Franz Schubert, Klaviersonate Nr. 21 B-dur D.960, CD (DVD)-Rezensionen und Vergleiche (2017)

  • Einführungstext zur Klaviersonate Nr. 21 B-dur D.960 von Franz Schubert:


    Da ich bis jetzt keine kompetente Analyseliteratur zu dieser Sonate gefunden habe (die beiden Werke, die sich mit Schuberts später Klaviermusik beschäftigen und die ich angeschafft habe, hatten nicht die Nr. 21 auf der Agenda), versuche ich selbst einen Text zu erstellen.
    Schubert komponierte seine letzte Klaviersonate wie die beiden voraufgegangenen der Schlusstrias in seinen letzten Lebensmonaten, und sie gelten als seine letzten Werke. Man kann aber keinesfalls von "Spät- oder Alterswerk" sprechen, da Schubert schon mit 31 Jahren starb.


    Ich werde hier den Aufbau der einzelnen Sätze folgen lassen:


    1. Satz: Molto moderato, B-dur, 4/4-Takt, 357 Takte, mit Wh Exposition 481 Takte


    Exposition:


    Hauptthema:
    1. Teil Takt 1 - 8( mit unterlegtem Basstriller Takt 8/9)
    2. Teil Takt 10 mit Auftakt -18 (etwas länger und verändert, dann wieder Basstriller Takt 19)
    --schon hier fällt auf, dass bei Schubert keineswegs von einem zielgerichteten, mathematisch exakten Aufbau des Satzes die Rede sein kann--
    3. Teil Takt 20 - 35 Variierung des Themas mit grandioser Steigerung und in den beiden Übergangstakten durch die Achteltriolen-Akkorde
    4. Teil Takt 36 bis 46, Wiederholung des Themas mit überleitendem Decrescendo und anschließendem Crescendo
    zweites Thema in fis-moll: Takt 47 bis 69;
    Überleitung und drittes Thema, ab Takt 70 wieder in B-dur, ab Takt 79 mit wunderbaren auf- und abstrebenden Achtel-Staccato-Triolen , die dann ab Takt 83 von wiederkehrenden gleichen Achteltriolenfiguren abgelöst werden und ab Takt 86 im Bass auftauchen;
    Schlussgruppe: ab Takt 99, in der der musikalische Fluss immer mehr zum Erliegen kommt, bis Takt 116;
    Überleitung zur Wiederholung der Exposition: Takt 117 bis 125 (für mich ein Höhepunkt dieses Satzes und für etliche Pianisten (u. a. Badura-Skoda und Zimerman der Hauptgrund und ein Muss, die Exposition zu wiederholen;
    Überleitung in Takt 117b in h-moll
    Durchführung:
    1. Teil: Takt 118b bis 145 in cis-moll in ruhigem, aber gleichzeitig unendlich traurigem Fluss, der durch zahlreiche dynamische Bewegungen noch intensiviert wird, bevor sich ab Takt 131 die schon aus dem letzten Abschnitt der Exposition bekannten Achtel-Staccatofiguren das Ganze zu entspannen scheint (2. Thema), aber das scheint nur so,
    2. Teil: ab Takt 146 denn auch nach der Rückkehr zum B-dur verheißen die klopfenden Achtel im Bass (ab Takt 150) nichts Gutes. Die durchlaufenden klopfenden Achtel , die nicht nur die Oktave wechseln, sondern auch dichter werden oder in Oktavwechseln auftreten, sorgen für einen Anstieg des dramatischen Furors, und mittendrin (Takt 186) tauchen auch wieder die unheimlichen Basstriller auf, und immer, wenn es etwas heller wird, Thema ab Takt 188 mit Auftakt und Takt 194 mit Auftakt, erscheinen sie wieder und ziehen uns nach unten (Takt 192 und 198), bevor es in weiten Bögen wieder nach oben geht und der höchste Bogen in eine anmutige Staccato-Legato-Überleitung übergeht, die durch die Basstriller im Originalgewand abgeschlossen wird und die
    Reprise:
    1. Teil: ab Takt 215 eröffnet, in der das Geschehen wieder ähnlich abwechslungsreich abläuft wie in der Exposition, bis Takt 266 in B-dur, dann ab Takt 267 bis 288 in cis-moll un d mit der Oktavierung im Diskant ab Takt 289 mit Auftakt wieder in B-dur, wo dann auch das anmutige dritte Thema wieder vorüberzieht. und in Takt 320 wieder in die Schlussgruppe übergeht, und wenn ich mich nicht irre, könnte man die Takte 345 bis 357, oder sogar noch einige Takte davor als Coda bezeichnen.


    2. Satz. Andante sostenuto, cis-moll, 3/4-Takt, 138 Takte, A-B-A - Form
    Teil A, Thema :
    Takt 1 bis 8 in Terzakkorden in der oberen Oktave sowie dreioktavigen Begleitfiguren vom CIS über cis und c' bis c''
    Takt 9 bis 13 in Dreiklangakkorden mit nochmal vergrößerten Begleitintervallen
    Takt 14 bis 17 Auflösung des Themas nach E-dur
    Takt 18ff bis 42 Wiederholung des Themas mit ausgedehntem Decrescendo in die Schlussgruppe hinein nach dem Forte-Höhepunkt Takt 28 hin zu dem choralartigen Mittelteil B;
    Teil B, Seitenthema in A-dur:
    Takt 43 bis 50, Thema in Vierteln und Achteln im Bass, Begleitung durchgehend in Sechzehntel in der Oktave darunter. Temporal wirkt der Mittelteil beschleunigend.
    Takt 51 bis 58, Thema wandert in die obere Oktave mit begleitenden Sechzehntelquintolen. Darunter liegt die Begleitung im Bass mit Achtelfiguren; ab
    Takt 59 via 75, Themenvariation, Thema und Begleitung jetzt wieder im Bass bzw. Tiefbass, weiterhin Begleitung in Sechzehnteln, Begleitfiguren großenteils mit auftaktigem Oktavsprung und anschließenden Staccati, wobei von Takt 70 bis 73 plötzlich nach B-dur aufgelöst ist;
    Takt 76 bis 89, Struktur wieder wie ab Takt 51, Thema im Diskant mit begleitenden Sechzehntelquintolen und wechselnde Intervalle mit Oktavwechseln einfacher Achtel mit Terzen und wechselnden Akkorden, abschließender Takt 89: Generalpause!
    Wiederholung von Teil A
    Takt 90 bis 122,
    Takt 123 bis 138.: Auch Schubert "kann" eine wundersame Coda, hier in Cis-dur mit Morendo in den letzten acht Takten. Ein Wunder mit einer langen Fermate absolut an der Hörgrenze am Schluss!


    3. Satz, Scherzo, Allegro vivace con delicatezza, B-dur, 3/4 Takt, Trio, 314 Takte (m. Wh.)
    Scherzo:
    1. Teil, Thema
    Takt 1 bis 16 mit g-moll-Einsprengsel in Takt 5
    2. Teil, Takt 17 bis 90, Themenerweiterung und Variation mit durchgehender motorischer Achtelbewegung in einem hinreißenden Rhythmus (con delicatezza!) und vordergründig hellen und positiven Bild, dessen man sich aber gar nicht sicher sein kann, wie der kurze Ausflug nach g-moll verdeutlicht. Auch dynamisch, wenngleich im Großen und Ganzen auf niedriger Stufe, ist das Ganze sehr bewegt mit häufigen Akzenten, einigen Fortepiani und mehreren Decrescendi sowie einem Crescendo (un poco).
    Der 2. Teil des Scherzos wird unmittelbar wiederholt.
    Trio, b-moll:
    1. Teil:
    Takt 1 bis 10, thematisch dem zweiten Satz nicht unähnlich, mit synkopierenden Forzandopiani im Bass einen beinahe swingenden Rhythmus in melancholischer Stimmung, also ein Tanz, aber kein fröhlicher; desgleichen im
    2. Teil:
    Takt 11 bis 28 , nur im Diskant dynamische bewegter, beide Teile mit Wiederholung;
    3. Teil:
    Scherzo da capo ed infine la Coda (am Ende mit 4taktiger Coda, in der unversehens der ganze Satz in absteigenden B-dur-Akkorden zum Ende kommt.)


