Franz Schubert, Klaviersonate Nr. 21 B-dur D.960, CD (DVD)-Rezensionen und Vergleiche (2017)

  • Meine Lieblingsaufnahme ist die von Rubinstein (1965), von der weiter oben schon die Rede war; dahinter rangieren (für mich) Svjatoslav Richter (Eurodisc) und Wilhelm Kempff (DGG).

    Da muss ich jetzt unbedingt Abbitte leisten, und zwar bei Rudolf Serkin, einem meiner Lieblingspianisten, den ich doch glatt vergessen hatte! So geht es, wenn langsam die Übersicht verlorengeht. Ich habe die Aufnahme lange nicht gehört, doch gestern fand ich sie beim Stöbern und heute wanderte sie gleich in den Player.
    Ohne Zweifel gehört seine Einspielung von 1975 (es gibt noch eine jüngere von 1977, die ich aber nicht kenne) zu den Spitzenaufnahmen der Sonate. Der Künstler wiederholt nicht nur die so wichtige Wiederholung der Exposition im ersten Satz, nein, Serkin machte dieses Werk praktisch "zu seiner Sonate". Sogar in seinem vorletzten öffentlichen Konzert im Januar 1986, wenige Jahre vor seinem Tod, spielte er sie. Serkins "Genie lag in seiner Fähigkeit, Gesang ertönen zu lassen", wie es der französische Musikkenner und zeitweilige Kulturminister André Tubeuf treffend formuliert hat, und er fährt fort: "Im Molto moderato wechseln Landschaftsbilder mit Seelenzuständen, ohne genaue Abfolge, ständig im Wandel und changierend, was nur allzu leicht ein Chaos heraufbeschwören könnte. Doch dieses Spiel beherrscht Serkin wie kein anderer ...... "


    Ich bin sehr froh, dass ich gestern nach lange Pause wieder auf seine Aufnahme gestoßen bin. Es ist diese Ausgabe:

    Gekoppelt ist D. 960 mit der Sonate Nr. 15 C-Dur D. 840, mit dem Beinamen "Reliquie". Ebenfalls eine außergewöhnlich schöne Interpretation, die allerdings wesentlich älter ist, aus 1955, noch in Mono produziert - aber eine Reliquie in zweifacher Hinsicht!


    LG, Nemorino

    Die Welt ist ein ungeheurer Friedhof gestorbener Träume (Robert Schumann).

  • Ich bin sehr froh, dass ich gestern nach lange Pause wieder auf seine Aufnahme gestoßen bin. Es ist diese Ausgabe:

    Die Aufnahme habe ich, lieber Nemorino. Es gibt aber noch eine berühmte Konzertaufnahme aus der Carnegie Hall, die ich allerdings nicht besitze. :hello:


    Schöne Grüße
    Holger

  • Wenn du diese meinst, lieber Holger:



    die habe ich natürlich auch, allerdings zu Hause. Da könnte ich dir die Dateien nach meiner Rückkehr rüberschicken.


    Liebe Grüße


    Willi :)

    1. "Das Notwendigste, das Härteste und die Hauptsache in der Musik ist das Tempo". (Wolfgang Amadeus Mozart).
    2. "Es gibt nur ein Tempo, und das ist das richtige". (Wilhelm Furtwängler).

  • Hallo, Willi,


    in der von Dir gezeigten Kassette ist die von mir im Beitrag 121 abgebildete CD enthalten (also die Studio-Aufnahme von 1975), und zwar ist es die CD 2, die inhaltlich mit dieser identisch ist.


    Ich habe ein bisschen herum recherchiert und bin zu folgendem Ergebnis gekommen:
    Die von Holger gemeinte "berühmte Konzertaufnahme aus der Carnegie Hall" gibt es z.Zt. als CD nur in dieser Mammut-Kiste mit insgesamt 75 CDs:

    und zwar auf der CD 66 dieser riesigen Gesamtausgabe. Mit 180 € ist sie, bezogen auf die einzelne CD, nicht überteuert, aber ich sträube mich, mir solche Riesenkisten ins Haus zu holen, von denen ich das, was mir wirklich wichtig ist, meist längst als Einzelausgaben habe, und der große Rest nimmt ungehört den Platz weg, den ich für andere Sachen dringend brauche. Natürlich wäre es schön, den Mitschnitt aus der Carnegie Hall zu hören, aber dafür lohnt dann doch die Ausgabe nicht :( .


    Dir weiterhin einen schönen Urlaub und
    LG, Nemorino

    Die Welt ist ein ungeheurer Friedhof gestorbener Träume (Robert Schumann).

  • Es gibt bei amazon auch eine Downloadmöglichkeit des ganzen Konzerts, auf dem Serkin die Sonate gespielt hat.
    Das Verlinken zu amazon-Donwloads funktioniert hier leider nicht, aber man findet die Aufnahme unter:
    Rudolf Serkin - The 75th Birthday Concert at Carnegie Hall


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  • Das Verlinken zu amazon-Donwloads funktioniert hier leider nicht


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    Doch, es geht … :hello:

    Einer der erhabensten Zwecke der Tonkunst ist die Ausbreitung der Religion und die Beförderung und Erbauung unsterblicher Seelen. (Carl Philipp Emanuel Bach)

  • Franz Schubert, Klaviersonate Nr. 21 B-dur D.960

    Lazar Berman, Klavier

    Instrument: verm. Steinway
    AD: 12. 11. 1972, Mailand, live
    Spielzeiten: 16:30 (21:48) – 10:27 – 4:20 – 7:38 --- 38:55 (ca. 44:30) min. (Die Klammerangaben sind virtuell zu sehen, falls er denn die Exposition im Kopfsatz wiederholt hätte)


    Wie aus den ausgedruckten Spielzeiten hervorgeht, hat Berman in Mailand wohl die Wiederholung der Expedition des Kopfsatzes weggelassen, weiterhin deutet die ausgedruckte Spielzeit auf ein moderates Tempo hin, desgleichen im Andante. Auf jeden Fall dürfte er im Kopfsatz langsamer sein als Daniel Barenboim, vor allem in dessen erster Aufnahme.
    Vom ersten Ton an bin ich völlig ergriffen über die Sanglichkeit des Bermanschen Tones, die den Hörer (mich) unmittelbar packt. Faszinierend auch sein leichtes Ritardando am Ende des Themas, Takt 6/7 zum Triller hin. Anders, als schon gehört, dehnt er aber die Pausenfermate nach dem Triller (Takt 9 auf der Drei) nicht zu sehr aus, um die wunderbaren
    Legatobögen, die er aufbaut, nicht unnötig lange zu unterbrechen. In seinem Spiel verbreitet er zunächst einmal eine große Ruhe. Auch das moderat Crescendo ab Takt 34 passt zu diesem Procedere. Auch im Fortgang in der Sechzehntelsequenz erblühen die dynamischen Bewegungen alle aus einem tiefen Pianissimo, so dass der Höhepunkt auf diese Weise einen völlig genügenden Kontrast zum Tiefpunkt bildet. Aus diesem Vorgehen spricht eine tiefe Abgeklärtheit, wie ich finde, vielleicht, aus dem Auge des Komponisten gesehen, gar eine gewisse Fatalität.
    Den Takt 106/107 in der Schlussgruppe nimmt er gar unterhalb des Mezzoforte, was wiederum ein großen Kontrast zum vorherigen „moderaten“ Fortissimo bildet. Die Fragilität seines Spiels in dieser Schlussgruppe ist bestechend, vielleicht lässt er auch aus diesem Grund, dass er den Ton hier nun mal so sieht, den hochdynamischen Übergang weg und somit auch die Wiederholung der Exposition. Der Übergang zur Durchführung ist somit bei 5:18 erreicht. Es ist also davon auszugehen, dass mit Wiederholung der Satz etwa 22 Minuten gedauert hätte, also zwei Minuten länger als Barenboim in der späteren Aufnahme und ca. vier Minuten länger als in früherer Aufnahme.
    Immer wieder fällt auch auf, dass er an den Übergängen Ritardandi einbaut, so als wollte der Komponist sagen: „Wartet, ich bin doch so müde“. Und da, wo der Komponist tatsächlich ein Ritardando komponiert hat (Takt 117b), führt er es natürlich sehr breit aus, alles genau im Einklang mit seinem moderaten temporalen Konzept.
    Im ersten Teil der Durchführung wirkt sein cis-moll trotz des geringfügig gestiegenen Tempos doch m. E. sehr traurig, dann wiederum in den Staccato-Achtel-Tonleitern ab Takt 131 der stimmungsaufhellende Kontrast wieder sehr groß.
    Nach dem Crescendo-Akkord (Takt 149) und dem anschließenden Abschwung wirkt das dann einsetzende g-moll, auch aufgrund des langsamen Tempos schwer und unendlich traurig, und die langsame Steigerung, ausgehend von einem tiefen Pianissimo bis hin zu einem wiederum „moderaten“ Fortissimo wirkt auf mich auch erschütternd, obwohl es objektiv gar nicht so laut ist.
    Die anschließende lange Sequenz mit den klopfenden Achtelakkorden ab Takt 173 mit Auftakt spielt Berman ganz grandios, wie ich finde, trotz der niedrigen Grundlautstärke die dynamischen Bewegungen sorgfältig nachzeichnend. Das wirkt dann im letzten Teil der Durchführung mit den wieder hinzugetretenen tiefen Basstrillern alles so folgerichtig.
    Und trotz der niedrigen Grundlautstärke macht Berman am Ende der Durchführung im Achtelabwärtsgang im Decrescendo in Takt 212 den Schritt vom Pianissimo zum Piano Pianissimo doch sehr deutlich, desgleichen zu Beginn der Reprise in Takt 223, ebenfalls im tiefen Basstriller.
    Das ist einfach ganz großer, ergreifender Gesang, den Lazar Berman hier wieder anstimmt, genau wie zu Beginn in der Exposition, auch wenn die musikalischen Figuren, wie so oft, in der Reprise geringfügig geändert sind gegenüber der Exposition.
    Wiederum fasziniert die Fragilität seines Spiels, das Zeichnen der Töne mit dem feinsten Stift, ja der fast schon jenseitige Ton, und ganz am Ende spielt er das so erschütternd langsam und fast stockend und ganz, ganz leise, so als ob ihm (oder dem Komponisten?) nach der langen Anstrengung die Kraft ausgegangen wäre.
    Dieser Satz gehört mit zum Besten, Erschütterndsten, was ich bisher am Beginn dieser Sonate gehört habe. Sehr, sehr schade, dass ich Berman nie live gehört habe. (Dafür werde ich, wenn nichts dazwischen kommt, seinen Landsmann Sokolov im Mai innerhalb von zwei Wochen zweimal mit dem gleichen Programm live hören).


    Genauso überzeugend, erschütternd und im nächsten Moment berührend schön, in der Durauflösung (Takt 13 bis 17), von erschütternd schwer bis anrührend leicht, beginnt Berman das unglaubliche Andante, vielleicht noch etwas berührender als Barenboim vor einigen Jahren. Langsam, beinahe mühevoll, aber unaufhörlich schreitend, lenkt er das Thema hin zum überirdischen Mittelteil, auch hier das Absenken zum ppp in Takt 38 exakt nachvollziehend.
    Und dieses Seitenthema, gebührt ihm, dem so wunderbar Singenden, auch hier wieder über die Maßen. Und so ergreift es mich denn auch wieder mit Macht, und ich muss innehalten. Und am Ende dieses Seitensatzes, als sich die Stimmung wieder unaufhaltsam dem Hauptthema nähert, wird der Wanderer auch wieder immer langsamer und bleibt kraftlos einen Moment stehen.
    Und dann erklingt es wieder, das unendlich traurige Thema in fis-moll, vielleicht noch etwas stärker als zu Beginn, weil nun im Tiefbass die Sechzehntelstaccati den Takt dazu schlagen. Und wiederum ist die Durauflösung nur von kurzer Dauer und ohne anhaltende Wirkung.
    Und dann kommt er doch noch, der Trost, in Form dieser zaubrischen Coda, die ich ebenfalls zum Besten zähle, was ich bis jetzt gehört habe.
    Dieser Satz war magisch, und der Magier hieß Berman.


    Im Scherzo ist Berman etwa zeitgleich mit Barenboims später Aufnahme, vielleicht ein paar Sekunden schneller. Bei aller Spielfreude, mit der man sich diesem Satz nähern kann, betont Lazar Berman aber auch eindringlich die beinahe durchgehenden insistierend klopfenden Viertel in der Begleitung, die doch hintergründig klarmachen, dass dieser Satz auch keine reine Freude ist. Diese immer wiederkehrenden Viertel, die den Dreiertakt charakterisieren, kommen auch in ähnlicher Form in manchem „Teufelstanz“ vor.
    Im Trio wird dieser Rhythmus noch durch die Forzandopiani verstärkt. Das ist m. E. durchaus kein heiteres Gebaren, wenngleich ihm Berman hier etwas die schon dramatischer gehörte Schärfe etwas nimmt. Auch hier beendet er die Phrase wieder mit dem schon häufiger in dieser Aufnahme gehörten Ritardando. Dann schließt er das Scherzo da capo an und beendet diesen Satz mit der Kurzcoda.
    Rhythmisch, dynamisch und ausdrucksmäßig bewegt sich dieser Satz auf ähnlich hohem Niveau, wie Berman es in den ersten beiden Sätzen vorgelegt hat.


