Franz Schubert, Klaviersonate Nr. 21 B-dur D.960
Alfred Brendel, Klavier,
Alfred Brendel hier bei seinem letzten Londoner Recital am 27. 6. 2008
Instrument: Steinway
AD: 14. 12. 2008, Hannover, Großer Sendesaal, live
Spielzeiten: 15:07 (20:04) - 9:03 - 4:05 - 8:49 --- 37:04 (42:01) min; (wären es etwa mit Wiederholung der Exposition im Kopfsatz gewesen.
Kommen wir nun zur letzten Aufnahme Alfred Brendels von der großen B-dur-Sonate, der fünften, womit er genauso viele Aufnahmen vorgelegt hat wie sein Freund Paul Badura-Skoda und Swjatoslaw Richter, wenn mich meine Unterlagen nicht trügen. Von Lazar Berman liegen mir drei Aufnahmen vor, ebenso wie von Valery Afanassjew, aber von Berman gibt es noch eine vierte, die sich jedoch nicht in meinem Bestand befindet.
Die hier vorliegende fünfte Aufnahme Brendels ist nach meiner Kenntnis die letzte Aufnahme des letzten Konzertes, das er überhaupt in Deutschland aufgeführt hat. Eines der letzten habe ich am Allerheiligentag 2008 live in Berlin miterlebt, wo er mit den BPh und Sir Simon Rattle das c-moll-Konzert von Mozart aufgeführt hat. Und die B-dur-Sonate habe ich auf seiner Abschiedstournee in Köln und in Flensburg live erlebt. Sie ist überhaupt die Sonate, die ich in meinem Leben am häufigsten live erlebt habe, außer mit Brendel auch mit Buchbinder, Volodos, Schiff, Mauser, Endres, Andsnes, Uchida, Leonskaja und Goode, wenn ich keinen vergessen habe.
Und ich werde sie in der diesjährigen Festival-Saison nochmal erleben mit Sir Andras Schiff, der zusammen mit Denis Varjon vom 7. bis 9. September auf dem Bonner Beethovenfest die späten Schubert-Sonaten D. 958 - 960 und Beethoven-sonaten op. 101 bis op. 111 aufführen wird.
Dieses Projekt wird dann zufällig noch um einen Tag verlängert durch Maurizio Pollini, der am 10. September in Köln die Hammerklaviersonate von Beethoven, zusammen mit dessen Pathétique und Schönbergs op. 11 und op. 19 gibt.
Alfred Brendel beginnt sein letztes Konzert in Deutschland mit einem bestens gestimmten Instrument, das einen sonoren, klaren Klang besitzt und den Tiefbass im ersten Triller Takt 8 sehr dunkel wiedergibt. Im Tempo schein er mir keinesfalls langsamer als in seiner Londoner Aufnahme von 1997. In der Themenwiederholung bringt er in Takt 13 bis 15 eine moderate dynamische Kontrastbewegung ein, die mich in ihrer Selbstverständlichkeit tief berührt.
Im dritten Thementeil (Takt 20 bis 35), in dem die "innere Beschleunigung" stattfindet, die er sehr schön ausführt, verfällt er wiederum nicht auf den Fehler, sich auch zu einem vorschnellen Crescendo hinreißen zu lassen, wie ich es schon verschiedentlich gehört habe. Erst in Takt 34 und 35 spielt er ein mitreißendes Crescendo.
Auch das Crescendo im Übergang zum Seitenthema ist kurz und knackig, aber nicht überbordend.
Im Fis-moll-Seitenthema spielt er ein wundervolles Legato, verbunden mit fließenden dynamischen Bewegungen, die sich dann im dritten Thema (ab Takt 70, wieder in B-dur) organisch mit der Achteltriolen-Sequenz im raschen rhythmischen Wechsel zwischen Staccato- und kurzen Legato-Figuren verbinden und diese durchmessen, dabei auch die Oktaven wechselnd- wunderbar!
Mehr als mancher Andere führt er im letzten Teil dieses Abschnitts die stockenden Pausen, Takt 94, 95, 96, 97, hin zur Schlussgruppe, aus. Auch das gefällt mir ausnehmend.
In der wunderbaren Schlussgruppe behält er den temporal etwas reduzierten Bogen bei, lässt gar noch etwas nach und führt auch die nunmehr gestiegenen dynamischen Kontraste partiturgetreu aus.
Ich habe mir vorgenommen, da er bis hierhin den Kopfsatz so überragend gespielt hat, es nicht zu beachten, dass er auch im letzten Konzert die Exposition nicht wiederholt.
Das Übergangsritardando, zur Durchführung hin, ist traumhaft.
In der Durchführung spielt er mit klarem Klang, mit Vorwärtsdrang und mit sehr klar hervortretenden wechselnden Achtelintervallen in der Begleitung sowie aufmerksam gestalteten dynamischen Bewegungen.
Sehr berührend sind auch, hier ab Takt 131, die Achteltriolen im Wechsel von Stakkato und Legato in anmutigen Bewegungen und schönen dynamischen Figuren, auch in der Rückkehr zum B-dur ab Takt 146, obwohl nun die störenden klopfenden Achtel im Bass auftreten, die Brendel nach anfänglich prägnantem Anschlag stark zurückfährt, aber sie sind immer noch schwach zu vernehmen- grandios!
