REZENSION OPER DVD
Dritter Tag des Bühnenfestspiels „Der Ring des Nibelungen“
Libretto vom Komponisten
Aufzeichnung von den Bayreuther Festspielen aus dem Jahre 1997
Inszenierung: überwiegend konventionell
Bühnenbild & Kostüme: abstrakt mit eigenwilligem Design
Generelle Beurteilung: SEHR GUT
Dauer 275 Minuten
Besetzung:
Siegfried: Wolfgang SCHMIDT
Gunther: Falk STRUCKMANN
Hagen: Eric HALFVARSON
Alberich: Ekkehard WLASCHIHA
Brünnhilde: Deborah POLASKI
Gutrune: Anne SCHWANEWILMS
Waltraute: Hanna SCHWARZ
Chor und Orchester der Bayreuther Festspiele
Chormeister: Norbert BALATSCH
Dirigent: James LEVINE
Inszenierung: Alfred KIRCHNER
Bühnenbild und Kostüme: ROSALIE
Eine Ausnahmeproduktion im lockeren Design, die sicher nicht jedermanns Sache ist, kommt sie doch auf den ersten Blick gar zu unbedarft daher. Die Kostüme und die Bühne sind in keiner konkreten Zeit verankert und eben dadurch wieder „zeitlos“, ohne beliebig zu sein. Durch Farb- und Formmerkmale dienen sie der Charakterisierung und Zuordnung der einzelnen Personen. So haben Brünnhildes Brustpanzer und Siegfrieds Weste blaue Farbe; sind sie doch beide durch Wotan göttlicher Abstammung. (Schon in den Gesängen der Edda ist Wotan/Odin durch seinen blauen Mantel erkennbar.) Hagen wiederum trägt ein schwarzes Kostüm, das entfernt an den Uniformmantel eines Soldaten erinnert und ihn absolut bedrohlich wirken lässt. Das auffälligste Kostüm jedoch hat Gunther, in dessen Gürtel ein lächerlich kurzes Schwert steckt: Sein einer Arm steckt in einem übermäßig aufgeworfenen und aufgeputzten Ärmel, so daß er in seinen Bewegungen dadurch eingeschränkt ist. Sein anderer Arm jedoch ist nackt. Diese Asymmetrie lässt ihn schon rein optisch als „halbstarke“ und im Ungleichgewicht befindliche Figur erscheinen. Wenig gelungen jedoch ist Alberichs Kostüm, der einen übergroßen Felsbrocken (aus grauem Schaumstoff?) auf dem Rücken zu tragen scheint. (Der Bezug „Felsen-Alberich- Nachtalbe aus dem Erdinnern“ ist klar, aber die Umsetzung gefällt mir hier nicht.)
Ein paar Worte zu den einzelnen Szenen:
Vorspiel und erster Aufzug: Auf einer Bühne, die wie eine blaue von Meridianen überzogenen Oberfläche der Erdkugel wirkt, saugen die Nornen – geschlechtslose, in weite nicht näher zu definierende Umhüllungen gewandete Kreaturen – mit verlängerten schlauchartigen Armen das Wissen der Welt regelrecht von dieser Oberfläche ab, die sich durch das Aufstellen eines halbrunden Segels (siehe Cover der DVD) und eine hellere Beleuchtung der Szenerie zum Walkürenfelsen wandelt.
In der Gibichungenhalle stehen vor neutralem und offenen schwarzen Hintergrund drei exzentrische Throne, über denen schräge Stahlschränke (oder ähnliche Gebilde) vom Schnürboden in die Szenerie ragen. Gutrunes Thron hat einen entfernt ägyptischen Einschlag, Gunther muss ein Treppchen zu seinem ausladenden Sitz hochsteigen und Hagen ist an einem halben an einen dunklen Tresen erinnernden Platz positioniert. Als Gag rennt Siegfried bei seinem ersten Auftritt geradewegs wieder aus der Halle heraus und lässt die verdutzten Gibichungen dabei links liegen – eine unkonventionelle aber zu dem rastlosen Helden passende Idee.
Wieder auf dem Walkürenfelsen kommt es zu einem absolut beeindrucken Auftritt von Waltraute, die am Fuß einer beleuchteten Stahlöhre wie in einem Lichtstrahl auf die Bühne geschwebt/geflogen kommt.
