Regisseurstheater-Flüchtlinge

  • Zitat

    Zitat von Bertarido: Kein ernstzunehmender Künstler wird allerdings seine Arbeit nach dem Geschmack des Publikums ausrichten, und das soll er auch nicht.

    Lieber Bertarido,


    du scheinst es immer noch nicht begriffen zu haben. Es geht nicht um den Geschmack des Publikums, sondern um die Echtheit des Werkes. Und das haben die Regisseure der Vergangenheit gewahrt und trotzdem jedes Mal eine andere Inszenierung hervorgebracht. Ich kann mich nicht erinnern, dass ich dasselbe werk auch immer in der Geichen Inszenierung gesehen habe und ich besitze auch auf DVD einige Werke in unterschiedlichen Inszenierungen. Aber immer ist der Inhalt (Zeit, Ort und Handlung) gewahrt, so dass das echte Werk erkennbar blieb, was heute leider nur noch in den wenigsten Fällen zutrifft.


    Liebe Grüße
    Gerhard

    Regietheater ist die Menge der Inszenierungen von Leuten, die nicht Regie führen können. (Zitat Prof. Christian Lehmann)

  • Zitat

    Zitat
    Zitat von Bertarido: Kein ernstzunehmender Künstler wird allerdings seine Arbeit nach dem Geschmack des Publikums ausrichten, und das soll er auch nicht.


    Sicher! Dem Geschmack des Regisseurs! :no:

    W.S.

  • Lieber Bertarido,


    du scheinst es immer noch nicht begriffen zu haben. Es geht nicht um den Geschmack des Publikums, sondern um die Echtheit des Werkes.


    Nein, Du hast es immer noch nicht begriffen: Deine "Echtheit des Werkes" ist ein Hirngespinst.

    Der Traum ist aus, allein die Nacht noch nicht.

  • Gibt nicht der Komponist der Oper erst das Leben?


    Auch, wenn diese Frage hier schon häufiger - ohne Ergebnis, da eine entsprechende Diskussion im allgemeinen Mit- und Gegeneinander zum Thema Regietheater zumeist untergeht - erörtert wurde, auch unter dem Aspekt, was "das vom Komponisten geschaffene Werk" denn sei und ausmache: Die Antwort muß wohl "Nein" lauten. Erst die Aufführung haucht der Oper (oder dem Werk) Leben ein. Dies wird unmittelbar klar, wenn man die Partitur oder sogar den originalen Autographen z.B. einer Oper oder einer Symphonie in den Händen hält. Da lebt nix! - Erst die reale Aufführung, und selbst eine solche, die Zeit, Ort, Handlung etc. verlegt, verfremdet o.ä., verlebendigt das, was vorher nur auf Papier oder höchstens im Kopf des Erschaffers bestanden hat.

    mfG Michael


    Eine Meinungsäußerung ist noch kein Diskurs, eine Behauptung noch kein Argument und ein Argument noch kein Beweis.


  • Auch, wenn diese Frage hier schon häufiger - ohne Ergebnis, da eine entsprechende Diskussion im allgemeinen Mit- und Gegeneinander zum Thema Regietheater zumeist untergeht - erörtert wurde, auch unter dem Aspekt, was "das vom Komponisten geschaffene Werk" denn sei und ausmache: Die Antwort muß wohl "Nein" lauten. Erst die Aufführung haucht der Oper (oder dem Werk) Leben ein. Dies wird unmittelbar klar, wenn man die Partitur oder sogar den originalen Autographen z.B. einer Oper oder einer Symphonie in den Händen hält. Da lebt nix! - Erst die reale Aufführung, und selbst eine solche, die Zeit, Ort, Handlung etc. verlegt, verfremdet o.ä., verlebendigt das, was vorher nur auf Papier oder höchstens im Kopf des Erschaffers bestanden hat.


    Sehr richtig! Und deswegen ist auch der immer wieder gebrachte Vergleich mit einem Gemälde Unsinn, denn das muss eben nicht erst aufgeführt werden wie eine Oper, die vorher nur als Partitur existiert. Ein Gemälde ist fertig, wenn der letzte Pinselstrich getan ist, es muss dann nur angeschaut werden. Eine Oper ist noch lange nicht "da", wenn der Komponist die letzte Note niedergeschrieben hat. Und jede Aufführung ist sowohl musikalisch wie auch szenisch notwendig Gegenstand einer Interpretation der aufführenden Künstler.