Als sie jedoch in Takt 159ff. die Oktave wechseln in den Diskant und musikalisch dichter und dissonant werden, lässt Brendel sie immer stärker hervortreten, vor allem im Bass, wodurch die bedrohliche Struktur noch überzeugender gerät in einem fesselnden Crescendo, und im anschließenden Abschnitt ab Takt 173 in den Quint-Sext-Akkordwechseln lässt Brendel die dynamischen kurven wellenförmig verlaufen, und im letzten Abschnitt, als die Basstriller wieder auftauchen (ab Takt 186, nehmen sie auch hier prägnantere Gestalt an. Gleichzeitig gestaltet Brendel die melodischen Bögen immer luzider, lässt sanfte Rubati einfließen und gestaltet den Übergang zur Reprise in den hohen Bögen ab Takt 204 atemberaubend, ebenso wie den anschließenden Abstieg ins Piano pianissimo (ab Takt 212).
Vor der Reprise gestaltet er dann ein ziemlich lange Pausenfermate. Und seine Reprise klingt dann in der Tat auch anders als die Exposition, abgeklärter, voll innerer Ruhe- wunderbar das Ende des Themas in Takt 222 und der anschließende Triller in "ppp". Das ist m. E. unübertrefflich. Mir fällt da spontan das Bild ein, als wenn der "Wanderer" in diesem Moment ein Tor durchschritten hat in eine andere, bessere Dimension.
Der dritte Teil des Themas mit den Variierungen scheint noch heller, noch positiver, und am Ende dieser Variationen lässt Brendel dann das gloriose Crescendo stärker hervortreten als in der Exposition. Auch die nächste Steigerung, am Übergang zum fis-moll-Seitenthema, empfinde ich als stärker.
Das Seitenthema selbst, obzwar in moll, wirkt m. E. luzider, herrlich, wie Brendel die Sequenz mit den Achteltriolen gestaltet, wie eine schier endlose Kette glitzernder Perlen in den Figuren im Diskant. Dann auch in der Schlussgruppe: Ruhe und Gelassenheit, Entschleunigung. Alleine die beiden Achtelakkorde am Ende von Takt 320 sind zum Niederknien. und Selbst der kraftvolle ff-Doppelakkord in Takt 324 scheint ein Ausdruck schierer Freude. Und dann wieder mit dem Decrescendo ab dem Fortepiano in Takt 332 wieder die Rubati und schließlich die Wundercoda- das alles macht mich schier fassungslos.
Bis jetzt kann man m. E. sagen: sein letzter Schubert, seine letzte B-dur-Aufnahme, war seine beste.
Im Andante ist Alfred Brendel ähnlich im Tempo unterwegs wie in seiner 11 Jahre zuvor entstanden Londoner Aufnahme. Die mittlere Begleitnote (Zweiunddreißigstel) hebt er nun nicht mehr so stark hervor. Ansonsten scheint mir der Beginn dynamisch geringfügig auf einem höheren Niveau zu liegen, di dynamischen Verläufe aber nach wie vor partiturgetzreu auszufallen und das Thema in einer organischen Steigerung auszulaufen (Takt 9 bis 12). Im Ausdruck ist er ähnlich wie 1997.
Die kurze Dur-Auflösung (Takt 13 bis 17) ist wieder sehr anrührend in ihrer Einfachheit und Klarheit und dadurch musikalisch von großer Tiefe. Dies gilt auch für die Wiederholung des Themas und die nächsten dynmischen Bewegungen einschließlich der zweiten Steigerung (ab Takt 26). Wunderbar auch erneut sein Herabsinken in das "ppp" ab Takt 38, hin zu dem himmlischen Seitenthema in A-dur.
Dieses Seitenthema spielt er in der Tat wieder himmlisch, mit leichter innerer Beschleunigung, etwas betonteren dynamischen Wendungen und einem ergreifenden Klang, auch in der Oktavierung nach oben in der Wiederholung ab Takt 51 mit den Sechzehntel-Quintolen in der Altlage- welch ein erhebender Gesang!
Auch die Rückkehr zum Bass, ab Takt 59, nun auch mit Staccato- und Portato-Einsprengseln, und schließlich die dynamischen Akzentuierung und die Steigerung am Ende dieses Abschnitts spielt er grandios. Auch der letzte Abschnitt, wiederum mit den Sechzehntelquintolen im Diskant und den wechselnden Intervallen im Bass in sanft wiegenden dynamischen Bewegungen bleiben auf diesem sehr hohen Ausdrucksniveau und er schließt das Seitenthema mit einem ausreichend langen Generalpausentakt (Takt 89).
