Beethoven: 3. Sinfonie "Eroica"

  • Lieber teleton,


    ich muß etwas vorsichtig sein, weil ich den Bernstein nun schon seit Jahren im Schrank habe vergammeln lassen, da er mir noch nie als Beethoven-Dirigent gefallen hat. Ich empfand seine Lesart bzw. die Umsetzung als weichlich und dicklich, nie mit der Prägnanz, die den frühen Karajan oder später Carlos Kleiber auszeichneten. Das sich aus der Bewegung entwicklende "Fließen" bei Furtwängler finde ich bei Bernstein auch nicht.
    Gerade höre ich ins Scherzo rein und höre nichts, was mich fesseln könnte: gerundeter, leicht breiiger Wohlklang, wenig markant. Es wirkt höchstens gefällig. Das gleiche undifferenzierte Spiel beim Einstieg in den 4. Satz. Die Marcia funebre gerät mir nicht streng genug.


    Naja, muß noch ein bißchen hören (kann jetzt aber nicht); vielleicht gibt es ja Passagen, die mir besser gefallen.


    Grüße an alle,


    Christian

  • Erstaunlich!



    Ludwig van Beethoven [1770-1827]
    Sinfonie Nr. 3 Es-Dur op. 55


    Swedish Chamber Orchestra Örebro
    Thomas Dausgaard


    Zunächst der Zeitenvergleich für den groben Überblick:


    1. Satz: (S) 15:22 (G) 16:26 (N) 15:13 (Sch) 16:06 (D) 15:47
    2. Satz: (S) 12:47 (G) 11:11 (N) 12:31 (Sch) 13:27 (D) 12:49
    3. Satz: (S) 05:25 (G) 05:51 (N) 05:43 (Sch) 05:52 (D) 05:22
    4. Satz: (S) 11:01 (G) 10:48 (N) 10:02 (Sch) 10:07 (D) 10:27


    (S) Savall
    (G) Grossmann
    (N) Norrington
    (Sch) Schröder
    (D) Dausgaard


    Welch eine Präzision bei Dausgaard mit dem Schwedischen Kammerorchester! Ich bin so wunderbar überrascht. Folgendes ist mir positiv aufgefallen:


    *recht gutes Crescendo in I 35/36
    *Keile werden wunderbar kurz und stark gespielt, teils nur angerissen [z.B. I T. 109ff]
    *Legato wie es im Buche steht bei II 241 [1. Vl.]
    *Fetziges Alla Breve in III 381ff
    *Fermate der 1. Vl. in IV 55 auf d [genial! - so stehts in der Partitur]


    Ansonsten ist die Dynamik sehr ausgetüftelt, sehr präzise, sehr differenziert im Gegensatz zu manch anderer Einspielung. Sie wirkt beinahe ein wenig gekünstelt. Besonders schön sind im ersten Satz die 2. Violinen zu hören - denn auch die haben etwas zu "sagen". Blech und Holz ist supergut! Eine sehr spannende und mitreißende Einspielung, die von knapp 40 Musikern im Oktober 2002 in der Örebro Concert Hall dargeboten wurde.


    Dausgaard gibt ganz schön Gas - manchmal meint man, er würde im Verlaufe einer Phrase immer schneller werden... aber irgendwie passt's dann plötzlich wieder, ohne dass jemand die Notbremse ziehen musste.


    Zu meckern gibt's aber auch was: Dausgaard wählt, wie alle bisher mit Ausnahme von Savall, ein für meinen Geschmack zu zügiges Tempo beim Poco Andante des Finales, so dass wieder einmal das anschließende Schlußpresto ein wenig an Wirkung verliert.


    Ganz wunderbar passt im Anschluß an die Eroica auch der Marche funébre "Leonore Prohaska" WoO 96 [eine authentische (?) Orchesterversion des 3. Satzes der Klaviersonate As-Dur op. 26] quasi als Revision auf die gewaltige Sinfonie.


    Und auch die beiden Violinzomanzen op. 40 und op. 50, solistisch besetzt mit Katarina Andreasson sind ganz wunderbar von ihr gespielt.


    Jetzt muß ich die CDs mit der Zweiten, Vierten und Siebten haben. :D Da die SIMAX-Edition mit "the complete orchestral works of lvb" wirbt, werden wohl auch sämtliche Ouvertüren zu haben sein. Dann mal her damit...