    Aber auf diesen offensichtlichen Unterschied kann man tausendmal hinweisen, er wird doch wieder ignoriert. :no:

    Der Traum ist aus, allein die Nacht noch nicht.

  • ... "Echtheit des Werkes" ist ein Hirngespinst.


    Dem würde ich jederzeit zustimmen.


    In der Statistik haben wir auch sowas. Kein Nagel, auch wenn er noch so sorgfältig produziert wird, ist exakt genauso wie ein anderer Nagel. Sie sind immer irgendwie unterschiedlich. Deshalb gibt es auch sowas wie statistische Tests, die testen, ob etwas mit einer vordefinierten Wahrscheinlichkeit hinreichend ähnlich ist, oder ob es etwas anderes ist.


    Ein Beispiel: Eine Zauberflöte sei im Durchschnitt 1 m lang. Die durchschnittliche Abweichung von diesem Mittelwert betrage 1 cm. Jemand gibt eine Produktion von Flöten als zum Typ Zauberflöte gehörig an. Die durchschnittliche Länge aus einer Stichprobe von z.B. 100 dieser angeblichen Zauberflöten betrage 1,02 m. Ein entsprechender Test mit einer Fehlerwahrscheinlichkeit von 1 Promille würde zeigen, daß uns viel mehr Unterschied zugemutet wird, als wir bereit sind zu akzeptieren. Der Unterschied zwischen Zauberflöte und angeblicher Zauberflöte wäre "signifikant". Wäre dagegen der Mittelwert der Länge der angeblichen Zauberflöten bei 100,1 cm, würden wir die angeblichen als tatsächlich zum Typ Zauberflöte gehörig akzeptieren.


    Und genauso ist das mit der Echtheit. Eine kleine Variation macht keinen signifikanten Unterschied, eine große schon. Der Schlüsselbegriff ist hierbei die Standardabweichung, die mittlere Abweichung vom Mittelwert. Typischerweise akzeptiert man bei Tests 2-3 Standardabweichungen Unterschied zwischen behauptetem und gemessenem Wert.


    Don Giovanni als Alien wären aus meiner Sicht aber mindestes 50 Standardabweichungen.


    Jeder kann natürlich seine Grenze selbst setzen, da gibt es kein richtig oder falsch. Der eine akzeptiert jedes X als U, der andere besteht darauf, daß Schrifttype, Größe etc. auch noch übereinstimmen. Insofern habt Ihr beide recht, sowohl Gerhard, als auch Bertarido. Es ist halt, wie immer in der Musik, eine Frage von Konvention und Geschmack.


    Dennoch würde ich sagen, daß diejenigen (Produzenten) mit der großen Abweichungstoleranz denjenigen (Konsumenten) mit der kleinen Abweichungstoleranz (vermutlich die überwiegende Mehrheit) verdeutlichen, daß man bei diesem Werk auch weitausgelegte Grenzen überspringt. Deshalb der Vorschlag, den Giovanni denn mit dem Zusatz "auf dem Mars" zu vesehen, und alles ist klar.

  • Jeder kann natürlich seine Grenze selbst setzen, da gibt es kein richtig oder falsch. Der eine akzeptiert jedes X als U, der andere besteht darauf, daß Schrifttype, Größe etc. auch noch übereinstimmen. Insofern habt Ihr beide recht, sowohl Gerhard, als auch Bertarido. Es ist halt, wie immer in der Musik, eine Frage von Konvention und Geschmack.


    So sehe ich das auch, deshalb mein Widerstand gegenüber der beharrlich vorgebrachten Behauptung, es gebe die eine Wahrheit, und jeder Abweichler sei ein "Verunstalter". Was nicht heißt, dass man nicht sinnvoll über die "Toleranzen" diskutieren kann, die bei der Inszenierung von Opern angemessen sind.

    Der Traum ist aus, allein die Nacht noch nicht.

