Tannhäuser (Wagner), Hamburgische Staatsoper, 21.12.2014

  • So ganz daneben kann die Oper Tannhäuser eigentlich nicht gehen, davor schützen die großen Chorszenen.
    Die nehmen gefangen, ob man will oder nicht. Gibt es einen sehr guten Sänger für den Tannhäuser? Das dürfte
    schwer sein, Stephen Gould hat hier mal einen guten Tannhäuser gesungen. Lance Ryan, dem heutigen
    Tannhäuser, kommt dieses Prädikat eher nicht zu. Mit enger, recht nasal klingender Stimme sang er bis zur
    Romerzählung eigentlich wie zum Ausblenden. Hinzu kam ein fast schon peinliches Spiel im zweiten Aufzug, als er
    sich im Singepodest ob der zu erwartenden Angriffe seiner Ritterkollegen wie ein begossener Pudel auf den Boden
    kauerte und schützend die Hände über dem Kopf hielt. Der Tannhäuser, den ich kenne, schert sich nicht um die
    Angriffe der Lakaien des Landgrafen, selbst wenn sie physisch sind, er knickt vielmehr vor Elisabeth ein, die ihn
    wie eine Löwin verteidigt. Das hat der Sänger nicht darstellen können. Die Romerzählung im dritten Aufzug gelang
    ihm besser, da half die innere Dramatik über die stimmlichen Einschränkungen hinweg. Genügend Kraft war noch
    vorhanden, auch trug die Stimme gut, wenn er vorn auf der Bühne stand. Im ersten Aufzug klang die Stimme,
    da oft von weiter hinten gesungen wurde, noch eher schmal und kraftlos. Das lag wohl am Bühnenbild, welches
    nach oben offen war und vermutlich Schall schluckte. Ryan schien es bemerkt zu haben, denn mehrfach kam er
    zum Singen an die Rampe.


    Manuela Uhl sang nach offenbar krankheitsbedingter Absage von Deborah Voigt, wie bei dieser vorgesehen,
    sowohl Venus als auch Elisabeth. Die Elisabeth des zweiten Aufzugs geriet ihr stimmlich auch etwas eng, das lag
    wohl an der Höhe der Hallenarie, im tiefer gelegenen Gebet („Allmächt‘ge Jungfrau“) im dritten Aufzug gelangen
    ihr dagegen berührende Töne, ebenso war an ihrer Venus nichts auszusetzen. Wie wohl meist im Tannhäuser
    heimste der Sänger des Wolframs den meisten Jubel ein. Lauri Vasar sang und spielte ihn mit Inbrunst, sein
    schön klingender Bariton war kraftvoll und die Darstellung viriler als die des zum Jammern neigende Ryan. Abgestuft
    wurde auch die sängerische Leistung von Frau Uhl bejubelt, Lance Ryan stand das Publikum nach dem gelungenen
    dritten Aufzug durchaus noch wohlwollend gegenüber. Der Landgraf wurde stimmschön von Wilhelm Schwinghammer
    gesungen, an Kraft übertraf ihn der Bass Florian Spiess als Biterolf. Das passte zu der Offiziersrolle, die ihm der
    Regisseur Harry Kupfer zugedacht hatte (Kostüme aus dem 20. Jahrhundert). Walther von der Vogelweide,
    von Kupfer offenbar als selbstverliebter Blender gesehen (so stellte ihn in den letzten 20 Jahren überzeugend
    Peter Galliard dar), war bei dem eher nach innen gekehrt wirkenden Tenor Jun-Sang Han zwar stimmlich, aber
    weniger darstellerisch gut aufgehoben. Der Hirt wurde sehr überzeugend von der noch zum Opernstudio
    gehörenden Christina Gansch gesungen. Die stumme Rolle von Tannhäusers Double (während des Bacchanals
    im ersten Aufzug stürzt sich Tannhäuser kopfüber von einer ca. 6 m hohen Mauer) ist inzwischen in Familienbesitz
    übergegangen, nach Fred Braeutigam, der den Part noch 2012 inne hatte, mimt jetzt sein Sohn Tim Braeutigam
    den symbolisch einen Ausweg aus dem Venusberg suchenden Tannhäuser. Es handelte sich um die 64.
    Vorstellung seit der Premiere 1990, dirigiert hat Bertrand de Billy, ich fand es dem Haus angemessen.

    Oper lebt von den Stimmen, Stimmenbeurteilung bleibt subjektiv

  • Einmal mehr Dank für diesen Bericht! - Ich bin für den 28.12 gebucht und hoffe also auf einen präsenteren Lance Ryan und eine gesundete Deborah Voigt, war doch schon mein letzter Tannhäuser (die 63te Aufführung ;) ) eher ein Reinfall und kaum mit dem 1ten zu Vergleichen, in welchem noch ein zwar indisponierte, aber trotzdem sehr hörenswerter René Kollo sang ...

    mfG Michael


    Eine Meinungsäußerung ist noch kein Diskurs, eine Behauptung noch kein Argument und ein Argument noch kein Beweis.

