Friedrich Witt [1770-1836]

  • Salut,


    eigentlich gehört der Thread ja eher - wie auch jene zu Ferdinand Ries - in die Kategorie "Beethoven und seine Zeitgenossen".



    Auf den Namen Friedrich Witt stieß ich tatsächlich auch während einer Recherche zu Beethoven: Anfang des 20. Jahrhunderts wurde in der Universitätsbibliothek zu Jena Stimmenmaterial einer Sinfonie gefunden, welche zunächst von Fr. Stein als Jugendwerk Beethovens nominiert wurde. Es stellte sich später durch weitere Funde – insbesondere in Rudolstadt – heraus, dass diese so genannte Jenaer Sinfonie tatsächlich von einem Komponisten namens Friedrich Witt stammt. Aber es verbindet Friedrich Witt dennoch einiges mit Ludwig van Beethoven: Zum Beispiel sein Geburtsjahr und die Tatsache, dass Witt 9 Sinfonien komponierte, wobei ich nicht weiß, ob hier die erst wiederentdeckte Jenaer Sinfonie mitgerechnet ist. Falls ja, so passt Witt exakt zum Stichwort „Komponist“ in Christian M. Fuchs Mozart-Wörterbuch: „Komponist: Jemand, der 9 Sinfonien schreibt“.


    Witt wurde am 8. November 1770, wenige Wochen vor Ludwig van Beethoven, in Niederstetten [Württemberg] geboren. Im Alter von 19 Jahren wurde er als Cammermusicus in die Kapelle des Fürsten von Oettingen-Wallerstein aufgenommen. Während dieser Zeit sind die ersten Kompositionen Witts entstanden. Verschiedene Reisen führten Witt nach Wien und Frankfurt, vermutlich hielt er sich auch in thüringischen Residenzen auf. Im Jahre 1802 wurde er Hofkapellmeister der Fürstbischhöflichen Kapelle zu Würzburg; diesen Posten bekleidete er bis 1814. Anschließend war er bis zu seinem Tode am 3. Januar 1836 Kapellmeister des Würzburger Theaters.


    Wie bereits erwähnt komponierte Friedrich Witt 9 Sinfonien, darunter eine Grande Sinfonie Turque [Nr. 6], ein Flötenkonzert, ein Hornkonzert, 3 Konzerte und ein Concertino für jeweils zwei Hörner, ein Cellokonzert, Pièces d’harmonie [Bläsermusik], ein Septett für Streichquartett und Bläser, 3 Messen, eine Kantate: Die Auferstehung Jesu [König Friedrich Wilhelm II. von Preußen und dem Herzog von Mecklenburg-Schwerin gewidmet], eine Kantate zum Beschluß des 18. Jahrhunderts: Die vier Menschenalter, Palma [Singspiel in 2 Akten], Das Fischerweib [ländliche komische Oper in 2 Akten] sowie Bühnenmusik zum Trauerspiel: Leander und Blandine.


    Soweit ergibt sich ein kurzer Lebenslauf des Komponisten nach Oskar Kaul [MGG], welcher mit den Worten schließt:


    Eine umfassende Untersuchung seiner Werke steht noch aus.


    Diese Untersuchung könnte hier nun vorgenommen werden, zumal ich da einige interessante Einspielungen seiner Werke bereits entdeckte. Was ist empfehlenswert und wie kann seine Musik, die sich angeblich zunächst an Antonio Rosetti orientierte, beschrieben werden? Vor allem interessiert mich die Datierung seiner 9 Sinfonien und der Stilwandel innerhalb dieser Werkgruppe. Und auch zum Curriculum Vitae könnte noch einiges beigetragen werden.


    Friedrich Witt hat übrigens einen Namensdoppelgänger: Ein recht bekannter Kontrabassist der Berliner Philharmoniker.


    Cordialement
    Ulli

    Die Oper muss Tränen entlocken, die Menschen schaudern machen und durch Gesang sterben lassen.
    (Vincenzo Geilomato Hundini)

  • Eine umfassende Untersuchung seiner Werke steht noch aus.


    Salut,


    ich habe heute einmal meine beschränkten Möglichkeiten genutzt, um mit der Untersuchung zu beginnen:


    Als Forschungsobjekt diente die mir gestern in meiner Funktion als treuer Einzelhandelskunde im Wege der Zuwendung übereignete Aufzeichnung von Frichrich Witts Sinfonie C-Dur, genannt 'Jenaer' - jene, welche einstmals Ludwig van Beethoven in die Schuhe geschoben wurde, was für mich beim erstmaligen Hören dieser Sinfonie [gespielt durch die London Mozart Players unter Matthias Bamerts Leitung] überhaupt nicht nachvollziehbar ist. Gut, die langsame Einleitung erinnert ganz entfernt an Beethovens Erste, dann aber geht es eigentlich à la Joseph Haydn weiter, was man von Beethovens Erster [und den folgenden erst recht] nicht behaupten kann.