  • Zitat

    Zitat von M-Müller: Der eine akzeptiert jedes X als U

    Lieber M-Müller,


    ich akzeptiere es durchaus, wenn das "U" größer oder kleiner geschrieben ist, aber es muss eben ein "U" sein und kein "X". Für die Oper heißt das: Die Handlung (das "U") muss gewahrt bleiben und die Bühnenbilder und Kostüme, die durchaus unterschiedlich sein können (was sie in den verschiedenen Inszenierungen, die ich von derselben Oper gesehen habe, auch immer waren) müssen mir klar machen, dass ich mich in der richtigen Zeit und am richtigen Ort befinde. Und frühere Regisseure haben es durchaus verstanden, das "U" (in unterschiedlichen Schriftarten) zu erhalten. Aber es gibt eben einige Leute, die das "X", das ihnen heute vorgemacht wird, tatsächlich für ein "U" halten. Sollen sie ruhig! Aber die meisten wünschen sich, auch wieder ein "U" zu sehen. Und daher weichen viele, wie im Eingangsbericht aufgezeigt und um wieder aufs Thema zurückzukommen, das hier wieder in eine andere Richtung verdreht wurde (ähnlich wie heute die Opern verdreht werden), den Opernhäusern aus und gehen ins Kino zu den Live-Übertragungen aus der MET

    Zitat

    Zitat von Bertarido: "Echtheit des Werkes" ist ein Hirngespinst.

    Lieber Bertarido,


    ich weiß nicht wie blind du bist, aber für mich existiert von dem Werk die Musik und ein Libretto, das die Handlung (mit Ort und Zeit) vorgibt und damit als Anweisung für die Inszenierung angesehen werden muss. Und beide sind echt.
    Echte Hirngespinste (nämlich ihre eigenen) sind nur das, was modische Regisseure daraus machen. Aber ich will euch den Glauben an diese Hirngespinste nicht nehmen. Ich kämpfe lediglich dafür, dass es nicht nur Hirngespinste gibt.


    Liebe Grüße
    Gerhard

    Regietheater ist die Menge der Inszenierungen von Leuten, die nicht Regie führen können. (Zitat Prof. Christian Lehmann)

  • Ein Beispiel. Wie vielleicht bekannt ist, gehöre zu der angeblich immer seltener werdenden Spezies von Menschen, die trotz Regietheater weiterhin regelmäßig in die Oper gehen. So war ich am vergangenen Samstag in der Hamburgischen Staatsoper um mir eine Aufführung von Rossinis Guillaume Tell (Premiere in 2016) anzusehen, inszeniert hat der nicht ganz unbekannte Schweizer Theaterregisseur Roger Vontobel. Um das Ergebnis gleich vorweg zu nehmen: es hat sich - einmal mehr - gezeigt, dass ein guter Schauspielregisseur nicht notwendig und unmittelbar auch ein guter Opernregisseur ist. Trotzdem war der Kerngedanke der Inszenierung nicht uninteressant!
    Das Bühnenbild bestand aus einem großen Rund, welches im Hintergrund panoramaartig durch das Gemälde Die Einmütigkeit des Schweizer Malers Ferdinand Hodler abgeschlossen wurde. Zu Beginn war das Rund im vorderen Bereich durch zwei Holzstangen abgesperrt und beschriftet war die Absperrung mit den Worten "Attention - Restauration". Damit war vordergründig gemeint, dass der Bereich, wohl in einem Museum, wegen Restaurationsarbeiten am Gemälde gesperrt war. Der "Oberrestaurator" war nun niemand anderes, als Tell selbst.
    Was sollte das? - Nun, die Idee Vontobels bestand darin, Tell eben nicht "nur" als Revolutionär und Befreier, sondern auch als Anhänger der Restauration (im politisch-historischen Sinne) zu zeigen. Begründen läßt sich die z.B. damit, dass Tell schon bei Schiller einen langen Anlauf benötigt, seine Rolle als Befreier der Schweiz von der Habsburger Herrschaft anzunehmen und er sich weiter bei Rossini recht vehement gegen die Liebe zwischen Arnold und Mathilde stellt. Diesen Grundgedanken kann man sicherlich hinterfragen, sich genauer überlegen, inwieweit er tatsächlich begründbar ist usw. usf. Was ich aber trotz einiger gegenteilig lautender Behauptungen hier im Thread definitiv nicht glaube ist, dass man bei Besuch einer konventionellen Inszenierung von selbst auf diesen "Transformationsprozess" gekommen wäre ... Das hat nichts damit zu tun, dass wir dazu zu dumm wären, sondern damit, dass eine konventionelle Inszenierung derartige Gedanken einfach nicht anbietet und der Moment der Betrachtung bzw. des Zuhörens höchstens im Moment allergrößter Langeweile dazu verführt, selbständig auf derartige Gedanken zu kommen.
    Allgemeiner formuliert behaupte ich, dass eine konventionelle Inszenierung schlicht in keinster Weise dazu geeignet ist, den Zuschauer im Moment des Sehens und Hörens über den Horizont des Gesehenen und Gehörten hinwegzuheben. Wohlgemerkt, dies muss auch garnicht der Anspruch einer entsprechenden Inszenierung sein und die Inszenierung kann trotzdem gut sein. Aber die Behauptung, man könne ja selber "transformieren" halte ich für ein kaum glaubwürdiges Scheinargument gegen Inszenierungen, die eine solche Transformation aus sich heraus leisten.


