Die Weiden, Wiener Staatsoper, 11.12.2018

  • Beginnen wir mit dem Ende der Vorstellung – freundlicher Applaus für alle Beteiligten. Ein einziger, zaghafter Buhruf, keine Bravos. Das Publikum blieb etwas ratlos zurück – ebenso der Rezensent.

    Vier Jahre arbeiteten Johannes Maria Staud und Durs Grünbein an diesem „Auftragswerk der Wiener Staatsoper“, wie es extra am Abendzettel vermerkt ist. Um gleich beim Zettel zu bleiben – angekündigt wird das Werk als „Oper in sechs Bildern, vier Passagen, einem Prolog, einem Vorspiel und einem Zwischenspiel“. Der Begriff „Oper“ ist meiner Meinung nach irreführend – es ist ein gewisser Weise ein düsteres Singspiel – mit extra Sprechrollen, und auch die Sänger haben verhältnismäßig viele Dialoge und auch Monologe zu führen.


    Was die musikalische Seite angeht – Ingo Metzmacher, einer der profiliertesten Dirigenten für die Moderne, wurde vom Publikum mit dem meisten Applaus bedacht – ob zurecht – wer kann das schon bei einem neuen Werk beurteilen, wo es absolut keine Vergleichsmöglichkeiten gibt. Der Orchestergraben war vollgestopft und man hörte viele Instrumente, die nur selten eingesetzt werden. Genauere Beschreibungen kann man bei anderen Rezensenten lesen. Interessant ist, dass keine elektronisch verstärkten Instrumente zum Einsatz kamen (z.B. E-Gitarren oder E-Bass), allerdings einen großen Anteil am Gesamteindruck des musikalischen Teils des Abends das SWR-Experimentalstudio (Michael Acker, Sven Kestel) hatte. In einem Opernhaus sicherlich sehr ungewöhnlich, doch für jemanden, der sich interessensmäßig auch außerhalb der Klassik aufhält, nichts Neues. Im Gegenteil – schon in der zweiten Hälfte der 60er-Jahre des vorigen Jahrhunderts konnte man diese Art von „Klangwolke“ bei den ersten Platten von Pink Floyd hören. Nichtsdestotrotz wurde der elektronische Klangteppich perfekt eingesetzt und hatte großen Anteil an der „Stimmigkeit“ vieler Szenen.

    Staud setzt in diesem Werk verschiedene Musikstile ein – er ist niemals atonal, es gelingt ihm gut, eine bedrohliche Atmosphäre zu schaffen. Beim Vorspiel, das in New York spielt, lässt er bei der Erzählung über die „Karpfenmenschen“ die Band Klezmer-Musik spielen – und wie bei diesem jiddischen Musikstil üblich, mit Schwerpunkt auf Klarinetten-Soli. Musical-artig geht es bei der Hochzeitsszene zu – übrigens zu einem bitterbösen Text, der für mich – was das Libretto angeht – der gelungenste des ganzen Abends war. Und dann bediente sich Staud auch bei Richard Wagner.


    Schwachpunkt des Abends ist aber eindeutig das Libretto – bis auf die oben erwähnte Hochzeitsszene strotzt der Text nur so von Banalitäten. Man hat den Eindruck, dass gewisse Szenen nur dazu da sind, die Dauer des Werkes zu verlängern – und den Fluss einfach ins Stocken bringen. Die ersten 25 Minuten sind stimmig, auf wienerisch gesagt „da geht was weiter“, aber anschließend ist es oft wirklich lähmend. Als ich nach gefühlten zwei Stunden auf die Uhr sah – ja, da war erst eine Stunde vergangen.


    Als Beispiel für das „In-Die-Länge-Ziehen“ – bei der ersten Szene zwischen Lea und Peter, die so ca. 15 Minuten dauert, erfährt man im Prinzip nichts anderes als dass Lea 28 Jahre alt ist (ein Mückenstich pro Jahr), Peter nackt schläft und von den Gelsen nicht gestochen wird – und Lea viele blaue Flecken hat, da Peter es beim Sex anscheinend gerne „härter“ hat. Hilft das, auch wenn man dann das Ende der Geschichte gesehen hat, weiter und hat Relevanz? Nicht wirklich.

