Opern unter der Lupe -002- Ludwig van Beethoven: Fidelio

  • Zitat

    Wo ist denn das spanische Flair in Mozarts Don Giovanni? Wo in Mozarts (außer dem eher pseudospanischen Fandango in einer kurzen Szene) oder Rossinis Figaro?


    Das ist eine Frage der Bühnenarchitektur und der Kostüme. Es gibt durchaus Inszenierungen der Vergangenheit, wo das spanische Flair in der Inszenierung hervorgehoben wurde.


    Zurück zu Fidelio: Ich meine hier sind arg viele Ungereimtheiten. Zugegebenermaßen gibt es das in anderen Opern auch, beispielsweise bei Verdi. Aber das wurde dort im allgemeinen besser cachiert. In Fidelio gibt es nicht nur Ungereimtheiten, nein eigentlich gibt es keine einzige glaubwürdige Figur - vom gutmütigen Tölpel Jaquino vielleicht mal abgesehen.
    Wäre da nicht die Musik von Beethoven, die Oper wäre längst vergessen......


    mfg aus Wien
    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Sagitt meint


    Beethoven war sicher kein Opernkomponist.Wie lange hat er an diesem Stück herumgedockert. Was nicht heißt, dass ihm ungeheuer dramatische Scenen gelungen sind " er sterbe" und ungaublich berührende "mir ist so wunderbar".
    Aber mit dem Ablauf einer Oper war er schlicht unerfahren und eigentlich ging es ihm nicht um die Geschichte,sondern um die Ideen.Dann die Geschichte fragtwürdig/unglaubhaft sein,Hauptsache, die Idee wird in ihrer Bedeutung/Reinheit nicht beschädigt.

  • Zitat

    Zitat von Alfred Schmidt: Das ist eine Frage der Bühnenarchitektur und der Kostüme. Es gibt durchaus Inszenierungen der Vergangenheit, wo das spanische Flair in der Inszenierung hervorgehoben wurde.

    Lieber Alfred,


    genau das ist es. Wer nur hört, ohne hinzusehen, oder wem es nicht darauf ankommt, welcher Unsinn dazu auf der Bühne gezeigt wird, wenn nur ein hochgejubelter Sänger auftritt, mag vielleicht das Flair vermissen. Bei mir - wie bei vielen Zuschauern auch - hört das Auge erheblich mit. Die Opern sind eben nicht nur Hör- sondern auch Darstellungswerke. Ein Flair kann natürlich für den Zuschauer nicht aufkommen, wenn der Regisseur von der Oper nichts kennt und dazu irgendeine nicht dem Libretto entsprechende, der eigenen abwegigen Fantasie (weil ihm nichts Besseres einfällt) entspringende Handlung in irgendeinem beliebigen Bühnenbild (oder gar ohne) ausspuckt. Der Salzburger Fidelio war wohl eines der abschreckensten Beispiele dafür.
    Wenn ich das Werk nur nach dem Gehör beurteile, brauche ich dazu nicht ins Opernhaus zu gehen, noch viel weniger, wenn ich weiß, dass der Regisseur - man kennt inzwischen ja viele davon - die Oper verunstaltet. Eine konzertante Aufführung genügt dann vollauf und eine gute Stereoanlage meist auch.


    Liebe Grüße
    Gerhard

    Regietheater ist die Menge der Inszenierungen von Leuten, die nicht Regie führen können. (Zitat Prof. Christian Lehmann)

  • Sorry, aber ich habe den Eindruck, dass hier immer wieder die alten Klischees einfach wiederholt werden. Wenn man mal akzeptiert, dass es hier noch weniger als sonst in der Oper um "glaubwürdige" Figuren geht und wir es nicht mit einer Gesellschaftskomödie oder einer melodramatischen Räuberpistole (selbst wenn es so aussehen mag) oder einem exotischen Ausstattungsstück zu tun haben, sondern mit einem "Ideendrama", das in stark idealisierter Weise bestimmte humanistische Ideen und Werte zum Ausdruck bringen will, fällt dieser Vorwurf m.E. weitgehend flach.


    Ob Mime, Turandot oder Parsifal psychologisch "glaubwürdige" Figuren sind, darf sicher auch bezweifelt werden. Ich finde überdies keine einzige Figur extrem unglaubwürdig (welche und warum?), bloß ist keine "dreidimensional" als Person ausgestaltet. Sie stehen alle im Dienste der dramatischen Handlung und noch mehr der "Idee". Meinem Eindruck nach wird hier oft mit zweierlei Maß gemessen, zum einen vermutlich, weil die Musik so viel dramatischer und schlüssiger als in vielen andere Opern ist, zum anderen, weil die Handlung auf den ersten Blick "realistisch" wirkt.


    Komischerweise beschwert sich nämlich kaum jemand über die Glaubwürdigkeit der Verkleidungen in Figaro oder Cosi fan tutte, weil man eben bei derartigen Komödien gar nicht vom Realismus ausgeht. Andererseits gibt es mehrere glaubwürdig überlieferte Fälle, dass im 18. Jhd. Frauen über Monate oder gar Jahre in Männerverkleidung beim Militär oder sogar auf Piratenschiffen Dienst taten. Warum fällt es so leicht, die weit unrealistischere Verkleidung in Cosi fan tutte zu akzeptieren als Leonore/Fidelio (die dem Gefängnispersonal unbekannt ist, anders als Guglielmo und Ferrando ihren Verlobten)?


    Und welche Motivationen wären besonders unrealistisch? Weder Leonores Befreiungsversuch noch dass Marzelline sehr schnell des drögen Jaquino überdrüssig ist, sobald eine andere Option sich abzeichnet, noch Roccos Lavieren scheinen mir besonders unglaubwürdig. Rocco ist ein feiger Mitläufer, der ungeachtet dessen vor Gewalt zurückschreckt. Aber zu seinem strategischen Wendehalsverhalten passt auch gut, dass er gar kein Problem mit einem neuen Schwiegersohn (der dem Eindruck nach eine bessere Partie ist) hat. Jeder muss halt sehen, wo er bleibt.


