Haydn, Joseph: Sinfonie Nr. 96 D-Dur »The Miracle«

  • Joseph Haydn: Sinfonie Nr. 96 D-Dur


    4 Sätze:
    Adagio-Allegro (D-Dur, 3/4 Takt, 203 Takte)
    Andante (G-Dur, 6/8 Takt, 89 Takte)
    Menuetto. Allegretto (D-Dur, 3/4 Takt, 84 Takte)
    Finale. Vivace assai (D-Dur, 2/4 Takt, 289 Takte)


    Besetzung: 2 Flöten, 2 Oboen, 2 Fagotte, 2 Hörner, 2 Trompeten, Pauken, Streicher.


    Entstanden 1791.


    Die 96. Sinfonie gehört zur ersten Sechsergruppe von Sinfonien, die Haydn im Kontext seiner Konzertreisen nach London (Dezember 1790 bis Juli 1792 und Januar 1794 bis August 1795) komponierte. Eingeladen worden war Haydn bekanntlich von dem Konzertunternehmer Johann Peter Salomon. Nun ist die Sinfonie Nr. 96 entgegen der üblich gewordenen Zählung der Haydenschen Sinfonien keineswegs als viertes Werk der ersten Sechsergruppe entstanden, sondern als erstes. Und diese Sinfonie wurde auch als erste der von Haydn für London komponierten Sinfonien aufgeführt. Am 11. März 1791 eröffnete Haydn mit dieser D-Dur Sinfonie seine Londoner Konzertsaison in den Hanover Square Rooms, London.


    Der Beiname der Sinfonie »The Miracle« – »Das Wunder« – ist offensichtlich nicht authentisch, sondern dem Werk erst später zugeschrieben worden. Mit einem möglichen »Programm« der Sinfonie hat der Beiname nichts zu tun, sondern bezieht sich auf einen Vorfall, der sich im Konzertsaal während der Aufführung ereignet haben soll: Ein Lüster stürzte von der Decke, doch niemand wurde verletzt – it’s a miracle. Allerdings – und das ist dann doch ein miracle – ereignete sich dieser Vorfall keineswegs bei einer Aufführung der 96. Sinfonie, sondern während einer Aufführung der 102. (jedenfalls, wenn meine Quellen nicht lügen). So ist wohl das wunderbarste an dem Beinamen der Sinfonie Nr. 96 der Umstand, wie sie zu diesem Namen gekommen ist.


    Nichtsdestotrotz ist diese Sinfonie – die heute nicht die Popularität ihrer Geschwisterwerke Nr. 94 und 95 oder der Nummern 100, 101, 103 oder 104 besitzt – schon ein Wunder hinsichtlich der thematisch-motivischen Konzentration und Geschlossenheit, die alle vier Sätze miteinander verbindet: Das in den 17 Takten der langsamen Einleitung des Kopfsatzes bereitgestellte musikalische Material wird bestimmend für alle vier Sätze.


    Die Adagio-Einleitung des Kopfsatzes (17 Takte) hebt mit einem markanten, absteigenden D-Dur-Dreiklang (D-A-Fis) des vollen Orchesters im forte an, der von einem spielerischen Melodiebogen der Violinen im piano beantwortet wird, wobei dieser Melodiebogen wiederum mit einem aufsteigenden D-Dur-Dreiklang beginnt (D-Fis-A-D). Es ist diese Dreiklangfigur, die nicht allein das musikalische Material des Kopfsatzes sondern das Material aller vier Sätze bestimmen oder dort zumindest prägnant hervortreten wird. Der Melodiebogen der Violinen führt dann zu einem neuerlichen absteigenden Dreiklang im Tutti – diesmal allerdings ein d-moll Dreiklang (D-A-F) – der nun von der ebenfalls nach d-moll gewendeten Melodielinie der Violinen beantwortet wird. D-moll bleibt dann auch die Tonart der letzten Takte des Adagios, das nach einem fallenden Sechzehntellauf in den unbegleiteten Oboen mit einer Fermate auf Cis schließt.
    Die Exposition (T. 18-83) des Allegro-Hauptsatzes stellt unmittelbar das von den Violinen vorgetragene, knappe Hauptthema vor. Das Thema ist hübsch symmetrisch gebaut: es beginnt Auftaktik mit drei repetierten Achteln (auf A) die in einen gehaltenen Ton münden (ebenfalls A), dann nach einem Zweisechzehntel-Auftakt in eine eintaktige Achtelfigur führt, um schließlich abtaktig zu enden – wiederum mit drei repetierten Achteln (E-E-E; wir sind bei A-Dur angekommen). Dieser viertaktige Abschnitt wird dann wiederholt, wobei nun die Melodielinie zum Grundton D geführt wird. Eigentlich ein kleines Nichts – aus dem Haydn jedoch allerhand zu zaubern weiß. Insbesondere die Achtelrepetitionen werden von Haydn im Verlauf des Satzes überaus prägnant – teils gar dramatisch – verarbeitet und zu bedrohlichen Schlägen gesteigert und zwar schon in der Exposition (vgl. T. 43ff. oder 53ff.). Die Durchführung beginnt dann sogleich mit einem zunächst im piano gehaltenen Spiel mit diesem Achtelmotiv, das sich zum zentralen Material des Hauptsatzes mausert. Interessant ist, daß auf dem Höhepunkt der Durchführung das fallende Dreiklangmotiv des Einleitungs-Adagios auftaucht – nun allerdings in G-Dur (T. 118 und 120). Ja, und dann hat sich der gute Haydn einen wirklich hübschen Schabernack ausgedacht: Nach diesem recht markanten Höhepunkt, dem in den Takten 123 bis 129 nun variierte Schläge der repetierten Achtel folgen (die mittlere der drei Achtel ist nun in zwei Sechzehntel aufgeteilt), steht eine zwei Takte lange Generalpause - wonach in Takt 132 wieder das Hauptthema einsetzt. »Ah, Reprise!«, denkt der Michel - und wird enttäuscht. Denn was da zu hören ist, ist zwar das Hauptthema – aber in der Subdominant-Tonart G-Dur. Die eigentliche Reprise setzt erst in Takt 154 mit dem Thema in der Grundtonart D-Dur ein. Beschlossen wird der Satz durch eine Coda (ab Takt 187), die nochmals mit einer dramatischen Wendung nach d-moll überrascht (T. 194-195), bevor sich das optimistische D-Dur endgültig durchsetzt. Eine Wiederholung ist nur für die Exposition vorgeschrieben.


    Das in G-Dur stehende Andante ist ein Variationssatz. Das Thema hebt an mit einer Umkehrung des fallenden Dreiklangs der Adagio-Einleitung zum Kopfsatz: eine Sechszehnteltriole (D-G-H), die im Verlaufe des Satzes als rhythmisches Motiv ein gewisses Eigengewicht erlangt (sehr schön zu hören in den immer wieder auftretenden Passagen mit langen, immer nur leicht variierenden Tonrepetitionen – hübsch die Hornpassage in T. 66-68 ). Der Charakter des Satzes ist zunächst eher freundlich und entspannt, das Thema wird eher locker verarbeitet. Insgesamt lassen sich nach der Vorstellung des Themas (T. 1-9) drei oder vier Variationen feststellen. Ich schreibe drei oder vier, weil ich nicht recht sicher bin, ob die vierte eine eigenständige Variation darstellt oder eher noch zur dritten gehört. Naja, das können ja Berufenere in diesem Thread klären.
    Die erste Variation (T. 9-25) steht in der Grundtonart des Satzes, wobei hier insbesondere imitierende Passagen festzustellen sind und sich das rhythmische Motiv der Sechzehnteltriole zu verselbständigen beginnt (ab Takt 12). Bemerkenswert ist, daß bereits in dieser ersten, in Dur gehaltenen Variation, der eher freundlich-entspannte Charakter der Musik durch Mollwendungen mit beinahe schon aggressiv wirkenden Oktavsprüngen (T. 18-19) eingetrübt wird.
    Die zweite Variation (T. 26-45) steht dann zur Gänze in g-moll. Sie wird bestimmt von unruhigen Läufen in Sechzehnteltriolen, während die in der ersten Variation bestimmenden Ton-Repetitionen zurücktreten. Hier kippt der Charakter dann völlig vom Freundlich-Heiteren ins Dramatische, die fortissimo-Passage ab Takt 30 hat beinahe bedrohlichen Charakter. Gegen Ende der zweiten Variation hellt sich der Charakter durch eine Hinführung in die Dominanttonart D-Dur wieder auf.
    Die dritte Variation (T. 46-68 ) steht wieder in G-Dur und wird bestimmt von fallenden Sechzehntelfiguren (bisweilen punktiert) und einem weiteren Bedeutungszugewinn der repetierenden Sechzehnteltriolen, die schließlich in die bereits erwähnte Passage münden, in der die Hörner zweieinhalb Takte lang in Oktaven ein G in Sechzehnteltriolen repetieren. Die Passage – und damit wohl auch die dritte Variation – endet auf einem G-Dur-Akkord des gesamten Orchesters (Fermate, Takt 68 ). Ja, und dann beginnt wohl die vierte Variation, von der ich nicht recht sicher bin, ob sie nicht zur dritten gehört. Diese vierte Variation (T. 68-81) zeigt ein ganz anderes Klangbild als die drei vorausgehenden: geprägt wird dieser Teil durch das kadenzenzartig-imitatorische Spiel zweier solistisch geführter Violinen, das in den Takten 79-81 von Flöten und Oboen übernommen wird. Hier schließt eine achttaktige Schlußpassage an: ein Lauf in den bekannten Sechzehnteltriolen (Oboen) mündet in einen sich aufbauenden Stauakkord – es folgt ein Sechzehnteltriolenlauf der 1. Violinen. Der Satz endet auf zwei kurzen Achtelschlägen des gesamten Orchesters im piano.