    4. Satz, Allegro ma non troppo, B-dur, 2/4 Takt, 540 Takte (k. Wh.),


    Der Finalsatz kommt in einer Art Rondeauform daher:
    1. Teil:
    beginnend im Thema mit einem Fortepiano-Akkord Takt 1 bis 9. Insgesamt dreimal wird dieser Auftakt wiederholt, Takt 10/11, Takt 32/33 und Takt 64/65. Original wird das Thema allerdings nur einmal wiederholt, in einer Oktavierung (Takt 10/11 mit Auftakt bis Takt 19).. Wenn man so will, reicht dieser erste, expositionsartige Abschnitt von Takt 1 bis 84.Takt 1 bis 84, rhythmisch geprägt von raschen Wechseln zwischen Staccato- und Legato-Sequenzen bzw. von gleichzeitiger Ausführung von Portato-Figuren und Non-Legato-Figuren.
    2. Teil:
    Seitensatz mit leichteren, positiver gestimmten Sechzehntelbögen in der oberen Oktave, die im ersten Abschnitt bis Takt 111 von synkopierenden Achteln und im Wechsel Achtelpausen im Bass kontrastiert werden, bevor ab Takt 113 die Pausen wegfallen un der Bass, wiederum im Wechsel einstimmig in Viertelbögen oder zweistimmig in Viertel- und Halben zusammengefasst werden und sozusagen das Thema zweistimmig gespielt wird.
    Im dritten Abschnitt ab Takt 131 bis 145 sind wieder die synkopierenden Achtel und -pausen im Bass am Zuge, und in Takt 146 bis 153 wieder die schon o. a. Bögen mit Vierteln und Achteln. In den letzten beiden quasi überführenden Takten hat Schubert zwei Generalpausen komponiert. Während dieses ganzen sog. Seitensatzes fließen die Sechzehntelfiguren in der oberen Oktave munter dahin.
    3. Teil:
    Dieser, wenn man schon Ähnlichkeiten mit einem Sonatensatz ausmachen will, durchführungsähnliche Abschnitt beginnt mit einem dramatischen Ausbruch im Fortissimo, mit großen Intervallen, von Takt 173 mit Auftakt bis Takt 177 im Diskant sogar zusätzlich nach oben oktaviert. Jedoch beruhigt sich das Ganze spätestens mit dem Decrescendo ab Takt 184 und macht einem wieder helleren zweiten Abschnitt Platz, in dem die duftigen Achtel des Diskants Achtel-Triolen im Bass begleitet werden, und die wiederkehrenden Drecrescendi in diesem Abschnitt lassen schon vermuten, was kommt.
    4. Teil:
    Der reprisenförmige Teil ist jedoch beileibe kein reines Abbild des expositionartigen, sonder hier geht es mächtig zur Sache. Tauchte in der Exposition mal ein Crescendo auf oder mal ein Fortepiano (in Gestalt des strukturierenden G-Akkordes, so liegt hier die Dynamik auf einem ganz anderen Level, tauchen längere folgen von Forte-Oktavgängen auf, sind plötzlich die Achteltriolen im Diskant, oder haben sie gar die Form vom Oktavwechseln. Ab Takt 292 bis 310 haben wir dann einen Abschnitt mit zusätzlichen musikalischen Bausteinen im Diskant in Form von Sechzehntel-Tonleitern, die dann ihrerseits von Oktavgängen im Bass kontrastiert werden.
    5. Teil:
    Ab Takt 312 folgt dann wiederum das Hauptthema, oder, wie es ja im Rondo auch heißt, der nächste Refrain oder das Ritornell. Da dieser jedoch mit der Exposition sozusagen deckungsgleich ist, vermute ich eher, dass man hier den Beginn des reprisenförmigen Abschnittes sehen könnte und dem 4. Teil noch eher durchführende Züge zubilligen müsste, trotz der G-Akkorde. Ich lasse das mal offen. Es spricht auch dafür, dass in
    6. Teil:
    Takt 358, nach dem überleitenden Takt 357, schon wieder das Seitenthema auftaucht und hier auch in voller Länge. Vollends überzeugt, dass es so ist, bin ich dadurch, dass in Takt 430, wiederum nach zwei Takten Generalpause, der dramatische
    7. Teil:
    als letzter Refrain wieder antritt, auch wieder in nahezu voller Länge und originaler Form und dann ein letztes Mal das Thema kurz auftritt, aber quasi nur als Überleitung zur grandiosen
    8. Teil:
    Presto-Coda, Takt 513 mit Auftakt bis Takt 540, und die Beschäftigung mit den verschiedenen Interpretationen wird zeigen, wie unterschiedlich die zahlreichen Pianisten an diese Aufgabe herangegangen sind.


    Diese Sonate ist bei Berücksichtigung aller Wiederholungen noch um gut 180 Takte länger als die Hammerklaviersonate, an der ich zur Zeit arbeite.
    Sonate Nr. 29 B-dur op. 106 = 1292 Takte
    Sonate Nr. 21 B-dur D.960 = 1473 Takte


    Bei meinem früheren Durchsatz an Sonatenbesprechungen muss man allerdings berücksichtigen, dass ich durch meine Erkrankung im Frühjahr seitdem einige Stunden täglich für meine Gesundung aufwende und nicht mehr so viele Besprechungen abliefern kann. Ich werde sehen, wie weit ich komme.


    Liebe Grüße


    Willi :)

    1. "Das Notwendigste, das Härteste und die Hauptsache in der Musik ist das Tempo". (Wolfgang Amadeus Mozart).
    2. "Es gibt nur ein Tempo, und das ist das richtige". (Wilhelm Furtwängler).

    2 Mal editiert, zuletzt von William B.A. ()


  • Schubert, Sonate Nr. 21 B-dur D.960
    Waleri Afanassjew, Klavier:
    127_valery_afanassiev.jpg
    AD: Juli 1985, Lockenhaus, live
    Spielzeiten: 22:38-11:06-4:11-8:55 --- 46:50 min.


    Vorbemerkung:


    Vor einigen Monaten kam ich durch Mitlesen eines Threads über Schuberts opus summum seiner Klaviersonaten auch in Berührung mit der im Folgenden zu besprechenden Aufnahme.
    Da diese Sonate von Anfang an meine Lieblingssonate aus Schuberts Oeuvre wurde, und zwar dank der Gesamtaufnahme von Wilhelm Kempff, kam ich auch auf die Idee, hier einen Thread zu eröffnen nach dem Muster meiner Beethoven-Sonaten-Threads, und das, obwohl diese weiterlaufen. Dass der Hammerklavier-Thread nun schon so lange läuft, hat andere Gründe, nicht etwa, dass ich die Lust daran verloren hätte. Ich hab an anderer Stelle schon darüber gesprochen.
    Aber da ich auch nicht jünger werde, habe ich gedacht, dass ich, bevor ich aus irgendeinem Grunde nicht mehr schreiben könnte, wenigstens noch über diese Sonate im Spiegel meiner Aufnahmen geschrieben haben wollte, und nun kann dieses Werk beginnen.
    Waleri Afanassjew gehört zu den langsamen Schubert-Spielern, nicht nur bei dieser Sonate. Hierzu werde ich im Verlaufe dieses Beitrages noch Joachim Kaiser zitieren.