    Klar, man mag sich fragen, warum Pizarro Florestan nicht längst um die Ecke gebracht hat, aber das ist nunmal ein Plotelement, das sich in modernen Actionfilmen genauso findet (warum wird Bond nicht einfach abgeknallt, sondern auf komplizierte Weise über dem Haifischbecken aufgehängt, so dass er sich befreien und den Schurken oder seinen Handlanger den Haien vorwerfen kann?). Es ist, anders als bei Bond, auch kein Problem, sich mögliche Gründe für Pizarros Zögern zu überlegen. Einerseits muss er nach außen den Schein wahren (wie oft haben Regimes, denen man kaum Skrupel unterstellen will, "auf der Flucht erschossen" oder "an Tuberkulose verstorben" vorgeschützt), es gibt Rocco und weitere Angestellte als mögliche Zeugen, andererseits ist die politische Situation evtl. immer noch instabil und Pizarros Position nicht so sicher (wenn Florestan Pizarros Verbrechen aufdecken konnte, könnte das evtl. auch jemand anders) und er behält ihn sozusagen als Geisel. Vielleicht (auch wenn darüber nichts gesagt wird), versucht er auch noch Informationen von Florestan zu erhalten. Wie auch immer, ebensowenig wie beim Bond-Film, ist es ziemlich offensichtlich verfehlt, wenn man erwartet, dass es hier realistisch wie vielleicht bei Le Carré zugehen sollte.

    Struck by the sounds before the sun,
    I knew the night had gone.
    The morning breeze like a bugle blew
    Against the drums of dawn.
    (Bob Dylan)

  • Johannes Roehl zitiert mich indirekt im Thread
    Bloßer Arienzirkus - Lähmen Konventionen das musikalische Drama? Beitrg Nr 17
    Beitrag Nr 17

    Zitat

    Eine für viele Hörer (und Musiker!) spannende und bereichernde Repertoireerweiterung wie die "Renaissance der Barockoper" derart kulturpessimistisch umzudeuten, ist beinahe eines Alfred Schmidt (der hier mal den Fidelio andeutungsweise in eine wohl berechtigte, nur leider gescheiterte Rache Pizarros and dem Intriganten Florestan uminterpretiert hat :D) würdig...


    Die Hinweise darauf sind im Libretto eindeutig festgelegt.
    Es geht hier bei Florestan in den Augen Don Pizarros nicht um eine politische Person, die man ausschalten bzw liquidieren soll, sondern um einen TODFEIND, dem man in seiner letzten Stunde noch demütigen will.
    Solch eine Person ist nicht gehasst, weil sie Don Pizarro politisch im Wege stand oder steht,
    denn solche Leute zieht man einfach aus dem Verkehr und liqidiert sie emotionslos.
    Nein hier war mehr im Spiel - eine PERSÖNLICHE schwerste Kränkung Don Pizarros durch Florestan
    Solch einen Gegner tötet man nicht einfach, man zerstört vorher noch seelisch, demütigt ihn:


    PIZARRO.


    Er sterbe! – Doch er soll erst wissen,
    Wer ihm sein stolzes Herz zerfleischt.
    Der Rache Dunkel sei zerrissen,
    Sieh her! Du hast dich nicht getäuscht!


    (Er schlägt den Mantel auf.)


    Pizarro, den du stürzen wolltest,
    Pizarro, den du fürchten solltest,
    Steht nun als Rächer hier.


    FLORESTAN gefaßt.


    Ein Mörder steht vor mir!


    PIZARRO.


    Noch einmal ruf ich dir,
    Was du getan, zurück;
    Nur noch ein Augenblick,
    Und dieser Dolch –


    ____________________
    Das ist doch ziemlich eindeutig - und keine Fantasie von Alfred Schmidt,


    An dieser Oper (ich meine die Ideologie und das Textbuch . nicht die Musik) ist so ziemlich alles unecht....


    mfg aus Wien
    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • denn solche Leute zieht man einfach aus dem Verkehr und liqidiert sie emotionslos.

    Wer ist "man"? ?(


    An dieser Oper (ich meine die Ideologie und das Textbuch . nicht die Musik) ist so ziemlich alles unecht....

    Ach so biegst du dir dein Beethoven-Bild zurecht? Die Ideologie ist "unecht", aber die Musik nicht? Die wäre extrem "unecht", denn sie nicht zur "Ideologie" passen würde. Stattdessen beglaubigt sie die Ideen des Stücks, die Ideale der französischen Revolution und damit Text und Handlung mit jedem Ton! :yes:

    Beste Grüße vom "Stimmenliebhaber"

  • Nochmal langsam. Ich sehe tatsächlich ebenfalls eine Inkonsistenz in der "Hintergrundgeschichte", aber eine andere.


    Die übliche Rekonstruktion ist doch folgende:
    Pizarro ist der "Bösewicht". Was genau er getan hat (außer Florestan verschwinden zu lassen) wissen wir nicht genau. Florestan hat aber irgendwelche anderen Schandtaten Pizarros aufgedeckt, die zu dessen Entmachtung geführt hätten. Deswegen musste er verschwinden. Es wird hier bei ganz klar unterstellt, dass das keine persönliche Fehde (oder persönliche Beleidigung) war, sondern dass Pizarro ein korrupter verbrecherischer Geselle ist, der nicht in eine Machtposition, sondern hinter Gitter gehört. ("Pizarro, dessen Verbrechen ich zu entdecken wagte" nicht "Pizarro, dem ich Leonore ausgespannt habe" ;))


    Natürlich hat Pizarro danach auch einen persönlichen Hass auf Florestan, aber das ist die Folge der Aufdeckung. Seine "Rache" kann sich ebensogut (und nur das passt zum Kontext) auf die Aufdeckung Florestans (und den damit verbundenen Sturz) beziehen wie auf eine (rein hypothetische) persönliche Beleidigung.
    Alfred stellt es so dar, als ob wir gute Gründe hätten zu vermuten, Pizarro sei im Recht gewesen und Florestan habe ihn nur angeschwärzt, oder die beiden seien eben politische Gegner, jeder mit "Dreck am Stecken" gewesen. Oder einfach nur persönliche Feinde. Das ist aber in keiner Weise durch das Libretto gedeckt.


    Die Inkonsistenz ist natürlich, dass der König und sein Minister sich anscheinend der Schandtaten Pizarros kaum bewusst waren, wenn es 2 Jahre dauert, bis das Gefängnis inspiziert wird. Und besonders intensiv nach ihrem Freund Florestan gesucht haben sie auch nicht... D.h. die Regierung (man darf wohl eine aufgeklärte, konstitutionelle Monarchie unterstellen) ist schwach (obwohl sie als gute und gerechte Regierung dargestellt wird).