Zweiter Aufzug: Hier wird die Szenerie von den Mannen der Gibichungen dominiert, die mit bunten Speeren (ähnlich überdimensionierten Mikadostäben) bewaffnet sind und in entfernt an fernöstliche Rüstungen angelehnten Kostümen stecken. Mit ihren Speeren stecken sie auf der Bühne ein Areal ab, das wie ein Gefängnis für die handelnden Personen – vor allem für die betrogene Brünhilde – wirkt.
Dritter Aufzug: Die Halbkugeloberfläche der Bühne, auf der einige abstrakte kahle Bäume stehen, ist in der ersten Szene grün ausgeleuchtet mit einem breiten blauen Rand (=Rhein) an der Vorderseite. (Der blaue Lichtstreifen verschwindet, wenn die Rheintöchter die Bühne verlassen.) Nach Siegfrieds Tod und dem Abtransport seines Leichnams knicken die Bäume um uns bieten nun den Anblick abgebrochenen Antennen, was einen ungeheuer starken Effekt macht.
Im Hintergrund des ohne Ausstattungselemente versehenen Gibichungenhofs, wird durch Lichteffekte am Ende auf einer große Fläche sowohl das Feuer von Brünnhildes und Siegfrieds brennenden Scheiterhaufen, als auch das Hervortreten des Rheins projiziert. Auch das brennende Walhall wird mit flatternden roten Tüchern sichtbar, bevor am Schluß das leere Bild der blauen Erdoberfläche des Anfangs der Inszenierung steht. Wie aus dem All scheint man nun als Beobachter diese leergefegte „Spielfläche“ zu betrachten, die sich da aus dem Dunkel abzeichnet…
Die gesamte Szenerie verleiht der „Götterdämmerung“ eine ungewohnte Leichtigkeit, die man sonst nie mit dem Ring – und besonders diesem Teil – assoziieren würde. Mir hat dieser Ansatz von Kirchner und Rosalie, der der Schwere des Musikdramas etwas entgegenwirkt, ohne es deshalb zu verflachen oder zu trivialisieren, sehr gut gefallen und ich bedaure es, daß nur die „Götterdämmerung“ von diesem Ringzyklus aufgezeichnet wurde. Hier wurde mit starken, farbfrohen Bildern gearbeitet, die den Ring in einen allgemeingültigen Rahmen stellen, ohne ihm einen konkreten politischen oder sozialkritischen Bezug zu geben, wie Chéreau oder Kupfer das getan haben. Und das funktioniert hier prächtig, wobei ich gerade das Schlußbild mit der leeren Fläche als besonders beeindruckend empfinde, da es ungeheuer viel Spielraum für eigene weiterführende Gedanken lässt.
Musikalisch ist diese Aufführung bei James Levine in den besten Händen. Er dirigiert einen langen aber nie langweiligen Musikfluss – eben eine „unendliche Melodie“. Sängerisch (und darstellerisch) ist Deborah Polaski die Trumpfkarte dieser Aufführung; dicht gefolgt von Halfvarsons gefährlichem Hagen und Hanna Schwarz´ Waltraute. Der Rest der Besetzung ist gut, wenn auch nicht überragend.
Fazit: Sängerisch gibt es gewiss „geschlossenere“ und überzeugendere Vorstellungen, aber musikalisch und optisch ist diese „Götterdämmerung“ unbedingt zu empfehlen.
*(Dies nur am Rande: Bei allem Respekt vor Wagners Musikschaffen halte ich persönlich dies Nornenszene für eine der überflüssigsten Szenen der Opernliteratur. Vieles was hier gesagt wird, wird von Waltraute später erneut berichtet werden, steht aber dort in einem dramaturgisch spannenderen und wichtigerem Zusammenhang. Die „Götterdämmerung“ beginnt also quasi mit einem retardierenden Moment.
Später hingegen zeigt Wagner uns einen entscheidenden Wendepunkt der Handlung – das Aufeinandertreffen Brünnhildes und der Rheintöchter – nicht. Wie haben diese die ehemalige Walküre davon überzeugt, sich wieder von dem Ring zu trennen? Fragen über Fragen…)