    Und so erläutert auch das sehr karge Booklet: Witt had composed it in the 1790s, under the influence of Haydns London Symphonies, though it is certainly a work of considerable charm in its own right [Misha Donat]. Soweit ich das verstehen kann, kann ich dem Geschriebenen beipflichten: Auch ich hätte die Sinfonie in die Nähe von Haydns Londonern gerückt. Ein sehr reizvolles Werk übrigens, das [wie bereits oben erwähnt] ganz haydnsch mit einer langsamen Einleitung beginnt, auf welche ein feuriger Hauptsatz folgt: Adagio - Allegro vivace. Auch das folgende Adagio cantabile steht gänzlich unter Haydns Einfluß: Ein liedhafter Variationensatz mit dem obligatorischen leicht kriegerischen moll-Teil. Auch ein majestätisches Menuetto e Trio fehlt hier nicht - es passt stilistisch ganz und gar zu den ebenfalls hier eingespielten Deutschen Tänzen Mozarts [KV 600] und im Trio darf sogar die Solovioline was zum Besten geben. Das Finale ist ein tänzelndes Allegro von sechs Minuten Länge mit besonderer Bevorzugung der Holzbläser: Ganz wie bei Haydn [auch früher] üblich, wird das Leitmotiv durch alle Instrumente "gejagt" und kann sich so in unterschiedlicher Farbgebung präsentieren.


    Eine nüchterne, aber charmante Ergänzug und durchaus wiederholbares Happchen für Zwischendurch! Die London Mozart Players spielen hier ungewohnt klar und nicht so breiig, wie offenbar von Chandos gewünscht.


    :jubel: :jubel: :jubel:


    Viele Grüße
    Ulli

    Die Oper muss Tränen entlocken, die Menschen schaudern machen und durch Gesang sterben lassen.
    (Vincenzo Geilomato Hundini)

  • Nun ja, Witt komponierte mindestens 24 Sinfonien (darunter jene berühmte in C - Dur welche bis zum 2. Weltkrieg Beethoven zugeschrieben wurde). Er hat damit etwa 1790 begonnen und seine frühen Sinfonien sind einfach ganz vorzüglich. Warum dann später nochmal eine neue Zählung eingeführt worden ist entzieht sich meiner Kenntnis. Auf den Rosetti Tagen habe ich eine wundervolle und ausgesprochen inspirierte c - moll Sinfonie Witts gehört, welche es mehr als verdienen würde eingespielt zu werden. Ist jemand mit so viel Pioniergeist ausgestattet?

    HERNEN

  • Habe die "Jenaer" inzwischen auch gehört. Vermutlich als eine der ersten Einspielungen, nämlich aus den 50ern unter Konwitschny. Sicher hörenswert, aber sehr deutlich an Haydn angelehnt, hauptsächlich an dessen Nr. 97 in der gleichen Tonart. Beethovens wohl etwa gleichzeitig komponierte Klavierkonzerte 1+2 sind m.E. wesentlich eigenständiger, man hätte also bei der Zuschreibung Verdacht schöpfen können oder müssen.


    viele Grüße


    JR

    Struck by the sounds before the sun,
    I knew the night had gone.
    The morning breeze like a bugle blew
    Against the drums of dawn.
    (Bob Dylan)

  • Inzwischen ist - seit 2010 - die "Jenaer Sinfonie" von Friedrich Witt dank Naxos wieder verfügbar - noch dazu in einer sehr klangschönen Aufnahme. Eine einst existierende Aufnahme für Arte Nova fand ich zwar immer wieder in diversen Katalogen - aber sie war schon seit Ewigkeiten gestrichen. Im aktuellen jpc-Programm ist eine weitere Aufnahme gelistet. Das mir unbekannte Label Pool hat sie angeblich 1993 digital aufgenommen, bei jpc ist sie angeblich erstmals erschienen. Das mag sein, aber 2007, als die letzten Einträge in diesem Thread gemacht wurden, war sie DEFINITIV NICHT gelistet, denn ich habe damals nach einer Aufnahme gesucht - aber keine gefunden. Auch die ebenfalls auf dieser CD befindliche Sinfonie in A-dur ist ein betörend schönes Werk. Ob wir uns hier im Allgemeinen Thread mit Witts Werken eingehender befassen, oder eigene Spezialthreads starten ist noch nicht entschieden. Vermutlich wird ersteres der Fall sein, denn obwohl Witt jede Menge an Musik aller Sparten hinterließ, ist nur wenig davon auf Tonträger eingespielt wurden. Das ist umso bedauerlicher, wenn man kurz in das hineinhört, was verfügbar ist...


