Rilling, Richter, Harnoncourt --- Bach - Kantaten

  • Liebe Forianer,


    Natürlich ist das Thema Bach-Kantaten, nicht allein auf jene 3 Herren beschränkt, aber sie sind doch AFAIK die Flagschiffe der Bach-Kantaten Interpretation - oder ?
    Allerdings haben sich die Zeiten gewandelt und Harnoncourt hat mit seiner historisch informierten version die Nase vorn.
    Als im Jahre 2000, Bachs 250, Todestag, die Fa. Hänssler jedoch Rillings "moderne" Lesart der Kantaten veröffentlichte, wies man im Beihefttext zu recht darauf hin, daß man ein Vierteljahrhundert Interpretationsgeschichte nicht einfach vom Tisch wischen könne, lediglich weil sich der Zeitgeschmack geändert habe.
    Die Aufnahmen, zeitgemäß oder nicht, historisch getreu oder nicht, stellen Zeitdokumente der Bach-Interpretation dar, die es wert sind der Nachwelt erhalten zu bleiben.
    Gleiches kann und muß über die Aufnahmen unter Karl Richter gesagt werden.


    Man muß ja nun wirklich nicht den ganzen Zyklus kaufen, aber einige Standardwerke sollten in keiner Bach-Sammlung fehlen.
    Welches sind Eure liebsten Bach-Kantaten und in welcher Interpretation bevorzugt Ihr sie ??



    Gruß aus Wien


    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Hallo Alfred,


    eine meiner Lieblingskantaten ist sicherlich die Nr.4 "Christ lag in Todesbanden" und hier in der Version mit J.E.Gardiner - damals noch für Erato.



    Hier können weder Harnoncourt, Richter noch Leusink (Brillant-Classics) mithalten. Die neueren Rilling-Aufnahmen kenne ich leider noch nicht.
    Gardiners Bach-Projekt, sämtliche geistlichen Kantaten in europäischen Kirchen aufzuführen und aufzunehmen, wurde leider nach 11 Aufnahmen eingestellt. Aber diese ziehe ich jederzeit allen anderen vor. Erwähnenswert ist sicher noch Ton Koopman, der auch während des Projektes die Pferde bzw. den Stall wechseln mußte, sowie Masaaki Suzuki, desssen Aufnahmen, die ich besitze wie diese hier:



    für mich gleich nach Gardiner kommt. Sollte ich weiter Abstufungen vornehmen müssen, so sagt mir das Klangideal Harnoncourts bei seinen Kantaten-Einspielungen am wenigsten zu. Die alten Richter-Aufnahmen haben ihre Meriten, sind durchaus hörenswert.


    Gruß aus Hamburg
    Uwe

  • Nach wie vor glaube ich, daß eine "Gesamteinspielung" der Bach-Kantaten durch ein und denselben Dirigenten und ein weitgehend
    gleichbleibendes Ensemble weder den Kompositionen noch den Fähigkeiten der Interpreten gerecht werden kann. Dafür sind Bachs Werke zu komplex und in sich zu gegensätzlich und kein Dirigent vereinigt in sich alle die Fähigkeiten und Möglichkeiten, die dafür nötig wären. Ich besitze demnach auch keine dieser Einspielungen, sondern beschränke mich auf Aufnahmen, die m.e. nach den jeweiligen Werkcharakter am deutlichsten widerspiegeln. Im Gegensatz zu mehr oder weniger berühmten Beethoven, Mozart, Bruckner oder Mahler-Interpreten gibt es dergleichen bei Bach nicht.
    Die Dirigenten meiner Bach-Kantaten sind:
    Philippe Herreweghe (vielleicht hätte der das "Kunststück" einer "gelungenen" Gesamtaufnahme fertiggebracht-
    Ton Koopman, J.E. Gardiner, Joshua Rifkin. Sicher, für Vollständigkeitsfanatiker ist das wohl alles nichts, aber ich gebe zu bedenken, das keinesfalls alle der ca. 250 überlieferten geistlichen Kanataten Bachs den wirklichen Höhepunkten seines Schaffens zuzurechnen sind, von den zum Glück wenigen weltlichen Werken dieser Art ganz zu schweigen.

    Das geht über das Sagbare hinaus. Das läßt sich nicht deuten und bedarf keiner Deutung. Es kann nur gehört werden. Es ist Musik. (H.H.Jahnn)

  • die Frage nach meinen "liebsten" Bach-Kantaten beantworte ich lieber gesondert. Die unangefochtene "Nr.1" ist bei mir die Kantate BWV 106,
    der so genannte "Actus Tragicus", ein Werk des noch sehr jungen Komponisten, ca. 1707 entstanden und von geradezu bestürzender Eindringlichkeit und großartigem Farben-und Formeinreichtum.
    Hier setzt Bach genial und natürlich modifiziert um, was er bei Buxtehude in Lübeck gelernt hatte:





    auf der Gardiner-CD befindet sich auch die "Trauerode", ein Auftragswerk Bachs aus dem Jahr 1727 auf den Tod der sächischen Kurfürstin Christine Eberhardine, welches ebenfalls zu meinen Bachschen
    Lieblingwerken zählt und das lange Zeit sträflich unterschätzt wurde.