    Mit Absicht hatte ich vor meinem Besuch keine Interviews mit den Beteiligten gelesen, ebenso keine Kritiken – ich wollte unvoreingenommen das Werk betrachten. Grünbein spielt am Ende des Stücks sehr mit der „Moralkeule“ – soll sein, aber das regt nicht mehr wirklich auf. Und er ist auch nicht konsequent – einerseits werden mit „Europa“ und „Dubai“ ganz konkrete Örtlichkeiten angesprochen, auf der anderen Seite erfindet er neue Namen für die Donau und das Schwarze Meer – was soll das? Wenn schon, denn schon. Will er Kritik an aktuellen Gegebenheiten üben – dann soll er sie beim Namen nennen und sich nicht hinter so einfach zu entziffernden Pseudonymen verstecken!

    Ich will auf die Handlung nicht weiter eingehen, das haben sicherlich schon andere Rezensenten getan.


    Ganz positiv zu erwähnen ist aber die Umsetzung auf der Bühne – die gehört sicherlich zum Besten, was ich in den letzten Jahren gesehen habe – beginnend von der Bühne (Jan Pappelbaum), Regie (Andrea Moses), Licht (Bernd Purkrabek), den Kostümen (Kathrin Plath) bis hin zu den Videos (Arian Andiel), die auch viel zur Stimmung beitrugen und die Musik perfekt ergänzten – oder war es umgekehrt? Oft wähnte man sich wie im Kino mit einer guten Filmmusik.

    Gesungen wurde auch – wie schon beim Dirigat fehlt natürlich jeder Vergleich, daher kann die Beurteilung da nur subjektiv sein. Insgesamt wurden die Sänger nicht zu so aberwitzigen Kapriolen wie bei der letzten Uraufführung, Reimanns Medea, angehalten (Ausnahme Fritzi und Franzi – aber auch da war die Tessitura im Vergleich zu „The Tempest“ einfacher).


    Rachel Frenkel als Hauptfigur Lea wirkte überzeugend, sie war auch in den Teilen ihrer Partie, wo sie nur sprechen musste, gut verständlich. Ich bin mir nicht sicher, ob Tomasz Konieczny die Idealbesetzung für den Peter ist. Man weiß, dass er nicht unbedingt ein „angenehmes“ Timbre hat – und auch hier wirkt er von Beginn weg ein wenig brutal. Ob dies für einen Künstler richtig ist? Ich nehme an, das ist Geschmackssache.

    Die für mich beste Leistung des Abends erbrachte als EdgarThomas Ebenstein, ein agiler Charaktertenor, der auch die exponierten Stellen seiner Partie problemlos meisterte. Als seine Frau Kitty konnte Andrea Carroll überzeugen (der dann beim Schlussvorhang anscheinend zuerst ein kleines Hoppala passierte und Rachel Frenkel mit ihrem Jackett aushelfen musste..).


    Zwei reine Sprechrollen gab es auch – Udo Samel als Komponist Krachmeyer (irgendwie ein netter Gag, einen Komponisten durch eine Sprechrolle zu verkörpern) und Sylvie Rohrer als etwas überdrehte Reporterin.

    Die Eltern des schlussendlich scheiternden Hauptpaares wurden von Monika Bohinec, Herbert Lippert, Donna Ellen und Alexandru Moisiuc verkörpert, wobei besonders die Leistung und Bühnenpräsenz von Herbert Lippert hervorzuheben ist. In einer Doppelrolle war, souverän wie immer, Wolfgang Bankl zu sehen und zu hören.


    Die Zwillinge Fritzi und Franzi wurden von Neuzugängen gestaltet – Jeni Houser und Katrina Galka spielten hervorragend und wurden, was die hohen Töne angeht, sehr gefordert. Diese Aufgabe erfüllten beide tadellos – es wird interessant sein, sie auch in einer „klassischen“ Oper zu hören.


