Gestern habe ich das Vokalensemble Chanticleer bei einem Konzert im Wiener Singverein erlebt! Es handelt sich um 12 Männer (SSSAAATTTBarBB), und sie haben den Goldenen Saal gestern zum Beben gebracht!
Für alle, die sie nicht kennen:
Zitat
Chanticleer, von dem amerikanischen Wochenmagazin New Yorker als „weltweit bedeutendstes Männerensemble" bezeichnet, feiert in der kommenden Konzertsaison 2007-2008 sein 30-jähriges Bestehen. Der Gewinner mehrerer GRAMMY® Awards wird in über 100 Konzerten in 22 US-Bundesstaaten und auserlesenen europäischen Städten zu hören sein.
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Chanticleer [...] has been named the 2008 “Ensemble of the Year” by the editors of the Musical America International Directory of the Performing Arts. The award is especially notable this year because it is the first time a vocal ensemble has been so recognized. Awards in this category have usually been given to instrumental ensembles, including such recent recipients as the Philharmonia Baroque Orchestra, Ensemble InterContemporain, Bang on a Can All-Stars and the Kalichstein-Laredo-Robinson Trio.
(Quelle: *ttp://www.chanticleer.org/)
Gesungen wurden Stücke von William Byrd, Giovanni Pierluigi da Palestrina, Josquin Desprez, Andrea Gabrieli, Steven Stucky, Samuel Barber, Gustav Mahler, Steven Sametz, Francis Poulenc und György Ligeti. Am Ende wurde es wieder etwas lockerer, mit Volksliedern aus England und Irland und einigen Gospels.
Es war einfach zum Dahinschmelzen! Man konnte richtig im Wohlklang baden - vielleicht ausgenommen von ein paar Stellen in einen wenigen Stücken, wo die grellen und lauten Dissonanzen von Ligeti jedoch beabsichtigt waren - immerhin handelt der Text des Stückes "Pápainé / Witwe Pápai" von Tötungsabsichten
Pluspunkte: Sauberste Intonation (bis auf sehr wenige winzigste Ausnahmen, die sowieso nur jeder 10. hört und die live kaum zu vermeiden sind), sehr guter Chorklang und Balance, auch solistisch ausnahmslos tolle Leistungen (und weit gestreut... vom Kontra-H bis zum c3 war da alles dabei Per Stimmgabel überprüft! ), Stilsicherheit - ich war nicht die einzige, die nach all der "ernsten" Musik überrascht von den mitreißenden, fetzigen Gospels war, die einen fast umgeblasen haben Es gibt eben doch relativ viele Ensembles, die nur entweder das eine oder das andere gut können.
Mein persönliches Highlight: Gustav Mahler, Ich bin der Welt abhanden gekommen (Rückert-Lieder, Arr. Clytus Gottwald) *schmelz* Einen Mitschnitt davon gibt es auf *ttp://chanticleer.org gleich auf der Startseite. Wobei sowas natürlich nie mit dem Live-Erlebnis vergleichbar ist.
Minuspunkte: Einer der Sopranisten hatte stellenweise ein ziemlich starkes Vibrato, was mich an sich nicht stören würde (für sich allein), doch die Stimme wollte manchmal nicht so recht zum Klang der anderen passen, sondern fiel etwas aus dem Rahmen. Da das aber nicht annähernd die ganze Zeit über zu bemerken war, kann ich großzügig darüber hinwegsehen
Was mich aber extrem gestört hat, waren die Zuhörer, die zum Teil einfach nicht stillsitzen können - wie kleine Kinder! Konzert-Zerhuster sind ja leider sowieso überall an der Tagesordnung, aber hinzu kamen noch genügend Leute, die zu spät kamen und umständlich und ohne jede Hast ihre Plätze aufsuchten, während das Ensemble bereits mit dem ersten Stück begann. Und meine Lieblinge: Leute, die vorzugsweise an den atemberaubendsten Gänsehaut-Pianostellen vernehmlich im Programm blättern, so laut wie möglich raschelnd Bonbons auswickeln (auch wenn sie davor kein einziges Mal husten mussten), gefühlte zehn Minuten lang in ihrer Tasche nach der Brille suchen, schwere Gegenstände fallen lassen (ich frage mich immer noch, was da um Himmels Willen mehrmals so laut poltern konnte!), sich unterhalten oder das nicht ausgeschaltete Handy läuten lassen Ich habe mich zum Teil wirklich extrem geärgert, wie man nur so gleichgültig der dargebotenen Musik, den anderen Zuhörern gegenüber und v.a. respektlos gegenüber den Künstlern sein kann!!! :motz: Glücklicherweise besserte sich das im zweiten Teil nach der Pause, oder ich habe mich nur daran gewöhnt, wer weiß. Fairerweise muss man sagen, dass es sich bei diesen "Lärmern" natürlich nur um eine kleine Minderheit im Publikum handelt - aber nervtötend ist es so oder so. Der Großteil der Zuhörerschaft schien sehr begeistert, was sich natürlich v.a. am Ende des Konzerts bemerkbar machte: Nicht enden wollender Applaus, Bravorufe, Gejohle (abgesehen von ein paar Leuten, die schon eine Sekunde nach Ausklingen des Schlussakkords des letzten Liedes aufsprangen und hektisch den Saal verließen - aber solche gibt es wohl immer)... die zwölf Herren gingen geschätzte hundert Mal von der Bühne ab und kamen wieder, und beschenkten uns mit 3 Zugaben
Fazit: Grandioses Ensemble, grauenvolles Publikum
Hier nochmal das Programm (ohne Zugaben, von denen weiß ich leider weder Titel noch Komponisten):
Chanticleer
My Spirit Sang All Day
William Byrd: Sing joyfully
William Byrd: Ave verum corpus
Giovanni Pierluigi da Palestrina: Ave regina coelorum
Josquin Desprez: El grillo è buon cantore
Josquin Desprez: Je ne me puis tenir
Andrea Gabrieli: Tirsi morir volea (dialogo)
Andrea Gabrieli: Sento, sent’un rumor – Alla battaglia
Steven Stucky: Cradle Songs
Samuel Barber: A Nun Takes the Veil / Heaven-Haven op. 13/1
Gustav Mahler: Ich bin der Welt abhanden gekommen (Rückert-Lieder)
(Arr. Clytus Gottwald)
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Steven Sametz: I have had singing
Francis Poulenc: Quatre petites prières de Saint François d'Assise S 142
György Ligeti: Pápainé / Witwe Pápai
György Ligeti: Idegen földön / In der Fremde
György Ligeti: Magány / Einsamkeit
Anonymus: Sometimes I feel like a motherless child / Spiritual
Anonymus: Poor Pilgrim Of Sorrow / Spiritual
War vielleicht noch jemand dort?