    Und auch hier (eigentlich lächerlich, zu meinen, man müsse dies immer wieder betonen, aber die Diskussionsverläufe zeigen die Notwendigkeit, um nicht als "Verunstaltungsfreund", "Regietheater-Hure" oder "eigentlich kein wahrer Opernliebhaber" abqualifiziert zu werden): Es geht mir weder um die Verteidigung des Regietheaters, noch um die Verdammung der konventionellen Inszenierung, sondern lediglich um das Schaffen einer möglichen Diskussionsbasis. Außerdem ist mein Sendungsbewußtsein vermutlich genauso groß, wie dasjenige der sich mantraartig wiederholenden absoluten Regietheater-Gegner, welche sich wiederum - dialektisch gedacht - in ihrem Sendungsbewußtsein kaum von dem eines typischen Regietheater-Regisseurs unterscheiden ...

    mfG Michael


    Eine Meinungsäußerung ist noch kein Diskurs, eine Behauptung noch kein Argument und ein Argument noch kein Beweis.

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  • Lieber Michael!


    Bei allem Verständnis eine Frage: Die erste Tenorarie am Anfang singt ein Fischer, oder hier der "Oberrestaurator"?

    W.S.


  • Kein ernstzunehmender Künstler wird allerdings seine Arbeit nach dem Geschmack des Publikums ausrichten, und das soll er auch nicht.

    Das sollte er eigentlich nicht nur, das muß er gewissermaßen sogar.
    Denn erst die Akzeptanz des "zahlenden Publikums" ermöglicht seine eigene finanziell /wirtschaftliche Existenz!


    Weiteres Zitat: Man erwartet ja auch von einem Pianisten nicht, dass er das Publikum befragt, wie er eine Beethoven-Sonate spielen soll.


    Nein, das erwartet man von einem Pianisten freilich nicht. Er wird die eine oder andere Stelle etwas langsamer oder schneller, etwas kräftiger lauter oder leise spielen - so weit richtig.
    Aber er wird in jedem Falle die Noten spielen, die Beethoven komponiert und somit vorgeschrieben und vorgegeben hat
    und nicht eigenes Verfälschtes dazu tun.

    CHRISSY

    Jegliches hat seine Zeit...

  • Lieber Bertarido,


    ich weiß nicht wie blind du bist, aber für mich existiert von dem Werk die Musik und ein Libretto, [...]


    Nun wäre es Leichtes, verehrter Gerhard (sehr nachträglich übrigens noch Glückwünsche zum 80ten - habe es leider nicht zeitnäher hinbekommen), diese vermeintliche Blindheit unmittelbar zurückzuspielen: Immerhin ist die Frage, wie und in welcher Form etwas so flüchtiges und an den Augenblick gebundenes, wie also die Musik tatsächlich existent ist, schon alt und viel diskutiert ... Die Partitur, in welcher die Musik durch Notenschrift beschrieben ist und auch das Libretto, welches den gedruckten Text und weitere Anweisungen enthält, sind nun einmal - und das würde ich in einer ernstzunehmenden Diskussion eigentlich als commen sense voraussetzen wollen - nicht die Musik, nicht die Handlung und man könnte, wenn man denn wollte, zu dem Schluß kommen, das auch beides zusammen nicht "das Werk" sind und eventuell genauere Begriffe benötigt werden (um welche sich z.B. Holger häufig genug bemüht).

    mfG Michael


    Eine Meinungsäußerung ist noch kein Diskurs, eine Behauptung noch kein Argument und ein Argument noch kein Beweis.

  • Es gleitet die Diskussion hier wieder ins schon einmal gehabte ab. Anstatt über konkrete Inszenierung zu diskutieren, wird mit "philosophischen" Allgemeinplätzen herumgeworfen. Soll vielleicht Intellekt vortäuschen!?

  • Lieber Michael!


    Bei allem Verständnis eine Frage: Die erste Tenorarie am Anfang singt ein Fischer, oder hier der "Oberrestaurator"?