    Zusammenfassend glaube ich, dass sich dieses Werk nicht im Repertoire halten wird – im Gegensatz zu „Medea“ und „The Tempest“ habe ich auch kein Verlangen, es noch einmal in dieser Serie zu sehen. Das Haus war relativ voll (obwohl nach der Pause doch viele Plätze dann leer waren – es ist nicht unbedingt ein Werk, das für Abonnenten geeignet ist – aber so ist zumindest eine gewisse Auslastung garantiert). Der Komponist wurde auch auf die Bühne geholt und freute sich darüber augenscheinlich.


    Ich habe mich schon mehr über Aufführungen geärgert, aber dies hatte mit den sängerischen Leistungen zu tun. Hier stellte sich nach einer dreiviertel Stunde eine Fadesse ein, die bis zum Schluss anhielt. Ein insgesamt enttäuschender Abend – was aber nichts mit der Tatsache zu tun hat, dass es sich um ein modernes Stück handelt, sondern um eines, das niemanden richtig emotional packen kann.

    Hear Me Roar!

  • Lieber Dreamhunter,

    interessant und bereichernd ist es, wieder einmal von Dir einen größeren Bericht von einem Opernexperiment in der ehrwürdigen Wiener Staatsoper zu lesen. Hoffentlich werden es nicht zu viele solcher Experimente und die Wiener Staatsoper bleibt ihrer Linie des traditionellen Ensembletheaters in höchster Qualität treu. Solche gewagten Versuche scheinen augenblicklich in Mode zu sein. In Stuttgart erlebte ich gerade "Herzog Blaubarts Burg" in einer Neuiszenierung in einem zur Opernbühne umfunktionierten Alten Paketpostamt. Einer der Gags des Installationskünstlers Hans Op de Beeck war, dass alle Besucher Gummistiefel bekamen und durch kniehohes Wasser zu ihrem schwer zu erreichenden Sitzplatz waten mussten. Auch für mich neu. Ein Bericht steht hier im Taminos-Forum und kommt ausführlicher im Dezember Heft des "Neuen Merker Wien", in dem Du ja auch schreibst.

    Bitte sei so nett und schreibe öfters etwas hier im Tamino Forum. Die Opernfaktion kann Deine kompetente Unterstützung gut gebrauchen. Da Du ja eh' schreibst dürfte es nicht allzu schwierig sein, auch uns im Taminoforum zu beglücken.

    Herzlichst

    Dein Merker-Kollege

    Operus

    Umfassende Information - gebündelte Erfahrung - lebendige Diskussion- die ganze Welt der klassischen Musik - das ist Tamino!

  • Lieber Dreamhunter, auch ich war (freudig) überrasch Dich hier zu sehen, ich hoffe das ist der Beginn einen neuen Liebe zu Tamino


    Zum Thema; Die Weiden


    Kann ich da als "Verweigerer der zeitgenössischen Oper" überhaupt mitschreiben. Natürlich nicht viel, aber doch einiges.

    Denn in der rennomierten Wiener Tageszeitung "Die Presse" gab es ein von Judith Hecht mit dem Komponisten Johannes Maria Staud unter dem interessanten Titel - den ich als freundlich gemeinte Warnung verstand: "Ich hoffe auf Ohren ohne Vorurteile" Der (von der Wiener Zeitungskritik IMO verrissene Librettist Durds Grünbein war der Wunschautor des Komponisten. Ursprünglich hätte Welser-Möst das Werk dirigieren sollen, aber durch dessen Konflikt und anschliessendem Weggang von der Wiener Staatsoper kam es nicht mehr dazu.

    Wen ich das Interview mit dem Komponisten richtig interpretiere, dan handelt es sich um einen "Freidenker" - und ich frage mich wie kommt man als solcher zu einem Auftrag der Wiener Staatsoper. Aber die Recherche ergab, daß zahlreiche namhafte Institutionen mit Staud zusammenarbieten, was in mir indes immer wieder "Verschwörungstheorien" in den Sinn bringt, was man auch harmloser als "gut funktionierendes Netztwerk" bezeichnen könnte.