    Die Kantate BWV 21 "Ich hatte viel Bekümmernis" führte Bach anlässlich
    seiner Bewerbung um das Amt des Organisten an St. Jacobi zu Hamburg
    1721 auf, ein Werk in großer Besetzung und frei von den Stereotypen,
    deren Bach sich später, aus Anpassung an den Zeitgeist, manchmal bediente.


    Das geht über das Sagbare hinaus. Das läßt sich nicht deuten und bedarf keiner Deutung. Es kann nur gehört werden. Es ist Musik. (H.H.Jahnn)

  • Da ich mich über die nächsten vier Jahre verteilt an die geistlichen Kantaten machen will: Was könnt Ihr mir empfehlen? Den Rilling hätte ich ja jetzt billig haben können, hab das Aktionsangebot aber leider (?) verpasst. Von Richter halte ich nicht sonderlich viel, Gardiners Einspielungen sind ja wohl vorläufig auf Eis gelegt. Kennt jemand Koopmans in absehbarer Zeit komplette Serie (fehlen glaube ich noch drei Volumina, also neun CDs). Oder sollte ich doch zu Harnoncourt greifen? Von Bachs Vokalwerken hat mir zum Beispiel Herreweghes 2. Einspielung der Johannespassion gefallen. Sehr schlank mit sehr gutem Chor und guten Solisten.

    Gruß,
    Gerrit

  • Hallo Thorsten,


    obwohl das Gardinerprojekt (derzeit) auf Eis liegt (großer Fehler, DGG!!!) kann ich die existierenden 12 CD auf jeden Fall empfehlen, und sei es als Start in eine größere Sammlung.
    Viele wichtige Kantaten sind dabei, und auch kleine Schätze.


    Zwei meiner Lieblingskantaten:


    Was frag ich nach der Welt, BWV 94 - mein Gott is des schee!!!


    Herr, gehe nicht ins Gericht mit deinem Knecht, BWV 105


    Hierzu noch eine etwas speziellere Empfehlung: Nr. 3, Arie, "Wie zittern und wanken" mit OBOE Solo. Das ist so dermaßen wunderschöne Musik, man ist in Gedanken schnell auf der einsamen Insel.
    Und ums noch spezieller zu machen: bei Rilling spielt ein Oboist namens Günther Passin, sehr bekannter Musiker (in Fachkreisen) und Oboenlehrer, Professor in München etc. Er hat alle Kantaten gespielt und bietet hier etwas, das bei seinen Schülern zu anbetungsähnlichen Anfällen führt, aber deutlich nachvollziehbar ist:


    Wenn man wissen will, wie eine schier endlos gespielte Linie in dieser Arie klingt - bitteschön!
    Was dieser Mann mit der Oboe macht ist musikalisch ganz außerordentlich! Geschmacklich unter den "Freaks" sicherlich streitbar, aber auf anerkannt höchstem Niveau.
    Bitte mal bewußt hinhören, es öffnet einem die Ohren! :-))


    Und damit bin ich bei Rilling. Zitat eines Tournee-T-Shirts seiner ehemaligen Chormitglieder:
    "Rilling is thrilling".
    Die musikalische Impfung in meiner Kindheit war Rilling, alle Kantaten zu hause, beide Eltern bei Rilling in der Frankfurter Kantorei - was will man da machen??


    Wenn man nicht auf der Suche nach "andersklingenden" Interpretationen ist, wenn man Rillings Aufnahmen mal anhört und mag, dann kann ich nur zuraten. Die Gesamteinspielung gibts in drei oder vier Boxen und z.T. auch noch preislich sehr attraktiv - wobei auch unter "Vollpreis" das Set insgesamt zwar viel kostet, aber letztlich nicht teuer ist.
    Also mal im gutsortierten Klassikhandel suchen (M: Beck, S: Einklang, F: z.T. Saturn, K: Saturn)
    und zuschlagen.
    Herzlich viel Spaß damit - und wenn man am Ende die 12 Gardiner als Dopplung besitzt ist das sicherlich eher ein Schatz als ein Schaden... ;-))


    Grüße von
    Antaeus

  • Besitze seit kurzer Zeit von Sir J.E.Gardiner die eingespielten Kantaten von J.S.Bach veröffentlich zum
    Bachjahr 2000. (sieben CD's von jpc)


    Für mich aus der Edition Bachjahr 2000 die überragenste Einspielung......

