WAGNER, Richard: Konzertouvertüren und Bühnenmusik

  • Noch unbekannter als Richard Wagners beide Symphonien C-Dur und E-Dur (Fragment) ist seine übrige Orchestermusik, die nicht in Verbindung steht mit seinen Opern. Die meisten dieser Werke entstanden Anfang und Mitte der 1830er Jahre, also ganz zu Beginn von Wagners Komponistenlaufbahn. Als Fünfzehnjähriger begann er seinen Musikunterricht beim Leipziger Geiger und Komponisten Christian Gottlieb Müller. Drei Jahre später erfolgte sein Studium beim damaligen Thomaskantor Christian Theodor Weinlig wie auch bei Heinrich Dorn, seinerzeitigem Kapellmeister des Leipziger Hoftheaters. Letzterer unterrichtete auch den drei Jahre älteren Robert Schumann.


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    Richard Wagner in den 1830er Jahren


    Das erste in der Reihe dieser Werke war die im Spätsommer und Herbst 1831 komponierte Konzertouvertüre Nr. 1 d-Moll WWV 20. Wagner hatte sich kurz zuvor als Musikstudent an der Universität Leipzig immatrikuliert. Dieses überaus dramatische Werk nimmt unverkennbar Bezug auf Beethoven, lässt aber auch Parallelen zu Weber erkennen. Die Uraufführung erfolgte am 25. Dezember 1831.


    Als nächstes folgte bereits im Februar 1832 die Premiere der historischen Tragödie König Enzio von Ernst Raupach, zu welcher Wagner die Bühnenmusik beisteuerte, von der sich bedauerlicherweise nur die Ouvertüre e-Moll WWV 24 erhalten hat. Sie wurde erst 1907 zum ersten Male veröffentlicht. Sie ist insgesamt von größerer Melancholie geprägt als die 1. Konzertouvertüre und gibt sich aristokratischer, ganz dem Sujet geziemend, behandelt es doch Enzio von Sardinien, den unehelichen Sohn des Stauferkaisers Friedrich II. Der Rettungsversuch erinnert an Fidelio; gleichwohl klingt die Ouvertüre in obskurem Moll aus.


    Bereits einen Monat danach schrieb Wagner die Konzertouvertüre Nr. 2 C-Dur WWV 27, ein strahlendes Stück, das zwischen Energik und Lyrik hin und her wechselt. Es wurde vermutlich häufiger aufgeführt und ist noch im Mai 1873 anlässlich des Konzertes zu Wagners 60. Geburtstag belegt. Gleichwohl erfolgte eine offizielle Publikation wiederum erst nach dem Tode des Komponisten.


    Drei Jahre später, 1835, folgte wiederum eine Bühnenmusik, diesmal zu Christoph Columbus von Theodor Appel. Wie schon beim König Enzio hat sich auch in diesem Falle nur die Ouvertüre Es-Dur WWV 37 erhalten. Als musikalisches Vorbild gilt Mendelssohns Konzertouvertüre Meeresstille und glückliche Fahrt. Anhand dieses Stückes lässt sich bereits Wagners musikalische Weiterentwicklung innerhalb kürzester Zeit nachvollziehen, verlangt er doch etwa nicht weniger als sechs Trompeten in drei unterschiedlichen Stimmungen, welche nacheinander die Fanfaren intonieren.


    1836 folgte die Ouvertüre C-Dur Polonia WWV 39, in welcher Wagner ein patriotisches Lied und einen Volkstanz aus Polen zitiert, die er während eines feuchtfröhlichen Gelages mit polnischen Exilanten in Berlin gehört hatte.


    Im selben Jahr komponierte er die Ouvertüre D-Dur Rule Britannia WWV 42, welche auf der berühmten Melodie von Thomas Arne basiert. Diese sandte Wagner an Sir George Smart, den Präsidenten der Royal Philharmonic Society in London, erhielt aber niemals eine Antwort.