    Im finalen Allegro ist Berman etwas schneller als Barenboim in seiner späteren Aufnahme, jedoch deutlich langsamer als dieser in seiner früheren Aufnahme. Die auftaktigen Fortepiani nimmt er nicht so stark wie schon verschiedentlich gehört, nimmt die Musik sehr schwungvoll, aber nicht überbordend und behält vor allem durch den maschinenartig gleichförmigen Rhythmus immer den inneren Bogen zu den voraufgegangenen Sätzen, vor allem zu den ersten beiden gewaltigen Sätzen, von denen er ja räumlich am weitesten entfernt ist. So hat dieser Satz auch bei Berman etwas Bedenkenswertes, weniger harmloses, wenn man etwas genauer hinhört.
    Auch der an und für sich doch mehr im lyrischen Bereich liegende Seitensatz hat bei Berman etwas selten Unruhiges, Vorwärtstreibendes, auch irgendwie Maschinenartiges, wenngleich er auch hier dynamisch und rhythmisch sehr sorgfältig arbeitet. Ein weiteres Indiz für diese Annahme sind die kaum vorhandenen beiden Generalpausentakt 154/155. Es geht sofort weiter, vielleicht, weil hier jemand getrieben wird, wodurch auch immer? Das mag bei anderen Interpretationen auch der Fall gewesen sein, es ist mir aber noch nicht so aufgefallen.
    Auch im ersten Durchführungsteil bleibt mir dieses Gefühl erhalten. Die gleichförmigen Sechzehntel-Figuren (durchlaufend von Takt 168 bis 184), dann abgelöst von den Achteltriolen (ab Takt 185 bis Takt 223), sämtlich in der Begleitung, vermitteln diesen Eindruck.
    Der nun wiederkehrende Hauptthementeil (ab Takt 224 mit Auftakt), wenngleich in den musikalischen Figuren verändert und dynamisch und temporal in den ersten beiden Dritteln (bis Takt 291) ein einziger Steigerungslauf, von Berman grandios interpretiert, lässt vor allem durch die wieder auftauchenden Achteltriolen als musikalische Triebfedern diesen Schluss zu. Erst durch die aufstrebenden Sechzehnteltonleitern (ab Takt 292), zunächst noch im vorherrschenden Forte, aber dann in einem langen Decrescendo bis Takt 311, ändert sich das, kommt das Ungestüm langsam zur Ruhe. Wieder leitet Berman durch ein fast zaghaftes Fortepiano (Takt 313 mit Auftakt) das Thema ein, diesmal sozusagen in Originalgestalt, aber im alten Vorwärtsdrang, worin sich auch im neuerlich auftauchenden Seitenthema (ab Takt 360) nichts ändert.
    Und wie beim ersten Mal überspielt er fast die beiden Generalpausentakte 428/429. Wenn man den Pianisten als verlängerten Arm des Komponisten betrachtet, könnte man in diesem Fall fast auf die Idee kommen, der Leibhaftige wäre hinter ihm her. Afanassjew, verfolgte da einen ganz anderen Ansatz. Aber was Berman hier spielt, ist mindestens genauso überzeugend, ein letztes Mal dieses hochdynamische Voraneilen, ein letztes Mal nicht nur ein Diminuendo, sondern zeitgleich ein Ritardando, und dann eine virtuose Prestocoda, und dann stellt sich heraus, was ich im Finale die ganze Zeit schon ahnte: Berman war doch auch schneller als der frühere Barenboim, ich hatte nur eine Dreiviertelminute Schlussbeifall (der sicherlich original noch viel länger gedauert haben dürfte) nicht mit einkalkuliert.
    Ein grandioser Schlusssatz, ein grandiose Liveaufnahme, die mit zu den Referenzen zu rechnen ist.


    Liebe Grüße


    Willi :thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup:

    1. "Das Notwendigste, das Härteste und die Hauptsache in der Musik ist das Tempo". (Wolfgang Amadeus Mozart).
    2. "Es gibt nur ein Tempo, und das ist das richtige". (Wilhelm Furtwängler).

  • AD: 12. 11. 1972, Mailand, live
    Spielzeiten: 16:30 (21:48) – 10:27 – 4:20 – 7:38 --- 38:55 (ca. 44:30) min. (Die Klammerangaben sind virtuell zu sehen, falls er denn die Exposition im Kopfsatz wiederholt hätte)


    Wie aus den ausgedruckten Spielzeiten hervorgeht, hat Berman in Mailand wohl die Wiederholung der Expedition des Kopfsatzes weggelassen, weiterhin deutet die ausgedruckte Spielzeit auf ein moderates Tempo hin, desgleichen im Andante.

    Lieber Willi,


    eine tolle Besprechung von Dir! Da bekomme ich direkt Lust; Berman auch noch mal so intensiv im Detail zu studieren! :thumbsup: Ich finde auch, Berman ist eine absolute Sternstunde und Offenbarung! Ich habe nur genau diese, seine älteste Aufnahme, ausgerechnet nicht! Verflixt... Mit dem Auslassen der Expositionswiederholung könnte es hinkommen! Bei dem russischen Mitschnitt von 1980 spielt er 22:05 Min., 1991 dann noch etwas flüssiger 21:30 Min., bei der Studioaufnahme von EMI (habe ich auf CD-R) nimmt er sich 23:52 Min. Zeit - da wollte er ja zeigen, dass man das noch langsamer nehmen kann als Richter. :D Die Mitschnitte belegen, dass er die Sonate im Konzert deutlich flüssiger gespielt hat!





    Liebe Grüße
    Holger

  • Franz Schubert, Klaviersonate Nr. 21 B-dur D.960
    Karl Betz, Klavier


    Instrument: verm. Steinway oder Bösendorfer
    AD: 20/21. 10. 1998
    Spielzeiten: 17:43 (ca. 23:43) – 11:03 – 4:49 – 10:14 --- 43:49 (ca. 49:49) min.; (Klammerangaben virtuell)


    Da ich Karl Betz bis zu diesem Schubert-Projekt überhaupt nicht kannte und es von ihm auch keinen Wikipediaartikel gibt, von einem eigenen Thread in Tamino ganz zu schweigen, werde ich den tabellarischen Lebenslauf auf seiner Homepage ich einen geschlossenen Text umwandeln (vielleicht auch etwas kürzen und dann unter dem Text die Fundstelle verlinken.


    Karl Betz wurde 1947 in München geboren. Seine Mutter war Hausfrau und sein Vater Unternehmer. Ab dem 5. Lebensjahr wuchs er in der Bäckerei seiner Großeltern mütterlicherseits in Pfaffenhofen an der Ilm auf.
    1966 legte er das Abitur am humanistischen Theresien-Gymnasium in München ab.
    Danach studierte er an er Uni München zunächst Volkswirtschaft und seit 1968/69, parallel zum Volkswirtschaftsstudium, ein Klavierstudium an der Musikhochschule München.
    Ab 1970 trat noch ein privates Gesangsstudium hinzu und 1971 brach er das Volkswirtschaftsstudium ab.
    Unmittelbar nach Beendigung der Meisterklasse an der Musikhochschule erhielt er einen Schallplattenvertrag bei der EMI.
    1975/76 verbrachte er einen Studienaufenthalt in Florenz und 1983 einen solchen in Paris an der Cité des arts.
    Ab 1979 machte er eine große Anzahl von Aufnahmen an vielen ausländischen und an allen deutschen Rundfunkanstalten, Schallplatten- und CD-Einspielungen.
    1979 begann er auch eine umfangreiche und weltweite Konzerttätigkeit, wurde vor allem zunächst als Liszt-Interpret bekannt. Er spielte gerne und häufig die Werke Liszts aus dessen Zeit ungebrochener Freude an Klang und Virtuosität, machte aber auch, als einer der Ersten, die genialen Spätwerke bekannt, in denen Liszt, fernab jeder äußerlichen Geste, die Musikentwicklung bis weit hinein in das 20.Jahrhundert geprägt und vorweggenommen hat.
    In jüngerer Zeit fanden seine Schubert-Einspielungen große Resonanz.
    2005 verfasste er einen Radio-Essay für den Bayerischen Rundfunk: „Franz Liszt, Zigeuner, Franziskaner, Prophet“ (gesendet 25.Mai 2006)
    Seit vielen Jahren arbeitet er an einem Buch mit dem Titel „Was zusammenklingen soll und was nicht.“, ein Buch über professionelle Pedal-Technik und künstlerisches Klavierspiel.
    Von 1980 bis 1986 unterrichtete er am Richard-Strauss-Konservatorium München, 1986 wurde er Professor an der Hochschule für Musik Freiburg.
    Seit 1994 ist er ordentlicher Professor für Klavier an der Hochschule für Musik Würzburg.
    Karl Betz ist verheiratet und hat zwei Söhne, einen Sohn aus erster Ehe (Valentino, geb. 1985) und einen Sohn aus zweiter Ehe (Carl Emilio, geb. 2003).
    Karl Betz lebt mit seiner Familie in der Nähe von Pfaffenhofen/ Ilm.
    http://www.karlbetz.de/#


    Karl Betz beginnt, wie zu erwarten war, den Kopfsatz in einem sehr moderaten Tempo und mit einem veritablen Pianissimo, wobei der erste Triller nochmals eine Stufe leiser klingt, sicherlich im ppp, was den Triller vielleicht noch etwas geheimnisvoller macht. Die anschließende Pausenfermate hält er extra lange an, was er möglicherweise bei Afanassjew gehört haben könnte, der ja im gleichen Jahr geboren ist und die Sonate 13 Jahre früher das erste Mal aufgenommen hat.
    Im zweiten Teil des Hauptthemas hebt Betz die Dynamik leicht an und im dritten Teil (Takt 19 bis 35) bleibt er im Gegensatz zu manch anderem konsequent beim Pianissimo, hält sich somit strikt an die Partiturvorgaben, behält auch den Grundtakt bei, wo mancher schon beschleunigt hat, und spielt dann aus dem Pianissimo eine lange Steigerung, bleibt aber auch in der dynamischen Spitze moderat, ebenso im vierten Teil (Takt 36 bis 46), wo er die dynamischen Bewegungen aufmerksam nachzeichnet, aber im Schlusscrescendo zum fis-moll-Seitenthema hin, ebenfalls moderat bleibt.
    Das Seitenthema spielt er sehr berührend, ja innig und in moderatem Tempo, und die Crescendi weiterhin in moderaten dynamischen Bewegungen. Hier ist m. E. jemand unterwegs, der die Schönheit dieser Musik herausstellt und damit in der ihm eigenen Lesart auch in die musikalische Tiefe geht.
    Die Überleitung in der Oktavierung nach oben und das dritte Thema spielt er sehr schön, aber weiterhin in dem moderaten Grundtempo, auch im nächsten Abschnitt ab Takt 79 in den teilweise staccato gespielten Achteltriolen. Das spielt er wunderbar durch bis zur Schlussgruppe (ab Takt 99), in der er das Tempo peu à peu etwas zurücknimmt. Nach 5:41 min. beendet er die Exposition, die sicherlich mit dem Übergang 6 Minuten gedauert hätte, die wir am Ende dann (virtuell) dazu rechnen können.
    Das überleitende Ritardando in Takt 117b spielt er allerdings sehr seltsam, indem er die erste Achtelpause zwischen dem ersten und zweiten Achtelakkord überspielt. So bekommt die Musik in dem Takt eine Art Schluckauf.
    Auch er drückt das Thema in der Durchführung im beginnenden cis-moll auf eine ruhige Art sehr traurig aus, wobei die wieder teilweise staccato gespielten Achteltriolen ab Takt 131 auch bei ihm die Stimmung wieder aufhellen. Doch auch im zweiten Teil bleibt die Grundstimmung (ab Takt 146) allein schon aufgrund der klopfenden Achtel auf der zumindest melancholischen Seite, zumal jetzt ab Takt 151 die Achtel achtmal pro Takt klopfen und sich ab Takt 152 von Takt zu Takt dissonant zunehmend verdichten. Wo andere allerdings ein ab Takt 162 beginnendes teilweise explosives Crescendo hinlegen, bleibt Betz weiter dynamisch beherrscht. Vielleicht hätte er hier ruhig mal die Beherrschung verlieren können, aber dann hätte er ja sein dynamisches Gesamtkonzept verlassen.
    Auch im letzten Teil der Durchführung, als die Basstriller wieder auftauchen (ab Takt 186), bleibt die Stimmung so. Betz spielt die Triller nun dynamisch etwas mehr hervorgehoben und in der Tiefe trotzdem kristallklar und senkt die Dynamik im Übergang zur Reprise noch einmal wunderbar auf ppp ab (Takt 212). Auch die Absenkung in Takt 223 am Beginn der Reprise auf dem Basstriller spielt er grandios.
    Im weiteren spielt er die Reprise genauso überzeugend, wie er die Exposition gespielt hat, auch dynamisch wieder jede Bewegung nachzeichnend und wirklich mit der Steigerung bis zum Beginn in Takt 253 wartend und nicht im Überschwang der Gefühle schon mal einige Takte vorher beginnend, wie ich es schon einige Male gehört habe.
    Wunderbar ruhig spielt er auch wieder das Seitenthema ab Takt 267, das hier in der Reprise um eine Sekund höher liegt. Und immer wieder ist zu betonen, wie aufmerksam er die Dynamik liest und wie moderat dabei die Kontraste ausfallen, was dem Ganzen etwas Zartes, fast Durchsichtiges verleiht. Das gefällt mir ausnehmend. Wunderbar auch wieder die hohe Oktave ab Takt 289 mit Auftakt bis 291! Berührend geht es weiter in der Achteltriolensequenz.
    In der Schlussgruppe beginnt er wieder leicht zu retardieren, aber konsequent weiter bis zur kurzen Coda, auch sie meisterlich gespielt!
    Dieser Kopfsatz mit seinem ganz eigenen dynamischen und temporalen Konzept hat mich voll überzeugt und zugleich mein Bedauern hervorgerufen, dass er die Exposition nicht wiederholt hat. Aber vielleicht ist das dem Umstand geschuldet, dass dann die anderen Stücke nicht alle auf die CD gepasst hätten.


    Das Andante beginnt auf dem gleichen dynamischen Niveau wie der Kopfsatz, aber hier vergrößert er den dynamischen Kontrast etwas. Im Verein mit dem auch hier bedachtsamen Tempo erhält das in der Oktave stufenweise ansteigende Crescendo die musikalische Größe und das unerbittliche Voranschreiten, die ihm gebühren. Sehr anrührend auch im Thema in Teil A, Takt 14 bis 17, die Auflösung nach E-dur, im Ganzen ein traurige Stimmung, aber keine Ausweglosigkeit, wie ich finde und wie sich auch in der nächsten Steigerung ab Takt 26 dokumentiert. Berückend, kurz vor dem Eintreten des überirdischen Seitenthemas auch hier sein Zurückgehen zum Piano pianissimo (Takt 38). Auch hier ist an der Stelle des Übergangs wieder seine Art spürbar, das durch ein deutliches Ritardando zu vertiefen.
    Der Beginn des Seitenthemas, das nicht von dieser Welt ist, wirkt in Karl Betz‘ Lesart wie ein Sonnenaufgang, jedenfalls kam mir hier dieses Bild in den Sinn.
    Die Oktavierung in der Themenwiederholung (ab Takt 51) im Verein mit den (innerlich) beschleunigenden Sechzehntelquintolen geht einher mit einer weiteren Steigerung der musikalischen Tiefe dieses Themas.
    Auch in der nächsten Themenvariation ab Takt 59, nun wieder im Bass, setzt er dieses Schubertsche Wunder weiter adäquat um. Allerdings gemahnen uns trotz allen Wohlklangs und „Wohlgefühls“ die klopfenden Sechzehntel im Bass, hier sehr aufmerksam gespielt, daran, dass wir uns nach wie vor im zweiten Satz befinden, was sich auch später im Wiedereinsetzen des Hauptthemas noch deutlicher manifestieren wird.
    Allerdings fehlt hier am Ende des Seitenthemas das anhaltende Ritardando. Hier spielt Betz das Ende in „unaufhaltsamem“ gleichmäßig schnellem Tempo.
    Mit der deutlicheren Manifestierung des Hauptthemas meinte ich vorhin auch die Steigerung der begleitenden klopfenden Bassfigur, die nun aus drei Sechzehnteln und einer angehängten Achtel besteht und die traurige Grundstimmung noch verstärkt. Und diese Figur läuft auch in der neuerlichen Durauflösung (ab Takt 103) weiter durch.
    Und hier in den letzten drei Takten vor der wundersamen Coda, macht er es doch wieder, das Ritardando: die letzten vier Takte dauern fast eine Minute!
    Ein grandioser Satz!