    An dritter Stelle der Sinfonie steht ordnungsgemäß ein Menuett – ein überaus apartes übrigens – in G-Dur, in dem der schon bekannte, gebrochene Dreiklang (hier in aufsteigender Form) bestimmend ist. Das eher ländlich anmutende Trio wird von Oboe und Fagott dominiert, die solistisch geführt werden.


    Das Finale - ein »Sonaten-Rondo« in G-Dur - ist vergleichsweise knapp gehalten und hat durchaus Kehrauscharakter. Das Thema hebt an mit dem absteigenden G-Dur Dreiklang, den wir nun schon hinlänglich kennen. Insgesamt ist der Charakter des Satzes eher ausgelassen – allerdings steht im Zentrum des Satzes erneut eine gewichtige Moll-Passage (T. 48-102), in der die dunkle Dramatik, die in den ersten beiden Sätzen aufschien, nochmals zurückkehrt. Im letzten Teil des Satzes tauchen auch die aus Satz 1 und 2 bekannten repetierenden Figuren wieder (T. 134-141; 196ff., 208ff.).


    Insgesamt ein in Faktur und Gehalt überaus dichtes Werk, das seinen Beinamen – authentisch hin, authentisch her – eigentlich ganz zurecht trägt.


    Viele Grüße,
    Medard

  • #96 ist eine der Sinfonien aus den Londonern, die ich recht spät kennengelernt habe und über die ich mir (was hoffentlich unabhängig davon ist), noch immer ein bißchen unschlüssig bin. (Die unebenste ist für mich allerdings #100, die ich schon ewig kenne.) Genauer gesagt: der Kopfsatz ist zwar einer meiner Favoriten, aber das Finale ist mir zu knapp und leichtgewichtig und mit dem Andante werde ich auch nicht so recht warm (finde die Thematik sehr "neutral" und der "concertante" Teil mit den beiden Soloviolinen ist mir z.B. zu lang ausgesponnen).


    Selbst im Kopfsatz finde ich überdies die Scheinreprise nicht so besonders wirkungsvoll, das Haupthema beherrscht ja ohnehin den gesamten Satz und solch ein Witz paßt auch nicht recht zu dem dramatischen Gestus (gerade an dieser Stelle scheint mir der Satz etwas an "Dampf" zu verlieren), der ja selbst am Ende der Reprise nochmals betont wird. Aber ingesamt sind die Konzentration und der Schwung dieses Satz jedenfalls sehr bemerkenswert. :jubel: :jubel: :jubel: (Wobei ich mit kaum einer der in den letzten Tagen gehörten Aufnahmen hier so richtig zufrieden war... dazu später nochmal).
    Erwähnenswert am Hauptthema des Satzes scheint mir noch die "obligate" Begleitung in Fagott (u. 2. Vl.?) zu sein, die ja schon vor dem eigentlichen Thema einsetzt.
    Das Finale ist gewiß ein brillant-spritziges Stück und macht erstaunlich viel aus dem kargen Material, steht bei mir aber doch deutlich hinter anderen Finali der Reihe (oder besonders auch den thematisch und stimmungsmäßig recht ähnlichen in 88 und 92) zurück.


    :hello:


    JR

    Struck by the sounds before the sun,
    I knew the night had gone.
    The morning breeze like a bugle blew
    Against the drums of dawn.
    (Bob Dylan)

  • Hm, ich muß sagen, daß ich die 96. Eigentlich insgesamt als recht, ja, neutral empfunden hatte (und mich gar nicht nicht besonders gut an sie erinnern konnte), bevor ich sie in den letzten Tagen mehrfach mit der Partitur vor der Nase gehört habe. Da hat mich das Werkchen dann aber zunehmend zu begeistern gewußt. Insbesondere die Sätze 1 und 2 gefallen mir ganz außerordentlich. Die Scheinreprise im Kopfsatz empfinde ich etwa als überaus gelungen, zum einen, weil der Hörer aufgrund der zweitaktigen Generalpause tatsächlich den Einsatz der Reprise erwartet (er wird ja geradezu zu dieser Erwartungshaltung gedrängt) – und dann bitter (;)) enttäuscht wird. Dann aber auch, weil das Ausbleiben der Reprise mir gar nicht so sehr ein bloßer Schabernack (wie ich das oben etwas lax formuliert habe) zu sein scheint, sondern der dramatischen Entwicklung des Satzes Rechnung trägt. Das Drama ist – um es mal ebenso lax zu formulieren – halt noch nicht durch, es bedarf noch einer weiteren Durchführungsstufe und wird selbst dann nicht ganz gelöst sein, wie an der Mollwendung in der Reprise, wenige Takte vor Schluß deutlich wird. Was mich allerdings wirklich begeistert, ist die dramatische Entwicklung, die Haydn in einem doch weitestgehend monothematischen Satz zu evozieren weiß – und dazu aus einem Thema, das nicht einmal besonders prägnant ist – konfliktträchtig schon mal gar nicht (ist ja nichtmal `ne Spannung zwischen Vorder- und Nachsatz gegeben).


    Der Variationssatz gefällt mir überaus gut – insbesondere die große zentrale Moll-Passage. Zugegeben: die Kandez der Soloviolinen verliert bei mehrfachem Hören den Reiz und wirkt etwas gestreckt.


    Zustimmen muß ich JR, was die verhältnismäßige Leichtgewichtigkeit des knappen Finales anbetrifft. Das wirkt wie ein Annex – ohnehin scheint mir das Werk sich über die vier Sätze zunehemend auszudünnen und damit doch ziemlich inhomogen und kopflastig zu sein.


    Einspielungen der Sinfonie habe ich nur mit Brüggen und Fischer. Dazu auch von mir erst demnächst ein paar Sätze.


    Viele Grüße,
    Medard

  • Zitat

    Original von Klawirr
    Insbesondere die Sätze 1 und 2 gefallen mir ganz außerordentlich. Die Scheinreprise im Kopfsatz empfinde ich etwa als überaus gelungen, zum einen, weil der Hörer aufgrund der zweitaktigen Generalpause tatsächlich den Einsatz der Reprise erwartet (er wird ja geradezu zu dieser Erwartungshaltung gedrängt) – und dann bitter (;)) enttäuscht wird. Dann aber auch, weil das Ausbleiben der Reprise mir gar nicht so sehr ein bloßer Schabernack (wie ich das oben etwas lax formuliert habe) zu sein scheint, sondern der dramatischen Entwicklung des Satzes Rechnung trägt. Das Drama ist – um es mal ebenso lax zu formulieren – halt noch nicht durch, es bedarf noch einer weiteren Durchführungsstufe und wird selbst dann nicht ganz gelöst sein, wie an der Mollwendung in der Reprise, wenige Takte vor Schluß deutlich wird. Was mich allerdings wirklich begeistert, ist die dramatische Entwicklung, die Haydn in einem doch weitestgehend monothematischen Satz zu evozieren weiß – und dazu aus einem Thema, das nicht einmal besonders prägnant ist – konfliktträchtig schon mal gar nicht (ist ja nichtmal `ne Spannung zwischen Vorder- und Nachsatz gegeben).


    Die Scheinreprise funktioniert als solche fraglos sehr gut, es dauert sicher bei den meisten etliche Takte, bis sie es merken, wenn nicht sogar bis zur richtigen Reprise. ;) dennoch empfinde ich den damit eingeleiteten Abschnitt nach der vorher so dramatischen Durchführung als etwas enttäuschend.
    Es gibt ja ein rudimentäres Nebenthema ab T. 57/58 (177/78 in der Reprise). Aber das ist zu einem wirklich sehr knapp gehalten, zum anderen lebt es auch von dem 3/8-Auftakt. Die Dramatik entsteht eher durch die Abspaltung des 3/8-Auftaktmotivs, sowie der drei Noten des Endes der ersten Phrase, worauf Du ja schon hingewiesen hast. Und dann eben noch die Fanfaren, die zuerst T. 43 ff. auftauchen. Eine Sache, die kaum jemand befriedigend hinkriegt (Harnoncourt einigermaßen, aber auch nicht ideal) sind diese Fanfarenmotive ab T.161, besonders aber 171-176: Die Hörner antworten hier den Trompeten (162,164,166, 172, 174); allzuoft hört man aber nur die Trompeten, jedenfalls sind die Hörner zu undeutlich.


    Harnoncourt macht übrigens als einziger unter meinen Einspielungen (noch Scherchen, Brüggen, Tate, Wolff) die Wiederholung von Durchführung und Reprise. Gerade angesichts der Scheinreprise ist allerdings sehr gut nachvollziehbar, daß man die lieber wegläßt (in meiner Notenausgabe (Dover) ist sie nicht vermerkt, der traue ich aber eh nicht)


    Zitat


    Der Variationssatz gefällt mir überaus gut – insbesondere die große zentrale Moll-Passage. Zugegeben: die Kandez der Soloviolinen verliert bei mehrfachem Hören den Reiz und wirkt etwas gestreckt.


    Bist Du Dir eigentlich sicher, daß man das Andante überhaupt am treffendsten als Variationensatz charakterisiert. Ich habe eher den Eindruck einer groben Dreiteiligkeit mit dem "minore" als Mittelteil, dem "maggiore" als "Reprise" und dem konzertanten Abschnitt als Coda (ab ca. T. 64).
    Man könnte deren Länge auch wieder als eine Art Witz verstehen: Der Hörer erwartet nach der Fermate (T. 69) eine kleine Kadenz der Geige, evtl. noch Flöte oder Oboe, aber doch einen baldigen Satzschluß. Stattdessen folgen noch 20 Takte, etwa so lang wie der Minore-Abschnitt.
    Ich empfinde den ersten Abschnitt bis zum "minore", obwohl natürlich variiert wird, eher als Einheit und ab T. 9/10 als Fortspinnung des Themas. Wo soll die 1. Var. einsetzen? Auftakt zu Takt 9 oder erst 10? Und bei der Wiederkehr wird "die 1. Var." mit den Triolen ja weitgehend exakt mit rekapituliert, anstatt daß eine neue Veränderung kommt.


    Zitat


    Zustimmen muß ich JR, was die verhältnismäßige Leichtgewichtigkeit des knappen Finales anbetrifft. Das wirkt wie ein Annex – ohnehin scheint mir das Werk sich über die vier Sätze zunehemend auszudünnen und damit doch ziemlich inhomogen und kopflastig zu sein.


    Am Menuett habe ich ja gar nichts auszusetzen und die relative Leichtigkeit des Finales ist ein Feature, kein Bug. ;) Nur ist es mir hier eben verglichen mit den Finali der umgebenden Sinfonien ein bißchen zu dünn.


    :hello:


    JR

    Struck by the sounds before the sun,
    I knew the night had gone.
    The morning breeze like a bugle blew
    Against the drums of dawn.
    (Bob Dylan)

  • Zitat

    Original von Johannes Roehl


    Die Scheinreprise funktioniert als solche fraglos sehr gut, es dauert sicher bei den meisten etliche Takte, bis sie es merken, wenn nicht sogar bis zur richtigen Reprise. ;) dennoch empfinde ich den damit eingeleiteten Abschnitt nach der vorher so dramatischen Durchführung als etwas enttäuschend.


    Hab' ich nicht als enttäuschend empfunden, werde aber meine Empfindungen nach Deinem Hinweis nochmals überprüfen... ;)


    Zitat

    Es gibt ja ein rudimentäres Nebenthema ab T. 57/58 (177/78 in der Reprise). Aber das ist zu einem wirklich sehr knapp gehalten, zum anderen lebt es auch von dem 3/8-Auftakt. Die Dramatik entsteht eher durch die Abspaltung des 3/8-Auftaktmotivs, sowie der drei Noten des Endes der ersten Phrase, worauf Du ja schon hingewiesen hast.


    Das Nebenthema ist aber schon ziemlich rudimentär und gewinnt ja eigentlich auch gar kein Gewicht, außer wenn man die Präsenz der auftaktigen 3/8-Figur in der Durchführung tatsächlich auf das Nebenthema zurückführen wollte. Allerdings hat das Hauptthema eben auch eine 3/8-Figur und dann auch noch auf- und abtaktig...


    Zitat

    Harnoncourt macht übrigens als einziger unter meinen Einspielungen (noch Scherchen, Brüggen, Tate, Wolff) die Wiederholung von Durchführung und Reprise. Gerade angesichts der Scheinreprise ist allerdings sehr gut nachvollziehbar, daß man die lieber wegläßt (in meiner Notenausgabe (Dover) ist sie nicht vermerkt, der traue ich aber eh nicht)


    In meiner Notenausgabe (ist allerdings nur eine alte Eulenburg-TP) ist ebenfalls keine Wiederholung von Durchführung und Reprise vermerkt. Im Revisionsbericht dieser Ausgabe gibt es zudem keinen Hinweis darauf, daß andere Ausgaben/Stimmabschriften eine solche Wiederholung vorschreiben würden. Aus den von Dir genannten Gründen (Scheinreprise), wäre eine solche Wiederholung IMO auch eher widersinnig.


    Zitat

    Bist Du Dir eigentlich sicher, daß man das Andante überhaupt am treffendsten als Variationensatz charakterisiert. Ich habe eher den Eindruck einer groben Dreiteiligkeit mit dem "minore" als Mittelteil, dem "maggiore" als "Reprise" und dem konzertanten Abschnitt als Coda (ab ca. T. 64).
    Man könnte deren Länge auch wieder als eine Art Witz verstehen: Der Hörer erwartet nach der Fermate (T. 69) eine kleine Kadenz der Geige, evtl. noch Flöte oder Oboe, aber doch einen baldigen Satzschluß. Stattdessen folgen noch 20 Takte, etwa so lang wie der Minore-Abschnitt.
    Ich empfinde den ersten Abschnitt bis zum "minore", obwohl natürlich variiert wird, eher als Einheit und ab T. 9/10 als Fortspinnung des Themas. Wo soll die 1. Var. einsetzen? Auftakt zu Takt 9 oder erst 10? Und bei der Wiederkehr wird "die 1. Var." mit den Triolen ja weitgehend exakt mit rekapituliert, anstatt daß eine neue Veränderung kommt.


    Nein, ich bin nicht sicher. Habe auch länger überlegt, ob ich das wirklich so schreiben soll. Jedenfalls haben die Teile ab Takt 9 (von der 3/16-Triole auf dem letzten Schlag an), Takt 26 und 62 (wieder ab der 3/16-Triole auf dem letzten Schlag) durchaus Variationscharakter. Andererseits ist das naklar kein Variationssatz im Sinne von »Thema mit 12 Variationen« oder so.


    Eine grobe Dreiteiligkeit würde ich auch sehen (habe ich ja oben auch irgendwie angedeutet), es ist IMO aber keine A-B-A' + Coda-Form. Der dritte Teil (maggiore) hat IMO auch keinen »Reprisencharakter«, da das Thema weiter und zudem in neuer Form variiert wird. Wenn man die Takte 1-9, die ich als Vorstellung des Themas aufgefaßt hatte, dem ersten Teil zuschlagen würde, könnte man also vielleicht von einer dreiteiligen freien Variationsform + Coda ausgehen – wobei ja in die einzelnen (Variations)Teile noch ritornellartige Blöcke eingelassen sind, etwa T. 18-21 oder 59-61.


    Warum läßt Du eigentlich die Coda in T. 64 beginnen und nicht erst ab T. 68 ?


    Zitat

    Am Menuett habe ich ja gar nichts auszusetzen und die relative Leichtigkeit des Finales ist ein Feature, kein Bug. ;) Nur ist es mir hier eben verglichen mit den Finali der umgebenden Sinfonien ein bißchen zu dünn.


    Hm, von einem Menuett erwartet man ja auch nicht gerade größte Gewichtigkeit. Ich finde dieses hier sogar recht apart. Ändert aber nix daran, daß das Finale nicht als Kontergewicht zum Kopfsatz funktioniert.


    Viele Grüße,
    Medard

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  • Bevor ich an dieser interessanten Diskussion teilnehmen kann, muss ich erstmal wieder die Sinfonie hören.



    Zu einem Punkt kann ich aber jetzt schon was sagen:


    Zitat

    Original von Klawirr


    In meiner Notenausgabe (ist allerdings nur eine alte Eulenburg-TP) ist ebenfalls keine Wiederholung von Durchführung und Reprise vermerkt. Im Revisionsbericht dieser Ausgabe gibt es zudem keinen Hinweis darauf, daß andere Ausgaben/Stimmabschriften eine solche Wiederholung vorschreiben würden. Aus den von Dir genannten Gründen (Scheinreprise), wäre eine solche Wiederholung IMO auch eher widersinnig.


    Ich habe den entsprechenden Band der kritischen Kölner Haydn-Werkausgabe von 2005 vor mir: hier ist eindeutig die Wiederholung von Durchführung und Reprise vorgeschrieben. Den kritischen Bericht habe ich nicht, aber die Ausgabe dürfte zuverlässig sein, zumal das Autograph (in der Royal Philharmonic Society) erhalten ist.


    Ich finde nicht, dass die Existenz einer Scheinreprise gegen eine Wiederholung von Durchführung und Reprise spricht. Natürlich bleibt beim zweitenmal die Überraschung aus, aber das zweite Hören ist ja immer ein anderes als das erste – auch wenn man ihn kennt, wird der „Witz“ ja nicht schlechter, man lernt ihn nur besser kennen. (Und wir langweilen uns ja auch nicht, wenn wir die Stelle von der CD zum 5. oder 50. Mal hören.)


    Auch für mich gibt’s natürlich Fälle, in denen ich eine Wiederholung von Durchführung/Reprise/Coda merkwürdig fände – etwa beim Kopfsatz von Nr. 103 mit dem Einbruch der langsamen Einleitung in die Coda. Oder gar bei Beethovens Neunter oder Schuberts Unvollendeter, um zwei willkürlich herausgegriffene spätere Beispiele zu nennen.


    (Übrigens zeigt sich, dass Harnoncourt zumindest gelegentlich eben doch näher an den Quellen ist als manch anderer Dirigent - seine Aufnahme erschien ja schon lange vor dem entsprechenden Band der kritischen Ausgabe.)



    Viele Grüße


    Bernd

  • Zitat

    Original von Zwielicht
    Ich habe den entsprechenden Band der kritischen Kölner Haydn-Werkausgabe von 2005 vor mir: hier ist eindeutig die Wiederholung von Durchführung und Reprise vorgeschrieben. Den kritischen Bericht habe ich nicht, aber die Ausgabe dürfte zuverlässig sein, zumal das Autograph (in der Royal Philharmonic Society) erhalten ist.


    Ich finde nicht, dass die Existenz einer Scheinreprise gegen eine Wiederholung von Durchführung und Reprise spricht. Natürlich bleibt beim zweitenmal die Überraschung aus, aber das zweite Hören ist ja immer ein anderes als das erste – auch wenn man ihn kennt, wird der „Witz“ ja nicht schlechter, man lernt ihn nur besser kennen. (Und wir langweilen uns ja auch nicht, wenn wir die Stelle von der CD zum 5. oder 50. Mal hören.)


    Schon. Es gibt vermutlich zig Stellen in Haydns Quartetten mit Scheinreprisen, die ebenfalls eine Wdh. von Durchf. & Reprise fordern. Es ist einmal eine grundsätzliche Frage und dann hängt es davon ab, wie man persönlich die spezifische Dramatik eines Satzes empfindet. Vieles ist einfach auch Gewohnheit. Ich finde bei Scherchens alten Aufnahmen ziemlich irritierend, daß sogar die Expositionswiederholungen meistens fehlen. Der Satz hier dauert dann nur gut 5 min oder so.


    Zitat


    Auch für mich gibt’s natürlich Fälle, in denen ich eine Wiederholung von Durchführung/Reprise/Coda merkwürdig fände – etwa beim Kopfsatz von Nr. 103 mit dem Einbruch der langsamen Einleitung in die Coda. Oder gar bei Beethovens Neunter oder Schuberts Unvollendeter, um zwei willkürlich herausgegriffene spätere Beispiele zu nennen.


    Dort ist das ja glücklicherweise auch nicht vorgeschrieben! :D Ich glaube es gibt genügend diskutierenswerte Fälle, wo es eindeutig vorgeschrieben ist und dennoch häufig mißachtet wird/wurde... so daß man die fiktiven erstmal zurückstellen kann.


    Zitat


    (Übrigens zeigt sich, dass Harnoncourt zumindest gelegentlich eben doch näher an den Quellen ist als manch anderer Dirigent - seine Aufnahme erschien ja schon lange vor dem entsprechenden Band der kritischen Ausgabe.)


    Wobei ich wie gesagt glaube, daß viele es auch bei eindeutiger Quellenlage einfach anders machen. Auch HIPisten; Pinnock z.B. in der Sturm&Drang-Box. Bei den "Pariser Sinfonien" befolgt Harnoncourt unter den mir bekannten Einspielungen als einziger konsequent alle Wdh. (Fischer, Wollff, Marriner, Kuijken, Weil und Dorati wiederholen idR nur Expo, Goodman macht einige, andere nicht, wobei ich von dem nur 82-84 habe).


    Aber das haben wir entweder schonmal anderswo diskutiert oder sollten wir jedenfalls anderswo weiterführen.


    :hello:


    JR

    Struck by the sounds before the sun,
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    (Bob Dylan)

  • Hallo!


    Ich mag die 96, und wie bei der 98 auch vor allem die ersten zwei Sätze (das ist aber sowieso eine Krankheit bei mir und nicht auf Haydn-Symphonien beschränkt, deswegen sind meine "Skrupel" vor dem Finale wohl kleiner ;) ).


    Zitat

    Original von Johannes Roehl
    Die Scheinreprise funktioniert als solche fraglos sehr gut, es dauert sicher bei den meisten etliche Takte, bis sie es merken, wenn nicht sogar bis zur richtigen Reprise. ;) dennoch empfinde ich den damit eingeleiteten Abschnitt nach der vorher so dramatischen Durchführung als etwas enttäuschend.


    Die Scheinreprise in 102 finde ich allerdings deutlich wirkungsvoller als hier. In 102 macht Haydn sofort nach dem Erklingen des Hauptthemas klar, dass das noch keine Reprise sein kann. Hier könnte es hingegen theoretisch auch eine Abänderung gegenüber der Exposition sein, wenn man nicht herausgehört hat, dass es die falsche Tonart ist. Der Gag (wenn es denn einer sein soll) ist mir beim ersten bewussten Hören jedenfalls tatsächlich erst klargeworden, als die echte Reprise kam...


    Den langsamen Satz finde ich, wie auch Medard, nicht zuletzt wegen des Mittelteils gut. Mich erinnert das, auch wenn es hier wohl keine richtige Fuge ist, an das Fugato im zweiten Satz der Eroica: Auch da entsteht der Ausbruch aus einer Wiederholung des Hauptthemas heraus, der Kontrapunkt hat m.E. ganz ähnliche Wirkung, und nachdem zwischendurch die Situation eigentlich geklärt scheint, folgt bei beiden Sätzen noch ein zweiter Ausbruch. Tolle Stelle jedenfalls! Aber auch den Rest des Satzes mag ich.


    Zitat

    Original von Klawirr
    An dritter Stelle der Sinfonie steht ordnungsgemäß ein Menuett – ein überaus apartes übrigens – in G-Dur, in dem der schon bekannte, gebrochene Dreiklang (hier in aufsteigender Form) bestimmend ist. Das eher ländlich anmutende Trio wird von Oboe und Fagott dominiert, die solistisch geführt werden.


    Mir ist auch schon in den bisherigen Symphonienthreads aufgefallen, dass diesem Satz bei der Werkvorstellung meist nur ein paar Worte gewidmet werden; ich hatte auch nie den Eindruck, dass einem der Diskutanten das Menuett besonders am Herzen läge oder polarisieren würde. Ist das Menuett für Euch trotz allen kontrapunktischen und rhythmischen Aufwands von Haydn ein netter, aber eher zweitrangiger Zwischensatz?



    Gruß,
    Spradow.

  • Gestern am späten Abend habe ich das Werk in der Brüggen-Einspielung gehört, danach in der Aufnahme mit Harnoncourt, von dieser allerdings nur die ersten beiden Sätze - beim Menuett wurde ich müde und habe das Nachtlager aufgesucht :D :O.


    Beim ersten Satz kann ich mich dem meisten hier Gesagten anschließen, wobei ich das Hauptthema in seiner Zusammensetzung aus eigentlichem Thema und "kommentierender" obligater Begleitung sehr reizvoll finde. Die Scheinreprise hält zwar auch meiner Meinung nach den Vergleich mit Nr. 92 oder 102 nicht aus, interessant ist aber die ewig lange Generalpause vorher - ich hatte den Eindruck (ohne mitgezählt zu haben), dass sowohl Brüggen wie auch Harnoncourt hier zu kurz stoppen. Als ereignishafter Moment war mir im ersten Satz schon immer der d-moll-Ausbruch in der Coda aufgefallen, zu dem Ludwig Finscher (S. 362) schreibt:


    ... die so affektstarke Wendung der Einleitung nach d-Moll bildet zusammen mit der katastrophenhaften d-moll-Explosion ganz am Schluß des Satzes eine strukturelle Klammer [...]; darüber hinaus spielen die Signale, mit denen die Explosion vorbereitet wird, im ganzen Satz eine Rolle, die man durchaus als ominös verstehen kann.


    Das erscheint mir abseits der "üblichen" Kompositionstechniken als ein interessantes großräumiges Verfahren, zumal sich die rhythmischen Signale ja bereits in der Reprise stark verdichten.


    Finscher charakterisiert übrigens die Nrr. 96 und 95 als die strukturell einfachsten Vertreter der für London komponierten Sinfonien.



    Zitat

    Original von Johannes Roehl
    mit dem Andante werde ich auch nicht so recht warm (finde die Thematik sehr "neutral" und der "concertante" Teil mit den beiden Soloviolinen ist mir z.B. zu lang ausgesponnen).


    Zitat

    Original von Klawirr
    Der Variationssatz gefällt mir überaus gut – insbesondere die große zentrale Moll-Passage. Zugegeben: die Kadenz der Soloviolinen verliert bei mehrfachem Hören den Reiz und wirkt etwas gestreckt.


    Zitat

    Original von Spradow
    Den langsamen Satz finde ich, wie auch Medard, nicht zuletzt wegen des Mittelteils gut. Mich erinnert das, auch wenn es hier wohl keine richtige Fuge ist, an das Fugato im zweiten Satz der Eroica: Auch da entsteht der Ausbruch aus einer Wiederholung des Hauptthemas heraus, der Kontrapunkt hat m.E. ganz ähnliche Wirkung, und nachdem zwischendurch die Situation eigentlich geklärt scheint, folgt bei beiden Sätzen noch ein zweiter Ausbruch. Tolle Stelle jedenfalls! Aber auch den Rest des Satzes mag ich.


    Ja, ich mag auch den zweiten Satz sehr gerne - ein Beispiel dafür, wie Haydn aus einem in der Tat recht einfachen und scheinbar wenig entwicklungsfähigen Thema ein ganzes Haus (oder zumindest ein Stockwerk) baut. Der kontrapunktische g-moll-Mittelteil ist wirklich faszinierend, von allen Moll-Mittelteilen langsamer Sätze bei Haydn einer meiner liebsten. Sehr interessant Spradows Verweis auf das Fugato im Trauermarsch der Eroica! Dass die Situation nach dem ersten Ausbruch zunächst bereinigt scheint, sich dann aber dynamisch und harmonisch noch einmal zuspitzt, findet sich ja z.B. auch in den Nrr. 101 und 104.


    Sehr in die Bresche werfen muss ich mich für den konzertanten Schlussteil mit den beiden Soloviolinen: der ist doch ausgesprochen schön und fantasievoll, gar nicht zu lang und auch harmonisch sehr reizvoll. (Da finde ich z.B. die Soloviolinen-Variation im langsamen Satz von Nr. 103 viel konventioneller.) Um mich mal wieder an vermeintliche oder tatsächliche Autoritäten anzulehnen: Laut W. Lessing "sieht Robbins Landon in diesem Abschnitt einen der genialsten, inspiriertesten Momente der Londoner Sinfonien". Abseits solcher Wertungen hat Robbins Landon auch eine interessante Hypothese für diesen konzertanten Abschnitt bereitgestellt - Haydn habe hier möglicherweise dem "historischen" Teil des Londoner Konzertwesens eine Reverenz erweisen wollen, bei dem in den sogenannten "Ancient Concerts" viele Concerti Grossi von z.B. Corelli und natürlich Händel aufgeführt worden seien (alles nach W. Lessing, S. 76, referiert). Wenn das zuträfe, hätten wir hier nicht nur ein Beispiel für Haydns Eingehen auf den vermuteten Publikumsgeschmack vor uns, sondern auch ein relativ frühes Beispiel "historisierenden" Komponierens.



    Zitat

    Original von Spradow
    Mir ist auch schon in den bisherigen Symphonienthreads aufgefallen, dass diesem Satz bei der Werkvorstellung meist nur ein paar Worte gewidmet werden; ich hatte auch nie den Eindruck, dass einem der Diskutanten das Menuett besonders am Herzen läge oder polarisieren würde. Ist das Menuett für Euch trotz allen kontrapunktischen und rhythmischen Aufwands von Haydn ein netter, aber eher zweitrangiger Zwischensatz?


    Es ist auch in den "professionellen" Darstellungen zu bemerken, dass Menuett und Finale in den späten Haydn-Sinfonien immer etwas kürzer kommen (sofern es sich nicht um den seltenen Typus einer Finalsinfonie handelt). Letztlich entspricht das ja auch dem empfundenen "Gewicht" der Sätze, zumal gerade die Menuette einen schmaleren Gestaltungsspieraum haben als die anderen Sätze. (Wir haben doch auch regelrechte Menuett-Hasser unter uns :D - gibt's dazu nicht einen eigenen Thread?).


    Es gibt allerdings Sinfonien, bei denen die Gewichtung der Sätze auffällig anders ist und auch das Menuett einen größeren Stellenwert hat - etwa bei Nr. 93.


    Bei Nr. 96 finde ich das Menuett relativ konventionell, es enthält ja auch kaum durchführungsartige oder scherzomäßige Passagen wie bei vielen der späteren Londoner Sinfonien. Sehr hübsch das Trio (die Trios müssen auch zu ihrem Recht kommen! ;)) mit seiner charmanten Oboenmelodie über Walzertakt. Dieser Trio-Typus kommt übrigens genauso zum erstenmal in Haydns Sinfonie Nr. 9 vor, wie ich gerade gelernt habe - fast ein bisschen rührend, diese Kontinuitäten!



    Viele Grüße


    Bernd

  • Zitat

    Original von Zwielicht
    Abseits solcher Wertungen hat Robbins Landon auch eine interessante Hypothese für diesen konzertanten Abschnitt bereitgestellt - Haydn habe hier möglicherweise dem "historischen" Teil des Londoner Konzertwesens eine Reverenz erweisen wollen, bei dem in den sogenannten "Ancient Concerts" viele Concerti Grossi von z.B. Corelli und natürlich Händel aufgeführt worden seien (alles nach W. Lessing, S. 76, referiert). Wenn das zuträfe, hätten wir hier nicht nur ein Beispiel für Haydns Eingehen auf den vermuteten Publikumsgeschmack vor uns, sondern auch ein relativ frühes Beispiel "historisierenden" Komponierens.


    Sowas ähnliches habe ich im Hinblick auf die Passage auch gelesen (muß heute abend aber nochmal nachschauen, wo genau...). Dort wurde allerdings auf Bachs 1. Brandenburgisches Konzert als Vorbild hingewiesen. Erschien mir ein wenig weit her geholt. Der Hinweis auf Händel und die »Ancient Concerts« ist da doch schon näherliegend und auch überzeugender.


    Viele Grüße,
    Medard

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  • Zitat

    Original von Klawirr
    Sowas ähnliches habe ich im Hinblick auf die Passage auch gelesen (muß heute abend aber nochmal nachschauen, wo genau...). Dort wurde allerdings auf Bachs 1. Brandenburgisches Konzert als Vorbild hingewiesen.


    Gelesen habe ich das im


    Konzertbuch Orchestermusik 1650-1800, hrsg. von Malte Korff, Wiesbaden/Leipzig: Breitkopf & Härtel 1991, S. 380.


    Allerdings bezog sich der Hinweis auf den vierten Satz, der »dramaturgisch einem der im 1. Brandenburgischen Konzert von Bach locker angefügten Sätze oder gar dem Charakterstück in einer Orchestersuite« (ebd.) nachempfunden sei... :rolleyes:


    Viele Grüße,
    Medard

  • Zitat

    Original von Ludwig Finscher [via Zwielicht :D]


    ... die so affektstarke Wendung der Einleitung nach d-Moll bildet zusammen mit der katastrophenhaften d-moll-Explosion ganz am Schluß des Satzes eine strukturelle Klammer [...]; darüber hinaus spielen die Signale, mit denen die Explosion vorbereitet wird, im ganzen Satz eine Rolle, die man durchaus als ominös verstehen kann.


    Mensch, das habe ich mir ja erst jetzt gerade so richtig auf der Zunge zergehen lassen...


    Huihuihuihuihui, da neigt aber jemand zur Emphase. :faint:


    So richtig »katastrophenhaft« kann ich die wenigen Moll-Takte kurz vor Schluß nicht unbedingt empfinden. 'Ne dramatische Eintrübung ist das schon - aber »katastrophenhaft«? Und : »explodiert« da wirklich was?


    Ich glaube weniger, daß da irgendetwas katastrophenhaft explodiert, als daß Herr Finscher in der zwanghaften Suche nach Bedeutungsüberschuß phantasiert... :D ;)


    Viele Grüße,
    Medard

  • Also daß Haydn das 1. Brandenburgische kannte, kann man wohl ausschließen; er kannte aber sicher italienische Barockkonzerte aus seiner frühen Zeit in den 1750er Jahren und bei den Tageszeitensinfonien sind da vielleicht Zusammenhänge nicht auszuschließen. Gewiß auch nicht, daß Musik von Händel und Corelli von einigen Londonern noch immer sehr geschätzt wurde und Haydn das auch wußte. Vorliegender Satz klingt für mich aber nicht besonders barock, auch nicht der Schluß mit den Soloviolinen. Abgesehen davon, daß es halt eine Art Siciliano ist, was aber in der Klassik durchaus häufig vorkommt, ganz ohne bewußte Archaisierung. Und in der g-moll-Passage ist von dem Rhythmus ohnehin nicht mehr viel zu merken. Ich glaube eher, daß hier dem Publikum eben ein bißchen was geboten werden sollte, es kommen die Holzbläser ja auch noch recht isoliert zu Wort (und später das Oboensolo im Trio) und ich muß auch zugeben, daß das alles sehr schön gemacht ist. Immer noch nicht mein Lieblingssatz, aber schon sehr gut.


    Katastrophe ist m.E. auch ziemlich übertrieben. Aber es scheint schon so, daß Haydn den Zuhörer bis zum Ende fesseln will und direkt vorherzusehen ist dieser dramatische Ausbruch ja nicht gerade. Tovey schreibt irgendwo sinngemäß, daß Haydnsche Reprisen oft der Funktion der Coda bei Beethoven entsprächen. Sie erschöpfen sich nie in einer bloßen Rekapitulation und weil eben meistens keine separate Coda mehr folgt, enthalten sie tatsächlich mitunter Elemente einer "zweiten Durchführung" (wie das bei Beethoven in der Eroica oder der 5. u.a. der Fall ist).
    Das hängt vermutlich mit dem oft kargen Material der Sätze zusammen: Eine bloße Wiederholung wäre einfach langweilig, es muß also weiterverarbeitet und variiert werden, natürlich in einem etwas anderen Rahmen als in der Durchführung, da ja andererseits eine stabilisierende und satzabschließende Wirkung erzielt werden soll. Oft sind das freilich Dinge, die man beim oberflächlichen Hören leicht überhört; ich bin selbst überrascht, wie vieles mir hier erst im Rahmen des Projekts mit Noten und Aufmerksamkeit aufgefallen ist.


    Das "obligate accompagnement" des Hauptthemas ist, glaube ich, wirklich dessen eigentliche Pointe. Sowohl der erste Takt der Begleitstimme als auch deren 4. takt spielen ja später wesentliche Rollen.
    Ein anderes Beispiel für Haydns "wit" ist, wie unterschiedlich die Figur der drei Achtel auf einem Ton verwendet werden kann. Hauptsächlich als Auftakt bzw. verselbständigt als eine Art Fanfare. Aber eben auch als Abschluß, nämlich der ersten Phrase des Themas und prominent am Ende der Expo und Beginn der Durchführung (T.73 ff.).


    Spradow
    Die Menuette haben wir in Fällen wie 99 oder 104 recht ausführlich besprochen, meine ich. Auch das in 101 verdient ganz sicher erhöhte Aufmerksamkeit. Aber im vorliegenden Fall sehe ich nicht, was (jenseits einer sehr detaillierten Analyse) an hörbaren Besonderheiten aufzuweisen wäre. Ähnlich beim Finale. Ich lehne mich jetzt mal aus dem Fenster und behaupte, daß das hier in 96 das 'leichteste' aller 12 Londoner ist. Klar ist es immer noch ein brillanter und witziger Satz und es ist erstaunlich wie das "plappernde" Thema vorübergehend in dramatische und heroische Gestalten verwandelt werden kann.


    :hello:


    JR

    Struck by the sounds before the sun,
    I knew the night had gone.
    The morning breeze like a bugle blew
    Against the drums of dawn.
    (Bob Dylan)

  • Zitat

    Original von Klawirr
    So richtig »katastrophenhaft« kann ich die wenigen Moll-Takte kurz vor Schluß nicht unbedingt empfinden. 'Ne dramatische Eintrübung ist das schon - aber »katastrophenhaft«? Und : »explodiert« da wirklich was?


    Ich glaube weniger, daß da irgendetwas katastrophenhaft explodiert, als daß Herr Finscher in der zwanghaften Suche nach Bedeutungsüberschuß phantasiert... :D ;)


    Das mit dem Bedeutungsüberschuss hatten wir doch schonmal? :D


    "Katastrophenhaft" finde ich auch ein wenig überspitzt, aber "Eintrübung" ist mir denn doch zu lasch. Ein plötzlicher Wolkenbruch ist das mindestens ;). Mir hat sich diese Stelle schon beim ersten Hören eingeprägt.


    Und jetzt kommt einer der Standardsprüche des Forums: Du hast die falschen Aufnahmen :D. Bei Fischer kann das nichts sein, und Brüggens Einspielung, die sonst ihre Meriten hat, hält sich hier allzu vornehm zurück. Sehr gut ist an dieser Stelle (sonst nicht immer) Harnoncourt.



    Viele Grüße


    Bernd

  • Zitat

    Original von Zwielicht


    Das mit dem Bedeutungsüberschuss hatten wir doch schonmal? :D


    Jawoll! Und das werden wir wohl auch in Zukunft noch ein paar mal haben. :D


    Zitat

    "Katastrophenhaft" finde ich auch ein wenig überspitzt, aber "Eintrübung" ist mir denn doch zu lasch. Ein plötzlicher Wolkenbruch ist das mindestens ;). Mir hat sich diese Stelle schon beim ersten Hören eingeprägt.


    Mir auch! Zugegeben: »Eintrübung« ist wirklich lasch. Ich neige aber eben immer zur Untertreibung. ;)
    Deine Wolkenbruch-Metapher finde ich aber sehr treffend.


    Zitat

    Und jetzt kommt einer der Standardsprüche des Forums: Du hast die falschen Aufnahmen :D. Bei Fischer kann das nichts sein, und Brüggens Einspielung, die sonst ihre Meriten hat, hält sich hier allzu vornehm zurück. Sehr gut ist an dieser Stelle (sonst nicht immer) Harnoncourt.


    Hab' ich schon geordert, auch um mal die Wiederholung von Durchführung und Reprise auf mich einwirken zu lassen.


    Viele Grüße,
    Medard


    p.s.: Daß der Brüggen hier wieder nix is', hab' ich mir eh schon gedacht. Goodman hat die 96ste ja leider nicht eingespielt... :D

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  • Zitat

    Original von Zwielicht
    "Katastrophenhaft" finde ich auch ein wenig überspitzt, aber "Eintrübung" ist mir denn doch zu lasch. Ein plötzlicher Wolkenbruch ist das mindestens ;). Mir hat sich diese Stelle schon beim ersten Hören eingeprägt.


    Und jetzt kommt einer der Standardsprüche des Forums: Du hast die falschen Aufnahmen :D. Bei Fischer kann das nichts sein, und Brüggens Einspielung, die sonst ihre Meriten hat, hält sich hier allzu vornehm zurück. Sehr gut ist an dieser Stelle (sonst nicht immer) Harnoncourt.


    Fischer ist hier wirklich richtig mau. Ich hatte in dessen 'Londoner' bisher noch nie reingehört. Das scheinen wirklich die schwächsten seiner Reihe zu sein (wurden auch mit als erste aufgenommen). Kaum Dynamik, verwaschenes Klangbild, Blechbläser beinahe unhörbar. Im andante halbwegs o.k., danach habe ich aber eh abgebrochen.


    Man ist ja gewohnt, bei Haydn nicht gerade ein Überangebot herausragender Aufnahmen zu haben. Ich bin aber doch etwas enttäuscht, daß mir keine von den mir vorliegenden im Kopfsatz wirklich richtig gut scheint. Brüggen ist nicht schlecht, aber klanglich nicht so toll und die weiter o.g. alternierenden Fanfaren in der Reprise zu mau (Hörner kaum hörbar.) Besser sind hier Harnoncourt und auch Wollf mit dem Frankfurter RSO. Wolff tendiert aber ein bißchen zur leichten Spritzigkeit, das Blech ist mir nicht immer prominent genug, die Pauken schon gar nicht und es klimpert dafür unüberhörbar ein Cembalo dazu. Pluspunkt die deutsche Aufstellung. Deren Fehlen ist ein Manko Harnoncourts. Dazu kommt bei NH eine doch etwas zu softe Artikulation im Allegro-Beginn. Zwar finde ich es reizvoll, statt einem generisch-spritzigen Staccato hier zu variieren, die weichere Artikulation erzeugt durchaus den Eindruck des "Herauswachsens", aber es ist ein wenig zuviel des Guten. Aber insgesamt, auch die anderen Sätze betrachtet, ist er vielleicht noch der Beste (Hätte er sie ein paar Jahre früher mit dem Concentus aufgenommen, wäre sie vielleicht richtig gut).
    Scherchen muß ich mir wohl nochmal anhören; die ist klanglich leider recht unbefriedigend (trotzdem frappierend, wie transparent stellenweise eine Mono-Aufnahme von 1951 sein kann und wie dickflüssig manche digitale...), es fehlen Wdh. usw., aber die Energie paßte schon ganz gut.


    Den Tate muß ich die Tage auch gehört haben, ist mir aber auch wohl eher indifferent erschienen, jedenfalls nicht als besonders bemerkenswert in Erinnerung geblieben.


    Bei 104-97 war ich eigentlich immer mit einer oder sogar mehreren meiner Aufnahmen recht zufrieden und eigentlich will ich bei dem Repertoire auch nicht noch mehr anschaffen... (Hogwood wurde mal empfohlen, dort klimpert aber schon im jpc-Schnipsel ein Hammerklavier mit :rolleyes: )


    Diese beiden CDs mit Wolff/RSO FFM kann ich aber bedingt empfehlen. Das sind sehr transparente, zügige Aufnahmen, HIP-beeinflußt (daher leider das idiotische Cembalo), klanglich auch ziemlich gut. Vom Repertoire ist freilich die mit 88-91 attraktiver.


    :hello:


    JR

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    (Bob Dylan)

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    Original von Klawirr
    p.s.: Daß der Brüggen hier wieder nix is', hab' ich mir eh schon gedacht. Goodman hat die 96ste ja leider nicht eingespielt... :D


    Naja, ob ich mir für fünf Takte im ersten Satz extra eine Goodman-Einspielung anschaffen würde, weiß ich nicht... :D


    Wahrscheinlich würde selbst da dann noch das Orchester vom Hammerklavier übertönt... :untertauch:


    Mal wieder ausnahmsweise im Ernst: Ich finde die Brüggen-Einspielung im dritten und vierten Satz sehr gut, in der langsamen Einleitung und im Andante sogar hervorragend. Nur der Allegro-Hauptsatz ist leider wieder mal zu wenig rhythmisch akzentuiert, auch die alternierenden Bläserfanfaren (auf die JR hingewiesen hatte) hört man nicht.


    Harnoncourt dagegen macht das Allegro sehr gut, enttäuscht mich aber im Andante: Der g-moll-Mittelteil kommt ziemlich verwaschen, und das abschließende Concerto grosso (doch, doch :D) klingt bei Brüggen viel "schöner" (für Klangschönheit ist der Frans nämlich der richtige Mann :yes:).


    Sehe jetzt erst das letzte Posting von Johannes: Stimmt - das für Harnoncourt typische Nicht-Staccato beim Hauptthema des ersten Satzes muss man mögen (oder eben auch nicht).


    Bei Fischer muss man wirklich immer wieder der Gerechtigkeit halber sagen, dass gerade die Londoner in seiner Box ganz schwach sind, dass die Stärken eher bei einigen der zuletzt aufgenommenen mittleren Sinfonien liegen, und dass seine neuen SACDs interpretatorisch und klanglich sehr, sehr gut (wenn auch sehr, sehr teuer) sind - die 96. hat er aber noch nicht wieder eingespielt.



    Viele Grüße


    Bernd

  • Ich bin dann jetzt auch mal wieder ernst! Meine Einschätzung der Einspielungen ist eigentlich durch die durchweg kompetenteren Postings von JR und Bernd ziemlich obsolet und überflüssig worden.


    Trotzdem :D : Ich kenne die Fischer-Aufnahme aus der Brilliant-Box und Brüggen. Fischer bietet - wie bei allen Sinfonien, bei denen ich ihn bisher im Vergleich gehört habe (also 1- 9, 26, 49 und 97-104) - die deutlich schwächere Interpertation: wenig Innenspannung, in der Tendez stets zu lahm. Im Kopfsatz wird jede potentielle »Explosion« verpennt. Insbesondere der Schlußsatz leidet dann unter dem laschen Zugriff Fischers, wirkt nicht mal als Kehraus befriedigend.


    Den Brüggen fand ich dagegen insgesamt wirklich sehr gut (wie gesagt: ich kenne nur diese beiden Einspielung - wobei mir einfällt, daß das gelogen ist. Ich hatte bis kürzlich auch Bernstein mit den New Yorkern [dann verkauft] - hat aber keinen nachhaltigen Eindruck hinterlassen, weder positiv noch negativ]). Den Kopfsatz macht Brüggen doch (auch im Allegro-Hauptsatz) eigentlich sehr dynamisch - auch die Scheinreprise und das Moll-Gewitter kurz vor Schluß sind sehr prägnant und affizierend. Da hab' ich eigentlich wenig auszusetzen. Manches könnte vielleicht ein wenig transparenter sein - und eine Tasteninstrument fehlt naklar auch... :D


    Bin mal auf NH gespannt.


    Viele Grüße,
    Medard

  • Zitat

    Original von Zwielicht
    Es ist auch in den "professionellen" Darstellungen zu bemerken, dass Menuett und Finale in den späten Haydn-Sinfonien immer etwas kürzer kommen (sofern es sich nicht um den seltenen Typus einer Finalsinfonie handelt). Letztlich entspricht das ja auch dem empfundenen "Gewicht" der Sätze, zumal gerade die Menuette einen schmaleren Gestaltungsspieraum haben als die anderen Sätze. (Wir haben doch auch regelrechte Menuett-Hasser unter uns :D - gibt's dazu nicht einen eigenen Thread?).


    Ja, den Thread kenne ich, aber ich wollte hier nochmal am Beispiel nachfragen. Mich interessiert einfach, was "Menuett-Liebhaber" an diesen Sätzen fasziniert, denn auch wenn ich sie inzwischen etwas spannender finde als früher, eine wirklich heiße Liebe ist das bisher nicht. Ich habe aber die Hoffnung, dass das an mir liegt, und nicht an den Menuetten.


    @Johannes: Bei 104 und 99 war allerdings vor allem das Tempo der Menuette Thema.


    Übrigens ist die Coda des Kopfsatzes auch bei Jochum ziemlich weit weg von "Katastrophe" .


    Gruß,
    Spradow.

  • Zitat

    Original von Spradow
    Mich interessiert einfach, was "Menuett-Liebhaber" an diesen Sätzen fasziniert, denn auch wenn ich sie inzwischen etwas spannender finde als früher, eine wirklich heiße Liebe ist das bisher nicht. Ich habe aber die Hoffnung, dass das an mir liegt, und nicht an den Menuetten.


    Ein ausgesprochener Menuett-Liebhaber bin ich jetzt auch nicht. Aber mit den entsprechenden Sätzen der Nrr. 95, 94, 93 und 92 folgen demnächst gleich vier meiner Lieblings-Menuette - da versuche ich dann mal in den Threads, meine Zuneigung auch zu begründen. Das Menuett in 96 erwischt mich allerdings auf dem falschen Fuß, weil ich das nicht sooo doll finde. ;)



    Viele Grüße


    Bernd

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  • Zitat

    Original von Zwielicht
    Ein ausgesprochener Menuett-Liebhaber bin ich jetzt auch nicht. Aber mit den entsprechenden Sätzen der Nrr. 95, 94, 93 und 92 folgen demnächst gleich vier meiner Lieblings-Menuette - da versuche ich dann mal in den Threads, meine Zuneigung auch zu begründen. Das Menuett in 96 erwischt mich allerdings auf dem falschen Fuß, weil ich das nicht sooo doll finde. ;)


    Ok, die Menuette von 95 und 92 mag ich auch wirklich gerne. Also mehr zu dem Thema bei 93 oder 94. ;)



    Gruß,
    Spradow.

  • Zitat

    Original von Spradow
    Ja, den Thread kenne ich, aber ich wollte hier nochmal am Beispiel nachfragen. Mich interessiert einfach, was "Menuett-Liebhaber" an diesen Sätzen fasziniert, denn auch wenn ich sie inzwischen etwas spannender finde als früher, eine wirklich heiße Liebe ist das bisher nicht. Ich habe aber die Hoffnung, dass das an mir liegt, und nicht an den Menuetten.


    @Johannes: Bei 104 und 99 war allerdings vor allem das Tempo der Menuette Thema.


    Nicht nur. Aber es gibt natürlich einen Zusammenhang. Denn der "scherzohafte" Charakter, gerade dieser beiden Sätze wird bei einem angemessenen Tempo viel eher deutlich. Stell Dir mal das Scherzo aus der Eroica auf 8-9 min statt knapp 6 ausgedehnt vor. Deine Wertschätzung des Satzes dürfte rapide sinken... ähnlich benötigen viele Interpreten für das Menuett aus #101 über 8 min, es sollte etwas weniger als 6 min dauern!


    Es muß ja nicht noch einmal betont werden, daß Menuette fast immer die "leichtesten" Sätze im Werk sind. Das ist übrigens bei Beethovenschen Scherzi oder den unterschiedlichen Scherzo/intermezzo-Varianten der
    Romantiker kaum je anders. Das durchschnittliche Menuett einer späten Haydn-Sinfonie ist allerdings komplexer als die Scherzi der ersten beiden Beethoven-Sinfonien. Viele Scherzi beim frühen Beethoven leben wirklich nur von Tempo und Rhythmus.

    Das war Tovey schon in den 20er Jahren klar, ebenso, daß die meisten dieser Stücke Tempi "auf dem halben Wege" zwischen einem 'galanten' Menuett und einem Beethovenschen Scherzo" verlangen. Leider wird hier aber immer noch ziemlich viel langweilig und gedankenlos und schlicht viel zu langsam herunterdirigiert.


    Wenn hier Langeweile aufkommt, liegt das m.E. zu 30% an falschen Erwartungen und zu 60% an leider noch immer verbreiteten zu langsamen tempi oder sonstwie langweiligen Interpretationen. Es müssen die rhythmischen Finessen, dynamischen usw. Kontraste herausgearbeitet werden.


    Das vorliegende Menuett ist ein eher durchschnittliches Stück, vermutlich in relativ mäßigem Tempo zu nehmen (wenngleich etwas zügiger nie verkehrt ist, der 16tel Anlauf im 2. Takt kann fast wie ein Anschleifer wirken), mir gefällt's. Schöne Kontraste zwischen dem festlichen Anfang und der Weiterführung mit der Flöte und durchaus energisch am Beginn des 2. Teils.


    Ich habe übrigens jetzt noch Hogwoods 96 angeschafft. Das ist tatsächlich eine der besten. Die bisher deutlichsten Horn/Trompetenfanfaren im Kopfsatz :jubel: :jubel: :jubel:, sehr guter Klang und ein irrwitzig schnelles Finale (wobei hier aber ungeachtet des Tempos der Minore-Teil etwas dramatischer sein könnte)




    viele Grüße


    JR

    Struck by the sounds before the sun,
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    (Bob Dylan)

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    Original von Johannes Roehl


    Nicht nur. Aber es gibt natürlich einen Zusammenhang. Denn der "scherzohafte" Charakter, gerade dieser beiden Sätze wird bei einem angemessenen Tempo viel eher deutlich. Stell Dir mal das Scherzo aus der Eroica auf 8-9 min statt knapp 6 ausgedehnt vor. Deine Wertschätzung des Satzes dürfte rapide sinken... ähnlich benötigen viele Interpreten für das Menuett aus #101 über 8 min, es sollte etwas weniger als 6 min dauern!


    Ja, bei Jochum 7:40. Das macht sicherlich einen großen Unterschied. Andererseits wird Kuijken auch 1:19 Minuten schneller mit dem Menuett von 86 fertig als Bernstein, ohne dass es dadurch sprunghaft interessanter würde als bei jenem... ;)
    Das Eroica-Scherzo klingt schon auf 7:40 Minuten gedehnt natürlich merkwürdig: w³.grunin.com/eroica/media/Klemperer_70_3.mp3. Aber wie es wirken würde, wenn man es gleich so langsam kennen lernen würde -- keine Ahnung.
    Ich werde mal die Diskussion um die schnellst- und ruppigst gespielten Menuette weiterverfolgen und dann akquirierend tätig werden.


    Gruß,
    Spradow.

  • Meine Lieben,


    Radio Stephansdom spielte soeben eine Aufnahme von Georg Solti mit dem London Philharmonic Orchestra. Sehr munter, sehr spritzig, allerdings in bißchen hemdärmelig - ich würde sagen, keine Spitzenleistung, aber eine sehr gute, die man durchaus empfehlen kann.


    LG


    Waldi

  • Hallo,


    sehr empfehlenswert, da kernig, knackig und einfach umhauend:



    Joseph Haydn [1732-1809]


    Sinfonie Nr. 96 D-Dur


    Concertgebouw Orchestra
    Eduard van Beinum


    Zwar ist das alle andere als HIP - aber die herausgehobenen Holzbläser, besonders die Fagötter, sind einfach himmlisch.


    Toller Klang! (Die enthaltenen Sinfonien 94 und 97 sind in der Klangqualität m. E. etwas schwächer, aber mehr als erträglich - eigentlich genauso wunderbar).


    :jubel: :jubel: :jubel:


    Und zudem: fast geschenkt! Für 6,99 sollte man schnell zugreifen, bevor es diese Scheiben wieder nicht mehr gibt!


    :hello:


    Ulli

    Die Kunst ist [...] vielleicht das Denken des Herzens.
    (Blaise Pascal, 1623-1662)

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  • Hallo,


    wenn ich mich nicht verlesen habe, wurde hier das tuffige Trompetensolo im B-Teil des Menuetttrios noch nicht erwähnt. Überhaupt fällt mir gerade auf, daß die 96, die ich wohl seit längerem nicht mehr hörte, zu meinen absoluten Favoriten unter den Haydnsinfonien gehörte und wieder gehört! Besonders gefällt mir auch die synkopische Chromatik im Finalsatz!


    :jubel: :jubel: :jubel:


    Ulli

    Die Kunst ist [...] vielleicht das Denken des Herzens.
    (Blaise Pascal, 1623-1662)