    Nein, nein, lieber Wolfgang, die erste Arie war schon die des Fischers; alles andere, also dass Tell plötzlich die Arie des Fischer sänge, wäre auch mir vermutlich zuviel des Guten. Interessant aber der Einfall der Regie, den Fischer stehend in einer kleinen Zinkwanne, wie sie etwa "auf dem Bau" Verwendung findet, auftreten zu lassen, welche er mit einem Stock wie einen Nachen "antrieb". Einerseits kann man hierin einen kleine Albernheit sehen (mein Eindruck), andereseits jedoch auch die gelungene Transformation eines durch das Libretto gegebenen Umstandes in die gezeigte Inszenierung (der Eindruck meines Bekannten, mit dem ich die Oper besucht habe).

    mfG Michael


    Eine Meinungsäußerung ist noch kein Diskurs, eine Behauptung noch kein Argument und ein Argument noch kein Beweis.

  • Es gleitet die Diskussion hier wieder ins schon einmal gehabte ab. Anstatt über konkrete Inszenierung zu diskutieren, wird mit "philosophischen" Allgemeinplätzen herumgeworfen. Soll vielleicht Intellekt vortäuschen!?


    Du hast aber schon mitbekommen, dass der Anlaß eines meiner Einwürfe ein konkretes Beipiel gewesen ist? ?(

    mfG Michael


    Eine Meinungsäußerung ist noch kein Diskurs, eine Behauptung noch kein Argument und ein Argument noch kein Beweis.

  • Lieber Erich,
    so einen Thread habe ich angefangen, mit 2 Norma Inszenierungen, wo die eine RT und die andere eine werkgerecht Inszenierung war. Dieser Thread war dann aber leide nach glaube ich nur 2 Seiten wieder uninteressant. Und die Verfechter von werkgerechten Inszenierungen haben sich so gut wie gar nicht beteiligt.

  • wenn du die Akzeptanz deiner Meinungen reklamierst, musst du auch akzeptieren, dass ich -wie viele andere - der Meinung bin, dass der Ersatz der Handlung des Librettos durch eine irre Phantasie eines Regisseurs als Verunstaltung ansehe.

    Eine Meinung muss man überhaupt nicht akzeptieren, nur weil sie Meinung ist. Wenn Beatrix von Storch meint, auf Flüchtlinge dürfe geschossen werden, dann ist das zwar eine Meinung, aber eine inakzeptable. Ebenso ist es inakzeptabel, eine bestimmte Auffassung von Theater als Verunstaltung pauschal zu diffamieren, ohne sich die geringste Mühe zu machen, sie überhaupt zu verstehen.

    Wieso muß eine Oper den Ansprüchen der Kunst und der Sänger genügen, nicht den Vorstellungen desjenigen, der diese Kunst erst erschaffen hat?

    Man muss sich schon entscheiden, ob das Werk der Maßstab ist oder die Vorstellung des Autors - ist die intentio operis oder die intentio auctoris der maßgebliche Sinn? Man kann eben auch der Meinung sein, dass es in der Auslegung darum geht, das Werk besser zu verstehen als es der Autor selber verstanden hat. All das ist klassische Hermeneutik!

    Zitat

    Man kann die überwiegende Zahl hier relevanter Komponisten mangels "Erreichbarkeit" schwerlich fragen, wie sie ihre Werke in der Jetzt-Zeit wohl gerne präsentiert sehen würden ;). Selbst wenn sie detaillierte Vorgaben zur Aufführung gemacht hätten, ist es völlig offen, ob sie an diesen festgehalten haben würden, wenn sie, quasi unsterblich, den Weg der Zeit mitgegangen wären.
    Die meisten Künstler/Komponisten sind (waren) freie, kreative Geister. Ich bin mir recht sicher, dass nicht wenige ob der verbissen geführten Regietheater-Diskussion bzw. vielmehr der Frage, wie ihre Werke in die Gegenwart geführt werden sollen, zumindest erstaunt, vielleicht sogar verärgert wären. Gerade Kunst mit dem Anspruch der "Zeitlosigkeit" muss doch in der (in jeder!) Gegenwart interpretierbar bleiben - sonst funktionierte sie eben nur in "ihrer" Zeit und könnte lediglich aus rein musealem Interesse heraus betrachtet werden. Wer will sich denn damit künftig noch identifizieren, wenn es nicht gelingt, einen Link in die Gegenwert zu legen? Das ist meiner Auffassung nach die einzige Chance, welche die Opern hat, will sie nicht gemeinsam mit ihren in großen Teilen überalterten Hörern aussterben. Dazu bedarf es bei den Nachschaffenden Kreativität und Mut, meiner Ansicht nach aber einer Orientierung zumindest an der "Grundidee" einer Oper. Das Dargestellte muss auch im Heute einen vernünftigen Sinn-Zusammenhang vermitteln, schlüssig und nicht willkürlich-provokativ sein.