    Wunderbar interpretiert:
    BWV 172 Erschallet, ihr Lieder...
    BWV 34 O ewiges Feuer.... (grandios und virtuos eingespielt..... von J.E.Gardiner...)




    Unvergessen ein" Karl Richter" mit seinen Kantateneinspielungen:



    Karl Richter dirigiert Bach-Kantaten Vol. 3 Kantaten zu Himmelfahrt, Pfingsten, Trinitatis
    BWV 10, 11, 21, 24, 30, 34, 39, 44, 68, 76, 93,
    129, 135, 147, 175
    Mathis, Schreier, Fischer-Dieskau, Töpper,
    Münchner Bach-Orchester & Chor, Karl Richter


    Karl Richter sowie J.E.Gardiner sind meine Favoriten für die Einspielung von Kantatenwerken Bachs.


    :rolleyes:
    Meine schönste Kantate von J.S. Bach ( Kantate zum 5.Sonntag nach Trinitatis: )
    BWV 93 "Wer nur den lieben Gott lässt walten"
    Interpret: Karl Richter herrlich instrumentiert und gesungen von dem Tenor: Peter Schreier...
    die Arie: Man halte nur ein wenig stille.... :rolleyes:


    Herzliche Grüße aus Spenge
    reklov29

    Bach ist so vielfältig, sein Schatten ist ziemlich lang. Er inspirierte Musiker von Mozart bis Strawinsky. Er ist universal ,ich glaube Bach ist der Komponist der Zukunft.
    Zitat: J.E.G.

  • Zitat von anthaeus24:
    obwohl das Gardinerprojekt (derzeit) auf Eis liegt
    --------------------------------------------------------------------------------------------


    Wie schon im Forum erwähnt hat Gardiner sein eigenes Label:


    http://www.monteverdi.co.uk/


    Die Webseite kann mit deutschem Text besucht werden.
    Die Bestellung und der Vertrieb erfolgt per E-Mail: info@monteverdiproductions.co.uk


    Veröffentlichungen ab Januar 2005 erhältlich: Kantate BWV 113 Herr Jesu Christ du höchstes Gut...




    Grüße
    reklov29

    Bach ist so vielfältig, sein Schatten ist ziemlich lang. Er inspirierte Musiker von Mozart bis Strawinsky. Er ist universal ,ich glaube Bach ist der Komponist der Zukunft.
    Zitat: J.E.G.

  • Ja, Herreweghe könnte wohl echt eine brauchbare Interpretation gelingen.



    Ein Tip: Hört euch mal die Kantate BWV 21 ("ich hatte viel bekümmernis) von Herreweghe an. Hatte diese vorher im Konzert gehört und dann gleich gekauft. Das ist echt der Wahnsinn.
    Nicht so rausgebrüllt wie Rilling und von den Tempi bis zu den Musikern eine sehr schöne Aufnahme 8o


    Hanno

    "Das Beste in der Musik steht nicht in den Noten" Gustav Mahler

  • ja, letzteres kann ich auch sehr empfehlen.


    ansonsten liebe ich die kantate 140 "wachet auf euft uns die stimme". davon habe ich u.a. eine aufnahme von karl richter, die ich gerne mag.

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  • Lieber Thorsten,


    habe eben erst diesen Satz über das verpaßte Sonderangebot der Rilling-Aufnahmen gesehen.
    Es gibt die Hänssler-Box nach wie vor bei zweinullnulleins für 120 Euronen zu kaufen.


    Gruß
    yarpel

  • Hallo zusammen,


    ich habe die Kantaten mit Karl Richter kennengelernt, bin vor allem auch von seinen Sängern begeistert, die eine mich sehr ansprechende Gesangskultur umsetzen. Die Aufnahmequalität ist befriedigend.


    Aktuell besitze ich schon diese beiden Schuber:




    Die Anschaffung der weiter oben abgebildeten Kantatenbox für Himmelfahrt/Pfingsten u.s.w. ist in Kürze geplant.


    Gruß
    Anti

  • Hallo Anti,
    Dein Zitat:
    Die Anschaffung der weiter oben abgebildeten Kantatenbox für Himmelfahrt/Pfingsten u.s.w. ist in Kürze geplant.
    ------------------------------------------------------------------
    Besitze ebenfalls von Karl Richter Einspielungen aus den 60er Jahren mit seinen hervorragenden
    Gesangssolisten!!!!


    Möchte Dich aber auf einen heutigen überragenden Interpreten: Sir J.E.Gardiner mit
    seinem stimmlich überragenden Monteverdi-Choir und The English Baroque Soloists hinweisen.
    Er bevorzugt die historische barocke Aufführungspraxis mit seinem wunderschönen Klangkörper
    "The English Baroque Soloists"......
    kann Dich dazu nur aufmuntern, höre hier einmal herein
    oder hier als weitere Alternative


    oder im obigen Thread von mir vorgestellte CDs.