    Ulli

    Die Kunst ist [...] vielleicht das Denken des Herzens.
    (Blaise Pascal, 1623-1662)

  • Hallo,


    noch etwas Interessantes zu der oben von mir gezeigten Einspielung mit den Schwedischen Kammerorchester, Dausgaard:


    Mit enthalten sind auch die Deutschen Tänze WoO 14. Da fragt man sich natürlich: Warum? Ich habe die Tänze zunächst völlig ingnoriert, da mein Interesse ja der Eroica galt. Da ich aber die Tanzmusik des 18. Jahrhunderts sehr liebe, habe ich das natürlich nachgeholt. Die unter WoO zusammengefassten 12 Kontretänze wurden in der Zeit von 1791-1801 komponiert; man kann das wohl ziemlich genau auseinanderdividieren, das tut aber kaum etwas zur Sache: Wichtig ist jedenfalls, dass sie allesamt vor op. 55 entstanden sind. Ich halte diese Miniaturen für absolut gelungen und hörenswert! Die Tänze dauern im Schnitt nur wenige Sekunden - da muß man schon arg aufpassen, alles Wichtige mitzubekommen: Zunächst gibt es einen Tanz [Nr. 5] in Es-Dur, der das allseits bekannte "Eroica-Thema" erklingen lässt. Weitaus interessanter finde ich den Tanz Nr. 7 [ebenfalls Es-Dur, Track 11 auf der CD], in dem das Thema des 4. Satzes von op. 55 [T. 76ff. bzw. 84ff.] vollständig "vorweggenommen" wird. Es stimmt in Tonart und Melodie absolut überein! Nun habe ich [leider!] das von Ben empfohlene Buch zur "Eroica" noch nicht erhalten, so daß mir die Zusammenhänge nicht ganz klar sind. Ich vermute aber mal, dass Beethoven hier ganz bewußt in der "Eroica" diesen Tanz zitiert, so wie er ja auch ab T. 211 [g-moll-Teil] etwas wildes und tänzerisches integriert.


    Leider kann man genau diese beiden Tänze bei jpc nicht als Hörbeispiel erhalten, schade.


    Viele Grüße
    Ulli

    Die Kunst ist [...] vielleicht das Denken des Herzens.
    (Blaise Pascal, 1623-1662)

  • Meine Lieben,


    Nach einem sehr genußreichen taminoistischen Eroica-Nachmittag und -Abend zu fünft - dem Gastgeber Observator und allen Gesprächspartnern sei dafür noch einmal sehr, sehr herzlich gedankt - konzentriert sich meine Begeisterung bei dieser Symphonie im Moment auf drei Interpretationen: Erich Kleiber mit dem Concertgebouw-Orchster, Ferenc Fricsay mit den Berliner Philharmonikern und Bertrand de Billy mit dem ORF-Orchester. Alle drei bauen so wunderbare Bögen auf. Böhm und Furtwängler müßte ich mir noch einmal bzw. wieder ausführlich anhören, bevor ich da mehr sage (zu den Favoriten gehören sie auf alle Fälle). Die Aufnahme von Dausgaard gefällt mir auch, sie zählt für mich zu den besseren.
    Nicht behagen kann mir Hermann Scherchen. Ich bewundere zwar die Perfektion dieser musikalischen Porschefahrt, aber viele Schönheiten bleiben für mein Gefühl dabei unbeachtet.


    Die Eroica liebe ich zwar, aber ich gestehe, daß mir die Pastorale sowie die 7. und 8.Symphonie noch mehr am Herzen liegen. Keine Ahnung wieso. Doch ich möchte auch keine von den anderen missen.


    LG


    Waldi

  • Sodele,


    meine kleine Wochenendbeschäftigungstherapie :D




    Grund dieser "statistischen Auswertung": Die Suche nach der [für mich!] perfekten Einspielung. Als Anhaltspunkt habe ich Savall gewählt, wobei mir bei ihm das Presto in der Relation noch viel zu langsam ist.


    Frage: Wer kennt eine Einspielung des Finales, welche meinen Wunschkriterien [in Relation] weitestgehend standhält? Andernfalls müßte ich mir Savall|Norrington zusammenschneiden :rolleyes: - das Presto müßte dann noch so transparent wie bei Dausgaard sein...


