Beginnen wir mit dem Ende der Vorstellung – freundlicher Applaus für alle Beteiligten. Ein einziger, zaghafter Buhruf, keine Bravos. Das Publikum blieb etwas ratlos zurück – ebenso der Rezensent.
Vier Jahre arbeiteten Johannes Maria Staud und Durs Grünbein an diesem „Auftragswerk der Wiener Staatsoper“, wie es extra am Abendzettel vermerkt ist. Um gleich beim Zettel zu bleiben – angekündigt wird das Werk als „Oper in sechs Bildern, vier Passagen, einem Prolog, einem Vorspiel und einem Zwischenspiel“. Der Begriff „Oper“ ist meiner Meinung nach irreführend – es ist ein gewisser Weise ein düsteres Singspiel – mit extra Sprechrollen, und auch die Sänger haben verhältnismäßig viele Dialoge und auch Monologe zu führen.
Was die musikalische Seite angeht – Ingo Metzmacher, einer der profiliertesten Dirigenten für die Moderne, wurde vom Publikum mit dem meisten Applaus bedacht – ob zurecht – wer kann das schon bei einem neuen Werk beurteilen, wo es absolut keine Vergleichsmöglichkeiten gibt. Der Orchestergraben war vollgestopft und man hörte viele Instrumente, die nur selten eingesetzt werden. Genauere Beschreibungen kann man bei anderen Rezensenten lesen. Interessant ist, dass keine elektronisch verstärkten Instrumente zum Einsatz kamen (z.B. E-Gitarren oder E-Bass), allerdings einen großen Anteil am Gesamteindruck des musikalischen Teils des Abends das SWR-Experimentalstudio (Michael Acker, Sven Kestel) hatte. In einem Opernhaus sicherlich sehr ungewöhnlich, doch für jemanden, der sich interessensmäßig auch außerhalb der Klassik aufhält, nichts Neues. Im Gegenteil – schon in der zweiten Hälfte der 60er-Jahre des vorigen Jahrhunderts konnte man diese Art von „Klangwolke“ bei den ersten Platten von Pink Floyd hören. Nichtsdestotrotz wurde der elektronische Klangteppich perfekt eingesetzt und hatte großen Anteil an der „Stimmigkeit“ vieler Szenen.
Staud setzt in diesem Werk verschiedene Musikstile ein – er ist niemals atonal, es gelingt ihm gut, eine bedrohliche Atmosphäre zu schaffen. Beim Vorspiel, das in New York spielt, lässt er bei der Erzählung über die „Karpfenmenschen“ die Band Klezmer-Musik spielen – und wie bei diesem jiddischen Musikstil üblich, mit Schwerpunkt auf Klarinetten-Soli. Musical-artig geht es bei der Hochzeitsszene zu – übrigens zu einem bitterbösen Text, der für mich – was das Libretto angeht – der gelungenste des ganzen Abends war. Und dann bediente sich Staud auch bei Richard Wagner.
Schwachpunkt des Abends ist aber eindeutig das Libretto – bis auf die oben erwähnte Hochzeitsszene strotzt der Text nur so von Banalitäten. Man hat den Eindruck, dass gewisse Szenen nur dazu da sind, die Dauer des Werkes zu verlängern – und den Fluss einfach ins Stocken bringen. Die ersten 25 Minuten sind stimmig, auf wienerisch gesagt „da geht was weiter“, aber anschließend ist es oft wirklich lähmend. Als ich nach gefühlten zwei Stunden auf die Uhr sah – ja, da war erst eine Stunde vergangen.
Als Beispiel für das „In-Die-Länge-Ziehen“ – bei der ersten Szene zwischen Lea und Peter, die so ca. 15 Minuten dauert, erfährt man im Prinzip nichts anderes als dass Lea 28 Jahre alt ist (ein Mückenstich pro Jahr), Peter nackt schläft und von den Gelsen nicht gestochen wird – und Lea viele blaue Flecken hat, da Peter es beim Sex anscheinend gerne „härter“ hat. Hilft das, auch wenn man dann das Ende der Geschichte gesehen hat, weiter und hat Relevanz? Nicht wirklich.