    Man kann sich mit etwas Mühe aber schon Szenarien ausmalen, in denen das halbwegs plausibel ist. Z.B. Pizarro war an einem gescheiterten Putsch beteiligt, seine Mittäterschaft war aber nicht bekannt, sondern offiziell gehörte er zu den Loyalisten oder einer neutralen Fraktion. Der Putsch wurde niedergeschlagen, aber die Situation ist immer noch instabil und die Regierung ist auch mehrere Jahre später voll damit beschäftigt, einigermaßen stabile Verhältnisse zu erhalten. Pizarro, dem man nicht ganz traut, aber nichts nachweisen kann, wird in die Provinz versetzt, . Florestan ist Mitglied eines Untersuchungsausschusses und findet die belastende Information. Bevor er handeln kann, kommt ihm Pizarro (der hat die Sekretärin bestochen und weiß, dass er entlarvt ist) zuvor und lässt ihn verschwinden.

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    (Bob Dylan)

  • Die Inkonsistenz ist natürlich, dass der König und sein Minister sich anscheinend der Schandtaten Pizarros kaum bewusst waren, wenn es 2 Jahre dauert, bis das Gefängnis inspiziert wird. Und besonders intensiv nach ihrem Freund Florestan gesucht haben sie auch nicht... D.h. die Regierung (man darf wohl eine aufgeklärte, konstitutionelle Monarchie unterstellen) ist schwach (obwohl sie als gute und gerechte Regierung dargestellt wird).

    Schon mal was von Regierungwechseln gehört? Was, wenn der Minister Don Fernando, der sich als Freund Florestans bezeichnet, neu ernannt wurde und nun alles daran setzt, den Verbleibt des Freundes augzuspüren? Und sein Vorgänger im Ministeramt sich dafür nicht interessiert hat? Für mich ist das keine "Inkonsistenz".

    Beste Grüße vom "Stimmenliebhaber"

  • Mit Verlaub:
    Es wundert mich, dass trotz mehrerer Anläufe bei diesem Thema der Fokus fast ausschließlich an der (Un-)Logik des Librettos kleben geblieben ist.
    Was mir bei "Fidelio" viel mehr Magenschmerzen bereitet, ist Beethovens Schwierigkeit, für Sänger zu schreiben. Das verwundert besonders angesichts der Tatsache, dass er bei seinen Sinfonien so durch und durch dramatische Spannung aufbaut. Aber es gibt eben den Unterschied zwischen instrumentaler und vokaler Dramatik.


    Beethoven war offenbar kein Sängerflüsterer. Von den vier Protagonisten im Fidelio trägt nur eine Partie musikalisch menschliche Züge: die Basspartie des Rocco. Er darf singen. Die anderen drei sind, jeder auf andere Weise, überspannt:


    Leonore hat in ihrer Arie, neben wunderbaren Kantilenen, irrsinnige Hindernisse zu überwinden (explosive Höhen, endlose Phrasen). Es ist die reine Zitterpartie.
    Florestan braucht die Qualitäten von zwei Tenören: eines lyrischen und eines Heldentenors. Und das aus dem Stand, denn er muss die Partie mit dieser Monsterarie beginnen.
    Pizarro vollends ist ein monströser Pappkamerad, der weder von einem Bass noch von einem Bariton zu bewältigen ist, weil er fast nur bellen darf.


    Das alles, nur aus der Ideologie des deutschen Idealismus zu erklären, ändert nichts daran, dass dieses Werk Stellen enthält, die zu den ergreifendsten der Opernliteratur gehören (Quartett 1.Akt, Gefangenenchor, Terzett 2.Akt, Concertato im Finale "O Gott, welch ein Augenblick!"). Aber als Ganzes (musikdramatisch) ist es, auf hohem Niveau, gescheitert.


    Jetzt ziehe ich lieber den Kopf ein und erwarte einige Nackenschläge!


    Beste Grüße von
    Sixtus

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  • "musikdramatisch gescheitert" ist nun aber etwas völlig anderes als "schwierig zu besetzen" oder "unangenehm für die Sänger". Letzeres als Begründung für das Vorstehende zu geben, ist nicht mal der Versuch eines Arguments. Wagners Tristan ist auch schwierig und wenig angenehm für die Sänger... ;) Wenn ich recht erinnere, ist der erste Tristansänger recht bald verstorben...
    Dass Pizarro ein relativer "Pappkamerad" ist, wurde oben schon angesprochen, ist m.E. aber kein Alleinstellungsmerkmal dieser Oper. Fafner ist auch ein "Pappkamerad", nicht jede Oper kann an Gegenspieler so viel Charakterisierung wenden wie in Fällen wie Scarpia oder Alberich.


    Es gibt ja schon mehrere andere Threads dazu und ich habe auch keine Lust mehr, den "Fidelio" zu verteidigen (schon gar nicht gegenüber solcher Kritik, die sich nicht einmal ernsthaft Mühe gibt und die man daher kaum ernst nehmen kann). Dass ein bestimmter Typ Opernliebhaber und Sängerfetischist mit dem Stück nicht viel anfangen kann, sehe ich eher als indirekte Auszeichnung :D


    Ein Stück, das ungeachtet seiner schwierigen Entstehungsgeschichte und der auch für einen beinahe uneingeschränkten Fan wie mich offensichtlichen Schwierigkeiten ("Heldensingspiel"), nahezu seit der Premiere zum Standardrepertoire gehört und auf der Bühne funktioniert, kann nicht dramatisch weitgehend gescheitert sein.
    Stücke, die dramatisch nicht funktionieren, fallen durch oder können sich jedenfalls nicht auf Dauer fest etablieren (z.B. alle Schubert-Opern, Webers außer Freischütz oder Schumanns Genoveva oder evtl. auch einiges von Berlioz oder was es noch geben mag...) Und aufgrund seiner Bravourarien und Gassenhauermelodien dürfte sich "Fidelio" ebenfalls nicht durchgesetzt haben.