    :beatnik:


    Ulli


    P.S. Karajan hatte 'ne Vollmeise 8)

    Die Kunst ist [...] vielleicht das Denken des Herzens.
    (Blaise Pascal, 1623-1662)

  • Hallo lieber Ulli


    Beim Reinzappen in den Eroica-Thread, hatte ich bei Deinem Beitrag soeben den Erst-Eindruck eines Bahn-Fahrplans....
    Abfahrt: ICE „Eroica“ um 15.09....
    Wäre nicht ein Bahnstreik die Rettung!

    Spass beiseite: In meinem „I“-pödelt der 3. Satz mit Sawall, eine Insel-Aufnahme!


    Herzliche Adventsgrüsse aus Bern
    Walter

  • Zitat

    Original von Walter Heggendorn
    Hallo lieber Ulli


    Beim Reinzappen in den Eroica-Thread, hatte ich bei Deinem Beitrag soeben den Erst-Eindruck eines Bahn-Fahrplans....
    Abfahrt: ICE „Eroica“ um 15.09....


    Irgendwie kams mir auch so vor :hahahaha:


    ICE Roger oder S-Bahn Herbert? :P


    Oder 16 Uhr 50 ab Paddington bzw. 5 Uhr 49 ab Norrington. :D

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    (Blaise Pascal, 1623-1662)

  • Lieber Ulli,


    oder ICE Napoleon: von Wien nach Waterloo.... Gabs damals schon Dampflocks?
    Jedenfalls war das Tempo sicher gemächlicher.....


    Dein Humor war und ist einer der vielen Gründe, für meinen Entschluss , bei Tamino mitzumachen. Danke.


    Es freut mich, Deinen guten Eindruck über Dausgaard zur Kenntnis zu nehmen: Ich kenne die Aufnahme auch und finde sie ausgezeichnet, so wie mir überhaupt Thomas Dausgaard einer der ernsthaftesten vielversprechendsten Dirigenten der jüngeren Generation zu sein scheint.


    Ich habe ihn und das Schwedische Kammerorchester vor ein paar Monaten in der Zürcher Tonhalle mit Dvorak 6 erlebt: ein nachhaltiges Konzerterlebnis.




    Gruss aus Bern von
    Walter



  • Hallo Ulli,


    da mich ohnehin gerade die neuen Einspielungen/Aufführungen der Beethoven-Symphonien mit der Deutschen Kammerphilharmonie Bremen unter Paavo Järvi in Begeisterung versetzen, habe ich's mal bei der entsprechenden Aufnahme nachgeprüft:





    Mit den Zeiten im vierten Satz verhält es sich folgendermaßen:


    Allegro molto: 6:06
    Poco Andante: 3:54
    Presto: 0:52


    Kommt Deinen Idealvorstellungen also sehr nahe :D. Sehr typisch für Järvi, dass er das Poco Andante etwas langsamer ausspielen lässt, als vom Metronom vorgeschrieben: zumindest bis zur Fortissimo-Apotheose des Themas entfaltet sich das wunderbar lyrisch, aber in keiner Weise verklebt. Nur die Trauermarsch-Reminiszenzen nach dem Höhepunkt könnte ich mir etwas untergründig erregter vorstellen.


    Einige weitere Stichworte zur Einspielung: relative Nähe zu den Metronomziffern (Zeiten der einzelnen Sätze: 15:24/13:18/5:31/10:54), eher kleine Besetzung (Streicher: 8/7/5/5/3), HIP-naher Klang (wenig Streichervibrato, teilweise Originalinstrumente), antiphonische Violinen (sehr deutlich hörbar!), enorme Transparenz, sehr natürlicher Klang. Schärfungen und gesangliche Partien kommen gleichermaßen zu ihrem Recht. Penible Befolgung der Dynamikvorschriften. Gespielt wird nach der del-Mar-Edition (also z.B. in der zweiten Variation des vierten Satzes in solistischer Streichquartett-Besetzung). Manch einer wird vielleicht an den dynamischen Höhepunkten die Massivität des Orchesterklangs vermissen, die bei einer solchen eher kleinen Besetzung naturgemäß nicht erreicht werden kann.