    Auch im Tempo des Scherzos ist Karl Betz moderat, langsamer als Berman, etwa in dem Tempo wie Afanassjew bei seiner Live-Aufnahme 2013. Dennoch hält er das Scherzo schön im Fluss, stellt durch präzises Legato- und Staccatospiel den Dreierrhythmus gut heraus und bildet sorgfältig und ebenfalls moderat die dynamischen Bewegungen ab.
    Das Trio arbeitet er ganz klar als extremen rhythmischen Kontrast zum fließenden Scherzo heraus, nicht nur durch eine starke Betonen der Forzandopiani (fzp), sondern auch durch eingestreute Rubati und sogar Stockungen, aber auch im langsamen Tempo kontrastiert dieses Trio stark. Hier schließt er dann das Scherzo da capo ed infine la Coda an.
    Beim Anhören kam mir ein Passus aus seinem Booklet-Text in den Sinn, als er sagte:

    Zitat

    Karl Betz: Unter den zahlreichen Aufnahmen dieses Werkes behauptet meine, hoffe ich, ihre eigene, unverwechselbare Sprache, ihren eigenen unverwechselbaren Klang, vor allem hoffe ich, dabei ganz im Dienste des Komponisten zu sein.


    Ich finde, das kann ich, zumindest bis hierhin, bestätigen.


    Auch im finalen Rondo lässt Karl Betz (temporale) Ruhe walten, eines der Merkmale seiner, wie er o. a. hofft, „unverwechselbaren Sprache“ in dieser Aufnahme. Er ist noch einmal eine gute Minute langsamer als Afanassjew in seiner Live-Aufnahme von 2013 und fast drei Minuten langsamer als Lazar Berman. Aber, wenn man die Satzvorschrift betrachtet, ist das durchaus noch im Rahmen.
    Dynamisch hat er hier natürlich noch zugelegt, und er gehört auch zu den bisher noch wenigen, die bei den strukturierenden Eingangs-fp-Akkorden signifikant abschwellen. Ansonsten ist das im dynamischen Verlauf und im Rhythmus sorgfältig gespielt.
    Immer wieder lässt er, wie schon in den Sätzen zuvor, kurze, strukturierende Rubati einfließen, auch zu seiner speziellen Sprache gehörend.
    Der Seitensatz ist so, wie ich ihn mir vorstelle, entspannt fließend, dynamisch zwischen pp und p sich hin- und her wiegend und 154/155 in einer veritablen Generalpause endend (nicht so lang wie Afanassjew, aber länger als manche andere, besonders als zuletzt Berman, der hier eher Getriebene s. o.)
    Im dritten, durchführungsartigen Teil, zeigt auch bei Betz die Dynamikkurve weiter nach oben, aber noch eher als bei Berman tritt etwa bei Takt 182, wieder Ruhe ein, ändert sich der springende Rhythmus wieder in einen fließenden, bei Karl Betz besonders. Zwischen den einzelnen Phrasen betont er ritardandomäßig die beiden nacheinander folgenden Achtelpausen im Diskant besonders, was wiederum seinem rhythmischen Stil entspricht. Und am Ende dieses in Takt 223 endenden Abschnittes erleben wir etwas ganz Besonderes: hier retardiert er nicht, sondern er acceleriert in den letzten 5 bis 10 Takten.
    Im vierten Teil, in dem das Hauptthema wieder auftaucht, aber doch nicht so recht reprisenförmig, weil es hier dynamisch ganz anders zur Sache geht, legt auch Betz dynamisch wieder zu. Auch er drückt den Ruck, der mit Einsetzen der Oktavgänge ab Takt 249 mit Auftakt durch die Musik geht, sehr schön aus, und die immer wieder sich ändernden musikalischen Formen, die in den Sechzehntel-Aufwärtsgängen ab Takt 292 gipfeln, von den Oktavgängen nun im Bass kontrastiert, die aber schon ab Takt 298 in einem langen Decrescendo auslaufen, und hier taucht auch am Ende wieder das Ritardando auf, bevor im fünften Teil ab Takt 314 mit Auftakt das Hauptthema wieder einsetzt, das hier schon eher Reprisenform zeitigt. Und fließend geht auch Betz in Takt 359 zum zweiten Mal im sechsten Teil in das Seitenthema über, hier wiederum reinen Gesang hervorbringend.
    Der im siebten Teil wieder auftauchenden hochdynamische durchführungsartige Teil, wird auch hier von Karl Betz mit der nötigen dynamischen Power vorgetragen sowie im ruhigeren zweiten Abschnitt mit den rhythmischen Besonderheiten.
    Die zeichnen auch den zum dritten Mal wieder sich einfindenden stark verkürzten Hauptthementeil aus, der dann ab Takt 513 mit Auftakt in die Prestocoda übergeht, mit der Karl Betz die Sonate würdig abschließt.
    Angesichts dessen, dass Karl Betz hier sein Konzept so glaubhaft und konsequent durchficht und mir seine Art zu spielen, sehr entgegen kommt, sehe ich seine Aufnahme durchaus nicht weit von den Referenzen entfernt.


    Liebe Grüße


    Willi :thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup:

    1. "Das Notwendigste, das Härteste und die Hauptsache in der Musik ist das Tempo". (Wolfgang Amadeus Mozart).
    2. "Es gibt nur ein Tempo, und das ist das richtige". (Wilhelm Furtwängler).

  • Lieber Willi,


    das finde ich toll, dass Du Karl Betz "ausgegraben" hast, der mir auch völlig unbekannt ist. Die vielen sehr guten Pianisten, die viel für die Ausbildung junger Pianisten tun, sollten auch gewürdigt werden! :)


    Herzlich grüßend
    Holger

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  • Lieber Holger,


    ich bin inzwischen mit Karl Betz in einen Email-Austausch getreten und werde gelegentlich, wenn er einverstanden ist, darüber berichten. Ich könnte dir die Daten der o. a. CD und die der 1972-Berman-Aufnahme rüberschicken, wenn du mir die späteren Berman-Aufnahmen rüberschicken könntest. Die würde ich dann nämlich ganz gerne hier noch besprechen.


    Liebe Grüße


    Willi :)

    1. "Das Notwendigste, das Härteste und die Hauptsache in der Musik ist das Tempo". (Wolfgang Amadeus Mozart).
    2. "Es gibt nur ein Tempo, und das ist das richtige". (Wilhelm Furtwängler).

  • ch bin inzwischen mit Karl Betz in einen Email-Austausch getreten und werde gelegentlich, wenn er einverstanden ist, darüber berichten.

    Lieber Willi,


    das ist ja toll! Mit Künstlern selber über Interpretationsfragen zu diskutieren, ist immer besonders aufschlussreich! Mit meinem Lehrer mache ich das ja auch! :)

    Ich könnte dir die Daten der o. a. CD und die der 1972-Berman-Aufnahme rüberschicken, wenn du mir die späteren Berman-Aufnahmen rüberschicken könntest. Die würde ich dann nämlich ganz gerne hier noch besprechen.

    Das wäre super! Klar, ich schicke Dir dann die beiden anderen Aufnahmen! :hello:


    Herzlich grüßend
    Holger

  • Franz Schubert, Klaviersonate Nr. 21 B-dur D.960
    Alfred Brendel, Klavier

    alfred-brendel--3-1451920832-view-0.jpg
    (Ein Foto, das eventuell zu dem Datum der Aufnahme passen könnte)
    Instrument: Steinway
    AD: 11/1971, Salzburg
    Spielzeiten: 14:37 (19:22) – 8:52 – 3:56 – 8:28 --- 35’53 (ca. 40’53) min.; (Klammerangaben mit gedachter Wh. der Exposition)


    Alfred Brendel gehört zu den Pianisten, die die Wiederholung der Exposition des Kopfsatzes nicht spielen, und er hat dies in seinem Buch „Über Musik“ hinlänglich begründet:

    Andere Pianisten, auch der zu seinen Freunden gehörende Paul Badura-Skoda, den ich im letzten Herbst noch in einem denkwürdigen Beethoven-Recital (als „Einspringer“ für den erkrankten Bruno Leonardo Gelber) live erlebte, sind da anderer Meinung, und ich habe die Aussagen Brendels und Badura-Skodas weiter oben in Beitrag Nr. 68 zitiert.


    Zum Tempo ist zu sagen, dass Alfred Brendel signifikant schneller ist als seine beiden hier besprochenen Vorgänger, knapp zwei Minuten schneller als Berman und über drei Minuten schneller als Betz. Aber das kann m. E. immer noch unter dem Oberbegriff „Molto moderato“ gefasst werden und kommt mir keineswegs gehetzt vor. Außerdem strahlt sein Spiel ebenfalls eine große Ruhe aus und er vermittelt auch sofort die große Sanglichkeit dieses Kopfsatzes, ja generell Schubert als den Inbegriff alles Sanglichen, und zwar in jeder seelischen Stimmung. Gleichzeitig zeigt Brendel auch, welch ein großer Lyriker er selbst ist. Davon zeugen alle seine Aufnahmen, und diese ist ein Paradebeispiel dafür. Dynamisch liegt er etwas oberhalb von Betz.
    Die erste Pausenfermate in Takt 9 hält er auch nicht so lange an wie Betz, und auch das ist richtig, weil es ja zu dem höheren Grundtempo passen muss.
    Im dritten Teil des Themas, wo ja das temporale Binnenverhältnis der oberen Oktave mit der Melodie sich stetig der Begleitoktave mit den durchlaufenden Sechzehnteln annähert, hält er dennoch den Grundpuls konstant und beginnt auch wie Betz und andere vor ihm Besprochene das großartige Crescendo erst in Takt 34 und ist dabei im dynamischen Verlauf ähnlich wie sein Vorgänger Betz. Auch die dynamischen Bewegungen im vierten Thementeil (Takt 36 bis 46) kommen ganz exakt, wobei mir sein Decrescendo ab Takt 45 bis zur Mitte von Takt 46 ganz besonders gut gefällt.
    Ganz wunderbar im Ausdruck gestaltet er auch das zweite Thema in fis-moll ab Takt 47 bis 69, vor allem, was den Fluss der Musik in den vielfältigen kleinen und größeren dynamischen Bewegungen betrifft. Das Gleiche gilt auch für das wieder zum B-dur zurückgekehrte dritte Thema ab Takt 70 mit den Staccato-Achtelfiguren, die ab Takt 79 auf- und abstreben, ab Takt 83 den Verlauf ändern und dann ab Takt 86 im alten Verlauf im Bass auftauchen.
    Das spielt er alles so wunderbar natürlich und in einem sehr anmutig hüpfenden Rhythmus bis zur Schlussgruppe, wo sich dieser wieder wandelt und mehr zum Legato zurückkehrt.
    In der Schlussgruppe wählt Brendel eine Dynamik, die eher der Bermans ähnelt, die mf-Takte 106/107 fährt er etwas zurück und stellt dafür die p-Takte 108/109 etwas mehr in den akustischen Raum. Bei 4:45 endet dann seine Exposition, und er verbindet sie mit der Durchführung mit einem hinreißenden Ritardandotakt 117b. Das klingt so, wie er es spielt, schlüssig. Aber ist es auch der Wille des Komponisten?
    Den Beginn der Durchführung spielt er dynamisch verhalten, allerdings hätte ich mir die dynamischen Bewegungen in den Takten 124, 128 und 130 etwas deutlicher gewünscht. Den zweiten Abschnitt mit den Achteltriolen ab Takt 131 spielt er wieder ganz ausgezeichnet und fährt den Achtel-Portatotakt 150 noch etwas zurück- großartig!
    Auch der nächste Abschnitt mit den konstant durchlaufenden klopfenden Achteln ab Takt 151 und der sich ab Takt 157 musikalisch verdichtenden Struktur in Richtung Dissonanz gefällt mir ausgezeichnet, auch die Steigerung ab Takt 160.
    Im nächsten Abschnitt, als die Begleitakkord-Achtel dichter werden, hätte ich mit den dynamischen Akzent in Takt 176/177 etwas stärker gewünscht. Der dann folgende Abschnitt mit den zurückgekehrten Basstrillern ab Takt 186 ist wieder ausgezeichnet musiziert, nur die Achteltriolen-Stelle in der Abwärtsbewegung ab Takt 210 auf der Drei tritt mir in ihrer Beschleunigung zu wenig hervor. Die Absenkung auf ppp in Takt 212 ist wieder in Ordnung.
    Allerdings spielt er dann den Basstriller in der Reprise in Takt 223 nach meinem Dafürhalten zu laut. Das ist keinesfalls ppp.
    In der Themenvariierung ab Takt 234 zeigt er wieder seine großen lyrischen Fähigkeiten und führt das Geschehen wieder in die große Steigerung (ab Takt 253), und hier sind auch die dynamischen Bewegungen wieder vom Feinsten. Auch die Achteltriolensequenz ab Takt 298 bis hin zur Schlussgrupp und, die Schlussgruppe selbst sind wieder auf hohem Niveau und die wundersame Coda ist schlichtweg grandios.
    Trotz geringer Irritationen im dynamischen und temporalen Bereich ist ihm ein großartiger Kopfsatz gelungen.