  • Deborah Voigt hat offensichtlich die gesamte Serie abgesagt, vielleicht bessert sich Lance Ryan noch, es war ja sein erster Auftritt in dieser Tannhäuser-Serie. Das Bühnenbild und die Inszenierung sind auch immer noch ansehbar, vor allem der zweite Aufzug ist sehr beeindruckend mit dem Einzug der individuell charakterisierten Gäste. Die Orgie im Venusberg wirkt allerdings schon in die Jahre gekommen. Ich wünsche jedenfalls eine gute Aufführung und freue mich schon über den Bericht von MSchenk.

    Oper lebt von den Stimmen, Stimmenbeurteilung bleibt subjektiv

  • Vielen Dank für den Bericht, da Tannhäuser einer meiner lieblings Wagner Opern ist. Ich habe mich aber immer gefragt was der Unsinn soll. das Elisabeth und Venus von ein und derselben Sängerin gesungen werden. Die Elisabeth ist eigentlich eine Sopran und die Venus eine Mezzo Rolle. Wenn man danach geht das Venus und Elisabeth für Tannhuser identische Personen sind dann müsste zum Besipiel in Hoffmanns Erzählungen die drei Frauenrollen auch von einer Sängerin gesungen werden, was hin und wieder auch gemacht wird aber für mich nicht so ganz glaubhaft ist. Frau Uhl habe ich schon häufiger an der Reinoper gehört und gesehen. Sie sieht besser aus als sie singt und hat leder die Unart viele Vokale zu verschlucken aber ansonsten ist sie eine hervorragende Sängerdarstellerin.

  • Für mich war die Venus immer Mezzosopran, sie wurde bei den von mir gesehenen Aufführungen in der Regel auch immer von einer Sängerin gesungen, die gemeinhin Mezzo-Rollen sang. Insoweit war ich überrascht, als ich nach der Aufführung in einem alten Klavierauszug des Tannhäusers für die Venus die Bezeichnung Sopran fand, auch Knaurs Opernlexikon bezeichnet Venus als Sopran, Wikipedia als Sopran oder Mezzo-Sopran. Früher hat man nicht so zwischen einem tiefer gelegenen Sopran und einem Mezzosopran unterschieden. Frau Uhl sang jedenfalls mit zwei unterschiedlich klingenden Stimmen, als Venus im Sinne eines Mezzos, als Elisabeth mit ganz anderer, in der Höhe eher enger Stimme. Es ist wohl nur wenigen Sängerinnen ein klingender Tonumfang gegeben, der sowohl die tieferen Frequenzen umfasst als auch in der Höhe brilliant klingt. Vor zwei Jahren habe ich Angela Denoke als Venus und als Elisabeth gehört, ich fand sie ausgezeichnet in beiden Rollen. Ich glaube nicht, dass Venus und Elisabeth als dieselbe Person gemeint sind, vielleicht spart das Haus auch etwas von der Gesamtgage ein, wenn eine Sängerin beide Rollen übernimmt.

    Oper lebt von den Stimmen, Stimmenbeurteilung bleibt subjektiv

  • Die Venus in der "Dresdner Fassung" (oder besser in einer der Dresdner Fassungen vor der "Pariser Fassung" liegt ja gar nicht wirklich tiefer als die Elisabeth, hat ähnliche Höhen und Spitzentöne zu bewältigen, und die Uraufführungssängerin der Venus, Frau Schröder-Devrient, war Sopran, sang in der "Holländer"-Uraufführung die Senta.


    Trotzdem hat die Doppelbesetzung Venus/Elisabeth mit ein und derselben Sängerin natürlich eher konzeptionelle als musikalische Gründe: zur damaligen Zeit gab es ein Frauenbild, das nur in Extremen dachte, Hure oder Heilige! Genau diese Aufspaltung versinnbildlicht Wagner mit den extremen weiblichen Gegenfiguren Venus und Elisabeth.

    Beste Grüße vom "Stimmenliebhaber"

  • Tannhäuser - Lance Ryan
    Landgraf Hermann - Wilhelm Schwinghammer
    Wolfram von Eschenbach - Lauri Vasar
    Elisabeth/Venus - Manuela Uhl (für Deborah Voigt)
    Ein Hirt - Christina Gansch


    Philharmoniker Hamburg unter der musikalischen Leitung von Bertrand de Billy.


    Inszenierung Harry Kupfer, Bühnenbild Hans Schavernoch und Kostüme Reinhard Heinrich.