    Zu dieser Einspielung hat bereits Ben Cohrs weiter oben in diesem Thread einen Kommentar abgegeben (im Vergleich mit der Aufnahme des RSO Wien unter de Billy):



    Zitat

    Original von ben cohrs
    Ich empfehle wärmstens im Vergleich die neue Einspielung der Deutschen Kammerphilharmonie Bremen unter Paavo Järvi! Meinem Empfinden nach ist die Einspielung des RSO dagegen kalter Kaffee -- oberflächlich betrachtet ganz schön gearbeitet, aber doch zugleich noch sehr fett und unter der Oberfläche erstaunlich undifferenziert. Vergleich mal schon am Anfang die Akzente vor dem ersten großen Tutti. Da steht in der Partitur einmal fortepiano, was bedeutet kurz laut und dann wieder allgemein leise, im folgenden aber Sforzati , erst viel später crescendo und fortissimo. Bei Järvi hört man nun wirklich Sforzati in einer relation zum allgemein noch geltenden Piano. Bei de Billy klingt jeder dieser Akzente gleich laut ... Ich hätte noch viele weitere Beispiele dieser Art.



    Viele Grüße


    Bernd


  • Allerdings! Der Mann hat sich was dabei gedacht. Das müßte ich bald mal testen... Danke!


    :hello:


    Ulli

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    (Blaise Pascal, 1623-1662)

  • Tamino Beethoven_Moedling Banner
  • hallo Ulli,


    Im i-Pod habe ich mir die aufgespielten Presto's angehört, kann natürlich die Sekunden nicht angeben, aber sehr schnell kam mir auch Leibowitz vor, der überhaupt alles Satte nicht hat. dafür, immer zügig dirigiert.


    Paavo järvi ist auch schnell dabei und bringt ein bißchen Swing in die Sache, d.h. es entsteht ein Walzerrhythmus und dazu habe ich immer den interessanten Kommentar von Litwin zum KLavierkonzert Op. 15 im Kopf .


    Ist das ganze Deinerseits eune Spielerei oder hast Du bei dem Presto eine Idee im Kopfß


    Lieben Gruß aus Bonn und alles Gute im Neuen Jahr :hello: :hello:

    Was Du nicht willst, das man Dir tu, das füg auch keinem andern zu

  • Zitat

    Original von Stabia
    Ist das ganze Deinerseits eune Spielerei oder hast Du bei dem Presto eine Idee im Kopfß


    Ciao,


    ich suche nur eine Einspielung, die meinen Vorstellungen am nächsten kommt. Betrachte diese fixe Idee als Spielerei.


    Das "Sekundenmessen" halte ich für durchaus wichtig - denn je nachdem wie der lagsame Teil ausfällt, täuscht das Tempo des anschließenden Presto gewaltig.


    Dir auch alles Gute!


    :hello:


    Ulli

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  • OK, wo bekommt man denn die Savall-Aufnahme, bei Amazon nicht verfügbar, bei JPC alles mögliche. das die Buchstaben S v l hat. ich erinnere mich, daß ich schon einmal vergeblich gesucht habe. Gibt es da einen Tip?


    :hello: :hello: :hello: :hello:

    Was Du nicht willst, das man Dir tu, das füg auch keinem andern zu

  • Zitat

    Original von Stabia
    OK, wo bekommt man denn die Savall-Aufnahme, bei Amazon nicht verfügbar, bei JPC alles mögliche. das die Buchstaben S v l hat. ich erinnere mich, daß ich schon einmal vergeblich gesucht habe. Gibt es da einen Tip?


    Meines Wissens soll sie wieder neu aufgelegt werden !?


    :hello:


    Ulli

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  • da man ihnen nach §4 auch so wenig arbeit wie möglich machen soll, habe ich die threads verlinkt.


    aus dort:


    Zitat

    Original von Edwin Baumgartner


    - Dausgaard: Wenn witziger dirigiert, eventuell als Aprilscherz geeignet.


    lieber edwin,
    ich kann mir vorstellen, dass du mit deiner pointierten formulierung berufenere reaktoren hinter dem ofen provoken wolltest, aber da sich bislang niemand rührt und mir die arbeit abnimmt, möchte ich dich bitten etwas detaillierter den dausgaard zu zerlegen.
    ich möchte dazulernen (-ganz unironisch gemeint)
    ich habe, wie aao. erwähnt, nur die eroica von diesen dänoschweden und habe jetzt noch das wegen trans(atlantischer)portschwierigkeiten verzögerte eintreffen der estnodeutschen abgewartet, bevor ich mich an das für mich beschwerliche beobachten bencohrsscher bemerkungen machen werde.
    nur: hörvergnügen hat mir bisher schon diese spielart genug gemacht, so dass ich sie unter den folgenden besitztümern ganz vorne reihe (nicht nur wegen des alfabets ;) ):


    dausgaard/schwedisches ko 2002
    furtwängler/wiphi 1944
    grossmann/ensemble28 2003
    harnoncourt/co europe 1990
    p.järvi/deutsche kammerph bremen 2005
    e.kleiber/concertgebouw 1950
    e.kleiber/wiphi 1955
    leibowitz/royal po 1961
    reiner/chicago so 1954
    savall/concert d nations 1994
    scherchen/wiphi 1958
    schröder/smithsonian co 1987
    schuricht/bephi 1941
    toscanini/nbc so 1953
    weingartner/wiphi 1936