    Afanassjew beginnt partiturgerecht im Pianissimo und schlägt hier im Hauptthema einen intimen, berührenden Ton an. Eines fällt auch sofort auf. Er hält den tiefen Triller (Takt 8 und die danach folgenden Pausen-Fermate sehr lange an, also die hier noch häufiger folgende "komponierte Stille".
    Noch eines fällt in seinem Spiel auf, und das ist technischer Natur: er spielt die Töne eines Akkordes häufiger nicht zusammen, sondern "schlägt" mit einem Teil nach. (Auch dazu lasse ich später Kaiser noch zu Wort kommen.
    Dass Afanassjews Spiel nicht temporal eintönig vor sich hin plätschert, merkt man spätestens nach dem zweiten Triller nach Takt 19, also nach der Themenwiederholung, wenn zuerst in Takt 20 im Bass die Sechzehntel hinzutreten und dann in Takt 29 auch im Diskant.
    Hier acceleriert er spürbar, verbunden mit ganz leichten dynamischen Bewegungen, die thematische Erweiterung und führt in wunderbaren Legatobögen zum ersten großen Crescendo hin (ab Takt 34), das zum Forte hinführt. In diesem Forte, wo noch Luft nach oben bleibt, wiederholt Afanassjew das Thema ein weiteres Mal, innerhalb dieser Sequenz (Takt 36 bis 47) die dynamischen Bewegungen und Akzente auch auf diesem Level deutlich hervortreten lassend und in einem ff-Crescendo endend.
    Nach dem dynamisch auf pp absinkenden Portato-Takt 48 trägt er das dynamisch sehr auflebende Seitenthema ab Takt 49 vor, in dem er wieder die innere Beschleunigung ab Takt 59 (Sechzehntel im Bass) organisch einfließen lässt und ab Takt 70 das dynamisch ebenfalls sehr kontrastreiche dritte Thema mit den beiden in die sehr hohe Lage oktavierten Sequenzen in klarem, nunmehr doch anscheinend positiver klingenden folgen lässt. Dieses ist nach der zweiten Oktavierung ab Takt 79 geprägt von durchlaufenden Achteltriolen im Diskant, zunächst staccato, dann non legato in wechselnden Figuren, kontrastiert im Bass von getupften, ein- bis dreistimmigen Achteln, die nur von Takt ihren Platz mit den Achteltriolen wechseln. Dieser Fluss ist immer wieder unterbrochen von Pausen. Das ist ein prägendes Merkmal in dieser Sonate, insbesondere im Spiel Afanassjews, der die Pausen manchmal besonders lange ausdehnt (s. o.).
    Nunmehr geht es in die rätselhafte, jedoch m. E. phänomenale Schlussgruppe, deren dynamische Kontraste nicht nur zu den Höhepunkten dieses Satzes gehören, sondern, wie ich finde, auch zu den Höhepunkten in Afanassiews Spiel. Das ff in Takt 105 ist sicherlich hier noch um ein drittes "f" bereichert. Was dann folgt, ist ganz große Pianokunst, vor allem die Überleitung zur Wiederholung, die ja nicht unumstritten ist (z. B. Brendel vehement dagegen, Badura-Skoda, Zimerman und Afanassiew, um nur einige zu nennen dafür. Hier möchte ich zum ersten Mal Joachim Kaiser zu Wort kommen lassen:

    Zitat

    Die Entwicklung des ersten Schlusses (Takt 113 - 121 der Exposition des Kopfsatzes) ist ein beispielloser expressiver Verlauf, zerrissen von Pausen und Fermaten, zusteuernd auf eine aberwitzige Fortissimo-Katastrophe (wilde Dissonanzen, , dann der unendlich lange Moll-Triller im tiefsten Baß, als "ffz" zu nehmen... Zu denken gibt es, daß noch bis in die jüngste Zeit viele Schubert-Spieler diesen unaussprechlich ausdrucksvollen ersten Schluss samt der zwingend vorgeschriebenen Repetition der Exposition einfach ausließen und somit den gezacktesten Verlauf der Sonate unterschlugen, weil sie es eilig hatten!


    Sowohl der sinistre Triller als auch die Pausenfermate am Ende dieser markerschütternden Überleitung dauern jeweils in der Lesart Afanassjews mehrere Sekunden- grandios!!
    Das zögernde Wiedereinsetzen des Themas gleicht m. E. einem Wunder. Und dann wieder der phänomenale Triller mit der anschließenden langen Fermatenpause. Das übt m. E. eine suggestive Wirkung aus.
    Ich meine, jetzt nach dem dritten Hören dieser Aufnahme mehr denn je, dass Afanassjew in der Wiederholung des ersten Crescendos dynamisch noch weiter steigert. Weiterhin setzt er die dynamischen Vorgaben der Partitur auch sorgfältig um.
    Grandios gestaltet er auch den überleitenden Takt 117b zur Durchführung: ein veritables Ritardando auf engstem Raum nur eines Taktes.
    Hier wird vom ersten Takt der Durchführung an (Takt 118b mit Auftakt) die zutiefst traurige Stimmung deutlich, was sich in der oktavierten Wiederholung und einer leichten dynamischen Steigerung noch verstärkt. Auch dass im weiteren Verlauf (ab Takt 131) die begleitenden Bögen scheinbar aufhellen, macht es nicht wirklich besser, da ja im Bass die traurige seufzerähnliche Thematik weiter durchläuft. Selbst als sich in Takt 146 das cis-moll wieder nach B-dur auflöst, bleibt im Grunde genommen alles beim Alten, denn der Wanderer spürt weiterhin in seinem Inneren das konstante angstvolle Klopfen seines Herzens, (durchlaufende Achtel im Bass, später mehrfach mit der Melodie die Oktave wechselnd. Afanassjew spielt das grandios, besonders die erschütternde Steigerung ab Takt 168. So geht es dann weiter unaufhaltsam dem Ende zu- ja, welchem Ende überhaupt? Zunächst einmal zur Reprise. Wieder bestechen an den Schnittstellen die lange ausgehaltenen Pausen-Fermaten, hier in Takt 215.
    Ich meine, dass er zu Beginn der Reprise, ebenda, den dynamischen Level noch einmal etwas abgesenkt hat. Ich darf schon jetzt ankündigen, dass ich diese Stelle schon mehrfach rustikaler, ja gröber, gehört habe. Und wieder fällt vom Beginn der Themenerweiterung an (hier ab Takt 234), wie groß Afanassjew die innere temporale Spannweite gestaltet, indem er so langsam begonnen hat. ich darf dazu nochmals Joachim Kaiser zitieren:

    Zitat

    : Glaubte man bisher, Svjatoslav Richters besessen langsame Einspielung des Werkes, vor allem des Kopfsatzes "Molto moderato", sei ein Extrem, so wird man eines besseren belehrt: Verglichen mit Afanassievs Kühnheit, auch das Schweigen einzubeziehen, Fermaten unendlich verhallen zu lassen, bis dann die Musik, als käme sie aus weiter, weiter Ferne, verstör t und sanft wieder ihre Flügel ausbreitet, wirkt Richters berühmte Interpretation von 1972 brav-traditionell. Wie große die Interpretationsunterschiede sind, zeigt ein Zahlenvergleich. _Richter braucht zwar für den Kopfsatz fast zwei Minuten länger als Afanassiev,; trotzdem spielt Afanassiev gewisse Vorberatungen und zögernde Prozesse deutlich langsamer als Richter! Das heißt, er muss anderswo viel rascher sein, sonst könnte er trotz gelegentlich exzessiver Verlangsamung nicht fürs Gesamte weniger Zeit brauchen.


    Den weiteren Verlauf spiel Afanassjew dynamisch und temporal genauso abwechslungsreich wie die Exposition. Es ist einfach nur eine große, sehr erfüllende Freude, ihm zuzuhören. Das schließt auch die sehr berührende kurze Coda (ab Takt 345) mit ein.
    Ein herausragend gespielter Satz, der allerdings, wie mir scheint, auch polarisieren könnte. Ich finde, dass er gleich zu Beginn in die Reihe der musikalischen "Achttausender" aufgenommen gehörte.


    Auch das cis-moll-Andante nimmt Afanassjew sehr langsam, und man hört die Noten voll traurigen Gewichtes herniedertropfen. Vor allem die über zwei Oktaven führende Begleitfigur: C -c -c', deren Intervalle sich ab Takt 9 nach oben hin verändern und später wieder sinken, zwischendurch (Takt 14 bis 17, durch Auflösung nach E-dur auch mal stimmungsmäßig heller aufscheinen), aber konstant insistierend durchlaufen, verstärkt durch Afanassjews langsames Spiel diesen Eindruck noch sehr, wie ich finde, ebenso durch sein dynamisch kontrastreiches Spiel. Und auch das teilweise lähmende Gefühl, das durch zusätzlich Verlangsamung aufkommt, Takt 29ff, einhergehend mit einem mehrfach fortschreitenden Decrescendo lässt alles Geschehen fast zum Stillstand kommen bis zur letzten Achtel im Tiefbass in Takt 82, wo das überirdisch ergreifende und, wie ich finde, unglaublich schöne, choralartige Seitenthema anhebt,, das meine Liebe zu dieser Sonate noch unendlich vertieft hat.
    Im ersten Abschnitt, Takt 43 bis 50, hebt es in A-dur im Bass an, von teilweise staccatierenden Sechzehnteln im Tiefbass begleitet, von Afanassjew wunderbar zart gezeichnet, bevor es, ab Takt 51 , um eine Oktave nach oben geht und die Musik nun auch in der Begleitung abwechselndere, ja florale Züge annimmt und die Schönheit der Melodie, wenn es denn überhaupt geht, und so in tiefen dynamischen Regionen in intensiver Schönheit leuchtet, bevor in Takt 67 die diesseitige Dynamik wieder zunimmt und durch einen neuerlichen Tonartenwechsel ab Takt 70 zu regelrechtem dramatischen Furor aufläuft. Afanassjew betont diesen Wechsel mit kraftvollen Akkorden, wobei ab Takt 76 das Geschehen wir in Takt 51ff wieder hellere und ruhigere Züge annimmt. Er senkt dabei die Dynamik und das Tempo immer weiter ab, als wenn der Musik die Kraft ausginge, was ja auch so ist und in Takt 89 noch durch eine Generalpause bekräftigt ist.
    In Takt 90 setzt dann der Thementeil A wieder ein, und tiefe Trauer senkt sich wieder über das musikalische Geschehen, was Afanassjew durch neuerliche dynamische Steigerungen noch zementiert (Takt 99f), und dann ansatzlos in die Decrescendo-Bewegung und den Stimmungswechsel übergeht, bis ab Takt 123 etwas geschieht, was nicht nur Beethoven kann, ein Coda-Wunder, eine Coda in Cis-dur mit dieser unglaublich gespielten Fermate am Schluss- herausragend- wie der ganze Satz!!