    Im Andante gehört Alfred Brendel in dieser seiner ersten Aufnahme zu den Schnellsten. Nur Zoltan Kocsis und Brendels Freund Paul Badura-Skoda in seinen späteren Aufnahmen sind noch schneller.
    Von Anfang an nimmt mich sein Vortrag allerdings gefangen. Das atmet wunderbar, das malt sanft die dynamischen Bewegungen aus, und das singt vor allem, mal im melancholischen Tonfall, mal im anrührenden, sanft leuchtenden Tonfall. Das hat natürlich nicht die schwer lastende Trauer anderer Aufnahmen, aber: muss es das? Kann nicht dieses unglaubliche Schubertsche Andante auch in dieser Lesart überzeugen? Ich finde, schon! Und am Ende, im Übergang zum überirdischen Seitenthema wird es dann doch noch traurig genug.
    Und dann das Seitenthema, das sich zu einem beseligenden Singen, ja fast einem beglückenden entwickelt, in dem er nochmal das Tempo leicht erhöht. Auch dynamisch ist hier alles äußerst überzeugend und schlüssig. Doch auch das schönste Lied geht einmal zu Ende, auch wenn es am Schluss (etwas) langsamer wird. Entsprechend seinem Tempokonzept ist natürlich auch die Generalpause (Takt 89) kürzer als bei mehreren anderen.
    In der Wiederholung des Thementeils A wird auch Brendels Ausdruck noch etwas dunkler, auch bedingt durch die verdichtete musikalische Begleitfigur im Bass (drei Sechzehntel, einen angehängte Achtel, wobei er auch im dynamischen Wechselspiel hier wieder voll überzeugt. Und wie wunderbar spielt er den neuerlichen Wechsel nach Dur (ab Takt 103) und lässt im anschließenden Mollteil das Geschehen wieder langsam verdunkeln.
    Und die wundersame Coda spielt er einfach überragend, da schüttelt es mich so richtig durch, macht mich fassungslos- als wenn er nur auf diese Coda gewartet hätte, um seinen Ausdrucksgipfel zu erreichen.


    Im Scherzo ist Brendel natürlich auch schneller als Berman und vor allem als Betz. Das ist wieder ein ganz anderes Scherzo. Das hat etwas Leichtes, ohne jedoch als zu leicht befunden zu werden, etwas Mendelssohnsch-Elfenhaftes. Das ist Florett statt Säbel. Und gerade deshalb passt es m. E. gut zum voraufgegangenen Andante, wie ich weiter oben schon ausgeführt habe.
    Und auch das Trio- mein Gott: das scheint ja aus einer ganz anderen Welt zu kommen- kein Klumpfuß, sondern ein beschwingter Wienerischer Dreier, die Forzandopiani nicht im Entferntesten mit jenem Druck gespielt, den Karl Betz aufgewendet hat, dieser jedoch eben auch wieder aus gutem Grund, wie ich in der Besprechung seiner Aufnahme ausgeführt habe. Zwei ganz verschiedene Konzepte schlagen sich natürlich auch in diesem Trio nieder.
    Ein großartiges, ein bezauberndes Scherzo!


    Auch im finalen Rondo ist Alfred Brendel aus gutem Grund erheblich schneller als Karl Betz, aber auch signifikant langsamer als Lazar Berman, der allerdings nicht der bisher Schnellste war. Das war Geza Anda mit 6:51 min. (siehe Beitrag Nr. 41), was aber m. E. fragwürdig war gegenüber dessen Zeiten des Andantes und des Scherzos. Da sind die temporalen Binnenverhältnisse der Sätze bei Betz und Brendel doch viel schlüssiger.
    Wie die große Mehrzahl der bisher gehörten Pianisten spielt Alfred Brendel allerdings die auftaktigen, strukturierenden Fortepiani, von Takt 1 an, ohne das rasche Abschwellen, wie es eigentlich gehört. Er lässt den zweiten Halben-Akkord sogar teilweise in die folgenden Töne hinein schwingen, auf jeden Fall länger als die vorgesehene Achtel.
    Im zweiten Teil des Rondos, dem Seitensatz ab Takt 86, hört man wieder deutlich Brendels große lyrische Gestaltungsfähigkeit und vor allem die große Transparenz, die es dem Hörer ermöglicht, die meist drei verschiedenen Stimmen gleichzeitig gut mit verfolgen zu können.
    Die beiden Generalpausentakte 154/155 sind deutlich länger als bei Berman, aber eben auch kürzer als bei Betz, also alles im Lot.
    Im dritten Teil, dem ersten mit durchführendem Charakter, tritt auch bei Brendel die Zweiteiligkeit dieses Teils wunderschön zu Tage, im ersten, hochdynamischen (Takt 156 bis 184) das vorwärts treibende Nonlegato, im zweiten (Takt 186 mit Auftakt bis 223) das sanft wiegende Legato mit den aufwärts gerichteten Achteltriolen in der Begleitung und die herrlichen eingebetteten hohen Oktavierungen im Diskant.
    Im vierten Teil, der Wiederkehr des Themas, aber noch nicht im Originalgewand und insofern noch mit vielen hochdynamischen Abwandlungen, lässt Brendel es wieder krachen, bevor es in den Sechzehnteltonleitern im Diskant ab Takt 298 langsam zur Ruhe kommt. Alfred Brendel spielt dieses lange Decrescendo grandios.
    Der fünfte Teil, in dem zum dritten Mal das Thema auftaucht, hat da schon eher reprisenhafte Züge,
    da das Thema doch größtenteils original auftaucht. Wieder spielt Brendel die fp-G-Oktaven nicht abschwellend, sondern lang anhaltend. Wenn man sich konzentriert, kann man genau hören, wann er das Pedal loslässt.
    Hier geht es (ab Takt 360) nahtlos in das Seitenthema über, das er wieder überragend spielt und auch wieder mit zwei ausreichend langen Generalpausentakten abschließt.
    Im siebten Teil stimmt er ein zweites Mal den durchführungsartigen Abschnitt an, und wieder präsentiert uns Brendel diesen zweiseitigen Diamanten, im ersten Teil (Takt 430 bis 458) im Rohzustand, und im zweiten Teil (ab Takt 460 mit Auftakt) im Feinschliff, strahlend blinkend, und auch Brendel beendet diesen letzen langen Abschnitt vor der dritten Themenwiederholung mit einem Ritardando und spielt auch die dritte verkürzte Themenwiederkehr ganz im Ritardando und lässt zum Abschluss ein rasantes Presto erklingen.
    Eine große Aufnahme, die mir mit Wiederholung der Exposition im Kopfsatz, korrekt gespielten fp-G-Akkorden im Finale und ohne einige kleine Fragezeichen dynamischer Art zu Beginn noch besser gefallen hätte.


    Liebe Grüße


    Willi :thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup:

    1. "Das Notwendigste, das Härteste und die Hauptsache in der Musik ist das Tempo". (Wolfgang Amadeus Mozart).
    2. "Es gibt nur ein Tempo, und das ist das richtige". (Wilhelm Furtwängler).

    2 Mal editiert, zuletzt von William B.A. ()

  • Lieber Willi,


    ist das die Aufnahme in dieser Box? Dann habe ich sie!



    Sie hat mir auch sehr gut gefallen! Den Berman schicke ich Dir jetzt am Wochenende. Jetzt geht es erst einmal bei bestem Wetter zum Wochenmarkt am Aasee entlang, wo eine Ruderregatta stattfindet. :hello:


    Herzlich grüßend
    Holger

  • Ja, das ist sie lieber Holger.
    Brendel hat die Sonate nach meinem Wissen , wie sein Freund Paul Badura-Skoda insgesamt fünf Mal aufgenommen, 1971, 1976/77 (in einer DVD-Box mit eigenen Werkeinführungen in Zusammenarbeit mit Radio Bremen, wenn ich mich recht entsinne), 1988 (auf DVD),1997 schließlich der Mitschnitt bei den Farewell-Konzerten 2008:


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    Live habe ich die Sonate mit Alfred Brendel drei Mal erlebt, Anfang des Jahrtausend und dann in seinen Farewell-Konzerten 2008 in Köln und in Flensburg (SHMF). Die Aufnahme auf der letzten CD muss aber wohl in Wien mitgeschnitten worden sein, aber verifizieren kann ich das erst, wenn ich wieder zu Hause bin und in die Aufnahmen hineinschaue.
    Interessant ist, dass Paul Badura-Skoda bis zu Brendels Abschied die Sonate nur zwei Mal aufgenommen hatte. Die redstlichen drei Aufnahmen, mit denen er dann, zumindest numerisch, mit Brendel gleichzog, entstanden erst 2011 und 2012.


    Liebe Grüße


    Willi :)


    P.S. Viel Spaß bei der Ruderregatta am Aasee, hier regnet es schon den dritten Tag, und wenn ich am Sonntag wieder zu Hause eintreffe, soll es ja gewittern!

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  • P.S. Viel Spaß bei der Ruderregatta am Aasee, hier regnet es schon den dritten Tag, und wenn ich am Sonntag wieder zu Hause eintreffe, soll es ja gewittern!

    Lieber Willi,


    verrückt, da glaubst Du, Du fliegst zur Sonne, aber Du fliegst von der Sonne weg! :D Noch ist strahlender Sonnenschein hier!


    (Von wegen zur Sonne fliegen: Du kennst vielleicht den alten Kohl-Witz: Kohl, Gorbatschov und Bush sen. streiten um das beste bemannte Raumfahrtprogramm. Gorbatschow fliegt zum Mars, Bush zur Venus und Kohl prahlt, sie alle übertrumpfen wollend: "Wir Deutschen fliegen demnächst zur Sonne!" "Zur heißen Sonne???" - fragen verwundert die beiden Anderen. Darauf Kohl lässig: "Aber wir fliegen ja auch nachts!" :D :D :D )


    Die beiden Berman-Aufnahmen kommen gleich zu Dir! Menahem Pressler habe ich bekommen und auch die alte Aufnahme von Leon Fleisher in einer Box - die neue nach seiner Krankheit aufgenommen habe ich ja!


    Dir vor allem einen guten Rückflug! :hello:


    Herzlich grüßend
    Holger

  • verrückt, da glaubst Du, Du fliegst zur Sonne, aber Du fliegst von der Sonne weg! :D Noch ist strahlender Sonnenschein hier!

    Fachlich hoch qualifizierter Gedankenaustausch und dabei menschlich so gewinnend. So sollte es immer in unserem Tamino-Forum sein, Warum kann es nicht immer so sein?"
    Liebe Grüße
    Herzlichst
    Operus


    Umfassende Information - gebündelte Erfahrung - lebendige Diskussion- die ganze Welt der klassischen Musik - das ist Tamino!

  • Franz Schubert, Klaviersonate Nr. 21 B-dur D.960

    Liebe Willi,


    vielen Dank für die Dein ausführliche Besprechung dieser Aufnahme, die ich bislang zugunsten der anderen Aufnahmen Bermans ignoriert hatte, vielleicht weil er die WH im ersten Satz nicht spielt. Was für ein Versäumnis! Berman ist bei dieser Schubert Sonate ja einer meiner Favoriten, und unter seinen Aufnahmen finde ich diese noch einmal am zwingensten. Ich hatte mich an der Sonate in der letzter Zeit etws sattgehört, aber wenn ein Künstler wie Berman spielt, nimmt sie mich sofort wieder gefangen. Nichts ist hier eben pauschlierend, es geht um alles und das mit besonders intensiver Eindringlichkeit. Berman nutzt das Spekturm des Flügels zwischen Piano und Forte wirklich aus, das pauschalierene Mf eines Barenboim oder Brendel - so sehr ich beide schätze - ist seine Sache nicht.
    Schon wie er in den ersten Takten durch die insistierende Wiederholung in der linken Hand eine bedrohliche Unruhe erzählt - unvergleichlich. Überraragend ist vor allem seine Durchführung, man sitzt auf der Stuhlkante, so spannend ist das, so sehr begibt er sich da in fremde, ungehörte Welten. Und der Höhepunkt schließlich in dreifachem Piano (ppp) ist bei ihm auch etwas ganz Besonderes, indem er nämlich am Ende noch einmal etwas leiser wird und dort, wo alle anderen schon wieder erleichtert zurück ins Mf gehen, an dieser Stelle verweilt Berman noch etwas, so dass man fast fürchten muss, er findet den Weg nicht mehr zurück - atemberaubend! Danach ist alles anders, von unerhörter Zärtlichkeit, es ist keine selbstgewisse Reprise, sondern eher ein vorsichtiges Tasten, bis er in einem Aufschwung, den ich so noch nicht gehört habe, wieder an Stärke gewinnt.
    Wie schreibst Du zur Reprise: "die Fragilität seines Spiels, das Zeichnen der Töne mit dem feinsten Stift, ja der fast schon jenseitige Ton, und ganz am Ende spielt er das so erschütternd langsam und fast stockend und ganz, ganz leise, so als ob ihm (oder dem Komponisten?) nach der langen Anstrengung die Kraft ausgegangen wäre."
    Das trifft es ganz wunderbar!


    Was den ersten Satz betrifft, ist das jetzt mein Favorit und seltsamerweise vermiss ich hier die fehlende WH überhaupt nicht!


    Viele Grüße
    Christian

  • vielen Dank für die Dein ausführliche Besprechung dieser Aufnahme, die ich bislang zugunsten der anderen Aufnahmen Bermans ignoriert hatte, vielleicht weil er die WH im ersten Satz nicht spielt. Was für ein Versäumnis!