Mit Absicht hatte ich vor meinem Besuch keine Interviews mit den Beteiligten gelesen, ebenso keine Kritiken – ich wollte unvoreingenommen das Werk betrachten. Grünbein spielt am Ende des Stücks sehr mit der „Moralkeule“ – soll sein, aber das regt nicht mehr wirklich auf. Und er ist auch nicht konsequent – einerseits werden mit „Europa“ und „Dubai“ ganz konkrete Örtlichkeiten angesprochen, auf der anderen Seite erfindet er neue Namen für die Donau und das Schwarze Meer – was soll das? Wenn schon, denn schon. Will er Kritik an aktuellen Gegebenheiten üben – dann soll er sie beim Namen nennen und sich nicht hinter so einfach zu entziffernden Pseudonymen verstecken!
Ich will auf die Handlung nicht weiter eingehen, das haben sicherlich schon andere Rezensenten getan.
Ganz positiv zu erwähnen ist aber die Umsetzung auf der Bühne – die gehört sicherlich zum Besten, was ich in den letzten Jahren gesehen habe – beginnend von der Bühne (Jan Pappelbaum), Regie (Andrea Moses), Licht (Bernd Purkrabek), den Kostümen (Kathrin Plath) bis hin zu den Videos (Arian Andiel), die auch viel zur Stimmung beitrugen und die Musik perfekt ergänzten – oder war es umgekehrt? Oft wähnte man sich wie im Kino mit einer guten Filmmusik.
Gesungen wurde auch – wie schon beim Dirigat fehlt natürlich jeder Vergleich, daher kann die Beurteilung da nur subjektiv sein. Insgesamt wurden die Sänger nicht zu so aberwitzigen Kapriolen wie bei der letzten Uraufführung, Reimanns Medea, angehalten (Ausnahme Fritzi und Franzi – aber auch da war die Tessitura im Vergleich zu „The Tempest“ einfacher).
Rachel Frenkel als Hauptfigur Lea wirkte überzeugend, sie war auch in den Teilen ihrer Partie, wo sie nur sprechen musste, gut verständlich. Ich bin mir nicht sicher, ob Tomasz Konieczny die Idealbesetzung für den Peter ist. Man weiß, dass er nicht unbedingt ein „angenehmes“ Timbre hat – und auch hier wirkt er von Beginn weg ein wenig brutal. Ob dies für einen Künstler richtig ist? Ich nehme an, das ist Geschmackssache.
Die für mich beste Leistung des Abends erbrachte als EdgarThomas Ebenstein, ein agiler Charaktertenor, der auch die exponierten Stellen seiner Partie problemlos meisterte. Als seine Frau Kitty konnte Andrea Carroll überzeugen (der dann beim Schlussvorhang anscheinend zuerst ein kleines Hoppala passierte und Rachel Frenkel mit ihrem Jackett aushelfen musste..).
Zwei reine Sprechrollen gab es auch – Udo Samel als Komponist Krachmeyer (irgendwie ein netter Gag, einen Komponisten durch eine Sprechrolle zu verkörpern) und Sylvie Rohrer als etwas überdrehte Reporterin.
Die Eltern des schlussendlich scheiternden Hauptpaares wurden von Monika Bohinec, Herbert Lippert, Donna Ellen und Alexandru Moisiuc verkörpert, wobei besonders die Leistung und Bühnenpräsenz von Herbert Lippert hervorzuheben ist. In einer Doppelrolle war, souverän wie immer, Wolfgang Bankl zu sehen und zu hören.
Die Zwillinge Fritzi und Franzi wurden von Neuzugängen gestaltet – Jeni Houser und Katrina Galka spielten hervorragend und wurden, was die hohen Töne angeht, sehr gefordert. Diese Aufgabe erfüllten beide tadellos – es wird interessant sein, sie auch in einer „klassischen“ Oper zu hören.
Zusammenfassend glaube ich, dass sich dieses Werk nicht im Repertoire halten wird – im Gegensatz zu „Medea“ und „The Tempest“ habe ich auch kein Verlangen, es noch einmal in dieser Serie zu sehen. Das Haus war relativ voll (obwohl nach der Pause doch viele Plätze dann leer waren – es ist nicht unbedingt ein Werk, das für Abonnenten geeignet ist – aber so ist zumindest eine gewisse Auslastung garantiert). Der Komponist wurde auch auf die Bühne geholt und freute sich darüber augenscheinlich.
Ich habe mich schon mehr über Aufführungen geärgert, aber dies hatte mit den sängerischen Leistungen zu tun. Hier stellte sich nach einer dreiviertel Stunde eine Fadesse ein, die bis zum Schluss anhielt. Ein insgesamt enttäuschender Abend – was aber nichts mit der Tatsache zu tun hat, dass es sich um ein modernes Stück handelt, sondern um eines, das niemanden richtig emotional packen kann.