    Im Scherzo schlägt Afanassjew andere Töne an. Er nimmt es m. E. da tatsächlich der Partitur entsprechend wörtlich "vivace con delicatezza", für seine Verhältnisse, zumindest was das Scherzo im ersten und zweiten Teil (Takt 1 - 16, 17 bis 90) betrifft, wobei er auch hier die dynamischen und rhythmischen Feinheiten der Partitur aufmerksam nachzeichnet, aber es m. E. ist nicht die große, existenzielle Auseinandersetzung mit dem Schicksal wie in den ersten beiden Sätzen.
    Im Trio senkt er spürbar das Tempo, legt sozusagen eine nachdenkliche Ruhepause ein.
    Dann spielt er das Scherzo da capo und schließt die vier Coda-Takte an.


    Im finalen Rondo ist zwar immer noch dieser vordergründig leichte Schwung zu verspüren, doch wird dieses Procedere du in regelmäßigen Abständen durch fp-Akkorde unterbrochen, und außerdem wird der konstante Fluss in der Exposition aufgeraut durch Legato-Staccato-Wechsel, die eine Stimmung verbreiten, die nicht rein positiv ist, sonder ständig auch in Gefahr ist, zu kippen, vornehmlich am Ende einer Phrase in den fp-Akkorden. Dies kommt im dynamisch kontrastreichen und rhythmisch alerten Spiel Afanassjews sehr schön zum Ausdruck, wie ich finde.
    Im Seitensatz ab Takt 85 bis 155 hellt sich das Geschehen spürbar auf und fließt durch die langen Bögen wunderbar dahin, von Afanassjew kongenial umgesetzt, wie ich finde- aber wir sind ja bei Schubert, und nicht umsonst hat er Takt 54 und 155 als Generalpause konzipiert- und dann bricht es über uns herein mit Donnergetöse- ein hochdramatischer, durchführungsartiger Abschnitt, aber nicht als reine Durchführung, sondern , da wir ja in einem Rondo sind, als eine neue Strophe wie der vorher als Seitensatz bezeichnete Abschnitt ( der ja später dann noch einmal wiederkehrt).
    Hier beginnt diese Strophe hochdramatisch, von Afanassjew auch so aufgefasst (Takt 156 bis 184). Dann wird das Geschehen wieder leichter , sowohl dynamisch als auch rhythmisch durch die Achteltriolen in der Begleitung (Takt 188 bis 224). Dieses leichtere Dahinfließen kommt in dieser Aufnahme auch schön zum Ausdruck.
    Dann kommt der Refrain ab Takt 225 mit Auftakt wieder, aber gegenüber seinem anfänglichen Auftreten in musikalisch und dynamisch variierter Form (siehe Einführungstext, 4. Satz, 4. Teil. Hier geht es wieder hochdramatisch zur Sache. Afanassjew entfesselt eine gehörige dynamische Wucht, vor allem in den Takten 292 bis 310, wo sich die Form nochmals wandelt, allerdings in der 2. Hälfte dieses Abschnitts die Dynamik auch mehrmals schwankt. Afanassjew unterstreicht das Auslaufen dieses Refrains durch neuerliches Retardieren.
    Auch im nächsten Themeneinsatz (ab Takt 312), den man mit einigem Wohlwollen auch mit einer Reprise vergleichen könnte, da er dem Beginns sehr ähnlich ist und in Takt 358 wieder das Seitenthema anschließt, bleibt der vordergründig positive Stimmungseindruck erhalten.
    Doch noch einmal taucht der hochdramatische Fortissimo-Abschnitt auf, in nahezu voller Länge und mit den zwei unterschiedlich gewichteten Hälften, in denen Afanassjew immer noch die Spannung hochhält, an dessen Ende sich ein letztes Mal die G-Akkorde melden, kurz bevor sich der Kreis schließt, was man auch an kontinuierlich decrescendierten G-Akkorden erkennen kann, was Afanassjew hier sehr schön macht und mit einem schwungvollen Presto den wirklich äußerst gelungenen Kreis schließt.


    Eine große Interpretation, zu der Kaiser am Ende sagt:

    Zitat

    Natürlich gibt es Pianisten, die mehr "können", (wobei er die Technik meint). Doch gegenwärtig wohl niemanden, der einen freieren, kühneren, exzentrischeren Schubert riskiert. Vor einer Nachahmung dieser russischen Ungeheuerlichkeit sei gewarnt, aber um respektvolle Beachtung der originellen Interpretation inständig gebeten.


    Liebe Grüße


    Willi :thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup:

    1. "Das Notwendigste, das Härteste und die Hauptsache in der Musik ist das Tempo". (Wolfgang Amadeus Mozart).
    2. "Es gibt nur ein Tempo, und das ist das richtige". (Wilhelm Furtwängler).

    3 Mal editiert, zuletzt von William B.A. ()

  • Eine wirklich gute Idee, dieser Thread, lieber Willi! Es muss und kann nicht immer nur Beethoven sein. Bie Beethoven-Sonaten-Enzyklopädie muss auch mal "Urlaub" machen! :D :)


    So eine extreme Deutung wie Affanasjew reizt auch mich ungemein, ich habe sie allerdings nicht zur Verfügung!


    Ich werde die Tage mal auflisten und meine Sammlung durchforsten, was ich an Aufnahmen von D 960 so alles habe. Falls Dir etwas fehlt, kann ich Dir dann behilflich sein. :)


    Herzlich grüßend
    Holger

  • Lieber Holger,


    jetzt kannst du sie dir ja schon mal anhören. :D


    Liebe Grüße, auch an deine Frau und einen schönen Allerheiligentag


    Willi :)

    1. "Das Notwendigste, das Härteste und die Hauptsache in der Musik ist das Tempo". (Wolfgang Amadeus Mozart).
    2. "Es gibt nur ein Tempo, und das ist das richtige". (Wilhelm Furtwängler).


  • Lieber Willi,


    das Paket über den "kleinen Dienstweg" ist gerade angekommen! :) Herzlichen Dank - auch für die Grüße! Ich mache gerade die letzten Korrekturen für mein Buch, bevor es endlich zum Verlag kommt und "schwitze", so dass ich zum Musikhören heute leider wohl nicht mehr kommen werde. Eher falle ich müde ins Bett... :D


    Dir auch einen schönen Feiertag!


    Liebe Grüße
    Holger

  • Banner Trailer Gelbe Rose
  • Zitat

    Dr. Holger Kaletha: Falls Dir etwas fehlt, kann ich Dir dann behilflich sein. :)


    Lieber Holger,
    hast du diese Aufnahme?


    Liebe Grüße


    Willi :)

    1. "Das Notwendigste, das Härteste und die Hauptsache in der Musik ist das Tempo". (Wolfgang Amadeus Mozart).
    2. "Es gibt nur ein Tempo, und das ist das richtige". (Wilhelm Furtwängler).

  • Lieber Willi,


    leider nein! Ich habe ja die neue große Box mit den Solo- und Kammermusikaufnahmen gekauft. Da ist aber neben den beiden Schubert-Sonten, die ich als Einzel-CD schon hatte nur noch neu D 850 drin - aber nicht die große G-Dur-Sonate und D 960.