    Staud ist sich dessen bewusst daß er polarisiert. Er legt zwar Wert darauf, daß seine Musik dem Publikum gefällt, sbeschliesst das Interview indes mit dem Sstz:

    "Aber ehrlich gesagt: Wenn in diesem Haus kein einziger Buhruf kommt, dann habe ich etwas falsch gemacht"

    Soweit ich gelesen habe, kam tatsächlich "ein einziger§ - aber zu einem Skandal hats dann offenbar doch nicht gereicht.


    Das mag daran liegen, daß man - im Gegensatz zu Regietheaterinszenierungen berühmtern Stammrepertoires bereits weiß was einen erwartet, und fernbleiben kann (oder auch nicht) Ein ehrlicher Deal.

    ES gibt auch keine Haßtiraden gegn solch eine moderne Oper, Denn daß die das etablierte Repertoire von den Spielplänen verdrängt oder oder gesellschaftspolitisch wirksam wird besteht sowies derzeit eher nicht.....


    Die Zeitungskritiken waren "freundlich vernichtend" - imo das Schlimmste was passieren kann. Jene unseres Mitglieds Dreamhunter passt hier vorzüglich ins Bild .


    https://kurier.at/kultur/urauf…-der-staatsoper/400349617


    mfg aus Wien


    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Lieber Alfred, lieber Operus,


    vielen Dank für Eure netten Worte. Ja, ich hoffe, in der nächsten Zeit wieder aktiv sein zu können - der Grund, dass man von mir nicht so viel zu lesen vorfand war schlicht und ergreifend, dass ich viele anderen Verpflichtungen hatte. Ich habe mich vor kurzer Zeit erst von einer Tätigkeit zurückgezogen, die mir extrem viel Energie abverlangte und in ein beginnendes Burnout trieb. Jetzt habe ich wieder mehr Zeit für mich und meine eigenen, privaten Interessen.


    Ich bin Ende Dezember wieder in der Zauberflöte und auch im ersten Halbjahr 2019 habe ich schon Karten für einige Vorstellungen (Lucia mit Flórez, Cavalleria mit Garanca, Frau ohne Schatten mit Thielemann etc.).


    Zu Alfreds Bemerkung in Bezug auf Regietheaterinszenierung -> bei diesem Werk wurde insofern "klassisch" inszeniert, als dass dieses Werk in der Gegenwart spielt. Daher waren iPhone etc. absolut korrekt. Aber ehrlich - ich bin mir nicht sicher, ob "Oper" die richtige Kunstform für aktuelle Ereignisse ist - da sehe ich Schauspiel oder Musical eher dafür geeignet. Mir hat, wie schon geschrieben, die Medea von Reimann wirklich gut gefallen - auch moderne Musiksprache, aber es handelte sich dabei um ein antikes Drama. Das wäre vielleicht auch ein interessantes Thema für einen Thread (aber vielleicht gibt es den eh schon).


    Bin ab morgen bis Weihnachten in Thailand und freue mich schon auf die Tempel dort,


    Liebe Grüße aus dem ersten Bezirk,


    Kurt

    Hear Me Roar!

  • Lieber Dreamhunter, ich hatte zunächst keine Lust, etwas über dieses Stück zu lesen, Deine Beschreibung hat mir dann aber ausgesprochen gut gefallen, so dass ich mir eine Vorstellung davon machen kann, ob ich in dieses Stück gehen würde oder eher nicht (wenn ich in Wien wäre, wohl eher nicht). Herzliche Grüße aus Hamburg, Ralf Reck

    Oper lebt von den Stimmen, Stimmenbeurteilung bleibt subjektiv

  • Ich glaube ich würde auch nicht live die Aufführung besuchen, werde mir aber den Livestream anschauen. Auch von mir vielen Dank für De>inen Bericht lieber Dreamhunter.