    Grüsse
    reklov29

    Bach ist so vielfältig, sein Schatten ist ziemlich lang. Er inspirierte Musiker von Mozart bis Strawinsky. Er ist universal ,ich glaube Bach ist der Komponist der Zukunft.
    Zitat: J.E.G.

  • Hi,
    danke für den Tipp, ich bin keinesfalls an Richter gebunden um z.B. lediglich den Zyklus zu komplettieren. Werde mir also Gardiner bei nächster Gelegenheit im Laden zu Gemüte führen, habe schon die Archiveinspielung der Matthäuspassion von Ihm, die mir gut gefällt.


    Gruß
    Anti

  • Rilling, Richter, Harnoncourt -
    so, lieber Alfred, hätte ich diesen Bach-Kantaten-Thread nicht genannt...


    1.) Rilling. Ich habe etwa 10 CDs mit Kantaten von ihm. Finde ich teils akzeptabel, teils furchtbar. Gesamteindruck: Rilling meiden!!!
    Ich finde seinen Orchesterklang furchtbar "satt" - und die Phrasierungen kommen mir meist zu pappig daher. Die Tempi sind mir auch oft nicht genehm - manchmal zu schnell für meinen Geschmack. Die Klangqualität ist unterscheidlich, da die Aufnahmen über einen großen Zeitraum enstanden. Es sind aber auch einige Hits dabei: "Ich habe genug" mit Fischer-Dieskau in seiner möglicherweise schönsten aufnahme.


    2.) Suzuki. Alternative für Leute, die stilistisch Rilling nahestehen. Modernes Orchester das am Baum der historischen Erkenntnis genascht hat. Schöner Klang. Guter Chor. Gute Solisten. Suzuki ist mir viel viel viel lieber als Rilling.


    3.) Richter. Würde ich liebevoll als Steinzeitinterpretationen benennen. habe einige CDs, die ich als dritte Vergleichsinterpretation hin und wieder ganz gerne höre. Aufnahmequalität mit unter besser als manche Rilling-Aufnahme. Richter ist mir oft viel zu langsam. Solisten sehr gut bis sehr durchwachsen. Sehr viel Spaß bereitet es mir immer, wenn Richter gelegentlich die große Orgel mit vollem Werk an die Front wirft. Warum auch nicht!? Als vollständigen Zyklus würde ich Richter nicht empfehlen - so macht man heute keinen Bach mehr und Leute wie Gardiner holen aus Bach wesentlich mehr heraus!


    4.) Herreweghe. Hm, ja, eigentlich schon, aber dann doch lieber nicht. Ich habe die CD mit den Solokantatenm für Baß und die CD mit dem "Ich hatte viel Bekümmernis"-Schinken. Orchester und Chor klingt für mich irgendwie seltsam süßlich, kann auch nicht näher definieren, warum mir der Klang nicht so behagt.
    Herreweghes h-moll-Messe und die ältere Aufnahme der Johannespassion aber finde Spitzenklasse, ist mir in diesem Fall lieber als Gardiner.


    5.) Harnoncourt + Leonhard (Arbeitsteiliger Zyklus bei Teldec). Wenn da diese lästige Sache mit den Knabensopransolos nicht wäre, hätte ich diesen Zyklus noch viel lieber. Tenor- + Baß-Solisten sehr gut! Dirigat: meistens sehr gut.
    Der orchesterklang des concentus musicus ist in den Aufnahmen, die schon einige Jahrzehnte auf dem Buckel haben, leider oft zum weglaufen. Leonhards Leonhard-Consort behagt mir mehr.
    Die jungen Aufnahmen von Beispielsweise BWV 198 (Leonhard) + 199 (Harnoncourt) (Trauerode "Lass, Fürstin,.." + Mein Herze schwimmt im Blut) sind ganz ganz ganz großartig, gleich hohes Niveau wie Gardiner!
    Fazit: Dieser Zyklus wäre optimal, gäbe es nicht die Knabensopranexzesse und manch allzu schräges Blechblasinstrument.