    (Der Arrau-Schumann kommt noch!) :hello:


    Herzlich grüßend
    Holger

  • Sie sollte erst über 31 € kosten, lieber Holger, und nun habe ich sie gebraucht gefunden "sehr gut" für 0,77 € (+ 3 € Porto), da habe ich für dich gleich eine mitbestellt, due B-dur-Sonate + Wandererfatasie, da kann man nicht meckern.


    Liebe Grüße


    Willi :)

    1. "Das Notwendigste, das Härteste und die Hauptsache in der Musik ist das Tempo". (Wolfgang Amadeus Mozart).
    2. "Es gibt nur ein Tempo, und das ist das richtige". (Wilhelm Furtwängler).

  • Lieber Willi,


    super! :thumbsup: Es gibt von ihm ja noch eine CD mit D 959. Hast Du die G-Dur-Sonate op. 78 gefunden? Ist die überhaupt auf CD veröffentlicht worden? Die hatte ich ganz früher auf LP - er bekam für diese Aufnahme einst sogar den "Grand Prix de Disque". Wieso gibt es die nur nicht?


    Herzlich grüßend
    Holger

  • Die gibt es doch, lieber Holger,


    aber nur noch in einem Exemplar, und das hat ein Tamino aus Coesfeld bestellt:


    Liebe Grüße


    Willi :)

    1. "Das Notwendigste, das Härteste und die Hauptsache in der Musik ist das Tempo". (Wolfgang Amadeus Mozart).
    2. "Es gibt nur ein Tempo, und das ist das richtige". (Wilhelm Furtwängler).

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  • Diese Aufnahme von Ashkenazy kenne ich auch noch nicht. Aber ich muss gestehen, dass mir sein Schubert nicht so zusagt.
    Asheknazys Flügel hat ja eigentlich nie eine besonders schönen Ton, das ist sein großes Defizit, meine ich.
    Besonders fällt dies aber bei D. 959 auf, wo er beinahe metallisch und hart klingt.


    Viele Grüße
    Christian

  • Liebe Willi,


    vielen Dank für die tolle Afanassiev-Besprechung! Ich habe mir jetzt wieder mal den ersten Satz angehört und diese Aufnahme hat damals völlig zu Recht für Aufsehen gesorgt. Afanassiev ist übrigens einer der wenigen, der die unvergleichliche Pianississimo-Stelle (ppp) in der Druchführung des ersten Satzes wahrnehmbar spielt, viele bleiben hier beim Pianissimo. Diese Stelle - ich habe die Noten jetzt nicht vorliegen - ist im zweiten Teil der Durchführung und sie ist wirklich was ganz Besonderes. Während Beethoven in der Durchführung die Themen miteinander ringen lässt und das Geschehen gleichsam zuspitzt, begibt sich Schubert auf eine Reise ins Innere. Brendel schreibt über diese Stelle ("Musik beim Wort genommen"):
    "(Schubert) zitiert, pianississimo (…) das Hauptthema in der Grundtonart B-Dur – und doch erleben wir es, als der d-Moll-Sphäre angehörend, wie aus äußerster Distanz (…). Wenn das Anfangsthema wenige Zeilen später in seiner Grundgestalt wiederkehrt, haben wir unseren Standpunkt völlig verändert – das Thema ist uns in seiner hymnischen Zartheit nun in einer Weise nahe, daß man sagen könnte, wir spürten es in uns.“


    Afanassiev wird hier tatsächlich noch einmal deutlich leiser, obwohl er schon leise ist. Was für ein Höhepunkt! Ganz wunderbar spielt diese Stelle übrigens auch ein Pianist, der nur eine einzige Schubert-Sonate aufgenommen hat, eben diese B-Dur-Sonate. Ich meine Horowitz in seiner späten Einspielung für die Grammophon. Das ist gewiss keine ganz überzeugende Aufnahme, so manchen fällt bei Horowitz in Einzelteile, aber allein für dieses unvergleichliche ppp liebe ich sie sehr.


    Viele Grüße
    Christian

  • Ich meine Horowitz in seiner späten Einspielung für die Grammophon. Das ist gewiss keine ganz überzeugende Aufnahme, so manchen fällt bei Horowitz in Einzelteile, aber allein für dieses unvergleichliche ppp liebe ich sie sehr.

    Ich glaube, ich weiß, lieber Christian, welche Stelle Du meinst. Ich suche sie in anderen Aufnahmen bisher vergeblich. Das ist unvergleichlich! :hello:


    Herzlich grüßend
    Holger

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  • Afanassjews Pianokultur ist mir ja schon in der ersten Aufnahme aufgefallen, aber noch intensiver in der letzten Aufnahme, die ich gestern und heute besprochen habe.
    Auch, was ihr über Horowitz gesagt habt, kann ich bestätigen. Als ich in der Sammlungserweiterungsphase war, habe ich eine negative Kritik über Horwitz' frühe Aufnahme gelesen. Ich habe sie trotzde :) m angeschafft, und der Kritikaster hat wohl die späte Aufnahme nicht gehört, die ich inzwischen auch habe.


    Liebe Grüße


    Willi :)

    1. "Das Notwendigste, das Härteste und die Hauptsache in der Musik ist das Tempo". (Wolfgang Amadeus Mozart).
    2. "Es gibt nur ein Tempo, und das ist das richtige". (Wilhelm Furtwängler).


  • Schubert, Klaviersonate Nr. 21 B-dur D.960
    Waleri Afanassjew, Klavier
    AD: 2013 Moskau, live
    Spielzeiten: 25:50-11:01-4:49-9:15 --- 50:55 min.;


    Vor Kurzem habe ich diese dritte Aufnahme Afanassjews aus dem Jahre 2013 auf Youtube entdeckt, die in Bezug auf die Dauer des Kopfsatzes ungefähr auf der Mitte zwischen der Aufnahme von 1985 (s. o.) und der Aufnahme von 1997 liegt, die ich am Schluss dieses Threads nach gut 70 weiteren Besprechungen platzieren möchte.