    (65.Vorstellung seit der Premiere am 25.März 1990)


    Wie oben bereits angedeutet, habe auch ich noch eine Aufführung dieser Tannhäuser-Serie zu besprechen, und so will ich mich direkt auf Ralf Becks Eröffnungsbeitrag beziehen und diesen um eigene Eindrücke ergänzen:


    So ganz daneben kann die Oper Tannhäuser eigentlich nicht gehen, davor schützen die großen Chorszenen. Die nehmen gefangen, ob man will oder nicht.


    Hier bin ich geneigt zu widersprechen! Für mich steht und fällt der Tannhäuser mit der Titelpartie, die ich neben dem Tristan für die vielleicht schwierigste Wagner-Rolle halte; changiert sie doch wie kaum eine andere zwischen lyrischer Sangeskunst (fast schon im Belcanto) und dem sich anbahnenden "Wagner-Helden". - Wenn hier ein Ausfall zu beklagen ist (siehe hier), macht die ganze Oper eigentlich keinen Spaß mehr ...


    Gibt es einen sehr guten Sänger für den Tannhäuser? Das dürfte schwer sein, Stephen Gould hat hier mal einen guten Tannhäuser gesungen. Lance Ryan, dem heutigen Tannhäuser, kommt dieses Prädikat eher nicht zu. Mit enger, recht nasal klingender Stimme sang er bis zur Romerzählung eigentlich wie zum Ausblenden. [...] Die Romerzählung im dritten Aufzug gelang ihm besser, da half die innere Dramatik über die stimmlichen Einschränkungen hinweg. Genügend Kraft war noch vorhanden, auch trug die Stimme gut, wenn er vorn auf der Bühne stand. Im ersten Aufzug klang die Stimme,
    da oft von weiter hinten gesungen wurde, noch eher schmal und kraftlos. [...]


    Ja, gute Tannhäuser sind wohl rar gesäht und selbst auf Tonträgern muss man suchen und ist selten befriedigt. Am besten gefällt mir noch Peter Seifert unter Barenboim und auch Kollo oder Solti schlägt sich recht gut. Domingo kann die Partie singen, allein man versteht kein einzig Wort :untertauch: Und von den Übergrößen Melchior und Lorenz gibt es m.W. leider keine Gesamtaufnahme im Handel :(


    Der Kanadier Lance Ryan, immerhin in den letzten beiden Jahren der Siegfried auf dem Grünen Hügel, vermochte auch an diesem Abend nicht wirklich zu überzeugen. Sicher, ein deutlicher Qualitätssprung gegenüber Franco Farina. Ryan kennt die Rolle, weiß offensichtlich, was er da singt (die Romerzählung z.B. darstellerisch sehr gelungen) und worauf es ankommt. Daß mir persönlich sein Timbre (kupfern(?)) nicht liegt, dafür kann er nichts, aber die von Ralf geschilderten Probleme waren auch an diesem Abend hörbar. Im Pausengespräch wunderte sich eine Dame, dies solle ein bayreuther Held sein? Und meiner Begleitung widerum fehlte der "Schmelz in der Stimme". - Womit wir wieder am Anfang wären: Entweder der Held mit lyrischen Fähigkeiten oder eben doch nur "weder Fisch noch Fleisch". Insgesamt war die Leistung ausreichend, aber kaum herausragend.


    Ganz anders dagegen die Doppelbesetzung der Elisabeth/Venus:


    Manuela Uhl sang nach offenbar krankheitsbedingter Absage von Deborah Voigt, wie bei dieser vorgesehen, sowohl Venus als auch Elisabeth. Die Elisabeth des zweiten Aufzugs geriet ihr stimmlich auch etwas eng, das lag wohl an der Höhe der Hallenarie, im tiefer gelegenen Gebet („Allmächt‘ge Jungfrau“) im dritten Aufzug gelangen ihr dagegen berührende Töne, ebenso war an ihrer Venus nichts auszusetzen.


    Anscheinend hatte sich Frau Uhl inzwischen warmgesungen! Von einer stimmlichen Enge war an diesem Abend jedenfalls nichts mehr zu hören; ganz im Gegenteil gerieten ihr beide Rollen m.E. ganz ausgezeichnet: So vermochte sie es für meine Ohren sogar, beiden Rollen eine jeweils etwas eigene Färbung zu verleihen.


    Wie wohl meist im Tannhäuser heimste der Sänger des Wolframs den meisten Jubel ein. Lauri Vasar sang und spielte ihn mit Inbrunst, sein schön klingender Bariton war kraftvoll und die Darstellung viriler als die des zum Jammern neigende Ryan.