    6.) GARDINER. Mein Favorit für den (noch lange unvollständigen) Zyklus. Einige seiner frühen Studioeinspielungen einiger weniger Kantaten mißfällt mir aufgrund der kopflos rasanten Tempi, unter den Studioeinspielunegn sind aber auch schon echte Juwelen (Actus tragicus). Die Jungs von der DG sind doch echt Volldeppen, entschuldigung - soviel Beleidigung muß sein, daß sie Gardiner sein eigenes Label haben gründen lassen, da es den Krämerseelen am Mut fehlte, den 2000er Zyklus vollständig zu veröffentlichen!
    Diese randvolle Doppel-CD ist mit das beste, was ich mir in Sachen Bach-Interpretation vorstellen kann. Der Orchesterklang ist "historisch" aber auch absolut sinnlich schön. Ich kann nur jedem raten, der sich in Sachen Bach ein Urteil bilden will, in diese DoppelCD reinzuhören. (auf der Internetseite von Gardiners Label kann man ganze Sätz daraus probehören)
    (Inhalt der Gardiner-Doppel-CD: BWV 138, 99, 100, 51, 161, 27, 8, 95)




    7.) Auch sehr überzeugend finde ich Joshua Rifkin, der die Gesangsstimmen rein solistisch besetzt hat. Sehr überzeugende Aufnahme von Actus tragicus (106), Was Gott tut das ist wohlgetan (99), Liebster Gott, wenn werd ich sterben (8 ).
    Diese CD empfehle ich wärmstens aufgrund der Interpretation und der Auswahl der eingespielten Werke (Wer sie noch nicht kennt: WAHNSINN!!!)


  • p.s.: Karl Richter kommt als "Zyklus" nicht in Frage, da der "Zyklus" allzu unvollständig ist.


    Obwohl ich nur etwa die Hälfte der 200 geistlichen Kantaten kenne, möchte ich schon mal die Kantaten aufzählen, die ich für unverzichtbar und für jedermann empfehlenswert halte.
    wenn ich eine eindeutige Lieblingsaufnahme habe, kommt sie in Klammern dahinter.


    1 - Wie schön leuchtet der Morgenstern
    4 - Christ lag in Todesbanden
    6 - Bleib bei uns, denn es will abend werden
    8 - Liebster Gott, wenn werd ich sterben
    12 - Weinen, Klagen, Sorgen , Zagen
    21 - Ich hatte viel Bekümmernis
    26 - Ach wie flüchtig, ach wie nichtig (Harnoncourt)
    27 - Wer weiss, wie nahe mir mein ende (Gardiner 2000, Harnoncourt)
    28 - Gottlob! Nun geht das Jahr zu ende (Harnoncourt)
    29 - Wir danken dir, Gott, wir danken dir (Harnoncourt)
    51 - Jauchzet Gott in allen landen (Gardiner, 2000)
    56 - Ich will den Kreuzstab gerne tragen
    60 - O Ewigkeit, du Donnerwort (-> Zitat in A. Berg, Violinkonzert)
    61/62 - Nun komm, der Heiden Heiland (Gardiner, DG)
    63 - Christen ätzet diesen Tag (Gardiner, DG)
    71 - Gott ist mein König (Ratswahlkantate) (Harnoncourt)
    82 - Ich habe genug (die berühmte Baß-Solo-Kantate)
    97 - In allen meinen Taten
    98/99/100 - Was Gott tut, das ist wohlgetan I-III
    106 - Gottes Zeit ist die allerbeste Zeit (Actus tragicus) (Gardiner, DG)
    125 - Mit Fried und Freud ich fahr dahin
    140 - Wachet auf, ruft uns die Stimme
    147 - Herz und Mund und Tat und Leben (Harnoncourt TDK-DVD)
    156 - Ich steh mit einem Fuß im Grabe (Gardiner, DG)
    158 - Der Friede sei mit dir (Leonhard, Teldec)
    163 - Nur jedem das seine
    164 - Ihr, die ihr euch von Christo nennet
    198 - Lass, Fürstin (Trauerode) (Leonhard, Teldec + Gardiner, DG)
    199 - Mein Herze schwimmt im Blut (Harnoncourt)


    Einsprüche? Erweiterungen? Wie gesagt, ich kenne längst nicht alle Bachkantaten.

  • Zitat

    p.s.: Karl Richter kommt als "Zyklus" nicht in Frage, da der "Zyklus" all zu unvollständig ist.


    In der Tat. Die DG bat damals Richter, für jeden Sonn- und Feiertag des Kirchenjahres eine Kantate aufzunehmen, so sind es insgesamt nur 65 Einspielungen, die entweder im Gesamtschuber oder in 5 Einzelausgaben erhältlich sind.


    Aber ich muss persönlich bekennen: Mich faszinieren Sie einfach. Ich bin gewöhnlich sehr offen gegenüber HIP-Einspielungen, werde mir sicher auch demnächst einige von Gardiner zulegen, aber der Zugriff Richters, seine Instrumental- und Gesangssolisten begeistern mich derart, dass ich auch diese Aufnahmen immer wieder gerne höre. Vielleicht ändert sich das in 10 Jahren, aber bisher kann mir die Ratio noch so oft sagen, dass man Bach nicht mehr so aufführen darf, meine Empfindungen kann ich doch nicht verleugnen. Aber das ist ja auch das Spannende an der Musik.