    Sein gegenüber der Lockenhausaufnahme deutlich langsameres Tempo ist m. E. im Ausdruck ein Wunder, wie er im tiefsten pp-Keller einen Grad an Natürlichkeit und Einfachheit erreicht, den man, so glaube ich, in dieser Eindringlichkeit nur alle Jubeljahre einmal hört. Nun ist er ja in diesem Konzert 28 Jahre weiter als in dem berühmten Lockenhaus-Konzert, und schon bei Brendel habe ich schon über die vielen Jahre eine Reduzierung der Dynamik in der Spitze in den späten Jahren vernommen, ebenfalls sehr zur Steigerung der Ausdrucksqualität.
    Afanassjew erreicht dennoch eine enorme dynamischer Spannweite, indem er im Achtel-triolen-Crescendo in Takt 34/35 ein doch massives Forte erreicht, das aber jederzeit klar und sonor bleibt.
    Nach diesem fantastischen Crescendo spielt er weiter auf Forte-Niveau mit nur geringen dynamischen Bewegungen und zeigt uns, wie diese Sequenz "maestoso" klingt- zugegebenerweise wieder eine Eigenwilligkeit, aber m. E. eine sehr überzeugende.
    Ab Takt 49 spielt er ein Seitenthema wie aus einer entfernten luziden Sphäre, in der auch die Crescendi aus einem "pp/ppp" heraus höchstens in "p" erreichen.
    Erst im nächsten Crescendo ab Takt 61 öffnet er dann den dynamischen Raum nach oben und geht auch immer wieder zurück, lässt wunderbar den crescendierenden Oktavgang am Beginn des nächsten Crescendos (ab Takt 70 einfließen und erreicht im nächsten Crescendo (ab Takt 76 mit Auftakt dann endlich in Takt 77 (knapp) das Forte, für mich alles ein Beleg, dass er hier (mit 66 Jahren), ähnlich wie Brendel, einen Grad an Durchgeistigung erreicht hat, der es ihm erlaubt, auch ohne äußerste Dynamik ein Maximum an musikalischer Tiefe und Expressivität zu erreichen.
    Auch das dritte Thema mit den auf und ab strebenden Achtelstaccati nach jeweils anfänglich zwei Legato-Achteln an jedem Taktbeginn, gelingt ihm m. E. höchst natürlich und transparent. Auch die Pausen musiziert er höchst akkurat und löst hier ein starkes Gefühl im Hörer aus, dass trotz der vordergründigen Melodienseligkeit nicht alles fließt, sondern das häufige, wenn auch manchmal nur sehr kurze Stocken sehr zum Nachdenken anregt.
    Auch in der hochdynamischen Schlussgruppe und in dem furchterregenden Übergang zur Expositionswiederholung kommt es nicht mehr auf die letzten Dezibel an Dynamik an. Die Beklemmung steigt dagegen in dieser dritten Einspielung Afanassjews schon allein durch den schier endlosen ffz-Triller in Takt 124 und 125 an. Folgerichtig wiederholt Afanassjew auch hier die Expostion- nach einer 10 Sekunden langen Generalpause!
    Grandios, wie vorsichtig tastend sich das Hauptthema wieder in die Sonate hinein tastet. Und wiederum gestaltet Afanassjew die Exposition sehr kontrastreich, ausgehend von einem sehr tiefen Pianissimo, und spielt die innere Beschleunigung (ab Takt 59 mit Auftakt) höchst kleinschrittig.
    Une ebenso tastend, wie er die Wiederholung der Exposition begann, so beendet er sie auch- grandios!
    Das Ritardando des Übergangstaktes 117b gestaltet er als eine regelrechte Schlüsselstelle.
    In der Durchführung hebt er das Tempo moderat an, und ich meine auch, dass die traurige Stimmung, die noch in der Aufnahme von 1985 so massiv zu verspüren war, nicht mehr so massiv auf dem Wanderer lastet und auch das dritte Thema (ab Takt 131) etwas aufgehellter daherkommt, aber dann ist der Glaube wieder dahin, denn mit Wiedereintritt des B-dur spielt Afanassjew die klopfenden durchlaufenden Achtel zwar sehr leise, aber durchaus bedrohlich klopfend und verleiht den nun zu sich reibenden, quasi dissonanten Akkorden mutierten klopfenden Achtel ab Takt 160 eine furchteinflößenden Intensität, und ähnlich geht es durch die Oktaven weiter, klopfen die Achtel mal als Quint- mal als Septakkorde insistierend fort, wobei dann unvermittelt dräuend (Takt 186) sich der Basstriller wieder meldet. Und obwohl hohe Bögen ein Ende des "klopfenden Schicksals" ankündigen, will sich die Stimmung nicht aufhellen.
    Zu Beginn der Reprise macht Afanassjew eine ähnlich langen Generalpause wie am Ende der Exposition. Und wie wunderbar folgt Afanassjew am Ende der ersten Themenvorstellung der Partitur und spielt den ersten Basstriller im Piano pianissimo. Und nach dem temporal stärker angehobenen zweiten Teil des Hauptthemas spielt er den variierten dritten Teil am Ende mit einem dynamisch deutlich gesteigerten Crescendo, das in den vierten Teil überleitet, dem ich in der Exposition das Adjektiv "maestoso" zugemessen hatte.
    Auch das zweite Thema spielt er wieder genauso eindrucksvoll wie in der Exposition, desgleichen das dritte Thema, das ja hier wieder vordergründig strahlen will, aber in diesem immer wieder innehalten muss.
    Auch in der Schlussgruppe kommt die Musik nur mühsam voran, und Afanassjew betont auch hier wieder die Pausen und mit einer unglaublichen Coda im tiefsten pianissimo schließt er diesen grandiosen Satz ab.


    Im Andante sostenuto erleben wir nach 28 Jahren noch das gleiche Tempo, aber ich meine dynamisch auch hier dynamisch einen geringen Rückgang der Spitze zu vernehmen, obwohl das erste Crescendo dann doch deutlich ist, aber auch hier geht er, wie schon im Kopfsatz im pp weit zurück, desgleichen in der Themenwiederholung und im nächsten Crescendo-Decrescendo ab Takt 22.
    Hier geht er n der Schlussgruppe, vor allem ab Takt 38 im "ppp" wieder bis an die Hörgrenze hinab.
    Aber auch auf diesem ungeheuer niedrigen Level is die Musik noch klar vernehmbar.
    Und als dann das überirdische choralartige Seitenthema anhebt, bleibt er hier deutlich unter dem notierten "p", das ist schon ein reines, zu Herzen gehendes "pp"- grandios!
    Wenn man hier Afanassjew lauscht, dann meint man (dann meine ich), dass das so gespielt gehört und nicht anders, vor allem nicht schneller, denn das ist so unendlich schön und öffnet klar den Blick auf den musikalischen Kern. Pianistisch ist zu bewundern, wie er auf dieser niedrigen Dynamikstufe noch so sauber unterscheidet zwischen Piano und Pianissimo.
    Im nächsten, wieder sehr moderaten Crescendo, vernehmen wir wieder sehr deutlich ab Takt 70 die dreitaktige Auflösung nach B-dur.
    Ab Takt 76 schließt er dann organisch das Thema im Diskant an und lässt es dann in den letzten Takten bis Tat 88 langsam in einem sanften Diminuendo/Ritardando auslaufen un d schließt in Takt 89 wieder eine mehrsekündliche Generalpause an.
    Dann spielt er die reprisenhafte Wiederholung von Teil A an und führt auch hier die dynamischen Bewegungen äußerst moderat, aber gleichsam spannungsreich aus. Erst im Crescendo ab Takt 98 steigert er wieder bis ungefähr zum Forte. In der Oktavierung ab Takt 103 ist er schon fast wieder beim "ppp". Unglaublich zart und berührend ist hier sein Anschlag, tiefgehend der Ausdruck, wie ich finde. Das ist einfach auf eine erschütternde Art schon fast schmerzhaft schöne Musik, die Schubert da komponiert hat und die Afanassjew so adäquat wiedergibt. Sicher waren diese Töne für Schubert Schmerz und Trost zugleich, zu wissen, dass er bei all seinem körperlichen und auch seelischen Schmerz schon bald in einer anderen höheren und schöneren Sphäre wäre, dann diese Coda (ab Takt 123)- mein Gott, fast wie ein Gebet, und augenscheinlich war auch das russische Publikum so in seinen Bann geschlagen, dass es nach diesem Satz spontan, aber zaghaft und nur kurz applaudierte.

    Zitat

    It takes something special for a russian audience to applaud between movements (Es bedarf schon einer speziellen Situation für ein russisches Publikum, um zwischen den Sätzen zu applaudieren- Übers.: William B.A.)


    Das Scherzo gestaltet er so ähnlich wie 28 Jahre zuvor. Auch hier herrscht eine andere Tempogestaltung vor, obwohl er doch etwas langsamer ist als 1985, nimmt er die Musik leichter, fast leichtgewichtiger, aber die durchlaufenden Achtel in der Begleitung, die auch hier einen permanenten Klopfrhythmus ergeben, die in rascher Abfolge mit der Melodie de Oktaven wechseln, verheißen in Afanassjews Lesart stets, dass das muntere musikalische Treiben nur oberflächlich ist. In dem perpetualen Rhythmus, der hier aufscheint, kann auch ein Totentanz stehen.
    Und im b-moll-Trio wird dieses Gefühl stärker, wird der Rhythmus schwerer, auch im Pianissimo, und im Forzatissimo (ffz) in Takt 26 im Bass, wird dies nochmal bekräftigt.
    Das Scherzo da capo mit der Kurzcoda spielt er dann wieder wie vor.


    Als das Publikum erneut zu applaudieren beginnt, beginnt er in den Applaus hin das Finale, worauf der Applaus sofort endet. Auch in diesem Satz ist er langsamer als in seiner ersten Aufnahme. Noch eines ist mir aufgefallen, er beginnt das Thema nach dem jeweiligen g-g'-Auftaktakkord stets mit einem kurzen Ritardando-Accelerando, wie um erst auf das richtige Tempo zu kommen, und auch hier hält er immer wieder kurz an, setzt e die Staccatopassagen deutlich von den Legatopassagen ab.
    Erst im Seitensatz ab Takt 85 lässt er die Musik fließen, wie es gehört. Am intensivsten gerät dieser Fluss in den Takten 112 bis 129 und 146 bis 153, wo beide Oktaven im Legato stehen. Afanassjew setzt da die Partitur sorgfältig um, auch, was die beiden Generalpausentakte 154/155 betrifft.
    Die nächste zweiteilige Strophe, zweiteilig, weil im ersten Teil hochdramatisch im zweiten Teil lyrisch-zart, fast in einem "Fade-out" versschwindend, spielt Afanassjew auch sehr ausdrucksvoll, wobei er wiederum die Partitur sehr sorgfältig umsetzt.
    Den nun wieder unvermittelt einsetzenden nächsten Themenabschnitt, der trotz seines anfänglich reprisenförmigen Aussehens dann doch schnell in Form und Dynamik sich ändert und deshalb eher auf die durchführungsähnliche Seite gehören dürfte, spielt Afanassjew mit großer dynamischer Geste. Im letzten Themenabschnitt dieses Rondo-Teils mit den Sechzehntel-Tonleitern im Diskant und den alternierenden Achteloktavgängen im Bass spielt er wieder präzise die Sechzehntelpausen im Diskant aus, die dem Fortgang hier das erschwerende Stocken verleihen.
    Den nunmehr reprisenförmigen Teil ab Takt 312 bis 358 und das anschließende Seitenthema spielt er dann wieder wie zuvor, wobei er auch wieder die feinsten dynamischen Bewegungen sorgfältig wiedergibt.
    Dann, nach der zweiten Generalpause, spielt er das zweite Mal die zweiseitige Sequenz, zuerst die dramatische, dann die lyrische Seite, genauso ausdrucksvoll wie beim ersten Mal, und nach dem letzten, verkürzten Themenanlauf, bei dem er jeden G-Akkord leiser spielt als den voraufgegangenen und in jeder folgenden Phrase langsamer wird und damit eine m. E. grandiose Spannungskurve aufbaut, setzt er zur frappierenden Presto-Coda an, die er sehr schnell und mitreißend spielt, woraufhin nach dem letzten Ton frenetischer Beifall ausbricht.