    Den Abschluss bildete schließlich Eine Faust-Ouvertüre d-Moll WWV 59 von 1839/40. Dieses Stück wurde inspiriert durch Berlioz' "dramatische Symphonie" Roméo et Juliette vom November 1839. Zwar schloss Wagner die Faust-Ouvertüre bereits im Jänner 1840 ab, doch sollten noch mindestens vier Revisionen erfolgen, ehe die heute übliche Form 1855 erreicht wurde. In dieser Ouvertüre reflektiert Wagner vielmehr das gesamte Drama als bloß die Titelfigur. Sie ist fraglos die reifeste unter Wagners Konzertouvertüren und nicht mehr als Frühwerk zu bezeichnen.


    Die Konzertouvertüren Nr. 1 und 2, Polonia und Rule Britannia wurden so gut wie nie eingespielt, die beiden Ouvertüren zu den Bühnenmusiken zumindest ab und an. Auch hier fällt die Faust-Ouvertüre aus dem Rahmen, existieren von dieser doch vergleichsweise viele Aufnahmen.


    »Und besser ist's: verdienen und nicht haben,

    Als zu besitzen unverdiente Gaben.«

    – Luís de Camões

  • Nahezu unbemerkt ist voriges Jahr eine Neueinspielung der Ouvertüre C-Dur Polonia WWV 39 von 1836 erschienen, welche die bisher einzige Aufnahme von Naxos abgeschlagen hinter sich lässt und zum ersten Mal aufzeigt, dass dieses Wagner'sche Frühwerk alles andere als bedeutungslos ist. Es spielt das Royal Philharmonic Orchestra unter Grzegorz Nowak und holt wohl alles aus dem Werk heraus, was man herausholen kann. Leider gehen solche Neuerscheinungen häufig völlig unter; ich selbst entdeckte sie erst dieser Tage durch reinen Zufall. Auch die übrigen Stücke, das Symphonische Vorspiel Polonia op. 76 von Elgar und die Fantaisie polonaise gis-Moll op. 19 von Paderewski, sind Kuriositäten. Das Label des Fryderyk-Chopin-Instituts in Warschau bringt ab und an solche Raritäten auf den Mark, was deutlich mehr gewürdigt werden sollte.


    »Und besser ist's: verdienen und nicht haben,

    Als zu besitzen unverdiente Gaben.«

    – Luís de Camões

  • Gerade erklang seit vielen Jahren zum ersten Mal bei mir wieder die Ouvertüre D-Dur Rule Britannia WWV 42, die Wagner im Jahre 1836 komponierte, also noch während der Regierungszeit von Wilhelm IV. (1830-1837), dem letzten britischen König, der in zugleich auch König von Hannover war (im Jahr darauf sollte seine Nichte Victoria auf den britischen Thron gelangen, hingegen sein jüngerer Bruder Ernst August in Hannover nachfolgen, womit die britisch-hannoverische Personalunion nach 123 Jahren endete).


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    Bis heute existiert nur die schon weiter oben genannte Einspielung, die ursprünglich für Marco Polo produziert wurde, später dann bei Naxos neu aufgelegt. Wieso es bei dieser einzigen blieb, hat womöglich seine Gründe. Es handelt sich nach meinem Höreindruck so ziemlich um das schwächste Orchesterwerk, das Wagner je komponiert hat. Nun kann man auf die frühe Entstehungszeit verweisen, aber auch das leuchtet nicht ein, da er künstlerisch deutlich gelungenere Werke sogar schon davor komponierte, darunter die Konzertouvertüre Nr. 2 sowie die Ouvertüren König Enzio und Christoph Columbus. Ich mutmaße, dass es auch an der bemühten, aber doch sehr durchschnittlichen Darbietung des Hong Kong Philharmonic Orchestra unter Varujan Kojian liegt, denn auch die übrigen auf der CD versammelten Stücke konnten mich in diesen Interpretationen nie recht begeistern, wogegen sie in den wenigen verfügbaren Alternativaufnahmen durchaus ihre Meriten haben. Auch klanglich ist dies leider eine der typischen frühen Marco Polo/Naxos-Produktionen, die zurecht keinen guten Ruf besitzen. Es wäre von daher zu hoffen, dass - ähnlich wie bei der Polonia-Ouvertüre - doch noch eine Neueinspielung zustande kommt. Am Ende lässt sich noch mehr herausholen aus der Partitur.

    »Und besser ist's: verdienen und nicht haben,

    Als zu besitzen unverdiente Gaben.«

    – Luís de Camões