    Gruß
    Anti


    PS: Ahso, noch zwei favorisierte Kantaten aus der Weinnachtszeit:


    Bereitet die Wege, bereitet die Bahn
    Nun kommt der Heiden Heiland

  • Hallo Antracis



    Zitat

    ...aber bisher kann mir die Ratio noch so oft sagen, dass man Bach nicht mehr so aufführen darf, meine Empfindungen kann ich doch nicht verleugnen.


    Das wäre ja noch schöner, wenn wir uns von der Ratio vorschreiben ließen, was uns zu gefallen hat. Wo kämen wir denn da hin..... ;)


    Ciao

    Ciao


    Von Herzen - Möge es wieder - Zu Herzen gehn!


  • mit hinweis auf besonders hörenswerte sätze:


    49 -ich geh und suche mit verlangen/6.,s, b arie"dich hab ich je und je"
    50 -nun ist das heil und die kraft(fragment)
    79 -gott der herr ist sonn und schild/5., s, b arie "gott ach gott"
    85 -ich bin ein guter hirt/2., a arie "jesus ist ein guter"
    87 -bisher habt ihr nichts gebeten in meinem namen/2., a arie"vergib
    o vater", 6., t arie "ich will leiden"
    103 -ihr werdet weinen und heulen/1., chor/5., t arie "erholet euch"
    117 -sei lob und ehr dem höchsten gut/7., a arie "ich will dich all"
    146 -wir müssen durch viel trübsal/1., sinfonia/2., chor
    149 -man singet mit freuden vom sieg/6., a, t arie "seid wachsam"
    174 -ich liebe den höchsten von ganzem gemüte/4., b arie"greifet zu"
    182 -himmelskönig, sei willkommen/1., sonata/2., chor/5., a arie"leget
    euch dem heiland unter"/6., t arie "jesus lass durch"
    188 -ich habe meine zuversicht/1., sinfonia


    :beatnik:

  • ThomasBernhard schrieb:


    Zitat

    Auch sehr überzeugend finde ich Joshua Rifkin, der die Gesangsstimmen rein solistisch besetzt hat.


    Ich bin sehr erfreut darüber, daß ausser mir noch jemand Rifkin als Bach-Interpret wahrgenommen hat :]
    Daß es in absehbarer Zeit unter ihm noch zu weiteren Einspielungen kommen wird, ist leider sehr unwahrscheinlich, verkauften sich schon die vorhandenen eher schlecht als recht...
    Sein Leitsatz "Die Singstimmen bei Bach im Ensemble müssen klingen
    wie der Principal-Chor einer Schnitker-Orgel" wurde hier beispielhaft umgesetzt !
    Rifkin hat im Übrigen eine besondere Affinität zu Bachs frühen Kantaten.
    Eine Aufnahme, die ebenfalls Referenzcharakter hat, ist diese:



    Erschienen bei Dorian, Weimarer Kantaten Nr. 12,172,182

    Das geht über das Sagbare hinaus. Das läßt sich nicht deuten und bedarf keiner Deutung. Es kann nur gehört werden. Es ist Musik. (H.H.Jahnn)

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  • Hallo,


    mir ist jetzt schon mehrfach untergekommen, dass Bach ein Bläserensemble von Zink und 3 Posaunen bei manchen seiner Kantaten vorschreibt. Die spielen zwar meist nur die Chorstimme mit, aber immerhin. Da hatte er wohl grade nicht genug brauchbare Choristen zur Hand. :D
    Beispiele:


    BWV 4 Christ lag in Todesbanden
    BWV 23 Du wahrer Gott und Davids Sohn
    BWV 25 Es ist nichts Gesundes an meinem Liebe
    BWV 28 Gottlob! Nun geht das Jahr zu Ende


    Ich habe das bisher noch nie in einer Aufnahme gehört. Kennt jemand solche Aufnahmen?


    Thomas

    Da freute sich der Hase:
    "Wie schön ist meine Nase
    und auch mein blaues Ohr!
    Das kommt so selten vor."
    - H. Heine -

  • Hallo!
    Ich bin neu hier und froh, endlich mal so was wie ein--klassikforum gefunden zu haben!
    Um mich vorzustellen; ich bin ein 17jähriger Thomaner und Bachfan.
    Ich habe alle Kantaten von Harnoncourt aufgenommen (über mehrere Jhare hinweg als Weihnachtsgeschenk :D ) und besonders daran gefällt mir, dass Knaben dort als Solisten singen; das war ja ursprünglich auch so, und ich höre keineswegs irgendeine "Überforderung"!
    Aber die Aufnahmren der Thomaner gefallen mir auch... :rolleyes: =)


    Ach ja, dann habe ich noch Parrotts Buch "Bachs Chor" gelesen; und nach diesen neuesten Erkenntnissen sollte man doch nicht mehr davon sprechen, Rifkin besetze seinen Chor nur mit "solisten", sondern das ist einfach DER BACHCHOR!
    Man sollte wirklich mal darauf eingehen und sich das durch den Kopf gehen lassen; unsere Bachchöre, einschließlich Thomnaer, sind falsch!