    Eine Aufnahme, die ich gleichrangig einordnen möchte wie die erste von 1985, obwohl seine Sicht auf die Dinge nicht mehr so urwüchsig scheint wie mit 38 Jahren, aber schon mehr altersphilosophisch erscheint.


    Die mittlere Aufnahme Afanssjews aus dem Jahre 1997 werde ich am Ende dieses Threads besprechen


    Liebe Grüße


    Willi :thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup:

    1. "Das Notwendigste, das Härteste und die Hauptsache in der Musik ist das Tempo". (Wolfgang Amadeus Mozart).
    2. "Es gibt nur ein Tempo, und das ist das richtige". (Wilhelm Furtwängler).

  • Afanassjews Pianokultur ist mir ja schon in der ersten Aufnahme aufgefallen, aber noch intensiver in der letzten Aufnahme, die ich gestern und heute besprochen habe.
    Auch, was ihr über Horowitz gesagt habt, kann ich bestätigen. Als ich in der Sammlungserweiterungsphase war, habe ich eine negative Kritik über Horwitz' frühe Aufnahme gelesen. Ich habe sie trotzde :) m angeschafft, und der Kritikaster hat wohl die späte Aufnahme nicht gehört, die ich inzwischen auch habe.


    Liebe Grüße


    Willi :)

    Ist das die späte Aufnahme von Horowitz ? Ist die richtig gut ? Ich habe ja sehr viele Aufnahmen der 960er - sollte ich die auch haben ?


    https://www.amazon.de/gp/produ…?smid=ALYY2EOZQ7QUK&psc=1



    Schönes Wochenende !


    Kalli

  • Ist das die späte Aufnahme von Horowitz ? Ist die richtig gut ? Ich habe ja sehr viele Aufnahmen der 960er - sollte ich die auch haben ?

    Lieber Kalli,


    bestelle Dir doch die Box mit den kompletten DGG-Aufnahmen, die ist günstiger. Die kriegst Du für um die 30 Euro.



    Die Horowitz-Aufnahme ist interpretatorisch zwar nicht ideal, so würde ich das auch sehen, aber absolut faszinierend, weswegen man sie haben sollte! Horowitz ist einfach ein Magier - gerade im 1. Satz. So unerhört facettenreich (mit der atemberaubenden ppp-Stelle) spielt das sonst niemand. :hello:


    Schöne Grüße
    Holger

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  • Also ich habe für diese Aufnahme:



    O,55 € bezahlt + 3 € Porto. Das Problem m it der DG-Gesamtaufnahme ist, dass ich fast alle Aufnahmen, die in der Box sind, schon zum Teil viele Jahre in meiner Sammlung habe. Da war dann die Methode, diese CD einzeln zu bestellen, für mich doch günstiger.
    Und zur künstlerischen Qualität: Horowitz spielt in seiner späten Aufnahme auch die Wiederholung der Exposition. Er zählt zwar auch zu den Schnelleren, aber er spielt so entspannt, dass man (ich) keinen Moment das Gefühl hatte, dies sei zu schnell. Es gibt andere Pianisten, und das habe ich bei den Beethoven-Sonaten schon zig Mal erlebt, die spielen so schnell und angespannt, dass man es kaum anhören kann.
    Mir gefällt die späte Horowitz-aufnahme nach erstem Anhören ausgesprochen. Wie das im Einzelnen ist, muss ich noch hören, wenn es so weit ist.

    1. "Das Notwendigste, das Härteste und die Hauptsache in der Musik ist das Tempo". (Wolfgang Amadeus Mozart).
    2. "Es gibt nur ein Tempo, und das ist das richtige". (Wilhelm Furtwängler).

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  • Ich auch:



    Unbedingt empfehlenswert!


    Liebe Grüße


    Willi :)

    1. "Das Notwendigste, das Härteste und die Hauptsache in der Musik ist das Tempo". (Wolfgang Amadeus Mozart).
    2. "Es gibt nur ein Tempo, und das ist das richtige". (Wilhelm Furtwängler).

    Einmal editiert, zuletzt von William B.A. ()


  • Schubert, Klaviersonate Nr. 21 B-dur D.960
    Waleri Afanassjew, Klavier
    AD: 2013 Moskau, live
    Spielzeiten: 25:50-11:01-4:49-9:15 --- 50:55 min.;

    Lieber Willi,


    auch bei diesem Mitchnitte ist bei 16:50 das Pianississimo (ppp) gut zu hören, wobei Afanassiev meines Erachtens vorher eher Piano spielt und nicht Pianissimo - zumindest soweit ich das bei diesem Youtube-Matierial beurteilen kann (das Bild beeinflusst das Hören). Das Besondere der Stelle liegt darin, dass die Musik schon sehr leise ist und dann noch leiser werden muss. Der Reise geht ins Innere, wieder zurück zum B-Dur des Anfangs. Und doch ist alles anders. Schon unglaublich gut, wie das Schubert gemacht hat.


    Viele Grüße
    Christian

  • Zitat

    Christian B.: Schon unglaublich gut, wie das Schubert gemacht hat.


    Das finde ich auch, aber auch unglaublich gut, wie Afanssiev das gemacht hat.


    Später nach der Chorprobe werde ich mit der Aufnahme eines Pianisten beginnen, der heut vor einem Jahr gestorben ist.


    Liebe Grüße


    Willi :)

    1. "Das Notwendigste, das Härteste und die Hauptsache in der Musik ist das Tempo". (Wolfgang Amadeus Mozart).
    2. "Es gibt nur ein Tempo, und das ist das richtige". (Wilhelm Furtwängler).

  • Ihr Lieben,


    das werde ich mir anhören, leider habe ich es noch nicht geschafft, die CDs zu brennen. Denn nur Dateien abspielen geht leider auf meiner Anlage nicht (jedenfalls nicht in akzeptabler Qualität)! :hello:


    Herzlich grüßend
    Holger

  • Aus gegebenem Anlass werde ich heute von alphabetischen Reihenfolge der Interpreten abweichen, denn heute vor einem Jahr starb Zoltan Kocsis. Am 30 Mai dieses Jahres erst habe ich daran erinnert, dass er an jenem Tage 65 Jahre alt geworden wäre. Aus diesem Grunde möchte ich wenigstens heute (6. 11. 2017) noch beginnen, seine Aufnahme der B-dur-Sonate aus dem Jahre 1998 aus dem Teatro Sociale in Bellinzona in der Schweiz zu besprechen:

    Franz Schubert, Klaviersonate Nr. 21 B-dur D.960
    Zoltan Kocsis, Klavier
    zoltan-kocsis_1.jpg?auto=format&min-h=150&min-w=280&q=85
    AD: 1998
    Spielzeiten: 23:10-8:14-3:26-8:15 --- 43:05 min.;