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  • Das fängt ja gut an!
    Aber ich habe noch einiges von Wichtigkeit nachzutragen:


    Das herrliche Concertato "O Gott..." ist umrahmt von einem Kantaten-Finale, das teilweise für Chor und Solisten eine Zumutung ist:
    Zu Beginn das abgehackte "Heil! Heil! Heil sei dem Tag!..." und gegen Ende das fast unsingbare "We-her ein sol-ches Weib errun-gen, stimm in u-hun-sern Ju-hu-bel ein!" erfordert schon einen sehr souveränen Dirigenten, um nicht zur Karikatur zu verkommen.


    Natürlich gibt es immer wieder Fälle, in denen alle diese Klippen genommen werden. Aber der Aufwand, um das zu erreichen, ist enorm. Ich habe jedenfalls überwiegend massives Scheitern erlebt (gebe allerdings zu, dass ich es mit den Ohren eines Insiders in Sachen Gesang höre, und da hört man solche Stellen besonders kritisch.)


    Ich freue mich auf eine lebhafte (und sachliche) Diskussion.


    Sixtus

  • Ja, dieses "Fidelio"-Finale ist äußerst unangenehm zu singen. Warum? Wel Beethoven hier schon fast verzweifelt etwas postuliert, wie etwas sein soll, von dem er genau weiß, dass es nicht so ist. Vgl. "muss ein lieber Vater wohnen" im Finale der Neunten. Und er bedient sich genau der Mittel, die nötig sind, um seine Botschaft begreiflich zu machen. Hätte er das gefällig komponiert, wäre es verlogen!

    Beste Grüße vom "Stimmenliebhaber"

  • Nochmal: Schwierig Umzusetzen ist doch etwas völlig anderes als musikdramatisch problematisch. Das ist so ähnlich wie Pingels Kritik an der Missa Solemnis und dem Chorfinale der 9. Sinfonie: Schwer und undankbar zu singen, daher irgendwie gescheitert.
    Nun haben wir von Beethoven explizite Äußerungen, dass er auf die Umsetzung wenig Rücksicht genommen hat. Er hat sogar für sein eigenes Instrument die (damals) nahezu unspielbare Sonate op.106 komponiert usw.


    Wenn eine Oper, die eine Mixtur aus Singspiel, Oratorium und dramatischer "Rettungsoper" ist, schwer zu besetzen, schwer zu singen, nicht unbedingt von "Schlagern" wimmelnd (der mit Abstand bekannteste Auszug ist der Gefangenchor, keine Arie) seit 200 Jahren fest im Repertoire ist, kann man daraus doch nur schließen, dass TROTZ dieser Merkmale diese Oper Qualitäten hat, die sie so fest in der Gunst des Publikums und der Dirigenten und Regisseure verankern wie höchstens noch ein dutzend weitere.
    Wenn diese Oper nun auch noch dramatisch gescheitert sein soll, was sind das für okkulte Qualitäten, die ihr diesen Erfolg verschafft haben? Ich stähe vor einem Rääääätsel!


    Bezüglich einiger üblicherer Einwände kann ich nur auf mein Posting #34 verweisen

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  • Wenn eine Oper, die eine Mixtur aus Singspiel, Oratorium und dramatischer "Rettungsoper" ist, schwer zu besetzen, schwer zu singen, nicht unbedingt von "Schlagern" wimmelnd (der mit Abstand bekannteste Auszug ist der Gefangenchor, keine Arie) seit 200 Jahren fest im Repertoire ist, kann man daraus doch nur schließen, dass TROTZ dieser Merkmale diese Oper Qualitäten hat, die sie so fest in der Gunst des Publikums und der Dirigenten und Regisseure verankern wie höchstens noch ein dutzend weitere.
    Wenn diese Oper nun auch noch dramatisch gescheitert sein soll, was sind das für okkulte Qualitäten, die ihr diesen Erfolg verschafft haben? Ich stähe vor einem Rääääätsel!


    Dass diese Oper beliebt ist, ist kein Widerspruch zu der Annahme, dass sie als ganzes und als Musikdrama betrachtet kein Meisterwerk ist. Sie enthält ohne Zweifel wunderbare Musik, die Story ist trotz offensichtlicher Schwächen und Unplausibilitäten publikumswirksam (treue und tapfere Frau rettet Ehemann aus dem Kerker, Bösewicht wird bestraft usw.), außerdem enthält sie eine humanistische Botschaft, die man sich gerne anhört. Und dann ist da noch der Name Beethoven, der schon allein dafür sorgt, dass das Publikum kommt. Trotz alledem ist sie als "Mixtur aus Singspiel, Oratorium und dramatischer "Rettungsoper"" kein gutes Musikdrama. Von den Problemen in der Behandlung der Sänger, auf die Sixtus verwiesen hat, ganz zu schweigen.

    Der Traum ist aus, allein die Nacht noch nicht.

  • Trotz alledem ist sie als "Mixtur aus Singspiel, Oratorium und dramatischer "Rettungsoper"" kein gutes Musikdrama.

    Ich habe dir darauf ja schon einmal in einer anderen Rubrik geantwortet. Es gibt kluge Leute, die sich intensiv damit beschäftigt und nachgewiesen haben, dass jeder Takt in jeder Nummer dieser Oper genial ist und genau so komponiert werden musste.


    Ich habe dir auch eine Literaturempfehlung gegeben. Sobald du also den rororo-Opernführer von Holland und Csampai zu "Fidelio" gelesen hast (der betreffende Aufsatz war von Holland selbst, wenn ich nicht irre), können wir auf dieser Grundlage gerne darüber weiterdiskutieren, vorher hat das wenig Sinn.

    Beste Grüße vom "Stimmenliebhaber"

  • Ich bin natürlich der Ansicht, dass sie TROTZ dieser seltsamen Mixtur* eine großartige Oper ist und dass so etwas wie der dramatische Bogen des 2. Aktes höchstens bei Wagner oder später vereinzelt ähnlich zwingend und geschlossen zu finden ist.


    Ich gebe zu, dass man dem ersten Akt die komplexe und schwierige Entstehungsgeschichte noch ein wenig anmerkt. Die ersten vier Stücke oszillieren noch zwischen dem eher harmlosen Singspielton des ersten Duetts und der Goldarie und dem grandiosen Kanon, mit Marzellines Arie (ein großartiges Stück, das im Mittelteil sozusagen zur "Hoffnungsarie" der Hausfrau, die dem kleinbürgerlichen Dasein entfliehen will) zwischen beiden Sphären. Das kann man eben aber auch als notwendigen Hintergrund für die Heldentat Leonores, "Banalität des Bösen" beim Mitläufer Rocco usw. deuten. In der Praxis ist es m.E. unproblematisch.
    Und selbst die Oper aller Opern, Don Giovanni, hat, ein "Loch" im zweiten Akt, je nach Fassung.