    :hello: von gegenüberop125

  • Lieber Observator,
    ich habe von Dausgaard 4, 5 und 7 gehört - und die CDs danach verschenkt, kann also jetzt nicht konkret nachhören wegen Detailfragen, ich bin auf meine Notizen angewiesen.
    Denen entnehme ich, daß Dausgaard zu Tempoübertreibungen neigt, nämlich Schnelles zu schnell nimmt und Langsames zu langsam. Obendrein kann er die Musik nicht fließen lassen, sondern muß ständig etwas machen, Tempi rücken, nahezu jeden Themeneinsatz sforzato oder quasi-sforzato spielen usw. Außerdem sind seine Balancen mehr als seltsam, wo Blechbläser mitspielen, sind sie stets prominent, die Oboen stechen hervor, ohne daß es Sinn ergibt usw. Der Gesamteindruck muß bei mir der gewesen sein, daß Dausgaard keinen Entwicklungen vertraut, sondern in extrem kurzen Perioden permanent alle Artikulations- und Ausdrucksmöglichkeiten unterbringen will, wodurch seine Wiedergaben auf mich völlig zerhackt und unfokussiert gewirkt haben dürften. Schlußbemerkung in den Notizen: "Andere sagen Beethoven auf, Dausgaard stottert dabei auch noch".
    :hello:

    ...

  • Heute habe ich folgende frisch erschienene (laut jpc erst am kommenden Montag erscheinende) Einspielung der »Eroica« mit dem Kammerorchester Basel unter Giovanni Antonini gekauft:



    Grund für den schnellen Zugriff war meine Begeisterung für Antoninis Interpretation der 1. und 2. Beethoven Sinfonien.


    Auch bei der Dritten wird der an einer stark akzentuierenden, dramatischen und getriebenen Lesart, die die Ergebnisse historischer Praxis kritisch reflektiert und in die eigene Interpretation integriert nicht enttäuscht – auch was die das Klangbild anbetrifft (ähnlich wie bei der 1. und 2. haben etwa die Streicher Darmsaiten aufgezogen usw.).


    Was mich nun aber zu diesem Beitrag treibt, ist nicht allein die Begeisterung für die Einspielung, sondern eine Schrulle hinsichtlich des Tempos und der Ausgestaltung von Dynamikvorschriften, die sich Antonini im Kopfsatz der »Eroica« erlaubt, und von der ich noch nicht so ganz weiß, wie ich sie bewerten soll:
    Das Grundtempo des Kopfsatzes wählt Antonini recht schnell – er benötigt insgesamt 16:19 Minuten, selbstverständlich incl. Wiederholung der Exposition. Das ist dennoch mehr als eine Minute mehr als etwa P. Järvi benötigt – und dennoch ist das gefühlte Tempo bei Antonini keineswegs deutlich langsamer. Daß Antonini länger braucht liegt nämlich unter anderem daran, daß er das Tempo ab Takt 248 ganz erheblich verzögert und ab T. 250 spürbar langsamer ist als das Grundtempo. Ab T. 280 wird dann wieder a tempo musiziert.


    Damit erhält dieser dramatische, und durchaus ein Moment des Stagnierens aufweisende Abschnitt der Durchführung den ganz eigenartig Charakter eines monumentalen Scheiterns (nicht des Interpreten, sondern als Ausdrucksgeste der Musik :D). Verstärkt wird dies noch dadurch, daß Antonini in die diesen Abschnitt beschließenden Forte Schläge der Takte 276-279 »hineincrescendieren«läßt, also die einzelnen Schläge nicht mit einer dynamischen Spitze beginnen läßt, sondern die Bläser auf den Schlägen selbst ein Crescendi spielen und sie in die dynamische Spitze »hineinrutschen« läßt, die somit eigentlich erst auf dem 2. Schlag des jeweiligen Taktes mit dem Einsatz der Streicher erreicht wird.