    Das war auch mein Versäumis, lieber Christian! Deshalb habe ich die CD vorhin gleich bestellt, bevor sie vergriffen ist :) - und muss dafür mein sich füllendes CD-Regal umbauen... ;( Falls Du die 1980iger oder 1992iger Aufnahme brauchst, ich habe sie als Flac-Dateien abgespeichert! (Klar, Barenboim, der den großen Bogen entlang spielt, kann mit Bermans unerhörtem Feinsinn nicht konkurrieren! :D )


    Ich habe übrigens noch zwei weitere Berman-Raritäten bestellt und eine auch schon bekommen. Da werde ich noch darüber berichten. :)


    Einen schönen Sonntag wünscht
    Holger

  • Ich komme nochmal zurück au meinen Beitrag Nr. 135 und habe nach meiner Rückkunft aus Madeira festgestellt, dass Alfre Brendel die B-dur-Sonate bei seinen Farewell,Konzerten nicht in Wien gespielt hat wie von mir angenommen, sondern in Hannover, amm 11. 12. 2008. Sein gesamtes Programm in Hannpver war:


    Ludwig van Beethoven, Sonate Nr. 13 Es-dur op. 27 Nr. 1 (damit hat er diese Soante viermal aufgenommen);
    Franz Schubert, Sonate Nr. 21 B-dur D.960 (damit hat er diese sonate fünfmal aufgenommen);
    Zugaben:
    Beethoven, Bagatelle A-dur op. 33 Nr. 4
    Schubert, Impromptu Ges-dur D. 899 Nr. 3
    Bach, Choralpräludium BWV 659 (arr. Busoni) "Nun komm der Heiden Heiland"


    Liebe Grüße


    Willi :)

    1. "Das Notwendigste, das Härteste und die Hauptsache in der Musik ist das Tempo". (Wolfgang Amadeus Mozart).
    2. "Es gibt nur ein Tempo, und das ist das richtige". (Wilhelm Furtwängler).

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  • Schubert, Klaviersonate Nr. 21 B-dur D.960
    Alfred Brendel, Klavier
    R-8127970-1455655487-7897.jpeg.jpg
    Dieses Foto könnte auch zur Aufnahmezeit (1976/77) passen.


    Instrument: Steinway
    AD: 1976-1977
    Spielzeiten: 14:47 - 9:13 - 3:53 - 8:05 --- 35:58 min.;


    Diese Aufnahme stammt aus einer DVD-Box (s.o.), in der er die Sonaten Nr. 14 bis Nr. 21, die Wandererfantasie D.760, die Moments musicaux D.780, die drei Klavierstück D.946 und die acht Impromptus D.899 und D.935 inhaltlich-fachlich besprochen und jeweils anschließend gespielt hat.
    Hier wird auch nur seine Interpretation besprochen. Die genauen Spielzeiten trage ich jeweils nach dem Hören ein.
    Alfred Brendel legt auch hier, wie ich finde, ca. fünf bis sechs Jahre nach seiner ersten Aufnahme, wieder eine sehr sangliche Aufnahme vor. Der Klang scheint mir noch etwas runder, sanfter als zuvor, auch dynamisch etwas leiser beginnend. Aber das mag auch dem Umstand geschuldet sein, dass dies eine DVD-Aufn ahme ist und ich den Klang neu justieren musste.
    Die dynamischen Bewegungen spielt er hier äußerst präzise, und auch rhythmisch lässt sein Spiel m. E. keine Wünsche offen.
    Wie großen der dynamische Kontrast von der leisesten bis zur lautesten Stelle wirklich ist, wird erst in der herausragend gespielten ersten großen Steigerung in Takt 34/35 wirklich deutlich und nochmal im zweiten etwas kürzeren Crescendo in Takt 46/47 etwas gesteigert, wo er mühelos in Takt 47 auf der Vier das Fortissimo erreicht.
    In dem wunderbaren zweiten Thema in fis-moll, (Takt 49 bis 69), wo er dem gestiegenen dynamischen Bogen begeisternd Rechnung trägt, lässt er sich vom Schwung des musikalischen Fortgangs mitreißen und beginnt das Crescendo eher, als es in den Noten steht, aber das klingt so schlüssig, dass ich das hier nicht kritisieren will.
    In dem von den Achteltriolen geprägten dritten Thema arbeitet er die dynamischen Akzente wunderbar heraus und hier fällt es mir deutlicher auf als in seiner ersten Aufnahme, dass er zu den Phrasenenden hin auch retardiert, aber wesentlich weniger als Karl Betz.
    Auch die Schlussgruppe spielt er grandios, temporal von allen Abschnitten der Exposition am langsamsten und wiederum mit großen dynamischen Kontrasten, und was soll ich sagen: auch in dieser Aufnahme beendet er die Exposition nach 4:45 min., und auch hier ist mein Bedauern wieder riesengroß, dass er diese hinreißend gespielt Exposition eben nicht wiederholt. Aber es ist, wie es ist.
    Das überleitende Ritardando fällt diesmal etwas kürzer aus als 6 Jahre zuvor.
    Was ich mir im ersten Teil der Durchführung in der 1971er-Aufnahme gewünscht hätte, das Mehr an dynamischer Struktur, sehe ich hier als erfüllt, und sogleich ist dieser Abschnitt bis zum Einsetzen der Achteltriolen, die wir schon aus der Exposition kennen, deutlich dramatischer, und sogleich ist auch die stimmungsmäßige Entspannung mit Einsetzen eben dieser Achteltriolen ab Takt 131 nochmal deutlicher zu verspüren, wie ich finde.
    Die klopfenden Bassachtel, die trotz der Rückkehr nach B-dur (hier ab Takt 150) nichts Gutes verheißen, wirken nochmal etwas Bedrohlicher als in der Aufnahme von 1971, und der ganze dann folgende Abschnitt ab Takt 151, dann 155, wo er jeweils im tiefen Pianissimo beginnt, dann kaum merklich steigert, und vor allem dann ab Takt 159, wo die Sequenz mit der taktweisen musikalischen sich zunehmend dissonant vollziehenden Verdichtung zu einer grandiosen Steigerung ab Takt 163 führt, habe ich kaum je in so intensiver unaufhaltsamer Vorwärtsbewegung gehört.
    Auch die nach dieser Steigerung mit dem fp in Takt 173 auf der Eins einsetzende dreimalige Aufwärtsfigur: 1/2 - 1/8 - 1/8 mit anschließend kurzbögigen Legatoachteln in Abwärtsbewegung wechselnd und ab Takt 179 komplett die Oktaven wechselnd, spielt er mit großer Eindringlichkeit, was in der nächsten Sequenz ab Takt 186 mit den dann wieder einsetzenden Basstrillern den Spannungsbogen weiter hoch hält.
    Auch die zweimalige Erhöhung des Themas (ab Takt 189 mit Auftakt und Takt 194 mit Auftakt spielt Brendel so unterkühlt, dass der dramatische Furor m. E. ungeheuer hoch bleibt, was durch die äußerst sinister gespielten Basstriller mehrfach bestätigt wird. Auch hier greift Brendel mehrmals zu dem Gestaltungsmittel der quasi aus dem Nichts kommenden Ritardandi, die erst im Achtelabstieg am Takt 209 und den dann ab Takt 211 mit Auftakt einsetzenden Achteltriolen ihre spürbare temporale und stimmungsmäßige Gegenbewegung am Übergang zur Reprise erfahren. Und wie er die dann folgenden beiden Basstriller im ppp spielt - (beinahe) unnachahmlich!
    Und da macht er dann einen großen Einschnitt, indem er eine Generalpause fast im Stile eines Valery Afanassjew macht, aber der kam ja bekanntlich mit der ersten hier besprochenen Aufnahme 9 Jahre später, mit der zweiten gar 37 Jahre später. Es müsste also mit der Stilfrage eher umgekehrt sein.
    Und die Reprise beginnt er in ihrer Pianissimotiefe in atemberaubender Intensität, genau wie in der Exposition. Wenigstens hören wir jetzt ja doch quasi die Exposition wieder in überragender Qualität, wo m. E. jede nicht gehörte Note praktisch eine Verschenkte wäre.
    In der Steigerung ab Takt 280 spielt er sich fast in einen Rausch, behält aber letztlich doch die Kontrolle und zelebriert anschließend die Achteltriolensequenz mit den herrlichen Oktavierungen, dass es eine pure Freude ist. Im nochmaligen anrührenden Spiel der Schlussgruppe zeigt er, wie wichtig ihm auch diese nicht so virtuos gebauten, "einfachen" Abschnitte sind und wie schwierig es schließlich ist, sie so eindrucksvoll zu spielen, wie er es hier tut.
    Ein überragend gespielter Kopfsatz!


    Im Andante sostenuto kommt abermals der große Lyriker (ich sträube mich gegen den pauschalisierenden Modebegriff "der Philosoph am Klavier") zum Zuge, wie wunderbar sind doch seine Durauflösung nach E-dur in den Takten 14 bis 17. Er spielt wie schon 6 Jahre zuvor, dieses Thema mit beklemmend stiller Melancholie und schließt nach Takt 9ff in Takt 26ff eine zweite aus dem tiefen pp kommende ebenso grandiose Steigerung an, der er ein zweites noch tiefer eichendes grandioses Decrescendo folgen lässt in die Piano-Pianissimo-Sphäre hinab sinkend- herausragend!
    Das überirdische Seitenthema tritt in seiner Lesart akustisch deutlich hervor, ist aber reiner, klarer, zu Herzen gehender Gesang ohnegleichen.
    In der Themenvariation ab Takt 59, ganz speziell in der Steigerung ab Takt 67, spielt er einen Anstieg, wie ich ihn so glaube ich noch nicht gehört habe. Das ist schlichtweg unglaublich. Das schüttelt mich richtig durch. Ebenso euphorisch, wie er diese thematische Bewegung nach oben getragen hat, lässt er sie zum Ende des Seitenthemas dann ermattet wieder sinken- grandios!
    Nach einem nicht ganz so langen Generalpausentakt 89 trägt er dann das Hauptthema in seiner ganzen Eindringlichkeit wieder vor, hier verstärkt durch die massierte Sechzehntelbegleitfigur, die nur in der neuerlichen Durauflösung (hier in Takt 103 bis 106) in ihrer Stellung verändert und abgeschwächt ist. Ich meine auch zunehmend, dass Brendel in dieser Aufnahme die in Rede stehende Sechzehntelbegleitfigur nicht ganz so insistierend spielt wie in seiner ersten Aufnahme, sondern hier etwas zurückhaltender ist. Und im Übergang zur wundersamen Coda retardiert er wieder etwas.
    Die Coda selbst ist eine eindrucksvolle Bestätigung seines bisherigen Spiels auf höchstem Niveau.


    Im Scherzo ist Alfred Brendel ähnlich schnell unterwegs wie in seiner ersten Aufnahme, aber nicht mehr ganz so leicht, wesentlich dynamischer und insofern noch mehr den Bogen schlagend zu den ersten beiden auch wie ich finde, auf höherem dynamischen Niveau.
    Im Trio geht er ähnlich zu Werke wie schon sechs Jahre zuvor: kein Teufelstanz, sondern ein beschwingter Ländler- großartig.
    Dann schließt Brendel das Scherzo da capo ed infine la Coda an.


    Im Finale lässt er die auftaktigen fp-Akkorde schon wesentlich deutlicher, allerdings nicht so schnell abschwellen wie Karl Betz, allerdings lässt er sie auch nicht so lange nachschwingen wie in der 1971er Aufnahme.
    Ansonsten ist sein rhythmisch-temporales Vorgehen ähnlich wie in der älteren Aufnahme, hat die Vorwärtsbewegune einen ungeheuren Drive, dynamisch liegt auch hier die Messlatte höher als in der ersten Aufnahme, spannt er also auch im Finale deutlicher den Bogen zu den übrigen Sätzen.
    Nach dem sehr berührend gespielten Seitensatz legt er auch hier zwei deutliche, aber nicht allzu lange Generalpausentakte 154/155 ein.
    Den ersten, hochdynamischen Teil des durchführungsartigen dritten Teils spielt er auch hier mit noch höherer dynamischer Obergrenze als in der älteren Aufnahme und mit, wie ich finde, eckigerem, rauerem Rhythmus, als es mir erinnerlich ist. Umso größer fällt auch der rhythmische Kontrast zum zur zweiten Hälfte, dem wieder schlichteren lyrischen Gesang aus, wo man hier natürlich nicht nur hören, sondern auch sehen kann, wie locker und entspannt er hier die durchlaufenden Achteltriolen in der linken Hand spielt.
    Im wiederkehrenden Thementeil, dem vierten Teil des Rondos insgesamt, spielt er wieder einen prachtvollen, hochdynamischen Anstieg mit den in der Form weiterhin durchführungsartigen Elementen des Thementeils mit einer großen dynamischen erst aufwärts strebenden , dann sich neigenden grandiosen Bewegung.
    Den nächsten Themenauftritt mit nunmehr reprisenhaftem Gewanden und integriertem Seitenthema spielt er mit großer Sorgfalt und akribischem Rhythmus mit durchaus hörbarem Unterschied zwischen den Portato- und Staccato-Figuren und dann wieder wunderbar singendem Seitenthema.
    Nochmals schließt er den hochdynamischen durchführungsartigen insgesamt siebten Teil des Rondos an, der eine zweite singende Seite hat, die er wieder so wunderbar zum Klingen bringt.
    Nach einem letzten kurzen Themenauftritt schließt er die wundersame Kurzcoda an, die ihn , wie ich finde, durchaus unter die Referenzen führen sollte.


    Liebe Grüße


    Willi :thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup:

    1. "Das Notwendigste, das Härteste und die Hauptsache in der Musik ist das Tempo". (Wolfgang Amadeus Mozart).
    2. "Es gibt nur ein Tempo, und das ist das richtige". (Wilhelm Furtwängler).

  • Schubert, Klaviersonate Nr. 21 B-dur D.960
    Gerhard Oppitz, Klavier
    Oppitz-Gerhard-02-c-privat-620x310.jpg

    Flügel: Steinway
    AD: 30. 4. - 5. 5. 2007
    Spielzeiten: 23:34 - 11:02 - 4:15 - 8:53 --- 43:40 min.;


    Aus gegebenem Anlass bespreche ich heute abweichend von der alphabetischen Reihenfolge die Aufnahme von Gerhard Oppitz, weil ich den Pianisten in den nächsten Tagen treffen werde und ich ihm bei dieser Gelegenheit die Besprechungen beider aktuellen großen B-dur-Sonaten, der von Beethoven und der von Schubert überreichen werde.


