was normalerweise bedeutet, dass auch im Autograph nichts anderes steht. Schuberts Pedalangaben sind allgemein spärlich und wenig genau. In der Regel schreibt er nur dann "col pedale" o.ä., wenn man von selbst nicht unbedingt auf die Idee kommen würde oder (wie in diesem Fall) es beide Möglichkeiten gäbe. Da, wo es ohnehin mehr oder weniger selbstverständlich ist, schreibt er gar nichts zum Pedalgebrauch. Bei diesem Satz könnte man ja auch auf die Idee kommen, das Thema in der Mitte legato zu spielen und von Pizzicato-artiger Begleitung umranken zu lassen. Das ist anscheinend nicht gemeint, deshalb der pauschale Hinweise "col pedale". Die genaue Ausgestaltung ist dann wieder Entscheidung des Pianisten: Man kann, wie Bernd Stremmel vorschlägt, ganztaktig pedalisieren (das macht z.B. Andras Schiff), man kann jeweils auf Zählzeit drei wechseln (z.B. Barenboim, Pollini), oder noch mehr wechseln (Richter). Dass ein liegendes Pedal über die ganze Strecke gemeint ist (wie es das z.B. im letzten Satz von Beethovens Waldstein-Sonate gibt), halte ich für ausgeschlossen.

    "Herr Professor, vor zwei Wochen schien die Welt noch in Ordnung."
    "Mir nicht."
    (Theodor W. Adorno)