    Das hat schon was! - (hab' den Kopfsatz heute Nachmittag ungefähr 27mal ;) wie hypnotisiert gehört), ist durchaus wirkungsvoll, spannend und berührend. Ob ich das wirklich gut finde, weiß ich aber noch nicht...


    Meine Frage(n): Was haltet Ihr davon? Und: kennt ihr Interpretationen, in denen ähnlich verfahren wird (insbesondere, was die Tempoänderung ab T. 248 anbetrifft – diese eigenwillige Ausgestaltung der Forteschläge in T. 276ff. scheint mir ziemlich einmalig zu sein).


    Viele Grüße,
    Medard

  • Zitat

    Original von Klawirr
    Meine Frage(n): Was haltet Ihr davon? Und: kennt ihr Interpretationen, in denen ähnlich verfahren wird (insbesondere, was die Tempoänderung ab T. 248 anbetrifft – diese eigenwillige Ausgestaltung der Forteschläge in T. 276ff. scheint mir ziemlich einmalig zu sein).


    Viele Grüße,
    Medard



    Lieber Medard,


    Interpretationen, bei denen in dieser Weise verfahren wird, kann ich leider nicht beitragen. Nur ein paar ungeordnete Vermutungen: Manchmal scheint es mir inzwischen bei HIP- und HIP-nahen Interpreten so etwas wie eine "Mengelbergisierung" zu geben - der Umgang mit den (Binnen-)Tempi wird zunehmend freier. (Auf einem Youtube-Clip kann man zugucken, wie Schellackplatten mit einer Interpretation der Eroica durch Hans Pfitzner abgespielt werden: das ist die reinste Tempo-Achterbahnfahrt, eigentlich gibt es überhaupt kein Grundtempo mehr. Soweit wird's wohl nicht mehr kommen.) Die Takte 248-279 bieten sich ja als musikalische Einheit, Höhepunkt der Durchführung und in ihrer ganzen Charakteristik für eine Sonderbehandlung an - ein Kampf gegen extreme Widerstände, die gewissermaßen das Tempo verlangsamen...


    Bei den Forteschlägen in T. 276-279 fand ich es schon immer auffällig, dass sie eben nur im Forte notiert sind, nicht als Sforzato (wie fast alle Noten zwischen T. 250 und T. 275) und auch nicht als Fortissimo. Dem Buchstaben nach fast eine dynamische Zurücknahme, obwohl es nie (?) als solche gespielt wird. Vielleicht hat sich Antonini dadurch zu dieser Interpretation der Stelle verleiten lassen...?


    Hört sich jedenfalls interessant an.


    Ich stand heute im Laden vor dieser CD, habe sie aber noch nicht mal probegehört - um nicht in Versuchung zu geraten, noch eine weitere Eroica zu kaufen... :faint:



    Viele Grüße


    Bernd

  • Zitat

    Original von Zwielicht
    Manchmal scheint es mir inzwischen bei HIP- und HIP-nahen Interpreten so etwas wie eine "Mengelbergisierung" zu geben - der Umgang mit den (Binnen-)Tempi wird zunehmend freier.


    "Mengelbergisierung" ist gut! :)


    Antonini hält das Metrum über den gesamten Satz ziemlich straight durch – so wirkt sie Verlangsamung ab Takt 2048/250 (hab’s grad nochmals mit Partitur gehört: eigentlich setzt das langsamere Tempo schlagartig ab T. 250 ein - kein Ritardando) so frappierend, ja (wenn ich mal wieder emphatiasch sein darf) bestürzend.


    Zitat

    Die Takte 248-279 bieten sich ja als musikalische Einheit, Höhepunkt der Durchführung und in ihrer ganzen Charakteristik für eine Sonderbehandlung an - ein Kampf gegen extreme Widerstände, die gewissermaßen das Tempo verlangsamen...


    Und genau dies wird von Antonini recht radikal ausgespielt


    Zitat

    Bei den Forteschlägen in T. 276-279 fand ich es schon immer auffällig, dass sie eben nur im Forte notiert sind, nicht als Sforzato (wie fast alle Noten zwischen T. 250 und T. 275) und auch nicht als Fortissimo. Dem Buchstaben nach fast eine dynamische Zurücknahme, obwohl es nie (?) als solche gespielt wird. Vielleicht hat sich Antonini dadurch zu dieser Interpretation der Stelle verleiten lassen...?