  • maxthomaner schrieb:


    Zitat

    Man sollte wirklich mal darauf eingehen und sich das durch den Kopf gehen lassen; unsere Bachchöre, einschließlich Thomnaer, sind falsch!


    Also, ich denke, ein "richtig" oder "falsch" gibt es in diesem Bereich nicht, denn jede Epoche, auch die unsere, erfindet sich ihre Interpretation der großen Werke neu. Ich hab absolut garnichts dagegen, wenn sich jemand seinen "Chor-Bach" von Jungs gesungen "reinzieht". Bedenklich wirds für mich erst dann, wenn an die Angelegenheit mit wahrhaft missionarischem Eifer herangegangen wird, von "alleinseligmachenden" Lehren die Rede ist... Ich denke, gerade bei Musik ist die Fülle der Vielfalt IMMER EINE BEREICHERUNG, einerlei, wohin man persönlich tendiert. In diesem Sinne

    Das geht über das Sagbare hinaus. Das läßt sich nicht deuten und bedarf keiner Deutung. Es kann nur gehört werden. Es ist Musik. (H.H.Jahnn)

  • Hallo Max Thomaner,
    Zitat:
    Ich habe alle Kantaten von Harnoncourt aufgenommen
    --------------------------------------------------------------------


    möchte Dich einmal auf den neuen - soeben fertiggestellten Thread - h i n w e i s e n
    3. Neuveröffentlichung Gardiner-Pilgrimage
    hier findest Du einen ebenfalls überragenden Bachinterpreten der Neuzeit.



    Grüsse nach Leipzig
    reklov29

    Bach ist so vielfältig, sein Schatten ist ziemlich lang. Er inspirierte Musiker von Mozart bis Strawinsky. Er ist universal ,ich glaube Bach ist der Komponist der Zukunft.
    Zitat: J.E.G.

  • Hallo!


    Bin ebenfalls ein Neuling, der von eurem Forum begeistert ist. :] Als ein großer Verehrer vom alten Bach mußte ich mir früher oder später auch ein paar Kantaten zulegen. Meine Wahl fiel damals spontan auf die Einspielungen von Karl Richter. Mittlerweile zieren alle fünf CD-Boxen meine Sammlung, doch seit kurzem möchte ich mehr davon! Nun hat Karl Richters früher Tod bekanntlich die Einspielung aller Kantaten verhindert, weswegen ich mich bei anderen Dirigenten umsah. Zuerst fand ich Rilling sehr gut... bis ich die erste CD von ihm hatte. Klang, Chor, Solisten gefielen mir gar nicht. Danach probierte ich es mit Ton Koopman, da ich ohnehin ein Freund der historisierenden Aufführrungspraxis bin. Die Enttäuschung kam schnell: der Klang der Aufnahmen ist befriedigend, aber Koopmans "Pfuscherei", wie Einsatz von Lauten und Gitarren anstatt eines Cembalos, sagt mir gar nicht zu. Herreweghe schien mir vielversprechender. Aber seine Interpretation von "Wir danken dir Gott" BWV 27 und der anderen beiden Ratswahlkantaten auf der CD waren mir zu lasch... irgendwie kommt da bei mir keine Freude auf, wenn Pauken und Trompeten so "schüchtern" spielen. Zuletzt hab ich den hochgepriesenen Suzuki-Zyklus in Betracht gezogen, aber die dauernden Versprecher finde ich schon sehr nervig (z.B. "...Christen aus den Dornenwegen" in BWV 150 oder "Nun klage du zustörte Gottesstadt" in BWV 46). Sogar Gardiner will in mir mit seinen Interpretationen keine Freude erwecken. Von den Einspielungen durch Harnoncourt und Leonhardt habe ich, vor allem wegen des Einsatzes von Knaben als Solisten, gleich die Finger gelassen. Es scheint also keinen kompletten Zyklus zu geben, der meinem Geschmack entspricht. Ich gebe aber die Hoffung nicht auf, daß sich eines schönen Tages ein (oder mehrere) Dirigent(en) die "ultimative" Gesamteinspielung der Kantaten Bachs (am besten inklusive weltlicher Werke :rolleyes:) vornehmen... Na ja, wenn's um Musik geht, bin ich nicht leicht zufriedenzustellen. :P

  • Hm, das hört sich eher nach "Jäger-und-Sammler-Perfektionismus" als nach Musikliebhaber an ;-)


    Aber ehrlich gesagt - der Jäger-und-Sammler-Instinkt spielt bei Klassikliebhabern eine große Rolle; dagegen muss man ankämpfen, da man sonst irgendwann mit nichts mehr zufrieden ist. ;-)


    Ich kenne gerade mal eine Bach Kantate, und zwar die BWV 82 - unfassbar geniales Werk! Ich habe auch ehrlich gesagt große Hemmungen mich mit den Bach-Kantaten zu befassen, weil es halt so viele sind.