Die dann im reprisenförmigen Teil wiedereintretende Trauer verstärkt Brendel auch in dieser letzten Aufnahme mit prägnanten klopfenden Sechzehntelfiguren in der Begleitung, wobei aber Eines noch zu bemerken ist: die dynamische Spannweite vergrößert er wiederum von einem tiefer liegenden Ausgangspunkt her, nicht in Richtung eines dynamisch höher liegenden Endpunktes. So tritt auch die kurze Phrse mit der Durauflösung wieder hervor, hier Takt 113 bis 116.
So taucht er auch am Ende dieses Übergangs in die wundersame "ppp" -Coda ein, die er, ein letztes Mal, herausragend spielt.
Vielleicht sollte das Scherzo diesmal überschrieben sein mit "Allegro molto vivace con grande delicatezza", so rhythmisch prägnant, mozartinisch leicht und lustvoll spielt er es. Größer könnte ein stimmungsmäßiger Kontrast zwischen den beiden Mittelsätzen kaum sein, als er hier in seiner letztgültigen Aussage zur B-dur-Sonate.
Auch das b-moll-Trio ist bei ihm wieder ein gehöriger Kontrast zum Scherzo. Wie sagt er so schön selbst dazu:
ZitatAlfred Brendel: Im Scherzo flattert ein schwereloser Luftgeist, dem der etwas mürrische Erdgeist des Trios widerspricht".
Das hört man, das Mürrische z. B. deutlich in den Forzando-Piano-Synkopen. Mancher andere Pianist hat das nicht so betont.
Natürlich spielt Alfred Brendel auch das Scherzo da capo und die 4 Codatakte.
Im Finale lässt es Alfred Brendel, z. B. im Vergleich zu Swjatoslaw Richter, dem dritten mit fünf Einspielungen dieser Sonate, wie wir noch sehen (und hören) werden, vergleichsweise ruhig angehen, natürlich nur, was das Tempo angeht.
Und so spielt er den Expositionsabschnitt, ganz wie es die Partitur verlangt: "allegro, ma non troppo". Die rhythmischen Kontraste, die sich teilweise in kürzesten Abständen ändern, arbeitet er sehr sorgfältig heraus, so dass der Satz auch ohne vordergründig hohes Tempo ausreichend Schwung gewinnt.
Im beseligenden Seitensatz (ab Takt 85) fährt er gar das Tempo noch etwas zurück, wodurch die sangliche Tiefe dieser Sequenz noch zunimmt. Und nebenbei legt er so die Struktur auch noch mehr offen, was der Wirkung der vielen Synkopen-Achteln in der Begleitung nur gut tut.
Im ersten, dramatisch daher kommenden durchführungsartigen Abschnitt (ab Takt 156) tritt dann das ein, was er im Beiheft so beschreibt:
ZitatAlfred Brendel: Dieses Finale zeigt eine Fröhlichkeit, die nicht mehr unschuldig ist wie jene des Forellenquintetts und nicht zähneknirschend wie der Ausklang des Streichquintetts. Ihr Bereich liegt irgenwo zwischen Jean Paul-schem Humor und dem Wiener Diktum, die Lage sei hoffnungslos, aber nicht ernst.
Und so setzt er die beiden Teile dieses Abschnitts, den ersten mehr dramatisch-rhythmisch scharfen (Takt 156 bis 184) und hochdynamischen, sowie den zweiten mehr lyrisch fließenden mit Achteltriolen begleiteten (Takt 185 bis 223) auch sehr deutlich voneinander ab.
Und der nächste Abschnitt, der fast reprisenförmig (mit dem G-Akkord) beginnt, aber dann doch wie eine "durchführungsartige Fortsetzung mit anderen (musikalischen) Mitteln" anmutet, bestätigt dies noch, und das ist nicht zum letzten Mal so, denn hier geht es ja über 50 Takte so hochdramatisch weiter, bevor das Decrescendo ab Takt 298 wieder zum Durchatmen einlädt, und hier spielt der die Sechzehnteltonleitern in dem ellenlangen Decrescendo atemberaubend, bis dann in Takt 312 der wirklich reprisenförmige Abschnitt anhebt. Und die hier auftauchenden dynamischen Bewegungen sind wieder von größerer Zurückhaltung geprägt, was Brendel wundervoll zum Ausdruck bringt und nahtlos in das lyrische Seitenthema einfließen lässt. Wie beseligend erklingen doch die sanften Thementeile im Tiefbass (ab Takt 396 bis 404).
Dann spielt Brendel ein letzes Mal die zweiteilige durchführungsartige Sequenz, aber mit etwas reduziertem dynamischen Aplomb, und im zweiten Abschnitt ab Takt 459 singt der Flügel wieder, begleitet von den sanft wiegenden Achteltriolen, bevor ein letztes Mal die G-Akkorde ertönen, in Takt 490/491, 496/ 497 und 502/503, jeweils dynamisch weiter reduziert und er auch retardiert, bis ein letztes Mal die großartige Presto-Coda ertönt, jedenfalls in einem Brendelkonzert.
Nach diesem Konzert brach in Hannover spontaner Jubel aus wie auch bei den beiden Konzerten, die ich im Mai und im Juli 2008 live miterleben durfte.
Diese letzte Brendel-Aufnahme möchte ich dann doch den Referenzen zurechnen.
Liebe Grüße
Willi