    Ja, die Notierung im Forte hat mich auch immer gewundert – inmitten der sf-Kaskaden... Bei Antonini wirken die Forteschläge tatsächlich zunächst wie eine »dynamische Zürücknahme« nach den Sforzati, wobei dann durch das Crescendo der Bläser auf dem 1. Schlag und die hinzutretenden Streicher auf dem zweiten Schlag der Takte 276ff. eben wieder eine dynamische Spitze erreicht wird.


    Zitat

    Hört sich jedenfalls interessant an.


    Ist es!


    Viele Grüße,
    Medard


  • Ludwig van Beethoven [1770-1828]
    Sinfonie Nr. 3 Es-Dur op. 55 "Eroica"
    12 Contretänze WoO 14
    Finale der Ballettmusik "Die Geschöpfe des Prometheus" op. 43


    Helsingborg Symphony Orchestra
    Andrew Manze


    Hallo,


    die recht frische Manze-Einspielung schließt eine große Lücke in meiner Sammlung.


    Zunächst die Zeiten im Vergleich:


    1. Satz: (S) 15:22 (G) 16:26 (N) 15:13 (Sch) 16:06 (D) 15:47 (M) 16:53
    2. Satz: (S) 12:47 (G) 11:11 (N) 12:31 (Sch) 13:27 (D) 12:49 (M) 16:11
    3. Satz: (S) 05:25 (G) 05:51 (N) 05:43 (Sch) 05:52 (D) 05:22 (M) 05:29
    4. Satz: (S) 11:01 (G) 10:48 (N) 10:02 (Sch) 10:07 (D) 10:27 (M) 11:48


    (S) Savall
    (G) Grossmann
    (N) Norrington
    (Sch) Schröder
    (D) Dausgaard
    (m) Manze


    Und der Knüller:



    Gesucht: 55,50% - 36,39% - 8,10%
    Gefunden: 55,65% - 36,44% - 7,91%


    Statistisch betrachtet also eine relativ gute Einspielung.


    Stark beeindruckt hat mich zunächst die Gewalt des ersten und die getragene Spannug des 2ten Satzes. Weiteres werde ich demnächst vermelden.

    Die Kunst ist [...] vielleicht das Denken des Herzens.
    (Blaise Pascal, 1623-1662)

  • Tamino Beethoven_Moedling Banner
  • Zitat

    Original von ben cohrs
    Schade, daß die Järvi-Einspielung fehlt ...
    ?(


    Schenkst Du sie mir? :]


    Zitat

    Doch wie sagt der Volksmund?
    "Es gibt Lügen, große Lügen und Statistiken"
    :untertauch:


    Also mir persönlich hilft diese statistische Erfassung druchaus - sie dient natürlich nur als Anhaltspunkt und sagt nichts Prinzipielles über die Intensivität der Einspielung aus.


    Mein Ohrenmerk liegt zudem überwiegend auf der Verwendung historischen Instrumentatriums und historisch angehauchter Spielweise - der Karajan diente in diesem Fall tatsächlich nur statistischen Vergleichszwecken.


    :hello:


    Ulli

    Die Kunst ist [...] vielleicht das Denken des Herzens.
    (Blaise Pascal, 1623-1662)

  • Macht mir schon Spaß, wie Ulli da die Zeiten mißt.


    Järvi, abgelesen vom Cover:
    1. Satz 15,24
    2. Satz 13,18
    3. Satz 05,31
    4. Satz 10,54 für die Statistik


    Scherchen:
    1. Satz 14,47
    2. Satz 15,41
    3. Satz 05,57
    4. Satz 12,36


    Aber das treibt mich nicht um, sondern, daß ich gestern abend die Aufnahme mit Antonini gehört habe und nun doch ein bißchen verwirrt werde, weil ich das auch absolut toll fand.


    Man kann doch nicht gleichzeitig Grossmann, Savall, Antonini und Giulini toll finden, da stimmt doch etwas nicht.


    Die langsame Stelle bei dem Takt 240 habe ich gehört, aber das ist nicht das Wesentliche.
    Mir fiel insgesamt auf, daß hier ganz außergewöhnlich detailreich musiziert wird, daß Betonungen herausgearbeitet wurden, die die Musik wirklich anders klingen lassen.
    Besonders in "meinem" 2. Satz - was sind das für phantastische Bläser, und das auf "Naturinstrumenten" ohne Ventil, wenn man dem Booklet glauben kann.!