    Wunderbar gesagt! :)

    Die Komponisten hatten in ihrer Zeit sehr genaue Vorstellungen davon, wie die Handlung und der Text von ihnen vertont werden - und sie hatten genaue Vorstellungen davon, wie das dann aussehen soll. Das eine haben sie in der Partitur mittels ihrer Noten exakt notiert, das andere in verbalen Regieanweisungen etwas vieleutiger beschrieben, aber eben auch nicht beliebig, sondern sehr konkret!

    Die Komponisten haben sich nachweislich sehr pragmatisch an aufführungspraktischen Erfordernissen orientiert. Pragmatismus und nicht dogmatische "Werk-" oder gar Partiturtreue war die Regel.

    Der Transformationsprozess ("Link") zur Gegenwart und im eigenen Leben muss ohnehin im Kopf des Zuschauers erfolgen, und zwar unabhängig davon, ob auf der Bühne diesbezüglich entsprechende "Hilfestellung" gegeben wird oder eben nicht.

    Da würde Richard Wagner besonders energisch widersprechen. Wagner vertritt nämlich das Prinzip der unbedingten szenischen Vergegenwärtigung gerade auch der Handlungsmotivation. Was sich nur im Kopf des Zuschauers abspielt, ist schlicht dramaturgisch null und nichtig.

    Ja, es ist eine Frage der Mündigkeit, ganz genau, nur anders, als du denkst: Viele Zuschauer wollen sich einfach den "Transformationsprozess" nicht von der Bühne mit dem Holzhamer vorschreiben lassen, sondern selbst vollziehen.

    Dann entmündigt Glenn Gould den Hörer durch seine radikale Bach-Interpretation und Bernstein schreibt dem Hörer seine existenzialistische Mahler-Sicht mit dem Holzhammer vor. Das Argument ist einfach unsinnig, weil es darauf hinausläuft zu behaupten, nicht der ausübende, das Werk aufführende Künstler, sondern nur der Rezipient dürfe ein Werk interpretieren. Erstere dürften also nur eine "interpretationsfreie" Aufführung bieten. Das ist aber schlicht eine Entmündigung des ausübenden Künstlers.

    Was heißt vorgeschrieben? Dass Opern in einer bestimmtem Weise aufzuführen sind, ist weder ein Naturgesetz, noch steht es im Bürgerlichen Gesetzbuch. Es stimmt auch nicht, dass Text und Musik sakrosankt sind, wie Stimmenliebhaber gesagt hat. Viele Opern werden gekürzt aufgeführt, zum Beispiel Meyerbeer, einige Taminos meinen sogar, das sei geboten, um die Opern verdaulich zu machen. Bei Barock-Opern hatte man früher kein Problem damit, Kastraten-Partien eine Oktave nach unten zu transponieren und von Baritonen singen zu lassen, entgegen dem, was in der Partitur steht.

    Ganz genau! Die Partitur ist nicht so etwas wie ein kategorischer Imperativ, der mit quasi moralischer Autorität vorschreibt, sie buchstäblich zu nehmen so wie sie ist.

    die Respektlosigkeit bzw. völlige Ignorierung des Werkes, das nun mal auf ein bestimmte Handlung verfasst
    wurde,

    Typisch für irrationale Polemik: Die diffamierende Unterstellung von "niederen Beweggründen", hervorgehend aus eigenem Unverständnis ohne auf das Selbstverständnis der Verunglimpften einzugehen.

    die Verhöhnung des Komponisten und seines Librettisten,

    Wiederum eine selbstherrliche, anmaßende Unterstellung.



    die Umsetzung in Sex und Gewalt zur Befriedigung niederer Bedürfnisse oder des eigenen Frustes,

    ... schlicht eine Unverschämtheit. Dann provoziert man die polemische Retourkutsche, dass man schlicht zu doof ist, das komplexe Phänomen der Ästhetik des Häßlichen zu kapieren.

    die Entmündigung des Publikums, dem man nicht mehr zutraut, selbst zu denken und zu transponieren

    Die interpretatorische Leistung eines Künstlers nachvollziehen zu können ist auch "Selbstdenken" - wozu RT-Hasser aber nicht fähig sind, da sie "Selbstdenken" nur als narzistische Selbstbespiegelung ihrer Vorurteile kennen. :D

    Ich gönne denen, die nicht selbst denken können oder wollen ja gerne ein paar irre Deutungen

    Die Dialektik in diesem Satz ist wirklich schön!