    Nach der alten Regel "Irgendetwas ist ja immer!" mußte sich Lauri Vasar als erkältet ankündigen lassen. Glücklicherweise war von dieser Indisposition aber kaum etwas zu bemerken, der "Abendstern" sang gewohnt sicher und stimmschön. Vasar ist für mich der Typ eines Sängers, von dem ein Opern-Ensemble lebt: Vielseitig zu besetzten, fundiert in der Rolle und einfach schön anzuhören.


    Der Hirt wurde sehr überzeugend von der noch zum Opernstudio gehörenden Christina Gansch gesungen.


    Tatsächlich sang Christina Gansch ihre kurze, aber höchst anspruchsvolle Partie an diesem Abend sprichwörtlich zum niederknieen :hail:


    Schließlich stand mit Bertrand de Billy ein absoluter Opern-Profi am Pult der Philharmoniker. Man hatte wohl gut geprobt und das Orchester ging de Billys Vorstellungen bzgl. Tempo und Dynamik gut mit. Am Schluß, so will ich es gesehen haben, durchaus mehr "Applaus" des Orchesters an den Dirigenten, als sonst üblich. Besonders freut mich dies, da tatsächlich Bertrand de Billy für mich der eigentliche Anlaß war, sich eine Vorstellung dieser anzuschauen und den ich so gerne häufiger in Hamburg sehen würde.


    Jetzt gilt es die Bilder und Töne im Kopf zu behalten, um dann am 8.Februar in Lübeck quasi im direkten Vergleich den dortigen Tannhäuser zu begutachten!

    mfG Michael


    Eine Meinungsäußerung ist noch kein Diskurs, eine Behauptung noch kein Argument und ein Argument noch kein Beweis.

  • die ich neben dem Tristan für die vielleicht schwierigste Wagner-Rolle halte

    die ich neben Tristan und den beiden Siegfrieden für die schwierigsten Wagner-Tenor-Rollen halte.


    Wenn hier ein Ausfall zu beklagen ist (siehe hier), macht die ganze Oper eigentlich keinen Spaß mehr ...

    Wenn der Wolfram ein Ausfall ist, macht mir die ganze Oper (und insbesondere der 3. Akt) auch keinen Spaß. :(


    und von den Übergrößen Melchior und Lorenz gibt es m.W. leider keine Gesamtaufnahme im Handel :(

    Meines Wissens gibt es von Melchior eine ganze Reihe vollständiger MET-Mitschnitte im Handel. (So vollständig, wie das Werk halt damals an der MET gespielt wurde.)
    Bei einem unserer "Werbepartner" (einmal wollte ich dieses dämliche Wort auch benutzen! :D ) gibt es zum Beispiel diese:






    sein Timbre (kupfern(?))

    Ein kupfernes Timbre könnte ja vielelicht ganz gut zu einer Kupfer-Inszenierung passen, hm? :D

    Beste Grüße vom "Stimmenliebhaber"

  • Und von den Übergrößen Melchior und Lorenz gibt es m.W. leider keine Gesamtaufnahme im Handel


    Aufnahmen mit Melchior hat Stimmenliebhaber ja bereits zur Genüge aufgezählt. Es gibt insgesamt sechs, alle aus der Met (1935, 1936, 1941, 1942, 1944, 1948). Mit Max Lorenz existiert nur ein sehr großer Querschnitt um Umfang von zwei LP, der einst bei Acanta erschienen ist. Du findest ihn beispielweise noch bei Ebay. Die Anschaffung lohnt sich, auch wenn die alte Reichsrundfunkproduktion in den Höhen mitunter etwas übersteuert klingt. Der zweite Aufzug - es handelt sich um die Dresdener Fassung - ist nach meiner Erinnerung komplett, der dritte setzt mit dem Pilgerchor ein, der erste fehlt ganz. Mein Eindruck ist, dass es doch mal eine Gesamtaufnahme gewesen ist, die nur nicht komplett erhalten blieb. Hier ist das LP-Album:



    Die Besetzung:


    Landgraf: Ludwig Hofmann
    Tannhäuser: Max Lorenz
    Wolfram von Eschenbach: Karl Schmitt-Walter
    Walter von der Vogelweide: Walther Ludwig
    Biterolf: Alfred Frey
    Reinmar von Zweter: Wilhelm Ulbricht
    Elisabeth: Maria Reining
    Venus: Margarete Bäumer


    Chor des Deutschen Opernhauses Berlin
    Rundfunk-Sinfonieorchester Berlin
    Artur Rother
    1943


    Eine Übernahme auf CD ist mir nicht bekannt.

    Es grüßt Rüdiger als Rheingold1876


    "Was mir vorschwebte, waren Schallplatten, an deren hohem Standard öffentliche Aufführungen und zukünftige Künstler gemessen würden." Walter Legge (1906-1979), britischer Musikproduzent