    Die ganze Sinfonie ist irgendwie voller, schneller, da schneller die Lautstärken gewechselt werden, immer neue Klangbilder entstehen. Ob ich das nur träume, oder geht es Euch auch so?


    Da ist Dausgaard längst nicht so interessant.
    Lieben Gruß aus Bonn :no:

    Was Du nicht willst, das man Dir tu, das füg auch keinem andern zu

  • Zitat

    Original von Stabia
    Man kann doch nicht gleichzeitig Grossmann, Savall, Antonini und Giulini toll finden, da stimmt doch etwas nicht.


    Warum soll das nicht funktionieren? Es gibt doch nicht nur eine Art Beethoven zu interpretieren. Und nicht nur eine Art ihn zu hören.


    Ich bin auch von Savall, Grossmann, Scherchen einerseits, Furtwängler und Mengelberg andererseits gebannt.


    Genieße, vergleiche, entdecke, erfreue Dich! Aber mache Dir keine unnötigen Sorgen, ob das zusammenpaßt... :hello:.

  • Hier noch eine:



    Ludwig van Beethoven [1770-1827]
    Sinfonie Nr. 3 Es-Dur op. 55 "Eroica"
    Transskription von Ferdinad Ries


    (Klavierquartett Es-Dur op. 16)


    Mozart Piano Quartet



    Gesucht: 55,50% - 36,39% - 8,10%
    Gefunden: 57,08% - 35,06% - 7,86%


    Dass letzte Presto reiht sich im Tempo ausgezeichnet an den langsamen Teil. Das macht Effekt - scheint aber, wie auch bei der Bearbeitung der 2. Sinfonie - nur in der Kammermusik möglich zu sein.


    :jubel: :jubel: :jubel:


    Ulli

    Die Kunst ist [...] vielleicht das Denken des Herzens.
    (Blaise Pascal, 1623-1662)


  • DVD-LINK >> JPC


    DVD-LINK >> interaktiver Auszug


    B E E T H O V E N
    Sinfonie no.3 "Eroica"
    Michael Tilson Thomas; San Francisco Symphony Orchestra


    Falls jene DVD hier noch nicht erwähnt worden ist, soll sie nun kurz
    Aufmerksamkeit erlangen.


    Auf spielerische Art und Weise kann man die Sinfonie anhand einer
    virtuellen Partitur nachempfinden; hierbei werden schemenhaft Motive
    und einzelne Abschnitte mittels einer unaufdringlichen Kennzeichnung
    hervorgehoben, wie es ansatzweise im Probe-Ausschnitt (letzter Link)
    erlebt werden kann.


    Zwar besitze ich die DVD noch nicht, spiele aber mit dem Gedanken, sie
    zu erwerben - besonders lohnenswert scheint mir der Kauf für den nötigen
    Blick "hinter die Kulissen" eines Werkes, den ich bislang eher umgangen
    habe, was sich ändern soll.


    ===========+++++++----------
    Grüße aus dem Ländle.
    Milosz.

    "Ich bin ein Konservativer, ich erhalte den Fortschritt."
    Arnold Schönberg

  • Die DVD sollte man sich besser in den USA besorgen, zB bei dvdpacific. Das kommt trotz des Portos deutlich billiger! Dort kostet sie nur 19.47 US-$.

  • Zitat

    Original von Robert Stuhr
    Die DVD sollte man sich besser in den USA besorgen, zB bei dvdpacific.


    Ländercode laut Am...n.com: Region 1 (U.S. and Canada only)


    Also Obacht, auch wenn das nicht immer stimmen muß.

  • Da achte ich nie drauf. Seit ich DVD-Spieler besitze, waren alle Modelle immer codefrei geschaltet. Das sollte bei den meisten Geräten kein Problem sein. Die meisten asiatischen Billig-Modelle, die man hier in D auch überall bekommt, sind ab Werk codefrei. Das gilt auch für die Zwangswerbung, die Dolbyreklame uä..


    Wer sich auch 2007 von der Industrie noch vorschreiben läßt, was er sehen darf, dem ist nicht zu helfen. :faint:

  • Bis jetzt abgesehen von der Überpräsenz der Trompeten eher beamtenmäßig langweilig:



    Aber das Maß aller Dinge ist der g-moll-Akkord im Finale kurz vor dem Schlußpresto sowie jenes selbst. Warten wir mal ab...


    :hello:


    Ulli

    Die Kunst ist [...] vielleicht das Denken des Herzens.
    (Blaise Pascal, 1623-1662)

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