    Zoltan Kocsis spielt das Thema des Kopfsatzes in ruhigem, zu den Langsameren gehörenden Tempo in großer Entspannung, mit klarer, sonorer Tongebung und wie ich finde, in einem großen Spannungsbogen. Den tiefen Triller gestaltet er sehr sinister. Wohlüberlegt streut er in der längeren Sequenz der Themenwiederholung kleine dynamische Bewegungen ein.
    Nach dem zweiten Triller in Takt 19 zieht er mit der ersten Themenvariation in der höheren Lage das Tempo an un schließt am Ende dieses Abschnitts in den Achteltriolen mit einem wunderbaren Crescendo ab, lässt sich aber dynamisch noch etwas Luft nach oben.
    Das zweite Thema, in fis-moll, versieht er mit einer intensiven melancholischen Farbe und gestaltet wohlüberlegt die zunehmenden dynamischen Bewegungen.
    Auch nach der neuerlichen Überleitung zu dem dritten Thema bleibt er im ruhigen, nun etwas aufgehellten Fluss, spielt die hohe Oktave sehr berührend, ab Takt 80 mit den wunderbaren auf- und abstrebenden Achteltriolen, dann mit wechselnden Figuren, immer begleitet von den zumeist dreistimmigen Achtelakkorden, wobei ja die Oktaven mehrfach gewechselt werden, bis dann in Takt 99 die Schlussgruppe erreicht ist, die er nahtlos anschließt. diese spielt er auch mit maßvollen dynamischen Kontrasten, wobei er den tiefen Triller im Gegensatz zu Afanassjew zurückhaltender spielt. Dann wiederholt auch er natürlich die Exposition, die er natürlich genauso großartig spielt wie zu Beginn.
    Grandios spielt er auch den Überleitungstakt 117b am zweiten Ende der Exposition.
    In der Durchführung ist auch seine Lesart ruhig und auch sehr traurig. Auch hier geht er nach dem 1. Teil, als es von cis-moll wieder nach B-dur geht, in Takt 149 dynamisch nicht bis zum Äußersten, sprich, Fortissimo. Im zweiten Durchführungsteil geht er in den dissonanten Akkorden Ab Takt 160 dynamisch schärfer zu Werke und erreicht am Ende des langen, durchaus dramatischen Crescendos
    in Takt 171 durchaus das Fortissimo.
    Die klopfenden Achtel-Intervalle, nun zwischen Quinten und Sexten wechselnd, erzeugen in Kocsis' Lesart eine gespenstische Atmosphäre. und mit Wiederkehr des Themas, hier melancholisch in der hohen und ganz hohen Oktaven, geht es der Reprise zu, wobei auf dem Weg dahin in diesen letzten knapp dreißig Takten (ab Takt 186) der fünfmal auftretende Triller in der Tat bei Kocsis lauter ausfällt als bei Afanassjew.
    Auch zu Beginn der Reprise fällt der Triller wieder ganz anders aus als bei Afanassjew, hier keinesfalls ppp, eher mezzopiano. Hier hält er sich nicht streng an die Partitur, aber ich kann nicht sagen, dass das falsch klingt. Die Pausen-Fermaten dehnt er übrigens ähnlich aus wie Afanassjew. Im zweiten, von den Sechzehntel-Begleitfiguren dominierten Abschnitt zieht er auch hier die innere Uhr wieder an, wobei ich meine, dass er hier am Ende in der Steigerung durchaus das Forte erreicht. Nach der zweiten Steigerung zieht wieder das cis-moll-Thema an uns vorüber , das er dann wunderbar in der Oktavierung in Takt 289 in den Schwung des dritten Themas in B-dur einfließen lässt, dass er alsbald in den sehr berührend gespielten Achteltriolen-Abschnitt mit den wechselnden Figuren einmünden lässt. Aber trotz der auch hier vordergründig aufscheinenden Helligkeit können die dunklen Wolken am Horizont, die Schubert zu jener Zeit schon allgegenwärtig waren, nicht vertrieben werden, auch nicht in der dann zum dritten Mal erreichten Schlussgruppe.
    Mit einer wunderbar gespielten Kurzcoda schließt Zoltan Kocsis diesen grandios gespielten Kopfsatz ab.


    Leider kann ich erst heute mit meiner Besprechung fortfahren.
    Im Andante ist er m. E. schneller als Afanassjew in beiden Aufnahmen, spielt auch hier dynamisch äußerst sorgfältig und mit klarem Klang, im Ausdruck vielleicht nicht ganz so traurig wie Afanassiew.
    Im A-dur-Seitenthema (ab Takt 43) gestaltet sich die Lesart Kocsis' in diesem Tempo und Klang zu einem beeindruckenden, zu Herzen gehenden Gesang.
    In der Wiederholung des Themas ab Takt 51 zieht er das Tempo noch einmal an, so dass es mir schon fast grenzwertig erscheint. Dynamisch zeichnet er nach wie vor die moderaten Crescendi und Decrescendi sehr sorgfältig nach.
    Auch rhythmisch kommen die Wechsel zwischen Legato-Phrasen und Staccato-Figuren sehr präzise.
    Auch jetzt erhöht er ab Takt 76 in der Oktavierung der Themenerweiterung das Tempo, wie mir jetzt aufscheinen will, die höhere Lage luzider zu gestalten.
    Am Ende des Seitenthemas gerät jedoch die Generalpause nicht annähernd so lang wie vergleichbar mit Afanassjew.
    In der reprisenförmigen Wiederholung des Thementeils A ab Takt 90 geht mir nochmal stärker auf, dass Kocsis die Staccatoabschnitte sehr pointiert spielt und damit die permanente Unruhe, die der Musik innewohnt, auf besondere Weise stärker zum Ausdruck bringt, wobei er wiederum im dynamischen Kontrast m. E. nicht so weit geht wie Afanassjew.
    In der wundersamen Coda spielt auch Kocsis ein herausragendes "ppp" und gleichzeitig zum Diminuendo ein Ritardando und dringt dadurch in diesem berührende Cis-Dur-Abschluss m. E. tief in den Kern der Musik vor.


    Das Scherzo spielt Kocsis sehr schnell, rasche als Afanassjew, wie ich finde. Jedoch passt es einerseits zur Satzvorschrift, andererseits im temporalen Binnenverhältnis zum Andante.
    Das Trio gefällt mir sehr gut , vor allem in rhythmischer Hinsicht. Er spielt die Forzandopiani und die Forzandi sehr betont, und hier scheint der Totentanzrhythmus stärker durch als im Scherzo. Natürlich spielt auch er das Scherzo da capo.


    Das finale Allegro ma non troppo spielt er naturgemäß wieder langsamer als das Scherzo. Auch hier ufert er in den dynamischen Kontrasten nicht aus und spielt die rhythmischen Kontraste wieder exzellent.
    Im Seitensatz (ab Takt 85) bringt er das Instrument zu einem beseligenden Singen, wobei er die synkopierenden Achtel in der Begleitung organisch einfließen lässt.
    Im langen , zweiteiligen, dritten Abschnitt des Rondos spielt er einen wunderbaren Kontrast zwischen dem ersten dramatischen Non-Legato-Teil ab Takt 156 und dem zweiten lyrischen Legato-Teil ab Takt 186 mit den begleitenden Achteltriolen und den berührenden Oktavierung in der ganz hohen Oktave.
    In der nächsten Themenwiederholung ab Takt 225 mit Auftakt, in dem sich die musikalischen Figuren wiederum ändern und der erste Teil noch dynamisch hochstehender ist, unterscheidet sich Kocsis' Lesart von derjenigen Afanassjews auch durch einen nicht so starken Kontrast. Trotzdem ist das Ritardando am Ende dieses Abschnitts bemerkenswert.
    Im nächsten Ritornell, das nunmehr unverkennbar reprisenhaft ist, spielt Kocsis dynamisch und rhythmisch sowie temporal dem expositionsartigen Beginn entsprechend, auch in dem anschließende lyrischen Seitensatz, den er nahtlos anschließt.
    Den zweiten durchführungsähnlichen Abschnitt mit den beiden rhythmischen und ausdrucksmäßig kontrastierenden Hälfte schließt er nahtlos an, bevor das kurze Thema III ab Takt 490 zur ebenso kurzen, spektakulären Coda überleitet.
    Ein ebenfalls großartig gespielter Satz, der zusammen mit dem Scherzo vielleicht nicht ganz an die Aufnahmen -Afanassjews heranreicht.


    Im Ganzen ein großartiges Live-Konzert.


    Liebe Grüße


    Willi :thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup:

    1. "Das Notwendigste, das Härteste und die Hauptsache in der Musik ist das Tempo". (Wolfgang Amadeus Mozart).
    2. "Es gibt nur ein Tempo, und das ist das richtige". (Wilhelm Furtwängler).

    Einmal editiert, zuletzt von William B.A. ()

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