    Wenn ein Stück bühnenwirksam ist und über 200 Jahre stabil im Repertoire verankert, bleibt, obwohl prima facie einiges dagegen spricht (keine Schlager, keine richtige Lovestory usw.) ist das m.E. ein sehr deutlicher Hinweis darauf, dass es irgendwas anderes richtig macht. Nicht darauf, dass zufällige äußerliche Punkte (von Beethoven, humanitäre Botschaft) dafür verantwortlich sind. Oder wieder ganz simpel: Die Musik ist einfach zu gut. ;)
    Ansonsten, s.o. #34.


    *Ein "Vorbild" mit einer noch wilderen Mischung ist natürlich die Zauberflöte. Die muss man ja, anders als Fidelio, manchmal nicht nur gegen die Kritiker, sondern sogar gegen die Liebhaber verteidigen...

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  • Wer hätte das gedacht: dass ich ausgerechnet von Bertarido Zustimmung bekomme (Danke!) - und dass Johannes, dem ich erst kürzlich Sachlichkeit und Eloquenz bescheinigt habe, mir solche Tiefschläge verpasst?! Letzteres muss besondere Gründe haben, die ich nicht kennen kann.


    Ich bescheinige dir auch diesmal Eloquenz und Sachverstand. Aber die sind jetzt irgendwie vergiftet. Du hast recht:Total gescheitert sind Schubert und Schumann an der Oper. Aber Beethoven, mit Verlaub, partiell auch. Schon die Entstehung spricht dafür.
    Was die Stellung im Repertoire betrifft: Niemand behauptet (auch ich nicht, ich müsste ja taub sein!), dass er total gescheitert ist. Dafür enthält das Stück zu viele herrliche Stellen (die ich ausdrücklich erwähnt habe, wenn auch nicht alle). Aber die oft zu hörende Aussage "Fidelio ist meine Lieblingsoper!" macht sich auf Nachfragen oft an seiner hehren humanistischen Botschaft fest, also am Stoff. (Es gibt eine ganze Reihe von Opern, die aus außermusikalischen Gründen beliebt sind).


    Dass der Tristan auch schwer zu singen ist, wird niemand bestreiten. Die Partie ist für den Sänger eine Herausforderung; aber sie ist nicht gegen die Stimme - oder genauer: ohne Rücksicht auf die Stimme - geschrieben.
    Und was das Finale betrifft, erinnere ich daran, was Verdi (sinngemäß) über die Neunte gesagt hat, die ein ziemlich ähnliches Finale hat: Drei Sätze herrlich, der vierte ein Chaos! Und Verdi verstand etwas von Stimmen...
    Auch ich liebe liebe den Fidelio. Aber ich verkenne nicht seine Schwachstellen.


    So viel fürs Erste. Ich diskutiere gern mit Enthusiasmus, aber versuche, niemanden zu beleidigen. Wenn es trotzdem passiert, tut es mir leid.


    Beste Grüße von Sixtus

  • Ich mag zwar Verdi als Opernkomponist, nur kann ich seine Aussage über Beethoven nicht zustimmen. Man darf auch nicht vergessen das manche Frühwerke von Verdi zu recht vergessen worden sind. Wenn dann sind die Schwachstellen in Fidelio die Rezitative. Wo genau ist denn in Beethovens 9. das Chaos im 4. Satz ? Ich kann auf jeden Fall kein Chaos entdecken.

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  • Lieber Rodolfo,
    es hat doch niemand bezweifelt, dass auch Verdi am Anfang noch üben musste. Wer musste das nicht?


    Zu Verdis Urteil über das Finale der Neunten: Ich habe ihn nicht fragen können. Aber er bezieht sich vermutlich auf Stellen wie das Tenorsolo, auf die Stelle "Wer ein holdes (im Fidelio: wer ein solches) Weib errungen" oder auf den Endspurt aller Mitwirkenden, wo man sogar als Zuhörer aus dem Tritt kommen kann.
    Und das Bass-Rezitativ "O Frohooooo-hohohohoinde!" mit Beethovens eigenem Text (!) ist auch nicht seine größte Tat (auch wenn an Silvester viele davor auf den Knien liegen) -
    - meint jedenfalls Sixtus


    Auch Klassiker haben ihre Schwachstellen - zum Glück! Sonst müssten wir sie anbeten...

  • Sorry, wenn erneute Hinweise auf schwierige Singbarkeit die einzigen "Argumente" bleiben, sind wir leider schon wieder fertig und Stimmenliebhaber und ich behalten recht. Denn das wurde längst zugegeben, aber als völlig irrelevant erachtet. Das gleiche gilt für die Schwierigkeiten Beethovens mit dem Werk. Es ist doch auch irrelevant für die Beurteilung einer Sinfonie von Bruckner, ob der sie dreimal oder zehnmal überarbeitet hat.

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  • Aber als Ganzes (musikdramatisch) ist es, auf hohem Niveau, gescheitert.


    Nun ja, lieber Sixtus, das ist ein schöner, eingängiger Satz. Einmal gelesen, vergisst der sich nicht wieder so schnell. Ist er auch wahr? Für mich nicht. Beethoven hat mehr als zehn Jahre um den Stoff und seine Umsetzung gerungen. Es gibt eine sehr umfangrteiche Forschung, leider keine genauen Aufnahmen der einzelnen Fassungen, die diesen Prozess hörend nacherlebbar machen. Ich habe auch gelesen, was Du im weiteren Verlauf dieses Themas geschrieben hast. Das Letzte, worauf es Beethoven angekommen sein dürfte, ist die Singbarkeit. Er wollte doch keine gewöhnliche Spielplanoper schreiben. In den ersten Fassungen sind die Anforderungen an die Sänger noch höher. Immer dann, wenn Wichtiges geschicht in dem Werk, wird es extrem. Die Form explodiert regelrecht. Das ist für mich das Fazinierende - und des Pudels Kern. Mich hat FIDELIO immer dann am meisten beieindruckt - und jetzt übertreibe ich etwas - wenn die Sänger zu Bruch gehen. Eines der gelungensten Dokumente, die ich kenne, ist der Mitschnitt aus der Wiener Staatsoper unter Bernstein. Oder auch das, was Martha Mödl leistete bei der Wiedereröffnung der Wiener Staatsoper. Damit bin ich wieder in der Vergangenheit, was ich eigentlich nicht wollte. Aber es gibt eben nach meinem Eindruck nur ganz wenigen Aufführungen, in den das Unmögliche gelungen ist. Soll heißen, FIDELIO ist keine gewöhnliches Stück für den Donnerstag oder Dienstg. Es sollte nur dann aufgeführt wetrden, wenn die Sänger dazu in der Lage sind. Mittelmäßige Darbietungen haben womöglich viel dazu beigetragen, dass Urteile wie Deines so verbreitet sind und schnell Zustimmung finden.