    Es geht nicht um den Geschmack des Publikums, sondern um die Echtheit des Werkes.

    Und wer legt fest, was echt und was unecht ist? Etwa der, wer nur fest daran glaubt, zu wissen, was echt ist?

    Ein Beispiel. Wie vielleicht bekannt ist, gehöre zu der angeblich immer seltener werdenden Spezies von Menschen, die trotz Regietheater weiterhin regelmäßig in die Oper gehen. So war ich am vergangenen Samstag in der Hamburgischen Staatsoper um mir eine Aufführung von Rossinis Guillaume Tell

    Ein wunderbares Beispiel!

    Weiteres Zitat: Man erwartet ja auch von einem Pianisten nicht, dass er das Publikum befragt, wie er eine Beethoven-Sonate spielen soll.


    Nein, das erwartet man von einem Pianisten freilich nicht. Er wird die eine oder andere Stelle etwas langsamer oder schneller, etwas kräftiger lauter oder leise spielen - so weit richtig.
    Aber er wird in jedem Falle die Noten spielen, die Beethoven komponiert und somit vorgeschrieben und vorgegeben hat
    und nicht eigenes Verfälschtes dazu tun.

    Das ist nun wirklich naiv und falsch. Kein einziger Beethoven-Interpret spielt einfach "die Noten" in diesem Sinne. Dazu empfehle ich nur, die Threads über Beethoven-Sonaten zu lesen!


    Schöne Grüße
    Holger

  • Zitat

    Zitat von Rodolfo: Und die Verfechter von werkgerechten Inszenierungen haben sich so gut wie gar nicht beteiligt.

    Lieber Rodolfo,


    das entspricht nun aber nicht der Wahrheit.


    Liebe Grüße
    Gerhard

    Regietheater ist die Menge der Inszenierungen von Leuten, die nicht Regie führen können. (Zitat Prof. Christian Lehmann)

  • Lieber Gerhard,
    dich und operus habe ich auch damit nicht gemeint. Meinen Hinweis vom Lisbestrank aus Genua der 2 mal in einer werkgerechten Inszenierung als Livestream in unterschiedlicher Besetzung gezeigt worden ist, über den ich diskutieren wollte, hat hier im Forum auch keiner gesehen.

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  • Die Komponisten haben sich nachweislich sehr pragmatisch an aufführungspraktischen Erfordernissen orientiert. Pragmatismus und nicht dogmatische "Werk-" oder gar Partiturtreue war die Regel.

    Als Nachtrag: Es gibt ja nun im Falle des Klaviers historische Tondokumente - Rollenaufnahmen - von Komponisten als Interpreten ihrer Musik. Es ist schon aufregend, wenn man da feststellen muss, wie wenig sich die Komponisten selbst an ihren eigenen Notentext halten, den sie selber aufgeschrieben haben. Offenbar war es eben Aufführungstradition und die Erwartung gerade auch des Komponisten, dass es selbstverständlich ist, wenn die Aufführung das Geschriebene verändert, "frei" damit umgeht. Es ist also ein Trugschluss zu glauben, alles was aufgeschrieben steht, müsste auch buchstäblich so realisiert werden. Es ist eben erforderlich, die Aufführungspraxis zu kennen, um zu wissen, wie verbindlich oder unverbindlich z.B. Angaben über das Bühnenbild in einem Libretto zu nehmen sind oder eventuelle Kürzungen vorgenommen werden können.


    Wenn man schon Analogien mit der Oper herstellt, dann sind es passend z.B. die Paganini-Variationen von Brahms, wo zwei Hefte unter derselben Opuszahl veröffentlicht sind. Da ist es auch üblich, eine Auswahl aus beiden Heften zu spielen. Hier ist gerade der Komponist offenbar nicht davon ausgegangen, dass dieses "Werk" genauso aufgeführt wird, wie es geschrieben steht.


    Schöne Grüße
    Holger

  • Vielleicht kommen wir doch mal zum Thema zurück?


    Ja, aber was ist denn eigentlich das Thema? :untertauch:

    mfG Michael


    Eine Meinungsäußerung ist noch kein Diskurs, eine Behauptung noch kein Argument und ein Argument noch kein Beweis.

