Unter den späteren Sinfonien Haydns ist die Nr. 89 wohl die unbekannteste und vermutlich auch am wenigsten geschätzte. Ich habe sie dennoch ziemlich früh kennengelernt, weil sie auf der Rückseite einer Bibliotheks-LP mit der Nr. 88 (dem eigentlichen Objekt der Begierde) eingespielt war – Karl Böhm dirigierte die Wiener Philharmoniker. Mir gefiel die Sinfonie recht gut und so hat mich damals die Wucht einer abfälligen Bewertung, die ich irgendwo las, doch eher unvorbereitet getroffen. Die Sinfonie weist zweifellos eine simplere Faktur auf als die Nachbarwerke. Vor allem aber hat die Tatsache, dass der zweite und vierte Satz die Umarbeitung eines (angeblichen) Gelegenheitswerkes sind, zum Naserümpfen Anlass gegeben.
Diese F-dur-Sinfonie bildet zusammen mit dem G-dur-Werk Nr. 88 „ein recht ungleiches Geschwisterpaar“ (Walter Lessing). Haydn komponierte dieses Paar 1787 und gab es zusammen mit den Streichquartetten op. 54 & 55 Johann Tost, einem Geiger der Esterhazy-Hofkapelle, mit. Dieser sollte auf einer Parisreise die Werke dem Verleger Sieber andrehen. Es gibt dazu (laut Finscher) Briefe von Haydn, in denen die Komposition zweier weiterer Sinfonien für Sieber angekündigt wird, die aber nie zustandegekommen sind. Interessant: in einem dieser Briefe vom 28.8.1789 spricht Haydn davon, dass eines dieser geplanten Werke den Titel „National-Sinfonie“ bekommen solle – eine Reaktion auf die ersten revolutionären Ereignisse in Frankreich?
Bei Nr. 89 gibt’s keine Spur von Revolution, ganz im Gegenteil. Offenbar hatte Haydn es bei der Komposition eilig (stand Tost kurz vor der Abreise nach Paris?) und bediente sich für den langsamen Satz und das Finale bei einem der Konzerte, das er im Auftrag König Ferdinands IV. von Neapel 1785/86 für die lira organizzata geschrieben hatte. Dieser Orgelleier hat Ulli hier einen Beitrag (mit Bild) gewidmet, zudem eine CD empfohlen, auf der einige Werke Haydns für dieses Instrument enthalten sind. Das in der Sinfonie verwurstete Werk scheint – den Klangschnipseln nach zu urteilen – aber nicht dabei zu sein. Nach den Angaben in der Literatur hat Haydn das Andante bis auf die Instrumentation weitgehend unverändert aus dem Konzert übernommen, während er für das Finale einen stürmischen Moll-Mittelteil hinzukomponierte – wohl um dem Satz mehr „Gewicht“ zu verleihen.
Für die Beschreibung der Sinfonie stand mir leider keine Partitur zur Verfügung, weil der entsprechende Band der Neuen Haydn-Ausgabe noch nicht erschienen ist. Da zudem die Anmerkungen zum Werk in der mir bekannten Literatur ausgesprochen spärlich sind, beruhen meine Aussagen weitgehend auf dem reinen Höreindruck und sind demzufolge noch mehr als sonst ergänzungs- und korrekturbedürftig.
Der erste Satz, Vivace, beginnt ohne langsame Einleitung mit fünf Akkordschlägen der Streicher (wie aus diversen Haydn-Streichquartetten bekannt). Darauf das ungewöhnlich entspannte Hauptthema. Als Kontrast ein temperamentvoller antiphonischer Dialog der Violinen in Sechzehnteln. Das Seitenthema kommt wie so oft sehr „musikantisch“, ja geradezu lässig daher – wenig Kontrast zum Hauptthema. Aber wie bei diesem wird auch dem Seitenthema noch eine energische Schlussgruppe in Sechzehnteln gegenübergestellt. Diese eröffnet, nach Moll gewendet, geradezu dramatisch die Durchführung, die sich als ziemlich gestaltenreich erweist und alle Themengruppen der Exposition - häufig in Moll - verarbeitet. Zum Schluss gerät der musikalische Fluss ins Stocken, bevor unvermittelt mit den fünf Akkordschlägen die Reprise beginnt, die aber sehr originell mit einer Holzbläservariante des Hauptthemas weitergeführt wird. Da auch die Durchführung sehr stark mit Holzbläsern arbeitet, entsteht der Eindruck, sie würde trotz der unmissverständlichen Akkordschläge in die Reprise „hineinragen“. Auch sonst ist die Reprise stark verändert, die Coda wird überwiegend vom Hauptthema beherrscht. Ein nicht unbedingt spektakulärer, aber doch reizvoller Satz.
Das Andante con moto ist in ABA’-Form gebaut. Der A-Teil wird von einem wiegenden, pastoralen Siciliano-Thema beherrscht, das sich Streicher und Holzbläser gegenseitig zuspielen. Das ist nicht ohne klanglichen und auch harmonischen Reiz (Molleintrübungen). Der Mittelteil in Moll (keine Ahnung, ob der auch schon beim Lyrakonzert dabei war) stimmt mit dramatischen Akkordschlägen und konzertierenden Holzbläsern ernstere Töne an.
Das Menuett (Allegretto) beginnt recht handfest in Holzbläsern und Hörnern und exponiert dann noch ein zweites Thema in den Streichern. Sehr reizvoll der elegante Ländler des Trios, ebenfalls aus zwei Themenblöcken bestehend.
Vivace assai ist das Finale überschrieben. Sein thematisches Material ist recht einfach: der Satz wird von einem fast etwas plebejisch-munterem Thema dominiert, insbesondere von dessen Auftakt aus zwei Achteln, der auch fast alle thematischen Ableitungen prägt und auf witzige Weise penetrant wirkt. Im Grunde läuft der Satz so, dass das Hauptthema oder eine seiner Ableitungen erklingt, sich dann relativ schnell festrennt, manchmal auf ungebührlich lang ausgehaltenen Liegetönen – damit dann die Blockade durch den (je nach Interpret) pointiert auftrumpfenden Zwei-Achtel-Auftakt wieder überwunden wird. Davon ausgenommen ist nur der gegenüber dem Lyrakonzert neu hinzukomponierte Moll-Mittelteil, in dem es recht stürmisch zugeht und auch ansatzweise kontrapunktische Verarbeitung stattfindet. Macht Spaß - ein erheiterndes Kehraus-Finale mit einem Schuss Temperament.
Viele Grüße
Bernd