    Gerhard Oppitz beginnt den Kopfsatz in sehr moderatem Tempo und entwickelt von Beginn an einen warmen, fesselnden, glockigen Klang, der mir unter die Haut geht. Der erste Triller scheint auf wie von einem anderen Stern und ist nochmal um eine dynamische Stufe niedriger und sehr geheimnisvoll. Nur die ganz großen Pianisten wie Richter oder eben auch wie Gerhard Oppitz schaffen es, bei diesem Tempo eine so enorme Spannung aufzubauen und dabei doch ganz gelassen zu bleiben.
    Spätestens im dritten Teil des Hauptthemas, etwa ab Takt 20, ahnt man, warum Oppitz so langsam begonnen hat. Fast unmerklich acceleriert er diesen ganzen Abschnitt hindurch, wobei er die ganze Zeit, was manche andere Pianisten nicht können (oder wollen), das Pianissimo durchhält und erst in den beiden Takten 34 und 35 eine wahrhaft gigantische Steigerung entfesselt, wie man sie in dieser bezwingenden Folgerichtigkeit nur ganz selten zu hören bekommt.
    Im vierten Teil hält er die Dynamik auf dem Forte-Level und baut ab Takt 40 die dynamischen Bewegungen behutsam ein, am Schluss (ab Takt 44) eine großartiges Decrescendo und anschließendes Crescendo zum Übergang zum zweiten Thema in fis-moll anzuschließen. Das Seitenthema erhält in diesem Tempo ein anderes Gewicht, wird auch stimmungsmäßig in all seiner Trauer quasi zum "Gegengewicht" des doch sehr anrührenden, an der Schwelle zu einer anderen, höheren Dimension stehenden Hauptthemas.
    Wieder acceleriert er mit Einsetzen der Wechsel-Intervall-Sechzehntel ab Takt 59, in Richtung des dritten Themas, das er ab Takt 70, in Rückkehr zum B-dur, in der Oktavierung in die ganz hohe Oktave wie einen strahlenden Sonnenaufgang gestaltet, und dann ab Takt 79 die herrlichen Achteltriolen im Aufwärts- und Abwärtsgang anschließt, die wiederkehrenden dynamischen Bewegungen deutlich hervorhebend.
    Die dynamische Schlussgruppe wird unter seinen Händen zu einer hochdynamischen Schlussgruppe. Man irrt, wenn man glaubt, so ein lyrischer satz wie der Kopfsatz der B-dur-Sonate müsste im Flüstermodus gespielt werden.
    Allein die Schlussgruppe ab Takt 99 mit der anschließenden Überleitung zur Wiederholung der Exposition weist 2 fp, 6 mf, 1 f, 2 ff, 2 ffz, 1 p, 3 pp, 2 cresc und ein decresc. innerhalb 26 Taten auf. Es geht also allein auf dieser kurzen Strecke dynamischen pausenlos auf und ab, und Oppitz nutzt das maximal aus, eine offensive, aber sehr überzeugende Herangehensweise.
    Durch seine maximale Dynamik in gerade dieser Überleitung mit einem markerschütternden Abschlusstriller in Takt 124a/125a bringt er zudem den schlagenden Beweis dafür, weshalb in meinen bisher 84 Aufnahmen der B-dur-Sonate 61 mit Wiederholung der Exposition sind und nur 23 ohne. In allen diesen letzteren werden die Zeiten mit einer Wiederholung virtuell hinzugefügt, um eine bessere Vergleichbarkeit in diesem Aspekt zu erreichen.
    Nach der Überleitung dehnt Gerhard Oppitz die abschließende Pausenfermat zwar nicht 10 Sekunden aus wie Valery Afanassjew in seiner Live-Aufnahme 2013, aber satte sechs Sekunden lässt er auch verstreichen.
    Dann haben wir das Vergnügen, die grandios gespielte Exposition noch einmal hören zu dürfen.
    Eines sei noch gesagt: trotz des warmen, leicht dunklen Klangbildes ist Oppitz' Spiel so transparent, dass auch der Laie, dank des moderaten Tempos, den teilweise bis zu siebenstimmigen Satz sehr gut in seiner Struktur zu erfassen.
    Und noch Eines möchte ich anschließen: die vor allem im dritten, staccatogeprägten Thema in beiden Oktaven vorkommenden Pausen spielt Oppitz deutlicher als mancher Andere. Ich habe in diesem Abschnitt (Takt 94 bis 98) auch schon mehrfach Pausen überspielt gehört. Durch das korrekte Einhalten der Pausen, auch im Folgenden in der Schlussgruppe, wird jedoch das Unterbrechen des Flusses, das Schubert hier komponiert hat, besser zum Ausdruck gebracht.
    den zur Durchführung überleitenden Takt 117b spielt Oppitz sehr berührend und lässt die letzte Viertel (Fermate) lange ausklingen.
    Der erste, thematische Abschnitt (Takt 118b bis 130) klingt in Oppitz' Lesart schwerer und insistierender, als ich es schon gehört habe, auch noch ein wenig mehr als in Brendels zweiter Aufnahme, auf jeden Fall aber schwerer als in dessen erster Aufnahme von 1971, auch tut sich hier mit Einsetzen der Staccato/Legato-Achteltriolen (ab Takt 130) ein gehöriger stimmungsmäßiger Kontrast auf.
    Auch hier fällt wieder wohltuend auf, wie sorgfältig er die dynamischen Bewegungen in dieser ganzen Sequenz vollzieht und so das Ganze in eine große Wiegebewegung bringt- grandios!
    Nach der Rückkehr nach B-dur (ab Takt 146) ist auch in Oppitz Lesart, besonders auch durch die genial dunkel gefärbten klopfenden Achtel in der Begleitung keine Entspannung in Sicht.
    Grandios spielt er die Verdichtungssequenz mit der zunehmenden Dissonanz ab Takt 160, die er in einer atemberaubenden Steigerung auslaufen lässt.
    Auch nach dieser furchterregenden Steigerung bleibt die negative Stimmung, jetzt befeuert durch die taktweise wechselnden Quint/Sext-Akkorde, die ab Takt 172 ständig die Oktav wechseln mit der Themenstimme, aber nicht, wie bei Beethoven mit mathematisch gleich langen Abschnitten, sondern immer unterschiedlichen Abschnitten. Da hat Schubert sich längst von seinem Vorbild Beethoven gelöst, oder, wenn man so will, es weiter entwickelt. Und auch hier mischen sich die tiefen Triller wieder bedeutungsschwer ein (ab Takt 186).
    Meisterlich hervorgehoben die beiden Fortepiani in Takt 203 und 206, jeweils auf der Eins, und genial die beiden abschließenden tiefen Triller im Piano Pianissimo und vor der Reprise nochmal die sechs Sekunden Pausenfermate. Ich bin ganz begeistert von dieser Auffassung, auch die "komponierten Pausen" genügend herauszustellen. Das hatte mich schon in Afanassjews Aufnahmen vollkommen überzeugt (und beileibe nicht nur, weil es vorher auch Kaiser überzeugt hatte). Ich finde, die Bedeutung hört man einfach, wenn man lange genug nichts hört.
    Grandios, wie Gerhard Oppitz gleich zu Beginn der Reprise den ersten Basstriller im abgrundtiefen Piano Pianissimo spielt. Ich würde mich auch nicht scheuen, diese Stelle mit "pppp" zu bezeichnen.
    Auch hier lässt er wieder eine gehörige Pausenfermate folgen. Und wieder begeistert mich der dritte Thementeil mit der Variation und reißt mich die unglaubliche Steigerung in den Achtel-Triolen-Oktav-Akkorden (hier ab Takt 253) mit sich fort, beeindruckt mich das fis-moll-Seitenthema (hier ab Takt 267) zutiefst, jagt mir der hohe Bogen in der Rückkehr zu B-dur (hier ab Takt 289) einen Schauer über den Rücken, ebenso wie die anschließende Sequenz mit den Achtel-Staccato-Triolen und die hochdynamische Schlussgruppe, schließlich die wundersame Kurzcoda.
    Das war so ein Kopfsatz ganz nach meinem Geschmack, durchzogen von hoher Partiturtreue mit einem ganz individuellen Ansatz, der ja nicht in jedem Sonatensatz möglich ist, aber hier.
    Das könnte auf eine weitere Referenz hinauslaufen.


    Im Andante ist Gerhard Oppitz sozusagen temporal deckungsgleich mit Afanassjews 1985er Aufnahme. Eine tiefe Trauer zieht auf. Und gleich di erste stufige Steigerung fällt dramatischer, massiver aus als bei Brendel, obwohl die wiederum gesteigert war gegenüber Brendels erster Aufnahme.
    Wie trostreich erscheinen da die vier E-dur-Takte (Takt 14 bis 17). Doch die zweite dramatische Steigerung wirft uns wieder zurück. Durch die immer wiederkehrende gleiche Form haben die tiefen Begleitfiguren hier schon etwas Unabänderliches. Faszinierend hier auch wieder Gerhard Oppitz' organisches Versinken ins "ppp" in Takt 38 auf der Eins.
    Das überirdische Seitenthema spiel Gerhard Oppitz überragend, tiefe Ruhe und Frieden ziehen einem durchs Gemüt. Auch die Steigerung ab Takt 72 mit Auftakt integriert Oppitz fließend in den melodischen Fortgang. Wunderbar lässt er dann (ab Takt 76) den zweiten Teil des Themas in der <Oktavierung nach oben emporwachsen, quasi "aufgehen" und lässt dann das Geschehen langsam ins dynamische Nichts sinken, hin zu, Generalpausentakt 89, den er auch auf fünf Sekunden ausdehnt.
    Den sozusagen reprisenförmigen Thementeil spielt er genauso beklemmend wie den expositionsförmigen, mit einer grandiosen ersten Steigerung ab Takt 98, einer wunderbaren Dur-Wandlung (hier Takt 103 bis 106) und einer beseligenden kurzen Coda.
    Auch das Andante sehe ich auf Top-Niveau.


    Im Scherzo ist er etwas langsamer als Alfred Brendel, aber auch deutlich schneller als Valery Afanassjew. Dynamisch ist her hier ebenfalls an der oberen Kante, rhythmisch akribisch wie gewohnt.
    Im Trio tut sich ein gehöriger temporaler Kontrast zum Scherzo auf, ebenso wie der ganze Satz natürlich als großer Kontrast zu den voraufgegangenen Sätzen zu gelten hat, durch die kräftige dynamische Struktur aber gleichzeitig einen Bogen schlägt zu den voraufgegangenen Sätzen. Die Forzandopiani im Trio stellt er stärker heraus als Brendel. Dann schließt er das Scherzo mit der Kurzcoda an.
    Wenn ich noch einmal das Bild aus der Malerei bemühen darf, so malt er auch das Scherzo mit kräftigem Pinselstrich, und es passt insofern m. E. vorzüglich zu den ersten beiden Sätzen.


    Das abschließende Rondo bleibt dynamisch auf dem gleichen Niveau wie die voraufgegangenen Sätze. Die auftaktigen Fortepiani lässt er nicht wie Karl Betz, subito verklingen, sondern ähnlich wie Alfred Brendel langsam, aber erlässt sie verklingen. Rhythmisch und in den dynamischen Bewegungen spielt er das alles wieder äußerst aufmerksam und mitreißend.
    Den zweiten Teil des Rondos, den Seitensatz, spielt er sehr entspannt und sanglich, aber weiterhin in einer äußerst diesseitigen Tongebung.
    Die beiden Generalpausentakte 154/155 spielt er nicht so lang aus wie die voraufgegangenen Beispiele, aber das würde auch zu dem doch gestiegenen Tempo nicht so recht passen.
    Der erste Abschnitt des durchführenden dritten Teils des Rondos spielt er so hochdynamisch, dass dieser dem Finale der Appassionata alle Ehre gemacht hätte.
    Aber sehr schön decrescendiert er zu dem sehr sanglichen zweiten Abschnitt mit den wunderbaren begleitenden Achteltriolen. Dieser Abschnitt gehört sicherlich zu den positivsten Stimmungen in der ganzen Sonate, und er spielt das grandios.
    Den wiederkehrenden Thementeil mit den nach wie vor durchführungsartigen Zügen, spielt er wieder mit großer dynamischer Kraftentfaltung und den vorwiegenden Dynamikwechseln mit Einsetzen der Achteltriolen ab Takt 261 und lässt erst mit dem Decrescendo ab Takt 298 nach, das er sehr überzeugend spielt.
    Den jetzt erreichten fünften Teil des Rondos mit den nunmehr eindeutigen reprisenhaften Zügen beginnt er wieder mit einem lang ausklingenden fp-Akkord. Und er spielt das prächtig, auch das integrierte Seitenthema ab Takt 360, das er wieder wunderbar fließen lässt.
    Nach neuerlichen Generalpausentakten (428/429) bricht ein zweites Mal das "Durchführungsgewitter" aus. Das spielt er wirklich sehr vehement. Umso schöner ist der Kontrast mit den kurzen Legatobögen ab Takt 459, bevor ein letztes Mal kurz das Thema auftaucht (ab Takt 491 mit Auftakt), das er mit deutlicher temporaler und dynamsicher Abwärtsbewegung spielt, um - letzter Kontrast, eine begeisternde höchstdynamische und -temporale Prestocoda zu spielen.


    Da bleiben keine Fragen offen- eine grandiose, begeisternde Aufnahme, in der alles aus der Partitur heraus seinen Sinn offenbart, und die ich deshalb getrost an die Seite der bisherigen Referenzen stellen darf.


    Liebe Grüße


    Willi :thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup:

    1. "Das Notwendigste, das Härteste und die Hauptsache in der Musik ist das Tempo". (Wolfgang Amadeus Mozart).
    2. "Es gibt nur ein Tempo, und das ist das richtige". (Wilhelm Furtwängler).

  • Da bleiben keine Fragen offen- eine grandiose, begeisternde Aufnahme, in der alles aus der Partitur heraus seinen Sinn offenbart, und die ich deshalb getrost an die Seite der bisherigen Referenzen stellen darf.

    Lieber Willi,


    Du hast verpasst, meine WETransfer-Sendungen von Berman runterzuladen - die waren verfügbar bis gestern (28.4.)! Sind die Mails mit den Links vielleicht in Deinem Spam-Ordner versehentlich gelandet? :D Morgen spätestens schicke ich sie Dir nochmals! :hello:


    Bei den Hörschnipseln fand ich die Aufnahmetechnik bei Oppitz nicht so ganz ideal - doch sehr viel Hallanteil. Mein Spontaneindruck war aber auch nicht so begeistert - vielleicht liegt es mit daran.