  • Vielleicht kommen wir doch mal zum Thema zurück?

    Alfred hat (in Beitrag Nr. 8) den Sinn dieser Diskussion so erklärt, dass »die vertriebenen RT.Gegner sich ein Exil gesucht und gefundenhaben«, dass sie dazu »die gleichen Plätze aufsuchen, ohne sich miteinander abgesprochen zu haben« und ferner, dass der »Andrang zu diesen "Opernkinos" so groß ist, daß es oft sogar schwierig ist, dort Karten zu bekommen«. Gerhard als Eröffner des Themas hat ihm darin in Beitrag 15 Recht gegeben (»Alfreds eindeutige Erläuterung« und »Es ging mir hier darum, aufzuzeigen, wo für Regisseurstheater-Flüchtlinge ein hervorragendes Ausweichquartier entstanden ist.«). Allerdings ging Gerhard im selben Beitrag sowie in vier weiteren in gewohnt qualifizierter Weise auch selbst auf die Regietheater-Thematik ein und hat das dadurch ja gewissermaßen legitimiert.


  • Explizit: mal wieder ins Kino gehen.
    Implizit: Regietheater ist doof.
    :D


    Kino gehen. Keine Zeit und kein Geld, bin zu oft in der Oper!
    Regietheater doof. Konventionelles auch!


    :hello:

    mfG Michael


    Eine Meinungsäußerung ist noch kein Diskurs, eine Behauptung noch kein Argument und ein Argument noch kein Beweis.

  • Zitat

    Regisseurstheater-Flüchtlinge


    Ja, ich gehöre dieser Gruppe an! Bis heute habe ich mich nicht entschließen können, die Oper "Attila" in Bonn anzusehen bzw. zu hören. Nachdem ich darüber gelesen und auch zwei Besucher der Aufführung befragt habe (Antwort: Nie wieder!), zieht es mich nicht dahin. Ich gehöre nicht zu dem Publikum, das stillschweigend diesen Klamauk über sich ergehen läßt. Ich gehöre zu den Menschen, die während der Aufführung massiv und lautstark protestieren. Unterdessen habe ich mir zwei DVD mit dieser wunderschönen Oper reingezogen.

    W.S.

  • Es ist schon sehr lustig, mit welchen Ausreden versucht wird, die Existenz und Echtheit eines Werks zu leugnen. Ich möchte gar nicht erst wissen, welche weiteren Ausreden ein Herr K. dazu wohl auf Lager hat. Das zu lesen spare ich mir, weil mir meine Zeit dafür zu schade ist.


    Liebe Grüße
    Gerhard

    Regietheater ist die Menge der Inszenierungen von Leuten, die nicht Regie führen können. (Zitat Prof. Christian Lehmann)

  • Ich möchte gar nicht erst wissen, welche weiteren Ausreden ein Herr K. dazu wohl auf Lager hat. Das zu lesen spare ich mir, weil mir meine Zeit dafür zu schade ist.

    Nummer 7.
    operus hat Dir ja einmal geraten: »Insofern sollten wir uns schon mit der mehrfach zitierten "Ästhetik des Hässlichen" auseinandersetzen.« Und er hat über Dich gesagt, Du hättest »die Gelassenheit, die Festigkeit, die Erfahrung, die Ruhe und Weisheit des Alters«. operus hätte Dich »als gewinnende, kluge, sachliche, in sich gefestigte Persönlichkeit kennen und schätzen« gelernt und er hat Dich als »klugen Mann« bezeichnet. Wie passt das zu solchen Äußerungen?

  • Es ist schon sehr lustig, mit welchen Ausreden versucht wird, die Existenz und Echtheit eines Werks zu leugnen.


    Na ja, ungefähr genau so lustig, wie das vollkommenen ignorieren des tatsächlichen Diskussionverlaufes, in dem es weder um die Leugnung der Echtheit oder der Existenz eines Werkes ging, sondern u.a. um Begriffsklärungen, was denn ein Werk oder die Musik nun sei und die These, dass z.B. eine Partitur oder ein Libretto weder Werk noch Musik sind ...


    p.s. Aber eigentlich auch egal! Ich stelle betrübt fest, dass ich immer schneller den Spaß an diesen "Diskussion" verliere ;(

    mfG Michael


    Eine Meinungsäußerung ist noch kein Diskurs, eine Behauptung noch kein Argument und ein Argument noch kein Beweis.

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