    Mit respektvollen Grüßen Rheingold

    Es grüßt Rüdiger als Rheingold1876


    "Was mir vorschwebte, waren Schallplatten, an deren hohem Standard öffentliche Aufführungen und zukünftige Künstler gemessen würden." Walter Legge (1906-1979), britischer Musikproduzent

  • Du hast recht:Total gescheitert sind Schubert und Schumann an der Oper.

    Auch das würde ich nicht unterschreibenm, die "Genoveva" ist meines Erachtens ein völlig unterschätztes Meisterwerk!


    Dass der Tristan auch schwer zu singen ist, wird niemand bestreiten. Die Partie ist für den Sänger eine Herausforderung; aber sie ist nicht gegen die Stimme - oder genauer: ohne Rücksicht auf die Stimme - geschrieben.

    Sorry, aber das ist doch Kokolores, dass Tristan und Isolde sangbarer sein sollten als Florestan und Leonore, gar "rücksichtsvoller" geschrieben sind! Letztendlich kann auch ein Mozart-Sänger den Florestan singen, Beispiele dafür gab und gibt es unzählige. Ich kenne kaum einen Tristan, der nicht zuvor auch Florestan gesungen hat, kaum eine Isolde, die nicht auch Leonore gesungen hat, aber verdammt viele Leonoren und Florestane, die nie Isolde bzw. Tristan gesungen haben und auch nie singen werden, weil Wagner keine ausreichende Rücksicht auf die Möglichkeiten ihrer Stimmen genommen hat.
    Johannes wies auch schon darauf hin, dass "Unsingbarkeitsprobleme" wie beim "Tristan" (Uraufführungsgeschichte, v.a. auch die vor München gescheiterten Anläufe!) bei den "Fidelio"-Uraufführungen (1805/1806/1814) kein Thema waren.


    Und was das Finale betrifft, erinnere ich daran, was Verdi (sinngemäß) über die Neunte gesagt hat, die ein ziemlich ähnliches Finale hat: Drei Sätze herrlich, der vierte ein Chaos! Und Verdi verstand etwas von Stimmen...

    Ja, aber vielleicht nicht von Beethoven und dem, was er sagen wollte.


    Wenn dann sind die Schwachstellen in Fidelio die Rezitative.

    Nein, sind sie nicht, die gibt's nämlich gar nicht. Wenn, dann sind's die Dialoge!

    Beste Grüße vom "Stimmenliebhaber"

  • Lieber Stimmenliebhaber,
    dass fast alle Tristan- und Isolde-Sänger zuvor auch Florestan und Leonore gesungen haben, liegt einfach daran, dass die beiden Wagner-Partien das Endziel der Karriere einer großen Stimme sind. Jeder dramatische Sänger wird dir das bestätigen: Tannhäuser und Tristan, Isolde und Brünnhilde - und dann sterben! Für sie ist Beethoven ein Etappenziel.


    Ich stimme auch zu, dass Fidelio kein gewöhnliches Repertoirestück ist, sondern eher ein Festspielstück, dem man ehrfürchtig naht.
    Kurzum: Mir ist klar, dass es ein Ausnahmewerk ist, nur eben mit der Einschränkung der beschriebenen Brüche und Unebenheiten. Aber muss man ihm deshalb den Status einer Devotionalie andichten?
    Könnten wir diesen Befund nicht, jenseits aller Rechthaberei, als gemeinsamen Nenner stehen lassen?


    Das wünscht sich, Beethoven zuliebe,


    Sixtus

  • Kurzum: Mir ist klar, dass es ein Ausnahmewerk ist, nur eben mit der Einschränkung der beschriebenen Brüche und Unebenheiten. Aber muss man ihm deshalb den Status einer Devotionalie andichten?
    Könnten wir diesen Befund nicht, jenseits aller Rechthaberei, als gemeinsamen Nenner stehen lassen?


    Das wünscht sich, Beethoven zuliebe,


    Sixtus

    Nein, das können wir nicht, weil wir Beethoven damit Unrecht tun, denn es gibt in "Fidelio" keine unfreiwilligen "Brüche" und "Unebenheiten", sondern alles ist höchst absichtsvoll bewusst so gestaltet, wie es gestaltet ist. Die Singspiel-"Idylle" des 1. Bildes ist eine Scheinidylle, in der schon in der ersten Nummer die Realität unerbittlich durchbricht (das Pochen) usw. - und so könnte ich noch vieles weiteres aufführen. Und so kann ich auch dir nur die Lektüre des rororo-Werkführers von Holland und Csampai wärmstens empfehlen, wenn du mit alten, offenbar liebgewonnen Vor- und Fehlurteilen über dieses Werk aufräumen möchtest!

    Beste Grüße vom "Stimmenliebhaber"

  • Da ich nun meinen Bericht über meinen gestrigen Konzertbesuch beendet und die letzten 23 Beiträge gelesen habe, aber noch nicht schlafen kann, vor allem nicht nach der Lektüre dieser Beiträge, mochte ich doch ein erstes Statement abgeben.


    Vor allem kann ich nicht verstehen, dass jemand, der gerade im Forum ist, so auf die "K." haut und den großen Zampano heraushängen lässt:


    Zitat

    Sixtus: Was mir bei "Fidelio" viel mehr Magenschmerzen bereitet, ist Beethovens Schwierigkeit, für Sänger zu schreiben. Das verwundert besonders angesichts der Tatsache, dass er bei seinen Sinfonien so durch und durch dramatische Spannung aufbaut. Aber es gibt eben den Unterschied zwischen instrumentaler und vokaler Dramatik.


