Geschmackswandel in der Kammermusikszene?

  • Angeregt zu diesem Thread wurde ich, als lutgra in einem anderen Thread erklärte, er habe ein Aufnahme von Mozart Streichquintetten mit dem Amadeus Quartett nicht zu Ende hören können, es sei unerträglich gewesen. Nun zählte ja das Amadeus Quartett zu Zeiten ihres Wirkens als eines der Besten. Zumindest hat uns die DGG das nahegelegt. Er folgten dann weitere Quartettformationen, die ebenfalls lutgras Missfallen erregten. Nun ja - Geschmackssache, könnte man sagen und die Achseln zucken, aber solch kritische Anmerkungen findet man im Internet immer wieder. Und da erhebt sich die Frage, ob ein allgemeiner Geschmackswandel stattgefunden hat - und wenn ja in welche Richtung? Oder ob beispielsweise die Ansprüche signifikant gestiegen sind, und man, was einst toleriert wurde, heute nicht mehr gelten lässt??


    Ich würde mit jetzt neuem Wissen diesem Gesprächsfaden gerne wieder etwas Futter geben. Ursprünglich ging es ja auch um die Einspielungen des Amadeus Quartettes. Mittlerweile habe ich sie mir besorgt. Obwohl sie natürlich bei jpc leider nicht zu haben sind, sind sie in der Nähe des Regenwaldes für 'nen Appel und ein Ei zu bekommen. :(.


    Ich möchte mich, um den Umfang der Diskussion für das erste etwas einzuschränken auf Mozarts Streichquartett in Es-Dur KV 428 beschränken. Ich habe keine Ahnung, ob eine Analyse der Einspielungen hier repräsentativ ist, aber es scheint mir keine ganz abwegige Vermutung zu sein.


    Das Amadeus Quartett spielt dieses Stück, man würde sagen, mit Verve zügig durch. Dabei kommen die schönen Melodielinien zum Tragen. Ich konnte das Stück problemlos genießen, ganz anders als noch vor vielen Jahren. Natürlich kenne ich jetzt einige Einspielungen und höre polyphone Strukturen und harmonische Reibungen, auch wenn sie das Amadeus Quartett nicht betont. Die Betonung homophonen Melos' mag an der Führung des Primgeigers Norbert Brainin liegen. Abgesehen davon ist natürlich klar, dass es sich um ein technisches Spitzenquartett handelt.


    Um 1993 hat nun das auf historische Weise musizierende französische Quartettensemble Quatuor mosaïques dasselbe Quartett auch eingespielt. Zwischen diesen beiden Einspielungen tun sich Welten auf. Das französische Ensemble spielt nicht annähernd so beschwingt, wie die Amadei, am einfachsten lässt sich das an der Länge des zweiten Satzes erkennen. Dieser Satz ist ein Füllhorn harmonischer Wandlungen und Reibungen. Er gehört für mich zu den schönsten mir bekannten Streichquartettsätzen.


    Die Amadei musizieren das Stück in 6:13 durch, Quatuor mosaïques benötigt für denselben Satz 14:10. Mir ist momentan nicht klar, ob da nicht einige Wiederholungen gespielt werden auf die die Londoner verzichten. Der Höreindruck ist aber frappant anders. Die historische Spielweise lässt die Instrumente viel individueller klingen, als die "klassische", und man hört auf den ersten Eindruck Abgründe, die man bei Amadeus Quartett sich mühsam erarbeiten muss.


    Langer Rede kurzer Sinn: These: Die Rückbesinnung auf historische Spielweisen (die fängt natürlich schon viel früher an. Ich hatte schon als Kind eine Rameau-Platte vom Collegium Aureum) führt etwas weg von einem einheitlichen Klangideal, der bei einem Streichquartett aufgrund der Ähnlichkeit der Instrumente naheliegt, zu einem Individualbild im Klang. Dieses Bild betont innere Spannungen in der Musik (schön auch zu hören bei Einspielungen der Brandenburgischen Konzerte von Bach) und das führt auf Dauer zu einem neuen Verständnis einiger Kammermusik.


    Hört man sich die einigermaßen aktuelle Einspielung des Mozart Quartettes vom Auryn-Quartett an, so brauchen die etwa ähnlich lange wie Quatuor Mosaïques für den zweiten Satz (das ist natürlich schon eine Ausnahme! ;)) aber sie musizieren auf übliche Weise (nicht HIP) die mozartschen Stimmen anders an die Oberfläche als das noch vom Amadeus Quartett gemacht wurde. Ich habe mir auch noch die Einspielungen vom Juilliard angehört aus den 60gern (die mir damals leider nicht zur Verfügung standen). Die starke Melodiebetonung ist etwas zugunsten stärkerer Polyphonie im Hintergrund, trotzdem scheint es mir ein weiter Weg zu den Einspielungen des Auryn-Quartettes zu sein. Diese starke analytische Element in der Musik scheint es mir damals so nicht gegeben zu haben (mit aller Vorsicht zu genießen...)


    hier eine Aufnahme des Amadeus aus 1951. Der zweite Satz beginnt um 7:11



    und hier das Auryn Quartett , hier war das andante einzeln zu finden: