Salut,
[noch] guter Dinge wage ich mich, Alfreds Reihe mit den späten Haydn-Sinfonien fortzusetzen:
Sinfonie Nr. 97 C-Dur
Die Sinfonie beginnt, wie eigentlich jede spektakuläre Haydn-Sinfonie, gewohntermassen mit einer langsamen Einleitung Adagio, die so gar nicht auf das Kommende vorbereitet, sondern eine vollkommene Ruhe und Zufriedenheit ausstrahlt, um dann ganz unerwartet in das Vivace des Hauptsatzes überzugehen. Das hat Haydn sehr geschickt gemacht! Gleich das Beginnthema des Hauptsatzes ist eigentlich ein solches, welches dem typischen Mannheimer Manierismus* zuzuordnen wäre: Markante Dreiklanthemen im Dreivierteltakt, Trompeten und Pauken zum Aufmotzen fehlen nicht. Wäre ich Programmdirektor bei Concerto Köln, ich wüsste da was…
Die Durchführung des Hauptsatzes allerdings lässt den Satz in absolute Nähe von Mozarts ebenfalls in C-Dur stehender Sinfonie KV 551 „Jupter“ rücken: Eine ganz Ähnliche Verklärung macht sich breit. Auch verwendet Haydn das "[Halle]lujah"-Thema [im Prinzip nichts anderes als I-IV-I, wobei IV als Quartsextakkord], was wiederum auf Mozarts "Linzer"-Sinfonie KV 425 schielen lässt, die auch wieder in C-Dur notiert ist. Besonders aber die Coda erinnert dann doch sehr stark an das Finale [Coda] der Jupiter-Sinfonie.
Als Ruhepunkt denkt sich Haydn als zweiten Satz ein Adagio aus, das nicht zu schnell zu spielen ist: Welch ideales Thema für Variationen! Auch Haydn konnte da nicht widerstehen und zeigt, wie elegant er das volksliedhafte Thema variieren kann! Auch an dem obligatorischen moll-Teil mangelt es nicht und er nimmt durchaus bereits die militärische Dramatik des 2. Satzes der bald folgenden 100. Sinfonie vorweg.
Und nun kommt m. E. die echte Reminiszenz an die Wiener Redoutengelage: Kaum ein Menuett in Haydns Sinfonien strahlt eine solche Übererhabenheit und Eleganz mit überdurchschnittlicher Festlichkeit aus, wie dieses aus der 97. Sinfonie. Dabei ist es thematisch eher einfach [bäurisch, wie Charles Rosen meint] gehalten, wartet aber mit Paukenwirbeln und Herzschmerzharmonien im Refrain auf. Charles Rosen kommentiert dies mit "Rumtata einer Trachtenkapelle", welches aber mit höchstem Raffinement gespickt ist: Genau das Richtige, um einen Redoutenball glanzvoll ausklingen und die berauschten Gäste selig Arm in Arm heimziehen zu lassen! Bemerkswert ist, dass Haydn in diesem Menuett sämtliche Wiederholungen vollständig ausschreibt [sic!], um die Instrumentation jedes Mal farbenreich zu verändern [--> Variation/Auszierung von Wiederholungen].
Das war längst nicht alles: Es folgt noch ein schnelles Finale, wobei „schnell“ leicht untertrieben ist, Haydn verlangt gar Presto assai [!] von den Musikern, eine extrem gute Übung für Herrn Harnoncourt Ein humorvolles musikalisches Thema, bei dem Haydn sehr abwechslungsreich mit der Instrumentation jongliert. Am besten gefällt mir die Variante mit Fagott, welches die Komik noch unterstreicht. Besonders bestechend ist das chromatische Abwärtsthema, das stets ganz unvermittelt auftritt und mit dem ebenso plötzlich die Sinfonie zu ende ist.
Von der heute erworbenen CD mit Haydns Sinfonien Nos. 94, 95 und 97 gefiel mir von den dreien die letzte als musikalisch am besten gemeisterte:
Joseph Haydn [1732-1809]
Sinfonien Nos. 94, 95 und 97
English Chamber Orchestra
Jeffrey Tate
Insgesamt stört mich an der Aufnahme aller drei Sinfonien, dass hier die Relation vom piano zum forte sehr extrem hervorsticht: Die leisen Passagen sind nur mit äußerst gespitzten Ohren gerade noch hörbar, die lauten hingegen derart stark, dass fast die Boxen wegfliegen – ich halte das [gelinde gesagt] für unausgewogen. Zudem sind die Feinheiten von Haydns Instrumentation nicht deutlich erhörbar, die Holzbläser verwischen im Klang mit dem übrigen Orchester, das ansonsten überaus ordentlich und mit hörbarer Freude musiziert. Ich mag diese "getunedten" wie Einheitsbrei klingenden Orchesterklänge eher weniger.
Viele Grüße
Ulli
*(c)1778 by Leopold Mozart