    Worin besteht denn dieser Unterschied zwischen instrumentaler und vokaler Dramatik? Hast du schon einmal davon gehört, lieber Sixtus, dass die menschliche Stimme das wandlungsfähigste und im Grunde auch genialste Instrument überhaupt ist?
    Es gibt nur wenige Arien, die m. E. so furios und voller Dramatik sind wie die Arie des Don Pizarro: "Ha! Ha! Ha! welch ein Augenblick!", und die Arie des Fidelio (Leonore!): "Abscheulicher, wo eilst du hin? - Komm Hoffnung, lass den letzten Stern der Müden nicht erbleichen", und wenige wie die des Florestan: "Gott! Welch Dunkel hier"- "In des Lebens Frühlingstagen", die so ergreifend sind. Gewiss ist vor allem die Arie des Florestan schwierig zu singen, aber: wenn man genug geübt hat, wer muss das nicht, dann kann es gelingen, wie zahlreiche WeltklassesängerInnen bewiesen haben. Ich darf da nur mal meine persönlichen Favoriten nennen, In Sachen Don Pizarro: Tom Krause und Dietrich Fischer-Dieskau, in Sachen Fidelio: Birgit Nilsson und Christa Ludwig und beim Florestan John Vickers und René Kollo und beim Rocco Gottlob Frick und Kurt Böhme. Sie haben alle die Partitur m. E. wunderbar umgesetzt.


    Zitat

    Sixtus: Pizarro vollends ist ein monströser Pappkamerad, der weder von einem Bass noch von einem Bariton zu bewältigen ist, weil er fast nur bellen darf.


    Wo bitteschön sind deine Beweise für diese vollkommen hirnrissige Behauptung? Wenn du schon so etwas erzählst, dann musst du es auch anhand von belastbaren Fakten beweisen, so wie ich zum Beispiel behaupten kann, wenn ein Pianist das Adagio der Beethovensonate Nr. 11 B-dur op. 22 in etwas mehr als 5 Minuten spielt, dass das wesentlich zu schnell ist, wenn der Durchschnitt zwischen 8,5 bis 9 Minuten liegt. Ich lege so einer Behauptung die Fakten aus der Partitur und dem Vergleich mit Dutzenden anderer Einspielungen zu Grunde und bilde mir daraus mein Urteil. Und auch, wenn ich in diesem Fall das Spieltempo dieses Pianisten ablehne, würde ich ihn nie als Pappkameraden bezeichnen, weil er nämlich als einer der größten Pianisten des ganzen 20. Jahrhunderts gilt.

    Zitat

    Sixtus: Aber als Ganzes (musikdramatisch) ist es, auf hohem Niveau, gescheitert.


    Wenn dem so wäre, lieber Sixtus, warum haben dann Heerscharen der größten Dirigenten des 20. un auch des 21. Jahrhunderts im Verein mit ihren herausragenden Orchestern, Chören und den größten Solisten dieser Zeit immer wieder diese Oper aufgenommen oder sie aufgeführt? Nach einer Auflistung von Wikipedia steht der Fidelio unter den deutschsprachigen Opern(Zahlen: Aufführung/Produktionen) an 4. Stelle:
    1. Zauberflöte:................ .650/101
    2. Lohengrin:....................066/014
    3. Der Fliegende Holländer:.051/15
    4. Fidelio: .......................:.122/25


    https://de.wikipedia.org/wiki/…_der_popul%C3%A4ren_Opern


    Zitat

    Sixtus: Das herrliche Concertato "O Gott..." ist umrahmt von einem Kantaten-Finale, das teilweise für Chor und Solisten eine Zumutung ist:


    Ich habe das Wort "Concertato" mal nachgeschlagen. Es steht bei leo.org unter Adjektiven und bedeutet: abgemacht, konzertiert, verabredet, vereinbart.
    Was soll das? Was willst du uns hier sagen?


    Wenn das Finale für "Chor und Solisten teilweise eine Zumutung" ist, warum singen dann so viele Chöre und Solisten dieses Finale mit großer Begeisterung und großem Können? In meinem Regal stehen über 20 Aufnahmen als Beleg dafür, davon etliche in Wort und Bild.

    Zitat

    Sixtus: Ich habe jedenfalls überwiegend massives Scheitern erlebt (gebe allerdings zu, dass ich es mit den Ohren eines Insiders in Sachen Gesang höre, und da hört man solche Stellen besonders kritisch.)


    Worin besteht dieses Insidertum, lieber Sixtus?
    Ich kenne einen Insider in diesem Forum, der von Beethoven ungefähr so weit entfernt ist wie der Mars von der Erde, und das ist unser lieber dottore (Dr. Pingel), der ist ein eingefleischter Renaissance-Sänger. Aber mit dem kann ich mich wunderbar unterhalten, seitdem wir unsere Ansichten verglichen haben.
    @ dr. pingel: Lieber dottore, wenn du dies liest, wir singen in der Karwochen- und Osterliturgie u. a. "Ich bin die Auferstehung und das Leben" von Gallus Dreßler (1533-1585) und "Ehre sei dir Christe" von Henricus Sagittarius (1585-1672). Der andere ist in dem Jahr gestorben, in dem der eine geboren ist.


    So, jetzt ist es genug für heute.


    Liebe Grüße


    Willi :)

    1. "Das Notwendigste, das Härteste und die Hauptsache in der Musik ist das Tempo". (Wolfgang Amadeus Mozart).
    2. "Es gibt nur ein Tempo, und das ist das richtige". (Wilhelm Furtwängler).

  • Ich habe das Wort "Concertato" mal nachgeschlagen. Es steht bei leo.org unter Adjektiven und bedeutet: abgemacht, konzertiert, verabredet, vereinbart.
    Was soll das? Was willst du uns hier sagen?

    "Concertato" ist in der Opernliteratur ein feststehender Begriff für einen ausgedehnten Ensemblesatz von Soli und Chor, meist ein längerer Abschnitt in einer mehrteiligen größeren Nummer wie einem Finale. Fast jede Verdi-Oper hat einen solchen, etwa im Finale des 2. Aktes "Aida" oder noch im 3. Akt "Otello".