    Demnächst erscheint Marc-André Hamelins Aufnahme der B-Dur Sonate:

    Ob das der Weisheit letzter Schluss in Sachen Schubert ist, weiß ich nicht, lieber Christian, aber der Interpretationsansatz des Kopfsatzes ist schon einmal interessant den Hörproben zufolge. :hello:


    Schaut mal hier - das Angebot gilt nur bis morgen (Heinrich Neuhaus u.a. zwar nicht mit Schubert, aber mit Beethoven-Sonaten und Schumanns Kreisleriana!) :


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    Einen schönen Sonntag wünscht
    Holger

  • Lieber Holger,


    Gerhard Oppitz' Interpretationsansatz kommt meinem Empfinden sehr entgegen, und ich bewundere die Entwicklung seiner Steigerungen, die nicht selten in äußerst beeindruckenden ff (fff) enden, ohne zu laut und knallig zu wirken. Und seine temporalen Kontraste, vor allem im Kopfsatz, sind, aus einem langsamen Grundtempo entwickelt, sehr groß. Sein Speil empfinde ich isngesamt als sehr spannungsreich.
    Ich habe ja auch schon seine sämtlichen bisher besprochenen Beethovensonaten (17) ausführlich gehört und ebenfalls besprochen, und auch dort überzeugte mich sein Spiel sehr.
    Außerdem habe ich Gerhard Oppitz am Freitag kenngelrnt und mich lange und sehr gut mit ihm unterhalten. Er wr mir auf Anhieb sehr sympathisch und hat sich sehr über die Überreichung der beiden Besprechungen der Hammerklavier-Sonate und der Sonate B-dur D.960 gefreut. Heute Abend werde wir ihn mit eingen Taminos (ich bin bei Hans (operus) zu Gast) im Konzert erleben. Es gibt die Ouvertüre zu "La Clemenza di Tito", das KK Nr. 24 c-moll KV 491, die Burleske von Richard Strauss und zum Abschluss die Dymphonie Nr. 8 F-dur op. 93 von Ludwig van Beethoven.


    Der Hallanteil, von dem du sprichst, ist möglicherweise auf den Aufnahmeort Reitstadel in Neumarkt zurückzuführen, von dem er übrigens begeistert ist, denn ich ahtte ihn gefragt, warum er dort aufgenommen hat. Alfrd Brendel aht übrigens die Beethovensonaten seiner dritten Gesamtaufnahme in den Neunziger Jahren dort auch aufgenommen, und Andras Schiff hat, wenn ich nicht irre, die letzte Aufnahme seiner Beethoven-Sonaten ebenfalls dort aufgenommen.


    @Christian:


    Lieber Christian,


    schönen Dank für deinen Tipp, lieber Christian. Leider kommt er etwas spät. Ich hatte schon vorher die Aufnahme bestellt, und sie wird am Erscheinungstag bei mir eintreffen.


    Liebe Grüße, auch von Hans (operus),


    Willi :)

    1. "Das Notwendigste, das Härteste und die Hauptsache in der Musik ist das Tempo". (Wolfgang Amadeus Mozart).
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  • Außerdem habe ich Gerhard Oppitz am Freitag kenngelrnt und mich lange und sehr gut mit ihm unterhalten. Er wr mir auf Anhieb sehr sympathisch und hat sich sehr über die Überreichung der beiden Besprechungen der Hammerklavier-Sonate und der Sonate B-dur D.960 gefreut. Heute Abend werde wir ihn mit eingen Taminos (ich bin bei Hans (operus) zu Gast) im Konzert erleben. Es gibt die Ouvertüre zu "La Clemenza di Tito", das KK Nr. 24 c-moll KV 491, die Burleske von Richard Strauss und zum Abschluss die Dymphonie Nr. 8 F-dur op. 93 von Ludwig van Beethoven.

    Lieber Willi,


    toll - viel Spaß!!! :) Du kannst Gerhard Oppitz ja mal drauf ansprechen - ich habe ihn vor Jahren in der Bielefelder Oetker-Halle mit dem immens schwierigen Reger-Konzert gehört. Das war auch ein wunderbarer Konzertabend! Ich selbst bin heute (die Vorstellung beginnt um 17 Uhr) zusammen mit drei Wagnerianern hier aus Münster in der Düsseldorfer Rheinoper bei "Siegfried"! :)


    Was den Hallanteil angeht muss ich nochmals stichprobenartig nachhören - die Schubert GA von ihm habe ich ja nicht. Kann natürlich auch sein, dass die Tontechniker meinten, da etwas zumixen zu müssen.


    Über WeTransfer habe ich Dir alles nochmals vorhin geschickt! ;) :hello:


    Herzlich grüßend
    Holger

  • Franz Schubert, Klaviersonate Nr. 21 B-dur D.960
    Camiel Boomsma, Klavier

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    AD: 23. & 24. Mai 2017, Westvest Church, Schiedam/NL
    Spielzeiten: 15:43 (ca. 21:00) - 10:17 - 4:16 - 8:56 --- 39:12 (ca. 44:30 virtuell) mit Wh. der Exposition


    Bevor ich in meinen Besprechungen mit den Aufnahmen Alfred Brendels weitermache, möchte ich eine Aufnahme von Camiel Boomsma, einem holländischen Pianisten, den ich bisher überhaupt nicht kannte und die ich gerade erhielt, nachreichen. Den Pianisten möchte ich in einem kurzen Text vorstellen:


    Der vielversprechende Camiel Boomsma wurde 1990 in Amsterdam geboren und begann sein Studium bei Professor Marcel Baudet am Amsterdamer Konservatorium. Zur Zeit studiert er bei Professor Jan Wijn.
    Camiel gibt bei vielen Veranstaltungen in den Niederlanden Solorecitals und Kammermusikkonzerte, u. a. in "De Doelen" in Rotterdam, dem "Musiekcentrum" in Enschede, dem großen Saal der Philharmonie in Haarlem, und an verschiedenen Festivalorten wie z. B. dem "Grachtenfestival" in Amsterdam.
    Camiel hat vielen Unterrichtsveranstaltungen und Meisterklassen in Klavier solo und Kammermusik bei bekannten Künstlern sowohl privat als auch während der Sommerfestivals absolviert. Er nahm 2011 beim Internationalen Vila Seca Music Festival an Meisterklassen von Paul Badura Skoda und Boris Berman teil und wurde unterwiesen von so bekannten Musikern wie Paul Komen, Nino Gvetadze und Håkon Austbø.
    In kammermusikalischen Meisterklassen in den Sparten Klaviertrio, Violinsonaten, Klaviersonaten und Klavierquintette wurde er unterrichtet von bekannten holländischen und internationalen Musikern wie Mitgliedern des Osiris Trios, Isabelle van Keulen und vielen anderen.
    Er trat auch auf mit Mitgliedern des Radio Philharmonic Orchestra. Camiel kam auch in den Genuss von Unterrichtsstunden bei dem Pianisten und Lisztspezialisten Leslie Howard.
    Übers.: William B.A.
    Weiteres in englischer Sprache kann man hier lesen: https://www.geelvinck.nl/kunstenaars/camiel-boomsma-piano/


    Camiel Boomsma beginnt den Kopfsatz in ruhigem Tempo mit einem warmen, dennoch klaren Klang, schönem Pianissimo und vorbildlichem Legato. Dennoch ist mir gleich im Auftakt zu Takt 1 aufgefallen, dass er die zweite Achtel in der oberen Basslage vergisst (?). Das wäre mir vielleicht nicht aufgefallen, wenn ich sie bisher nicht immer (?) gehört hätte.
    In der Wiederholung (Takt 10 mit Auftakt) spielt er sie dann doch.
    Im dritten Teil (Takt 20 bis 35) spielt er für meine Begriffe die dynamische Steigerung, die nach Schuberts Notierungen erst in Takt 34 beginnen sollte und nach zwei kurzen Takten ein knackiges Forte erreichen müsste. Boomsma jedoch verlässt schon ab Takt 28, wo Schubert nochmal ein "pp" notiert, diese Dynamikstufe und nähert sich wie ich finde, in den folgenden Takten über Piano doch schon vor Takt 34 dem Mezzopiano, steigert dann aber in den Takten 34 und 35 nochmal kräftig und ist am Ende von Takt 35 bei einem veritablen Fortissimo angelangt. Das klingt ganz toll, ist aber nicht ganz korrekt.
    Im vierten Teil (Takt 36 bis 46) spielt er die dynamischen Bewegungen in Takt 40 bis 43 doch merkbar und das anschließende Decrescendo/Crescendo wieder voll zufriedenstellend.
    Auch das anschließende zweite Thema in fis-moll (Takt 49 bis 69) spielt er dynamisch und temporal durchaus partiturgerecht und auch rhythmisch sehr präsent. Sehr gut gefällt mir auch das dritte Thema (ab Takt 70), wieder in B-dur, in dem er in der Oktavierung (ab Takt 76 mit Auftakt) eine sehr schöne Steigerung spielt.
    Auch die Sequenz mit den auf- und abstrebenden Achteltriolen ab Takt 80 mit Auftakt gelingt ihm, wie ich finde, sehr berührend und ausdrucksstark, hier die dynamischen Bewegungen sehr aufmerksam nachzeichnend. Die rhythmisch und dynamisch sehr anspruchsvolle und kontrastreiche Schlussgruppe (ab Takt 99) spielt er ebenfalls auf sehr hohem Niveau.
    Nach 5:10 min. beendet er die Exposition und wiederholt sie leider nicht. Er gehört damit zur Minderheit in meinen bisher vorhandenen 93 Aufnahmen.
    Das überleitenden Ritardando in Takt 117b spielt er sehr gefühlvoll und lässt die abschließenden Viertel-Fermate lange ausklingen, was mir sehr gefällt.
    Dann spielt er eine dynamisch bewegte und traurige, aber nicht tieftraurige Durchführung, wie ich finde. Auch die Aufhellung ab Takt 131 gelingt ihm in den Achtel-Staccato- und Legato- Triolen sehr eindrücklich, und er schließt diese Sequenzen mit einem eindrucksvollen Crescendo-Decrescendo in Takt 148/149 ab.
    Die jetzt ab Takt 150 auftretenden klopfenden Achtel sorgen auch in Boomsmas Spiel dafür, dass die Stimmung trotz der Rückkehr zu B-dur (ab Takt 146) nicht überhandnimmt, wie es sich auch in der zunehmend dissonanten klanglichen Dichte ab Takt 160 ausdrückt. Auch das langgezogene Crescendo ab Takt 162 spielt Camiel Boomsma sehr ausdrucksstark.
    Auch der nächste Abschnitt (ab Takt186), wo sich abwechselnd im Diskant und Bass taktweise nunmehr klopfenden Achtel-Quintakkorde mit Sextakkorden und teilweise sogar Oktavakkorden ebenfalls abwechseln, gehört zu den Stärken dieser Aufnahme, auch im letzten Abschnitt, wo zwar die sinistren Basstriller wieder auftauchen, aber auch das B-dur Thema wieder in verschiedenen Figuren zu hören ist. Allerdings spielt er hier ab Takt 200 ein Crescendo, welches hier nicht notiert ist, sondern da steht eindeutig in Takt 199 auf der Vier ein Piano. Nun denn! Ab dem Fortepiano in Takt 203 ist dann dynamisch alles wieder im Lot. Auch der Übergang mit den Achteltriolen im Decrescendo (Takt 210ff. mit dem Triller im "ppp" ist m. E. in Ordnung.
    Die Pausenfermate unmittelbar vor dem Repriseneinsatz ist bemerkenswert lang und erinnert an Afanassjew ("komponierte Stille").
    Hier im Reprisenauftakt am Ende von Takt 215 spielt er die zu Beginn der Exposition angemahnte fehlende zweite Achtel im Bass, , dafür erreich er m. E. in Takt 223 kein Piano Pianissimo, wie es eigentlich gehört und ich auch schon öfter in Vollendung gehört habe.
    Im weiteren Verlauf lässt er sich ebenso wie schon in der Exposition wieder zu einer verfrühten Steigerung (hier schon etwa ab Takt 246) hinreißen, sodass er schon vor ihrem eigentlichen Beginn (ab Takt 253) bei einem satten Mezzoforte ist, sodass er zwangsläufig weiter steigern muss bis zum Fortissimo.
    Der Cis-moll-Themenabschnitt ab Takt 267 liegt ihm offensichtlich, ebenso wie der korrespondierende Abschnitt in Fis-moll in der Exposition wieder besser, und auch die Sequenz mit den Achteltriolen (ab Takt 298), die Schlussgruppe (ab Takt 321) und die Coda können überzeugen.
    Ein Kopfsatz mit Licht und auch mit Schatten, vorzugsweise im dynamischen Bereich!


    Im Andante ist Camiel Boomsma signifikant schneller als Valery Afanassjew 1985, aber mindestens ebenso deutlich langsamer als Alfred Brendel 1971. Seine Lesart drückt die ganze Trauer aus, die in diesem Satz liegt. Besonders gut gefällt mir, wie deutlich er ab Takt 1 im Bass die Zweiunddreißigstel nach der Sechzehntelpause in ihrer Kürze hervorhebt. Das habe ich auch schon undeutlicher gehört. Auch die Steigerung ab Takt 10 mit Auftakt)n spielt er sehr ausdrucksvoll und bis zum veritablen Forte. Die Durauflösung des Themas (Takt 14 bis 17) spielt er sehr berührend.
    Auch die zweite Steigerung ab Takt 26 gefällt mir sehr gut. Danach geht er wunderbar ins Pianissimo zurück und senkt den Level in Takt 38 nochmals deutlich bis ins "ppp".
    Das wunderbare Seitenthema lässt er in ruhigem, sonor klingenden A-dur singen, die dynamischen Bewegungen sanft an und abschwellend.
    Im zweiten Abschnitt mit den Sechzehntelquintolen hebt er das Ganze auf eine nahezu überirdische Ebene- kein deutliches Beschleunigen, sondern weiter unendlich entspanntes, beseligendes, sanft fließendes Singen. Das hat mich richtig erschüttert.
    Auch im nächsten Abschnitt ab Takt 59 bleibt er trotz steigendem dynamischen Level in dieser unerschütterlichen Ruhe. Das ist zwar in Takt 72/73 Forte, aber keinesfalls zu vergleichen mit den Forti in den Steigerungen des Hauptthemas und auch im letzten Abschnitt ab Takt 76, in der Oktavierung des Themas nach oben bleibt es so, wird zu einem äußerst berührenden, langsam verdämmernden Abgesang, den er im Generalpausentakt 89 lange in unserem Geist nachklingen lässt- grandios!!
    Auch bei Boomsma klingt die Wiederholung des Themas ab Takt 90 noch einmal etwas intensiver, auch durch die zwar sanft, aber unmissverständlich gespielten klopfenden Sechzehntelstaccati in der Begleitung, was sich auch gleich in der ersten, großartig gespielten Steigerung ab Takt 98 bestätigt, trotz der abermals sehr anrührend gespielten Dur-Auflösung (hier in Takt 101 bis 104), denn die klopfenden Sechzehntel lassen nicht nach, und die nächste Steigrung dräut schon, doch nach ihr kommt die wunderbare Cis-dur-Coda, und Boomsma zeigt auch hier, wie schon im Seitenthema, eigentlich im ganzen Satz, dass er schon ein Meister der leisen Töne, des sanften Flusses ist und auf diese Weise tief zum Kern der Musik vordringen kann.