  • Den Meinungen hier kann ich mich nur anschließen, Philippe Herreweghe steht bei mir auch auf Platz eins, dann Gardiner.
    Von den alten Aufnahmen von Harnoncourt und Richter bin ich nicht mehr so angetan, Rilling geht gar nicht...


    Die Kantaten "Ich hatte viel Bekümmernis" BWV 21 / die Trauer Ode BWV 198 und die Kantate "Ich habe genug" BWV 82 sind meine Favoriten, natürlich in den Einspielungen unter Herreweghe.


    Als ich die Kantate 82 damals für mich endeckte und gerade die wunderbare Arie "Ich freue mich auf meinen Tot" lief, stand meine Mutter in der Tür und machte ein sehr seltsames Gesicht... :D


    Die Gesamteinspielung habe ich mir beim Label "Brilliant" zugelegt, da stand eben die Kostenfrage im Raum, aber für den Preis bekommt man recht gute Qualität.
    Dennoch denke ich, man sollte sich die wichtigsten Kantaten in unterschiedlichen Interpretationen zulegen, genug Einspielungen gibt es ja.


    Vielleicht sollte man aber auch mal Bach's weltliche Kantaten ansprechen:



    Der Streit zwischen Phoebus und Pan / Zerreißet, zersprenget, zertrümmert die Gruft / Laßt uns sorgen, laßt uns wachen


    Akademie für alte Musik Berlin / Rias Kammerchor / Jacobs
    unter anderem singen hier Andreas Scholl, Maria Cristiana Kiehr und Roman Trekel.

  • Ich glaube die Frage, welche Art von Aufnahme man bei Bach-Kantaten (und Passionen etc.) bevorzugt, ist mindestens eine solche klassische "Glaubensfrage" wie die, ob man nun Wagner-Fan oder Verdi-Anhänger ist, oder ob man moderne Opern-Inszenierungen mag oder eben nicht - es ist gottseidank eine reine Geschmacksfrage und ich bin froh, dass es diese Bandbreite gibt und man wählen kann, was einem besser gefällt.
    Abgesehen von ein paar wenigen Harnoncourt-Aufnahmen (v. a. "Lobe den Herren, den mächtigen König der Ehren" BWV 137) bevorzuge ich eindeutig Aufnahmen von Karl Richter - vielleicht weil sie aus heutiger Perspektive so ganz anders klingen?? Ich mag die exquisiten Solisten und den vollen Chor- und Orchesterklang! An Aufnahmen mit historischen (oder diesen nachempfundenen) Instrumenten stört mich z. B. bei den Streichern oft der sehr scharfe und insgesamt meiner Empfindung nach zu dünne Gesamtklang. Irgendwie hat das zuwenig Substanz in meinen Ohren - bei Richter klingt das alles irgendwie "runder" und fülliger - mag es nun historisch korrekt sein oder nicht :]


    Und was die Diskussion über den "wahren" Bach-Chor angeht, der anscheinend ja äußerst klein, nur aus Knaben bestehend und manchmal auch nur solistisch besetzt war, bin ich überzeugt, dass Bach mit den ihm gegebenen Musiziervoraussetzungen auch nicht immer glücklich gewesen ist. Aber was sollte er machen? Ich habe schon Äußerungen von ihm gelesen, wo er sich bitter über die Sangeskünste und -lust manch seiner Thomaner beklagt hat...
    Für manchen glühenden "Originalklang-Propheten" unserer Tage, der neben seiner Auffassung partout NICHTS anderes gelten lässt, wünschte ich mir manchmal die Möglichkeit, ihn per Zeitreise in einen gewöhnlichen Sonntagsgottesdienst ins Lepizig der späten 1720er Jahre zu versetzen: Ob das für so jemanden wirklich eine Erleuchtung wäre, was er dann da so zu hören bekäme? ;)
    Unser Chorleiter (und wir sind ca. 120 Sängerinnen und Sänger) sagt immer: "Bach hätte keinen von Euch nach Hause geschickt, wenn er die Gelegenheit gehabt hätte, mit so vielen interessierten, motivierten und konzentrierten Choristen zu musizieren!" - und ich teile seine Ansicht in dem Punkt zu 100%.

    "Es ist mit dem Witz wie mit der Musick, je mehr man hört, desto feinere Verhältnisse verlangt man."
    (Georg Christoph Lichtenberg, 1773)

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