    Anderer Kritik von dir, wie die Bezteichnung von Pizarro als "Pappkamerad", der nur bellen würde, schließe ich mich hingegen völlig an. Er verkörpert in dieser Oper in Reinkultur des Prinzip Böse, so wie die Königin der Nacht im 2. Alt der von Beethoven so geschätzten "Zauberflöte" und er ist im musikalischen Duktus (obgleich natürlich keine Koloratursopranpartie) erstaunlich eng an dieses weibliche Vorbild angelehnt (Oktaven abwärts usw.).

    Beste Grüße vom "Stimmenliebhaber"

  • Ich habe, wie oben schon mehrfach ausgeführt, oft den Eindruck, dass bei Fidelio häufig mit besonderem Maß gemessen wird. Als ob ein plakativer Bösewicht und gewisse Unwahrscheinlichkeiten in der Oper irgendwie auffällig oder ein Beleg für ein schwaches Werk wären.
    Der Dialog ist stellenweise nicht besonders toll, wofür Beethoven nichts kann, was in der Praxis aber unproblematisch ist (und was Fidelio mit nahezu allen deutschsprachigen Opern mit gesprochenem Dialog, Entführung, Zauberflöte, Freischütz usw. gemeinsam hat). Das wird normalerweise eh stark gekürzt (und mir sind aus dem Dialog spontan auch keine Biederkeiten auf Zauberflöten- oder Freischütz-Niveau geläufig).


    Warum nenne ich die durchgehende Präsenz und Popularität des Werks als Argument? (Das wäre ja auch ein Argument pro Madame Butterfly :untertauch: , wenn auch 100 Jahre weniger) Weil der Standardvorwurf eben lautet, Beethoven sei kein "Theatermann" gewesen. Das stimmt, rein biographisch gesehen, aber wenn dabei ein offensichtlich theatertaugliches Werk herauskommt, dann ist das irrelevant. (Genausowenig hat der Hinweis darauf, dass Weber ein "Vollbluttheatermann" war, dessen "Oberon" auf Dauer bühnentauglich und populär machen können.)
    Ebenso meine ich, dass ein wichtiger Beleg für gelungenes musikalisches Drama schon ist, dass es auf der Bühne "funktioniert".


    Wenn ein Stück nun in vielen Hinsichten schwierig und ungewöhnlich ist, nicht gerade schlagerverdächtige Arien aufweist, trotz alledem zu den meistgespielten und beliebtesten Opern überhaupt gehört*, halte ich es für einigermaßen bizarr, gegen diese Evidenz stur zu behaupten, das sei kein gelungenes Musiktheater. Das Publikum wird sich kaum 200 Jahre lang mit theoretischen Begründungen, warum Fidelio so toll sei, in die Oper locken lassen.


    D.h. entweder werden von den Kritikern die Schwierigkeiten oder möglichen Mängel des Stücks stark überschätzt oder die Qualitäten unterschätzt, vermutlich von beidem etwas. (Das gilt so ähnlich m.E. auch für die Zauberflöte, eine noch wildere Mischung.) Dass das keine abgerundeten Charaktere sind, ist doch geschenkt. Die schon genannte Königin der Nacht, Mime oder Beckmesser und zig andere Operngestalten sind doch auch keine abgerundeten Charaktere (und Mime darf in "Siegfried" gefühlt so lange rummeckern, wie der ganze Fidelio dauert...). Man muss doch auch sonst akzeptieren, dass Mozarts "Figaro" andere Ziele verfolgt als "Parsifal".


    Oder das oratorische Finale, auch schon die beiden großen Chorszenen des ersten Akts. Für mich gehören die zu den Höhepunkten nicht nur dieser Oper. Aber natürlich ist das nur vor dem idealistischen Hintergrund einzuordnen (gleichwohl auch dies ein Vorbild für Chorstellen in z.B. Meistersinger und Parsifal). Der berühmte Gefangenenchor ist ein Wunderwerk, zu dem mir (ich bin aber auch nicht so bewandert) in der gesamten Opernliteratur keine Parallele einfällt. Hier herrscht eine Kongruenz der "musikalischen Bewegung" mit dem langsamen Hervorkommen der Gefangenen aus dem Kerker, ihrer Erfahrung des ersehnten Lichts und der frischen Luft und das ganze hat auch das quasi-religiöse Pathos und die Würde der humanistischen Freiheits-Botschaft. Alles bruchlos in einem unmittelbar wirksamen, "stimmungsvollen" Stück, das es auf die "Große Opernchöre"-Hitparade geschafft hat!
    Ebenfalls eher noch unterschätzt scheint mir insgesamt die "symphonische" Dimension, die weit über Mozart hinausgeht. Bei Tovey findet sich die nur scheinbar paradoxe Idee, dass Beethoven Schwierigkeiten mit der Oper hatte, weil er "zu dramatisch", aber eben im Sinne eines rein musikalischen Dramas dachte.
    Ich bin kein Opernkenner, daher fallen mir Parallelen vielleicht einfach nicht ein. Aber dass der zweite Fidelio-Akt mit seiner quasi-sinfonischen "Aus der Nacht zum Licht"-Dramaturgie in einem großen Bogen Musik und Handlung außerordentlich gelungen integriert (zumal es sich äußerlich immer noch um Dialog-Nummern-Struktur handelt), mit dem Umschlagpunkt des Trompetensignals (theaterwirksamer geht es doch kaum!) eine herausragende Leistung ist, leuchtet m.E. auch ohne Vergleiche ein.
    Auch andere Details, die manchmal an Tonmalerei grenzen (man hört quasi, wie Pizarro Rocco einen Beutel voll Geld zuwirft "das geb ich nur daran", in "Jetzt, Alter, hat es Eile), aber immer in mehr oder weniger "symphonische" Textur eingebettet sind, wird man nicht überall finden.


    Wenn das alles "gescheitert" sein soll, bitte ich um Vorschläge, welche anderen "gescheiterten" Opern ich mir noch anhören sollte... :D



    * Fidelio ist ein Kandidat für die von "berühmten" Dirigenten am häufigsten eingespielte (oder offiziell mitgeschnittene, also keine italienischen Bootlegs) Oper: Toscanini, Furtwängler, Knappertsbusch, Klemperer, Fricsay, Böhm, Solti, Karajan, Maazel, Walter, Davis, Haitink, Harnoncourt,...

    Struck by the sounds before the sun,
    I knew the night had gone.
    The morning breeze like a bugle blew
    Against the drums of dawn.
    (Bob Dylan)

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