    Im Scherzo ist Camiel Boomsma nochmal deutlichst langsamer als Alfred Brendel, und auch noch etwas langsamer als Valery Afanassjew.
    Allerdings ist er hier auch wieder dynamisch an der oberen Grenze, dessen, was man unter "pp" und "p" versteht. Im zweiten Abschnitt des Scherzos normalisiert sich das jedoch. Auch die Wiederholung des Mittelteils darf man so akzeptieren. Das "ffz" jedoch, in Takt 25/26 im Taktübergang, lässt er unbeachtet. Im Trio hat er m. E. gestalterisch etwas liegen gelassen.
    Dann wiederholt er das Scherzo da capo. So harmlos, wie das Scherzo anmutet, ist es offensichtlich nicht. Es lässt sich wohl nicht mal eben so spielen, sondern erfordert auch größte Sorgfalt vor allem in rhythmischer und dynamischer Hinsicht.


    Das abschließende Rondo, Allegro, ma non troppo, gefällt mir da schon besser. Hier schlägt er wieder den Bogen zum langsamen Satz, lässt Ruhe walten, spielt die Bögen schön aus, lässt die auftaktigen G-Oktaven sorgfältig abschwellen und integriert gekonnt die Staccato-Figuren in den musikalischen Fluss.
    Den an zweiter Stelle stehenden lyrischen Seitensatz (ab Takt 85) lässt er schön aussingen, wobei durch sein technisch hochstehendes Spiel die kontrastierenden, synkopierenden Achtel und Viertel in der Begleitung gut zu vernehmen sind. Die beiden Generalpausentakte 154/155 hätte ich mir etwas länger gewünscht.
    Mit dem dritten Teil, dem durchführungsähnlichen Fortissimoeinbruch setzt er einen beeindruckenden Kontrast (Takt 156 bis 184). In der zweiten Hälfte dieses dritten Teils kommt wieder er Lyriker zum Zuge. Das ist wieder berührender, zart durch die Oktaven schwingender Gesang- wunderbar!
    Der vierte Teil, zuerst reprisenförmig anmutende, da das Thema wiederholt wird, dann aber doch eher durchführungsartige Fortsetzung bedeutend, ist von ihm auch dynamisch als ein weiterer Höhepunkt des Satzes angelegt, der ja nicht zuletzt durch die ab Takt 261 einsetzenden Achteltriolen im fortgesetzten Forte einen starken dynamischen Impetus erhalten, der sich zuerst auch noch in den Sechzehntel-Aufwärtsfiguren (ab Takt 292) fortsetzt, dann aber in dem Decrescendo ab Takt 298 dynamisch langsam ausläuft, was er noch durch ein zartes Ritardando am Schluss (Takt 310/311) verstärkt und dann zum eigentlichen Thema zurückführt, dem
    fünften Teil (ab Takt 312), in dem das Thema wieder im Originalgewand erscheint. Und das spielt er wieder auf sehr hohem Niveau, wie ich finde, desgleichen im integrierten Seitenthema (ab Takt 3770 mit Auftakt).
    Auch das zweiten dramatische Fortissimo (ab Takt 430) gehört zweifellos zu den Stärken von Camiel Boomsma, ebenso wie der wieder fließende Übergang in den zweiten, lyrischen Abschnitt (ab Takt 460 mit Auftakt), wobei man im Boomsmas Tempo die wunderbaren begleitenden Achteltriolen (hier ab Takt 459) sehr gut verfolgen kann.
    Nach dem letzten kurzen Themenaufruf mit den immer schwächer werdenden G-Oktaven (Takt 490/91 - 496/97 - 502/03) schließt auch er mit einem schwungvollen Presto ab.
    Eine Aufnahme, die ihre großen Stärken m. E. im langsamen Satz und im Finale hatte, wo im Kopfsatz und im Scherzo noch sorgfältigere dynamische Arbeit wünschenswert wäre, wo aber angesichts des noch jungen Alters von Camiel Boomsma sicherlich mit zu rechnen ist.


    Liebe Grüße


    Willi :thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup:

    1. "Das Notwendigste, das Härteste und die Hauptsache in der Musik ist das Tempo". (Wolfgang Amadeus Mozart).
    2. "Es gibt nur ein Tempo, und das ist das richtige". (Wilhelm Furtwängler).

  • Franz Schubert, Klaviersonate Nr. 21 B-dur D.960
    Arcadi Volodos, Klavier:

    Flügel: Steinway D
    AD: 28. 5. 2018, Bochum, live
    Spielzeiten (ca.): 22:00 - 11:00 - 4:00 - 8:30 --- 45:40 min.;


    Ich versuche mal, aus dem Gedächtnis und ohne Noten bei der Aufführung zur Hand gehabt zu haben (die ich im abgedunkelten Saal sowieso nicht hätte lesen können), weil ich meine, nach der Pause, als Arcadi Volodos Schuberts B-dur-Sonate D.960 spielte, ein musikalisches Wunder erlebt zu haben. Den ganzen Hörbericht mit dem Programm vor der Pause werde ich am späteren Nachmittag in einem getrennten Thread veröffentlichen.
    Ich warte seit Jahren auf eine Aufnahme der B-dur-Sonate. Nun habe ich sie wenigstens gehört und werde sie nie vergessen.


    Arcadi Volodos, der mich schon vor Jahren mit der Aufnahme der G-dur-Sonate begeistert hat und der vor gut zwei Jahren in Dortmund schon die B-dur-Sonate gespielt hat (leider war ich damals nicht dabei), wählte ein durchgehend moderates Tempo, was ja an sich nichts Aufsehen erregendes ist.
    Aber sonst meinte ich, vieles in dieser Sonate so zum ersten Mal gehört zu haben. Vor allem sah ich dank der intensiven Beschäftigung im letzten Dreivierteljahr mit dem Werk gestern Abend die Partitur immer vor meinem geistigen Auge und konnte mich nur noch wundern.
    Es begann schon mit den ersten Tönen der Exposition im Kopfsatz, die er im tiefsten Pianissimo verortete. Dennoch war die ganze Struktur jederzeit erkennbar, man musste nur verteufelt gut hinhören, und das war für mich in der achten Reihe Mitte im Anneliese-Brost-Musikzentrum kein Problem, vor allem auch dank der gut tragenden Akustik.
    Im dritten Teil des Hauptthemas, so etwa ab Takt 28 (als die Sechzehntel in beiden Oktaven auftauchen und so eine sanfte innere Beschleunigung entsteht, dreht er auch dynamisch etwas auf, blieb aber immer noch im Piano-Bereich und spielte erst ab Takt 34 eine grandiose Steigerung. Auch die zweite Steigerung in Takt 46/47 war grandios, aber noch frappierender als die Steigerungen waren die Decrescendi, und das gilt für das ganze Stück. Nicht selten spielte er da ein "ppp" oder gar ein "pppp", ganz nahe an der Hörgrenze, aber dank der hervorragenden Akustik und dem in gebannter Stille lauschenden Publikum, (wenigstens für mich) noch hörbar.
    Aus diesem Grund der so noch nicht gehörten Erweiterung des dynamischen Raumes in den ppp-Keller war das fis-moll-Seitenthema (Takt 49 bis 69) in dieser Aufführung als ein absoluter faszinierender Höhepunkt anzusehen mit der Vielzahl von Decrescendi, die er so wunderbar nach unten verlagerte, nachdem er die voraufgegangenen Crescendi auch moderat gestaltet hatte.
    Eine weitere Perle in der langen Kette des Kopfsatzes war im dritten Thema die Gestaltung der Sequenz mit den Staccato- und Non Legato-Achteltriolen ab Takt 79 bis zum Einsatz der Schlussgruppe nach Takt 98.
    Die Schlussgruppe selbst mit den vielen dynamischen Kontrasten spielte er auch "unerhört", mit eigenen "Lösungen z. B. für Takt 106/107, wo er den dynamischen Impuls viel moderater setzte als andere (höchstens "p" und das Decrescendo in Takt 114 bis 116 hauchzart, dann eine veritable Überleitung zur Expositionswiederholung (Takt 117a bis 124a), wobei er in Takt 124 den Basstriller abschwächte, was auch überzeugend klang. In Takt 125a setzte er dann eine ähnlich lange Pausenfermate wie Valery Afanassjew. Und der Wiederbeginn der Exposition wirkte dann- wie bei Afanassjew- wie aus einer anderen Dimension kommend.
    Genauso gestaltete er den Übergangstakt 117b (nur in die umgekehrte Richtung, in eine andere Dimension, nämlich in die Cis-Moll-Durchführung gehend, die er in ihrer ganzen Traurigkeit, auch in sehr zarten dynamischen Bewegungen spielte, eben bis auf einige Fortesteigerungen.
    Arcadi Volodos erreichte mit seiner nach unten gerichteten Erweiterung des dynamischen Tonraumes nicht nur eine unerhörte musikalische Spannung, sondern auch eine unerhörte gespannte Aufmerksamkeit beim Publikum, das er, man kann es nicht anders sagen, vollkommen in seinen Bann zog.
    Auch der Übergang von der Durchführung in die Reprise mit den extrem leisen Trillern war wie vom anderen Stern. Ein letzter Höhepunkt des 22minütigen Kopfsatzes war die kurze aber ungeheuer ausdrucksvolle Coda (Takt 345 bis 357).


    Wenn man bisher glaubte, es könnte keine Steigerung mehr geben, dann musste man sich eines Besseren belehren lassen, denn das Andante sostenuto war noch eine ausdrucksmäßige Steigerung. Auch hier tobt er sich nicht in den oberen dynamischen Regionen aus, sondern der Satz machte noch mehr einen beinahe jenseitigen Eindruck. Auch hier musste man wieder gute Ohren haben, um alle Töne im ppp...Keller hören zu können. Ich habe sie alle gehört.
    Besonders das himmlische Seitenthema (ab Takt 43 bis 89) spielte er nicht dynamisch und temporal signifikant gesteigert, sondern blieb in dem ruhigen Duktus und stimmte einen unglaublich berührenden himmlischen Gesang an, der sich in seiner Wanderung durch die Oktaven (Takt 51 bis 58, dann 59 bis 75 und dann 76 bis 89) emotional noch steigerte- herausragend! und dann setzte er in Takt 89 wieder eine deutliche Generalpause.
    Die Wiederholung des Hauptthemas war genauso packend wie zuvor , und er ließ es in einer unglaublich anrührenden Cis-Dur-Coda (Takt 123 mit Auftakt bis Takt 138) auslaufen.
    Ein Andante, das eigentlich schon nicht mehr klang wie von dieser Welt!


    Im Scherzo blieb er in seinem zuvor gewählten dynamischen Rahmen, der sich sehr eng an die Partitur anlehnte, sich vorwiegend im pp-Bereich abspielte, in dem er auch weiterhin sein exzellentes rhythmisches Spiel zum Ausdruck brachte und in dem er sich auch temporal nicht so weit von dem Gefüge der ersten beiden Sätze entfernte, wie ich es schon von anderen Pianisten gehört habe und von noch anderen auch noch hören werde. Bei Gelegenheit werde ich darauf wieder zurückkommen. Auch im Trio blieb er im dynamischen Gesamtrahmen. Die Forzandopiani und gar das Fortissimo-Forzando (Takt 26) blieben moderat.


    Das Gleiche kann man vom abschließenden Allegro ma non troppo sagen. Auch hier beachtete er die Vorgaben Schuberts sehr sorgfältig, schwellte allerdings die auftaktigen G-Akkorde nicht ruckartig ab, sondern langsam. Das änderte aber nichts an dem Gesamteindruck des moderaten Umgangs mit der dynamischen Dimension nach oben mit einer, d. h. zwei Ausnahmen, den beiden durchführungsartigen Rondoabschnitten ab Takt 156 und ab Takt 430, wo er zeigte, dass er auch über eine "Pranke" verfügt. Aber auch diese Abschnitte sind ja jeweils zweiteilig, im ersten Teil geht es mit Fortissimo heftig zur Sache und im zweiten Teil, als jeweils die Achteltriolen auftauchen, wird es wieder sanglicher und dynamisch ruhiger, bei Volodos also ganz ruhig. Die Decrescendi werden wieder ätherisch.
    Und noch einen letzten Pfeil hat Arcadi Volodos für uns im Köcher: in der absolut herausragenden Presto (Prestissimo)-Coda: hier ist er Virtuose, hier darf er es sein.
    Das ist der überragende Abschluss einer überragenden Leistung. Wenn er in den nächsten Jahren diese Sonate aufnehmen sollte und sie so aufnimmt, wie er sie gestern in Bochum gespielt hat, habe ich keinen Zweifel, dass es dann einen neue Referenz gibt.


    Liebe Grüße


    Willi :thumbsup: ......... :thumbsup:

    1. "Das Notwendigste, das Härteste und die Hauptsache in der Musik ist das Tempo". (Wolfgang Amadeus Mozart).
    2. "Es gibt nur ein Tempo, und das ist das richtige". (Wilhelm Furtwängler).

  • Ich versuche mal, aus dem Gedächtnis und ohne Noten bei der Aufführung zur Hand gehabt zu haben (die ich im abgedunkelten Saal sowieso nicht hätte lesen können), weil ich meine, nach der Pause, als Arcadi Volodos Schuberts B-dur-Sonate D.960 spielte, ein musikalisches Wunder erlebt zu haben.

    Lieber Willi,


    das kann ich mir sehr lebendig vorstellen! :) Volodos´ magisches Pianissimo habe ich auch erlebt - kein Pianist der Welt spielt derzeit solch klingende ganz ganz leise Töne. Er hat ja schon eine Schubert-Platte aufgenommen - und die frühe Sonate D 157 darauf habe ich von ihm auch in Düsseldorf gehört. Also kommt D 960 ganz bestimmt. Mal sehen, ob ich ihn dieses Jahr noch hören kann. :hello:


    Liebe Grüße
    Holger

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