    mit freundlichen Grüßen aus Wien
    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Soeben höre ich die Sinfonie Nr 6 in a-moll von Witt, welche den Beinamen "Sinfonie turque" trägt. Sie wurde 1808/09 gedruckt, es handelt sich also keineswegs um Witts 6. Sinfonie. Indes wurden die letzten 9 Sinfonien vom Verleger von 1-9 durchnummeriert. Insgesamt gibt es - nach heutigem Wissensstand 23 Sinfonien von Witt, wovon es von insgesamt 5 Tonaufnahmen gibt.
    "Türkische" Instrumentierungen in abendländischne Sinfonien und Konzerten waren im 18, und frühen 19. Jahrhundert sehr beliebt, Witt bedient also hier einen Modetrend, wenn er solch sparsam aber gekonnt einsetzt. So fehlt dieser Effekt im - betörend schönen - von Hörnern und Holzbläsern dominierten 2. Satz zur Gänze. Der tänzerische 3. Satz ist wiederum ein Ohrwurm par excellence. Der 4. Satz verwendet Teile von Themen des 3. Satzes. Hier wird das Schlagzeug wieder verstärkt eingesetzt um die orientalische Wirkung zu erzielen - ein sehr effektvolles schwungvolles Werk. Können wir es uns eigentlich leisten einen Komponisten zu übersehen, von dem eine Sinfonie über Jahre als Jugendwerk Beethovens galt ?



    mfg aus Wien
    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Ich komme heute, nach über drei weiteren Jahren auf Friedrich Witt zurück, an den ich erst im Thread für vergessene Komponisten erinnern wollte, nachdem ich heute an seinen 248. Geburtstag erinnert habe. Ich entdeckte vorhin jedoch diesen Thread.
    Mit der von dir, lieber Alfred, am 27. 5. 2018 geposteten C-dur-Symphonie habe ich meine Erinnerung verknüpft, und nachdem ich erst nur reingehört hate, habe ich inzwischen die ganze Symphonie gehört. Sie hat mir so gut gefallen, dass ich sie sogleich bestellt habe.
    Nachdem ich nun auch die zweite von dir eingestellte CD angeschaut habe, sah ich, dass er auch eine neunte Symphonie in d-moll kompooniert hat. Dann ahbe ich mal bei Wikipedia nachgeschaut, und er aht doch wesentlich mehr Symphonien komponiert, insgesam 23, darunter:


    Sinfonie Nr. 1 Es-Dur (1803, erschienen bei Johann André)
    Sinfonie Nr. 2 D-Dur (1804, erschienen bei André)
    Sinfonie Nr. 3 F-Dur (1807, erschienen bei André)
    Sinfonie Nr. 4 Es-Dur (1807, erschienen bei André)
    Sinfonie Nr. 5 (1809, erschienen bei André)
    Sinfonie Nr. 6 a-Moll („Sinfonie turque“) (1809, erschienen bei André)
    Sinfonie Nr. 7 C-Dur (1811, erschienen bei André)
    Sinfonie Nr. 8 F-Dur (1811, erschienen bei André)
    Sinfonie Nr. 9 d-Moll (1818, erschienen bei André)
    Sinfonie Nr. 14 C-Dur („Jenaer Sinfonie“) (entstanden zwischen 1792 und 1796, erschienen bei Breitkopf & Härtel 1911) (früher Ludwig van Beethoven zugeschrieben)
    Sinfonie Nr. 16 A-Dur (entstanden um 1790)
    https://de.wikipedia.org/wiki/Friedrich_Witt_(Komponist)


    Die "Jenaer" ist also hiernach die Nr. 14, und bei der ebenfalls auf dieser CD enthaltenen A-dur-symphonie dürfte es sich wohl um die Nr. 16 handeln. Sie werde ich mir hernach anhören. Zur Zeit warte ich noch auf meine nächste CD-Lieferung, überraschenderweise mit Schuberts B-dur-Sonate. :D


    Liebe Grüße


    Willi :)


    P.S. Heute in zwei Jahren werde ich, auch an dieser Stelle, an seinen 250. Geburtstag erinnern, falls nichts dazwischen kommt.

    1. "Das Notwendigste, das Härteste und die Hauptsache in der Musik ist das Tempo". (Wolfgang Amadeus Mozart).
    2. "Es gibt nur ein Tempo, und das ist das richtige". (Wilhelm Furtwängler).